Leitsatz (amtlich)
›a) Die Niederschrift über eine Aussage als Beschuldigter oder als Zeuge im Ermittlungsverfahren ist in einem späteren Zivilprozeß grundsätzlich nicht im Wege des Urkundenbeweises verwertbar, wenn der Vernommene nicht ordnungsgemäß über sein Recht, die Aussage zu verweigern, belehrt worden war.
b) Der einer Verwertung entgegenstehende Mangel wird jedoch geheilt, wenn der im Ermittlungsverfahren Vernommene im späteren Zivilprozeß nach ordnungsmäßiger Belehrung bereit ist, als Zeuge auszusagen.‹
Verfahrensgang
LG Landau (Pfalz) |
OLG Zweibrücken |
Tatbestand
Der Kläger hatte im Haus des Beklagten in B. einen etwa 80 qm großen Lagerraum zur Aufbewahrung von Schuhen gemietet. Dieser befand sich in der 1. Etage des zweigeschossigen Gebäudes und war durch eine abschließbare, aber meist unverschlossene Faltschiebetür von der Wohnung des Beklagten abgetrennt.
Am 31. Oktober 1980 brach kurz nach 12 Uhr in diesem Lagerraum ein Brand aus, der das ganze Gebäude, auch das Lagergut des Klägers, zerstörte. An diesem Tag hatten sich die beiden jüngsten Kinder des Beklagten, die 6-jährige Tochter Caroline und der 5-jährige Sohn Stefan, etwa um 12 Uhr in das obere Stockwerk begeben. Kurz darauf kamen sie mit dem Ruf, daß es oben brenne, heruntergelaufen.
Der Kläger hat den Beklagten wegen seines Sachschadens auf Zahlung eines Teilbetrages von 10.000 DM mit der Behauptung in Anspruch genommen, die beiden Kinder des Beklagten hätten in dem Lagerraum mit Streichhölzern gespielt und den Brand verursacht. Er hat sich auf Verletzung des Mietvertrages und der Aufsichtspflicht des Beklagten über die Kinder berufen.
Beide Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
I. Hinsichtlich des allein noch im Streit befindlichen Anspruchs aus unerlaubter Handlung (Aufsichtspflichtverletzung § 832 BGB und Verletzung der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht § 823 Abs. 1 BGB) hat das Berufungsgericht sich nicht davon zu überzeugen vermocht, daß eines der beiden Kinder des Beklagten den Brand verursacht hatte. Zwar habe Caroline bei ihrer polizeilichen Vernehmung - wie sich aus den beigezogenen staatsanwaltlichen Ermittlungsakten ergebe - am Ende ihrer Befragung eingeräumt, ein Streichholz bei sich gehabt und damit im Schuhlagerraum Feuer gemacht zu haben, als sie unmittelbar vor Ausbruch des Feuers zusammen mit ihrem Bruder Stefan oben gespielt habe. Das Ergebnis dieser Vernehmung sei für den vorliegenden Zivilprozeß aber nicht verwertbar und zwar weder als Urkundenbeweis, noch durch Vernehmung der damaligen Verhörspersonen als Zeugen, weil das Kind nicht über sein Aussageverweigerungsrecht belehrt worden sei, wie das Gesetz es (§§ 136, 163 a Abs. 4 StPO) für den Beschuldigten vorschreibe. Caroline sei aber, obwohl mit 6 Jahren strafunmündig, Beschuldigte gewesen; das gegen sie durchgeführte Ermittlungsverfahren habe die Staatsanwaltschaft "wegen Strafunmündigkeit der Beschuldigten" eingestellt. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zum Strafverfahrensrecht, wonach eine unterbliebene Belehrung des Beschuldigten im Vorverfahren (anders als bei einer unter Verletzung des § 52 StPO durchgeführten Zeugenvernehmung) kein Verwertungsverbot hinsichtlich der unter Verletzung dieser Belehrungspflicht zustandegekommenen Aussage zur Folge habe, finde für das Zivilverfahren keine Anwendung. Hier genüge es für das Verwertungsverbot, daß sich nicht ausschließen lasse, daß der Beschuldigte bei Kenntnis seines Schweigerechtes nicht ausgesagt haben würde. Gerade dies sei Caroline aber zugute zu halten. Es sei nicht auszuschließen, daß sie und ihre Eltern das Aussageverweigerungsrecht nicht gekannt hätten und daß Caroline bei Kenntnis desselben - zumindest auf Anraten ihrer Eltern - keine Angaben gemacht hätte. Das Protokoll über ihre polizeiliche Vernehmung dürfe daher in den vorliegenden Zivilprozeß nicht eingeführt werden.
Dies sei auch nicht etwa deshalb zulässig, weil Caroline bei ihrer Vernehmung vor dem Oberlandesgericht trotz Belehrung ausgesagt, also von ihrem Aussageverweigerungsrecht als Zeugin keinen Gebrauch gemacht habe. Damit habe sie nicht auf das ihr im Ermittlungsverfahren zustehende Recht der Aussageverweigerung verzichtet. Wegen ihrer unterschiedlichen Stellung in den beiden Verfahren als Beschuldigte und als Zeugin könne aus ihrem Verhalten als Zeugin nicht auf ihr Verhalten als Beschuldigte geschlossen werden.
Somit stehe, da Caroline bei ihrer Vernehmung als Zeugin sich an die Brandentstehung und den Besitz von Streichhölzern nicht mehr habe erinnern können, als verwertbares Beweisergebnis lediglich fest, daß Caroline zusammen mit ihrem damals 5-jährigen Bruder im oberen Stockwerk gewesen sei und als erste den Brandausbruch bemerkt habe. Das reiche aber nicht aus, um, etwa im Wege des Anscheinsbeweises, in einem der beiden Kinder des Beklagten den Brandstifter sehen zu können.
II. Diese Ausführungen des Berufungsgerichts halten den Angriffen der Revision nicht stand. Die Revision rügt zu Recht, daß das Berufungsgericht für seine Überzeugungsbildung die Niederschrift über die polizeiliche Befragung der Caroline im Ermittlungsverfahren trotz ihrer späteren Aussage als Zeugin als unverwertbar angesehen und sich deshalb auch an einer Vernehmung der damaligen Verhörsperson als Zeuge über den Inhalt der Aussage von Caroline gehindert gesehen hat. Damit hat das Berufungsgericht gegen § 286 ZPO verstoßen, indem es die angebotenen Beweise nicht vollständig erhoben und gewürdigt hat.
1. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, daß polizeiliche Vernehmungsprotokolle (und denen vergleichbare, die Aussage eines Kindes zusammenfassende Niederschriften der polizeilichen Verhörspersonen) aus einem Ermittlungs- oder Strafverfahren im Wege des Urkundenbeweises (§§ 415 ff, 432 ZPO) in den Zivilrechtsstreit eingeführt werden können (s. BGHZ 7, 116, 121 ff; Senatsurteile vom 19. Dezember 1969 - VI ZR 128/68 - VersR 1970, 322 und vom 11. Juni 1974 - VI ZR 37/73 - VersR 1974, 1030), und zwar ohne daß es hierzu der Zustimmung des Prozeßgegners bedarf (Senatsurteil vom 19. April 1983 - VI ZR 253/81 - VersR 1983, 667).
2. Das gilt allerdings nicht für Protokolle über eine Vernehmung, die aus Verfahrensgründen nicht verwertet werden darf. Um eine solche handelt es sich aber bei dem von der Polizei in dem Ermittlungsverfahren gefertigten Protokoll über das Ergebnis der Befragung von Caroline zum Brandgeschehen. Denn diese Befragung war zwar im Beisein ihres Vaters und zeitweise auch ihrer Mutter, jedoch ohne jede Belehrung über ein Aussageverweigerungsrecht durchgeführt worden. Wurde Caroline als Zeugin gehört - wofür vieles spricht, da sie mit 6 Jahren strafunmündig und in der gegen sie gerichteten Strafanzeige auch nicht als "Beschuldigte" bezeichnet worden war und die Einstellungsverfügung auch ein fahrlässiges Verhalten ihrer Eltern in Erwägung zog, so hätte sie auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht als naher Angehöriger (§ 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO) hingewiesen werden müssen. Selbst wenn sie aber als Beschuldigte befragt worden war, hätte sie vor ihrer Befragung darauf hingewiesen werden müssen, daß es ihr nach dem Gesetz freistand, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und jederzeit, auch schon vor einer Vernehmung, einen von ihr zu wählenden Verteidiger zu befragen (§§ 163 a Abs. 4 Satz 2, 136 Abs. 1 Satz 2 StPO). Beides ist unstreitig nicht geschehen. Damit wäre sowohl die Einführung dieser auf verfahrenswidriger Vernehmung beruhende Urkunde in das Zivilverfahren, um daraus Caroline bei ihrer Vernehmung als Zeugin Vorhaltungen machen zu können, als auch die Vernehmung der damaligen Verhörsperson als Zeugen über den Inhalt der Aussage von Caroline unzulässig gewesen.
Es entspricht allgemeiner Meinung, daß nach den Grundsätzen sowohl des Straf- als auch des Zivilverfahrens das Vernehmungsprotokoll eines Zeugen, der über sein Zeugnisverweigerungsrecht nicht belehrt worden war, unzulässig ist (s. Meyer in Löwe/Rosenberg, StPO, 23. Aufl., § 52 Rz. 53 für das Strafverfahren und für das Zivilverfahren die Nachweise im BGH Urteil vom 19. Januar 1984 - III ZR 93/82 - VersR 1984, 458, 459).
Bei einer Beschuldigtenvernehmung führt der unterbliebene Hinweis auf seine Aussagefreiheit zwar für das Strafverfahren nicht zu derselben strengen Unverwertbarkeit des verfahrenswidrig zustandegekommenen Vernehmungsprotokolls gegen ihn in seiner Rolle als Angeklagten (s. BGHSt 22, 170; BGH Beschl. vom 7. Juni 1983 - 5 StR 409/81 - NJW 1983, 2205). Bei einer Verwendung dieser Urkunde im Zivilverfahren, in welchem der frühere Beschuldigte nunmehr nur als Zeuge aussagen kann, muß es aber bei denselben strengen Grundsätzen verbleiben wie bei einer früheren Aussage als Zeuge.
3. Der Verfahrensmangel eines ohne Belehrung zustandegekommenen Protokolls wird jedoch geheilt, wenn der Zeuge bei seiner erneuten Vernehmung nach ordnungsgemäßer Belehrung über sein Zeugnisverweigerungsrecht nunmehr zur Aussage bereit ist. Es ist anerkannten Rechtes, daß im Strafprozeß das Verwertungsverbot für eine Aussage wegen unterlassener Belehrung entfällt, wenn der Zeuge in der Hauptverhandlung nach entsprechender Belehrung über sein Zeugnisverweigerungsrecht auf dieses verzichtet; alsdann dürfen ihm aus seiner früheren, verfahrenswidrig zustandegekommenen Vernehmung Vorhalte gemacht werden (BGHSt 20, 234; RGSt 25, 262, 263 und RG in JW 1928, 1306 sowie Pelchen in KK, 1982, § 52 Rz. 39 und Meyer in Löwe/Rosenberg = aaO). Dieser Grundsatz findet auch auf das Zivilverfahren Anwendung. Der Meinung des Berufungsgerichts, daß sich der spätere Verzicht Carolines auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht im Zivilverfahren wegen ihrer unterschiedlichen Stellung in den beiden Verfahren als Beschuldigte und als Zeugin nicht auf ihre frühere Vernehmung im Ermittlungsverfahren erstreckte, kann nicht gefolgt werden. Ist ein Zeuge trotz Belehrung über sein Zeugnisverweigerungsrecht zur Aussage bereit, besteht kein Anlaß mehr, ihn vor seiner früheren Aussage (sei es als Zeuge, sei es als Beschuldigter), die er ohne die gebotene Belehrung über sein Aussageverweigerungsrecht gemacht hat, zu schützen. Denn das Zeugnisverweigerungsrecht ist unteilbar. Es steht nicht in der Macht des Zeugen, über den Umfang der richterlichen Entscheidungsgrundlage, also darüber zu bestimmen, was von seinen Aussagen verwertbar sein soll und was nicht.
Daraus folgt für den Streitfall: War Caroline bei ihrer Vernehmung vor dem Oberlandesgericht ordnungsgemäß über ihr Aussageverweigerungsrecht belehrt worden, wovon revisionsmäßig auszugehen ist, dann war auch das polizeilich gefertigte Vernehmungsprotokoll über ihre Befragung zum Brandgeschehen verwertbar, aus dem ihr alsdann Vorhaltungen hätten gemacht werden müssen. Zudem war es dann verfahrensfehlerhaft, dem Beweisantrag des Klägers auf Vernehmung der Verhörsperson nicht stattzugeben. Das angefochtene Urteil kann somit keinen Bestand haben.
III. Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung, insbesondere bei einer erneuten Vernehmung von Caroline, wird allerdings darauf zu achten sein, daß sich ein 9-jähriges Kind der besonderen Konfliktlage, in die es sich mit seiner Aussagebereitschaft begibt, bewußt wird. Da das Berufungsgericht bisher selbst von der Unverwertbarkeit des polizeilichen Protokolls über die Befragung von Caroline ausgegangen ist, mag es zweifelhaft sein, ob es ihr die Konsequenzen einer Aussagebereitschaft hinreichend deutlich gemacht hat, wozu jedenfalls bei einem Kind dieses Alters (das ohnehin nicht ohne weiteres zwischen einer Aussageverweigerung und der Bereitschaft zur Aussage, "sich an nichts mehr erinnern zu können" zu unterscheiden vermag) Veranlassung besteht.
Fundstellen
Haufe-Index 2992777 |
NJW 1985, 1470 |
MDR 1985, 567 |
VersR 1985, 537 |