Entscheidungsstichwort (Thema)
Befristung eines Anspruchs auf Betreuungsunterhalt bei nichtehelichem Zusammenleben des Unterhaltsberechtigten mit einem neuen Partner
Leitsatz (amtlich)
Zur Befristung eines Anspruches auf Betreuungsunterhalt im Fall des § 1579 Nr. 7 BGB.
Normenkette
BGB §§ 1570, 1579 Nr. 7
Verfahrensgang
KG Berlin (Urteil vom 21.04.1995) |
AG Berlin-Charlottenburg (Urteil vom 27.12.1991; Aktenzeichen 159 F 1943/90) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 18. Zivilsenats des Kammergerichts – Senat für Familiensachen – vom 21. April 1995 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Urteil des Amtsgerichts – Familiengericht – Charlottenburg vom 27. Dezember 1991 – 159 F 1943/90 – dahin abgeändert worden ist, daß die Unterhaltspflicht des Klägers bis zum 30. September 1997 befristet worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Durch Verbundurteil vom 27. Dezember 1991 wurde (u.a.) die im Jahre 1978 geschlossene Ehe der Parteien geschieden, die elterliche Sorge für das am 23. September 1985 geborene Kind J. der Mutter übertragen und der (jetzige) Kläger gemäß seinem Anerkenntnis verurteilt, an die Beklagte nachehelichen Unterhalt in Höhe von 896 DM monatlich zu zahlen. Das Anerkenntnis erfolgte auf der Grundlage der Antragsschrift zum nachehelichen Unterhalt, in der die Beklagte die Differenz der beiderseitigen bereinigten Erwerbseinkommen mit rund 2.091 DM (Kläger – nach Abzug des Kindesunterhalts in Höhe von 420 DM –: 3.365,52 DM; Beklagte: 1.274,64 DM) angegeben und den anerkannten Betrag als den ihr zustehenden Unterhalt (als Quote von 3/7) errechnet hatte. Das Verbundurteil ist hinsichtlich des Scheidungsausspruchs seit dem 4. April 1992 rechtskräftig.
In dem zuvor über den Trennungsunterhalt der Beklagten geführten Rechtsstreit hatte der Kläger (ohne Erfolg) geltend gemacht, seine von ihm seit Januar 1989 getrennt lebende Ehefrau lebe seit einiger Zeit mit einem neuen Partner, L., den sie Anfang 1990 kennengelernt habe, eheähnlich zusammen. Zur Erhärtung seines Vorbringens hatte er den Bericht einer Detektei vorgelegt, von der er die Beklagte und L. in der Zeit vom 13. bis 19. September 1990 hatte beobachten lassen.
Das Amtsgericht hatte der Klage nach Vernehmung des L. als Zeugen durch Urteil vom 17. Januar 1991 im wesentlichen stattgegeben und zu der Frage einer Verwirkung der Unterhaltsansprüche ausgeführt, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme lebe die Beklagte mit L. nicht in einer eheähnlichen Gemeinschaft, die nach außen das Bild einer Versorgungsgemeinschaft biete.
Mit der am 20. Januar 1994 erhobenen Klage begehrte der Kläger die Abänderung des Verbundurteils vom 27. Dezember 1991 dahin, daß er nicht mehr zu Unterhaltszahlungen an die Beklagte verpflichtet sei. Zur Begründung trug er vor, die Verhältnisse hätten sich seit der Vorentscheidung erheblich geändert, da die Beklagte inzwischen seit mehreren Jahren in einem eheähnlichen Verhältnis mit L. zusammenlebe, weshalb seine weitere Inanspruchnahme grob unbillig sei. Die Beklagte trat der Klage entgegen. Sie bestritt, eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft mit L. zu unterhalten.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Kammergericht die angefochtene Entscheidung geändert und das Verbundurteil vom 27. Dezember 1991 hinsichtlich des nachehelichen Unterhalts mit Wirkung vom 20. Januar 1994 dahin abgeändert, daß bis zum 30. September 1997 nur noch eine monatliche Unterhaltsrente von 370 DM zu zahlen ist. Im übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Mit der – zugelassenen – Revision erstrebt die Beklagte die Zurückweisung der Berufung des Klägers insoweit, als das Verbundurteil dahin abgeändert worden ist, daß die Unterhaltspflicht des Klägers für die Zeit nach dem 30. September 1997 entfällt.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg.
1. Das Kammergericht hat eine nachträgliche Veränderung der für die frühere Beurteilung maßgebenden Verhältnisse angenommen und den Anspruch der Beklagten auf nachehelichen Unterhalt auf monatlich 370 DM herabgesetzt und bis zum 30. September 1997 befristet. Dazu hat es ausgeführt:
Die Beziehung der Beklagten zu ihrem neuen Partner habe sich seit der Vorentscheidung so verfestigt, daß sie nunmehr wie eine eheliche Lebensgemeinschaft erscheine. Diese Entwicklung rechtfertige die Herabsetzung ihres Unterhalts gemäß § 1579 Nr. 7 BGB. Während sich im Dezember 1991 noch nicht verläßlich habe beurteilen lassen, ob sich die Verbindung der Beklagten zu L. als dauerhaft erweisen werde, sei inzwischen eine Änderung eingetreten. Das Verhältnis, das die Beklagte selbst als feste Liebesbeziehung bezeichne, bestehe seit über vier Jahren. Es werde unstreitig durch regelmäßige Kontakte geprägt, die sich nicht nur auf gemeinsame Freizeiterlebnisse beschränkten, sondern über Wochenendbegegnungen hinaus zu mehrwöchigen Aufenthalten des Zeugen in der Wohnung der Beklagten, zu verschiedenen gemeinsamen Urlaubsreisen und zur wenigstens sporadischen Teilnahme an Feierlichkeiten im Kreise der Familie der Beklagten geführt hätten. Darüber hinaus müsse davon ausgegangen werden, daß L. jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, in dem die Beklagte Kenntnis von dem letzten Beobachtungsergebnis der Detektei erhalten habe, regelmäßig bei der Beklagten gewohnt und nur ausnahmsweise seine eigene Wohnung genutzt habe. Schon im Dezember 1990 hätten die Beobachtungen durch die Detektei ergeben, daß L. während des Ermittlungszeitraums bei der Beklagten gewohnt habe. Diesen Sachverhalt habe sie im vorliegenden Rechtsstreit letztlich auch nicht bestritten. Anläßlich der Vernehmung des Zeugen L. habe sie weiter eingeräumt, daß die von der Detektei im Dezember 1993 getroffenen Feststellungen richtig seien. Damit stehe fest, daß der Zeuge zu zwei für die Beklagte nicht vorhersehbaren Zeiträumen bei ihr gewohnt habe. Es komme hinzu, daß die Beklagte sich nach ihrem eigenen Vorbringen von dem Zeugen anläßlich von Krankheiten, insbesondere aus Anlaß ihrer Bandscheibenerkrankung im Sommer 1994, Hilfe in einer Form habe leisten lassen, wie sie üblicherweise nur von einem Ehegatten dem anderen gewährt werde. L. habe nach ihren eigenen Angaben in den Zeiten ihrer Krankheit bei ihr gewohnt, den Einkauf besorgt, weitere Leistungen in ihrem Haushalt erbracht und J., die ihn zeitweise „Papa” genannt habe, zur Schule bzw. zum Kinderhort gebracht und von dort abgeholt, obwohl für diese Leistungen auch die Freunde und Verwandten der Beklagten in Frage gekommen wären. Ferner benutze die Beklagte ständig den Pkw des Zeugen. Diese Umstände ergäben in der Öffentlichkeit das Bild eines ehegleichen Verhältnisses. Ob die Verbindung von der konkreten Umgebung des Unterhaltsberechtigten als eheähnlich wahrgenommen werde, was vorliegend – wie die Vernehmung der Mitmieter als Zeugen ergeben habe – nicht der Fall sei, sei dagegen nicht entscheidungserheblich. Derartige Bewertungen seien von Person zu Person verschieden und in ländlich oder religiös geprägten Gegenden anders als in der Anonymität einer Großstadt. Maßgeblich könne allein sein, wie die neue Verbindung nach den Maßstäben der Allgemeinheit erscheine. Danach sei die Beziehung zwischen der Beklagten und L. ehegleich. An dieser Bewertung sei trotz des Vorbringens der Beklagten, das Verhältnis habe sich in letzter Zeit flüchtiger gestaltet, festzuhalten. Der Zeuge L. habe bei seiner Vernehmung anklingen lassen, welchen Grund die neue Distanz zu der Beklagten habe: ihr sollten unterhaltsrechtliche Nachteile erspart bleiben. Deshalb lasse sich nicht ausschließen, daß seine Beziehung zu der Beklagten wieder ihre frühere Qualität gewinne, wenn sie im vorliegenden Rechtsstreit obsiege. Das Vorliegen eines Härtegrundes habe indessen nicht den völligen Ausschluß des Unterhaltsanspruchs der Beklagten zur Folge. Insbesondere unter Berücksichtigung der zu wahrenden Belange des Kindes J. sei es angemessen, der Beklagten zusätzlich zu dem aus einer Teilzeitbeschäftigung erzielten Einkommen von monatlich rund 1.430 DM bis zum 30. September 1997 einen Unterhaltsanspruch in Höhe von monatlich 370 DM zu belassen. Danach werde sie auch im Hinblick auf das Alter des Kindes selbst für ihren Unterhalt sorgen müssen.
2. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.
a) Allerdings bestehen gegen die Aberkennung des Unterhaltsanspruchs im Wege des Abänderungsverfahrens an sich keine Bedenken. Nach der – vom Kammergericht zu Recht herangezogenen – Rechtsprechung des Senats kann eine auf § 1579 BGB gestützte Herabsetzung des Unterhalts für die Zeit ab Rechtshängigkeit, die hier allein zur Entscheidung steht, mittels Abänderungsklage geltend gemacht werden (Senatsurteil vom 30. Mai 1990 – XII ZR 57/89 – FamRZ 1990, 1095).
b) Gegen die Feststellungen des Berufungsgerichts, die seiner Wertung zugrunde liegen, die Beziehung der Beklagten zu L. habe sich inzwischen derart gefestigt, daß damit das nichteheliche Zusammenleben an die Stelle einer Ehe getreten sei, wendet die Revision ein: Bei den Detektivberichten, die das Berufungsgericht zu der Annahme veranlaßt hätten, L. habe jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, in dem die Beklagte Kenntnis von der letzten Beobachtung erhalten habe, regelmäßig bei dieser gewohnt und nur ausnahmsweise seine eigene Wohnung genutzt, handle es sich um Zufallsergebnisse, da sich die Beobachtungen 1990 lediglich auf fünf Tage und 1993 auf nur 14 Tage erstreckt hätten. Das Berufungsgericht habe außerdem die Aussage des Zeugen L. übergangen, der angegeben habe, sich mit der Beklagten im Durchschnitt einmal in der Woche und jeweils an den Wochenenden zu treffen, während er sich in der übrigen Zeit in seiner eigenen Wohnung aufhalte und dort insbesondere übernachte. Das hätten auch die als Zeugen vernommenen Mitmieter des Hauses bestätigt. Die Beklagte selbst habe vorgetragen, daß während der Zeit ihrer Erkrankung täglich ein anderer Bekannter gekommen sei, um den Hund auszuführen. Der Zeuge L. und sie unterhielten jeweils einen eigenen Freundeskreis; deshalb erfolgten oft getrennte Unternehmungen.
Diese Rügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet (§ 565 a ZPO).
c) Die Revision rügt weiter, nach Auffassung des Berufungsgerichts komme es nicht darauf an, wie die Umgebung des Unterhaltsberechtigten die neue Partnerschaft bewerte, sondern allein darauf, wie die neue Verbindung nach den Maßstäben der Allgemeinheit erscheine. Dies stehe im Widerspruch zu der ständigen Rechtsprechung des Senats, nach der das Erscheinungsbild der Verbindung in der Öffentlichkeit maßgeblich sei.
Auch mit diesem Angriff vermag die Revision nicht durchzudringen.
Nach der Rechtsprechung des Senats kann das Zusammenleben des Unterhaltsberechtigten mit einem neuen Partner dann zur Annahme eines Härtegrundes i.S. von § 1579 Nr. 7 BGB – mit der Folge der Unzumutbarkeit einer weiteren (uneingeschränkten) Unterhaltsbelastung für den Verpflichteten – führen, wenn sich diese Beziehung in einem solchen Maße verfestigt, daß damit gleichsam ein nichteheliches Zusammenleben an die Stelle einer Ehe getreten ist. Nach welchem Zeitablauf – und unter welchen weiteren Umständen – dies angenommen werden kann, läßt sich nicht allgemein verbindlich festlegen. Vor Ablauf einer gewissen Mindestdauer, die im Einzelfall kaum unter zwei bis drei Jahren liegen dürfte, wird sich in der Regel nicht verläßlich beurteilen lassen, ob die Partner nur „probeweise” zusammen leben oder ob sie auf Dauer in einer verfestigten Gemeinschaft leben und nach dem Erscheinungsbild der Beziehung in der Öffentlichkeit diese Lebensform bewußt auch für ihre weitere Zukunft gewählt haben (Senatsurteile vom 21. Dezember 1988 – IVb ZR 18/88 – BGHR BGB § 1579 Nr. 7 Härtegrund 5 = FamRZ 1989, 487, 490 f; vom 11. Juli 1984 – IVb ZR 22/83 – FamRZ 1984, 986, 987; vom 29. Juni 1983 – IVb ZR 391/81 – FamRZ 1983, 996, 997). Ist diese Voraussetzung erfüllt, dann kann von dem Zeitpunkt an, in dem sich das nichteheliche Zusammenleben der neuen Partner als solchermaßen verfestigte Verbindung darstellt, die Bedeutung der geschiedenen Ehe als Grund für eine fortdauernde unterhaltsrechtliche Verantwortung des Verpflichteten gegenüber seinem geschiedenen Ehegatten zurücktreten, und es kann für den Verpflichteten objektiv unzumutbar werden, den früheren Ehegatten unter derartig veränderten Lebensumständen gleichwohl weiterhin (uneingeschränkt) unterhalten zu müssen (Senatsurteil vom 21. Dezember 1988 aaO).
Das Kammergericht hat in diesem Zusammenhang die Frage aufgeworfen, ob die Annahme einer auf Dauer angelegten verfestigten Verbindung voraussetze, daß diese von der konkreten Umgebung des Berechtigten als ehegleiches Verhältnis wahrgenommen und gewertet werde, und hat deswegen die Revision zugelassen.
Bedenken gegen die vorgenannte Rechtsprechung des Senats sind im Schrifttum dahin aufgekommen, ob das Erscheinungsbild der nichtehelichen Lebensgemeinschaft in der Öffentlichkeit maßgebend sein könne oder ob es nicht ausreichen müsse, wenn die Partner ihre Verbindung als dauerhaft ansähen, auch wenn sie es verstünden, die Beziehung in der Öffentlichkeit geheim zu halten (so Voelskow in Johannsen/Henrich Eherecht 2. Aufl. § 1579 Rdn. 42; MK-Richter 2. Aufl. § 1579 Rdn. 47, vgl. auch 3. Aufl. § 1579 Rdn. 47 a; a.A. Griesche in FamGb § 1579 Rdn. 35; vgl. auch Luthin FamRZ 1986, 1166, 1167).
Ob an dem Kriterium des Erscheinungsbildes in der Öffentlichkeit festzuhalten ist, bedarf vorliegend keiner Entscheidung, da die Beklagte und L. – wie die getroffenen Feststellungen zeigen – ihre Verbindung nicht geheim halten. Die Frage, ob die Öffentlichkeit aus diesem Verhalten auch tatsächlich auf ein ehegleiches Verhältnis schließen muß, wird – soweit ersichtlich – in dieser Form im Schrifttum nicht ernsthaft diskutiert. Sie ist mit dem Berufungsgericht und mit der von diesem gegebenen Begründung auch zu verneinen. Die Maßgeblichkeit des Erscheinungsbildes einer neuen Partnerschaft des Unterhaltsberechtigten in der Öffentlichkeit als Grund für die Unzumutbarkeit einer weiteren (uneingeschränkten) Unterhaltsbelastung des Unterhaltsverpflichteten betrifft jedenfalls allein die Erkennbarkeit der Partnerschaft aufgrund der nach außen dringenden Gegebenheiten und setzt nicht voraus, daß die Partnerschaft auch tatsächlich in diesem Sinne bewertet wird.
Daß das Berufungsgericht zu der Annahme gelangt ist, vorliegend bestehe nunmehr der Härtegrund eines auf Dauer angelegten festen Verhältnisses der Beklagten zu dem Zeugen L. (§ 1579 Nr. 7 BGB), begegnet daher aus Rechtsgründen keinen Bedenken. Es obliegt letztlich der verantwortlichen Beurteilung des Tatrichters, ob er den Tatbestand des „nichtehelichen Zusammenlebens” aus tatsächlichen Gründen für gegeben erachtet oder nicht (Senatsurteil vom 25. Mai 1994 – XII ZR 17/93 – FamRZ 1995, 540, 543). Daß der Zeuge L. weiterhin eine eigene Wohnung besitzt, steht der Bewertung ebensowenig entgegen (Senatsurteil vom 11. Juli 1984 aaO) wie der Umstand, daß sich die Beziehung in der letzten Zeit nach den Angaben des Zeugen flüchtiger gestaltete. Dieser Gesichtspunkt brauchte das Berufungsgericht, das die Änderung letztlich als prozeßbedingt angesehen hat, aufgrund der im übrigen getroffenen Feststellungen nicht zu einer anderen Beurteilung zu veranlassen.
d) Soweit die Revision sich gegen die Befristung des Unterhaltsanspruchs bis zum 30. September 1997 wendet, kann ihr der Erfolg allerdings nicht versagt werden.
Da die Beklagte als Sorgeberechtigte die 1985 geborene gemeinsame Tochter betreut, ist ihr Unterhaltsanspruch nach § 1579 BGB nur zu begrenzen, soweit die Inanspruchnahme des Unterhaltspflichtigen auch unter Wahrung der Belange des Kindes, dessen Pflege und Erziehung gesichert bleiben muß, grob unbillig ist. Das ist grundsätzlich der Fall, soweit der Unterhalt das Maß dessen übersteigt, was der betreuende Elternteil – ggf. zusammen mit seinen Erwerbseinkünften – zur Deckung seines Mindestbedarfs benötigt, ferner, soweit dieser die dazu erforderlichen Mittel von anderer Seite erhalten kann und daher auf den Unterhalt nicht angewiesen ist. Schließlich können die Belange des Kindes gewahrt sein, wenn seine Pflege und Erziehung in anderer Weise als durch elterliche Betreuung sichergestellt werden kann (Senatsurteil vom 27. September 1989 – IVb ZR 78/88 – FamRZ 1989, 1279, 1280; Voelskow in Johannsen/Henrich a.a.O. § 1579 Rdn. 9 f.; Schwab/Borth Handbuch des Scheidungsrechts 3. Aufl. Teil IV Rdn. 418; Göppinger/Kindermann Unterhaltsrecht 6. Aufl. Rdn. 1318; Soergel/Häberle BGB 12. Aufl. § 1579 Rdn. 34 f.).
Ob es besonders schwerwiegende Härtefälle gibt, in denen diese Grenzen zur Vermeidung untragbarer Ergebnisse überschritten werden, in denen also die Belange des Kindes denen des Unterhaltspflichtigen in weiterem Umfang weichen müssen, kann dahinstehen, da ein solcher Ausnahmefall hier nicht in Betracht kommt (Senatsurteil vom 27. September 1989 aaO). Davon ist auch das Kammergericht ausgegangen. Es hat indessen angenommen, die Beklagte werde nach dem 30. September 1997, auch im Hinblick auf das Alter des Kindes, selbst für ihren Unterhalt sorgen müssen, obwohl sie dann – wie für die Zeit vor dem 30. September 1997 ausgeführt wird – ihre derzeitige Teilzeitbeschäftigung erheblich ausweiten müßte.
Daß und aufgrund welcher Umstände es der Beklagten zuzumuten sein wird, ihre derzeitige Teilzeitbeschäftigung erheblich auszuweiten, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Bei der Betreuung eines einzelnen Kindes ist davon auszugehen, daß dessen Heranwachsen in ein Alter von 15 oder 16 Jahren dem betreuenden Elternteil in aller Regel die Möglichkeit eröffnet, eine Vollzeitbeschäftigung aufzunehmen (Senatsurteile BGHZ 89, 108, 111; 109, 72, 75). Bei einem Kind zwischen dem 11. und 15. Lebensjahr ist weitgehend anerkannt, daß dem betreuenden Elternteil eine Teilzeitbeschäftigung zugemutet werden kann, die aber nicht stets den Umfang einer Halbtagsbeschäftigung erreichen muß (Senatsurteil vom 18. April 1984 – IVb ZR 80/82 – FamRZ 1984, 769, 770; Schwab/Borth a.a.O. Teil IV Rdn. 158; Göppinger/Kindermann a.a.O. Rdn. 1188; Kalthoener/Büttner Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts 5. Aufl. Rdn. 403). Das Maß der zumutbaren Tätigkeit richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles. Insofern sind sowohl in der Person des Kindes (Kränklichkeit, Schulschwierigkeiten, Entwicklungsstörungen), des Betreuenden (Alter, Gesundheitszustand, Beschäftigungschancen, anderweitige Betreuungsmöglichkeiten) und in den weiteren Verhältnissen liegende Kriterien zu berücksichtigen (Kalthoener/Büttner a.a.O. Rdn. 404).
Da Feststellungen, die eine sachgerechte Beurteilung der Frage ermöglichen, ob die Beklagte ihre Erwerbstätigkeit in für sich und das Kind zumutbarer Weise wird ausdehnen können, wenn J. im September 1997 12 Jahre alt wird, nicht getroffen worden sind, kann das Berufungsurteil im Umfang der Anfechtung keinen Bestand haben. Die Sache ist insoweit zur Nachholung der erforderlichen Feststellungen und zur erneuten Abwägung im Rahmen des § 1579 BGB an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Unterschriften
Blumenröhr, Krohn, Gerber, Sprick, Weber-Monecke
Fundstellen
Haufe-Index 1128078 |
NJW 1997, 1851 |
Nachschlagewerk BGH |
MDR 1997, 648 |