Verfahrensgang
LG Essen (Urteil vom 17.05.2019; Aktenzeichen 71 Js 677/17 65 KLs 41/18) |
Tenor
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 17. Mai 2019 jeweils mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
- im Strafausspruch,
- im Ausspruch über die Anordnung des Vorwegvollzugs,
- soweit eine Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen unterblieben ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge” in 29 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und eine Entscheidung über den Vorwegvollzug eines Teils der Strafe getroffen. Hiergegen richtet sich die auf die Frage der Dauer des Vorwegvollzugs sowie die Nichtanordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen beschränkte und auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel erfasst auch den Strafausspruch und hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg.
I.
Rz. 2
Nach den Feststellungen betrieb der Angeklagte in E. ein Café, in dem er ab Anfang des Jahres 2017 Marihuana verkaufte. Spätestens im Dezember 2017 schloss der Angeklagte sich mit seiner Ehefrau und seinen beiden Angestellten – dem gesondert verfolgten B. und dem gesondert verfolgten T.– zusammen, um künftig in arbeitsteiligem Vorgehen an eine unbestimmte Vielzahl von Abnehmern Marihuana in Portionen von 0,7 und 1,4 Gramm gewinnbringend zu verkaufen und sich hierdurch eine fortlaufende Einnahmequelle von einigem Umfang zu verschaffen. Im Zeitraum von Dezember 2017 bis zu seiner Festnahme am 27. September 2018 erwarb der Angeklagte zum Zwecke des gewinnbringenden Weiterverkaufs in Abständen von zehn oder elf Tagen – drei Mal pro Monat – und damit in mindestens 29 Fällen jeweils ein Kilogramm Marihuana guter Qualität – im Fall 29 am 26. September 2018 rund 1,5 Kilogramm Marihuana zum Preis von 9.000 Euro – von seinen Lieferanten. Nach erfolgter Lieferung portionierte der Angeklagte das Rauschgift gemeinsam mit seiner Ehefrau in seiner Wohnung, transportierte es nach und nach in das Café, um es dort teils selbst und teils über seine beiden Angestellten gewinnbringend an seine Abnehmer weiterzuverkaufen.
Rz. 3
Das Landgericht hat die Taten als 29 tatmehrheitliche Verbrechen des Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge im Sinne des § 30a Abs. 1 BtMG gewürdigt, Einzelstrafen von jeweils fünf Jahren und sechs Monaten verhängt und die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) angeordnet. Darüber hinaus hat es bestimmt, dass zwei Jahre und sechs Monate der Gesamtfreiheitsstrafe vor der Maßregel zu vollziehen sind. Eine Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen hat das Landgericht nicht getroffen.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 4
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg und führt zuungunsten und zugunsten (§ 301 StPO) zur Aufhebung des Strafausspruchs; damit ist auch der Entscheidung über den Vorwegvollzug eines Teils der Strafe vor der angeordneten Maßregel die Grundlage entzogen. Darüber hinaus führt das Rechtsmittel zuungunsten des Angeklagten zur Aufhebung des angegriffenen Urteils, soweit eine Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen unterblieben ist.
Rz. 5
1. Die von der Staatsanwaltschaft erklärte Beschränkung des Rechtsmittels auf die Frage der Dauer des Vorwegvollzugs eines Teils der Strafe vor der Maßregel (§ 67 Abs. 2 Satz 3 StGB) ist wirksam. Hingegen erweist sich die Beschränkung des Rechtsmittels auf die unterbliebene Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen (§§ 73 ff. StGB) als unwirksam und erfasst deshalb den gesamten Strafausspruch.
Rz. 6
a) Eine Revisionsbeschränkung ist nur wirksam, wenn sie sich auf Beschwerdepunkte bezieht, die nach dem inneren Zusammenhang des Urteils losgelöst von seinem nicht angegriffenen Teil rechtlich und tatsächlich selbstständig beurteilt werden können, ohne eine Prüfung des Urteils im Übrigen erforderlich zu machen, und wenn die infolge des Teilrechtsmittels stufenweise entstehende Gesamtentscheidung frei von inneren Widersprüchen bleibt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 2. März 1995 – 1 StR 595/94, BGHSt 41, 57, 59; vom 17. Juni 2010 – 4 StR 126/10, BGHSt 55, 174, 175 f., und vom 10. August 2017 – 3 StR 275/17, insoweit nicht abgedruckt in: BGHR StPO § 344 Abs. 1 Beschränkung 24; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 318 Rn. 6; vgl. im Einzelnen MüKoStPO/Quentin, 1. Aufl., § 318 Rn. 15 ff.).
Rz. 7
b) Gemessen hieran ist die Rechtsmittelbeschränkung der Staatsanwaltschaft wirksam, soweit das Rechtsmittel auf die Frage der Bemessung der Dauer des Vorwegvollzugs beschränkt ist. Die Wirksamkeit dieser Rechtsmittelbeschränkung setzt regelmäßig voraus, dass die Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) als solche rechtsfehlerfrei angeordnet worden ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Januar 2014 – 1 StR 531/13, NStZ-RR 2014, 107, 108; vom 14. Februar 2012 – 3 StR 7/12, NStZ 2012, 587, 588 und vom 18. Dezember 2007 – 3 StR 516/07, NStZ-RR 2009, 48, 49). Diese Anforderungen sind hier erfüllt. Die Unterbringungsvoraussetzungen des § 64 StGB – Hang, Gefahrenprognose, symptomatischer Zusammenhang sowie Erfolgs-aussichten einer Suchtbehandlung – sind rechtsfehlerfrei festgestellt und tragfähig belegt. Einen Zusammenhang zwischen Strafausspruch und Maßregel hat das Landgericht nicht hergestellt.
Rz. 8
Die Rechtsmittelbeschränkung erweist sich jedoch auch eingedenk der dem Rechtsmittelberechtigten gesetzlich eingeräumten prozessualen Gestaltungsmacht, die im Rahmen des rechtlich Möglichen zu respektieren ist (vgl. BGH, Beschluss vom 27. April 2017 – 4 StR 547/16, BGHSt 62, 155, 160), als unwirksam, soweit die Revision allein die unterbliebene Entscheidung über die Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen angreift. Zwar ist eine Beschränkung der Revision auf die Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen grundsätzlich möglich (vgl. BGH, Urteile vom 2. Dezember 2004 – 3 StR 246/04, NStZ-RR 2005, 104 und vom 5. Dezember 1996 – 5 StR 542/96, NStZ-RR 1997, 270, 271). Das Landgericht hat die Frage der Einziehung des Wertes von Taterträgen aber mit der Straffrage verknüpft, indem es im Rahmen der Strafzumessung zugunsten des Angeklagten die zusätzliche Belastung durch die – versehentlich unterbliebene – „Entscheidung über die Einziehung des Wertes der Taterträge in Höhe von 270.000 Euro” berücksichtigt hat. Damit hat das Landgericht einen Zusammenhang zwischen der Straffrage und der Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen hergestellt, die einer Wirksamkeit der erklärten Revisionsbeschränkung entgegensteht.
Rz. 9
2. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat im Umfang der Anfechtung Erfolg und führt zur Aufhebung des Strafausspruchs, des Ausspruchs über die Dauer des Vorwegvollzugs sowie zur Aufhebung, soweit eine Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen unterblieben ist.
Rz. 10
a) Der Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Er enthält Rechtsfehler zugunsten und zum Nachteil des Angeklagten.
Rz. 11
aa) Das Landgericht hat unter anderem strafmildernd berücksichtigt, dass sich die Taten des Angeklagten „nicht auf so genannte ‚harte Drogen’, sondern auf Substanzen von mittlerer Gefährlichkeit” beziehen. Zwar kommt der Art des Rauschgifts und seiner Gefährlichkeit im Rahmen der Strafzumessung grundsätzlich eigenständige Bedeutung zu (BGH, Beschluss vom 14. Juni 2017 – 3 StR 97/17, StV 2019, 265, 266). Es handelt sich bei Marihuana jedoch – entgegen der Auffassung des Landgerichts – um ein Rauschgift, das auf der Gefährlichkeitsskala keinen mittleren Platz einnimmt, sondern um eine so genannte weiche Droge (st. Rspr.; zum Stufenverhältnis von sog. harten Drogen wie Heroin, Fentanyl, Kokain und Crack über Amphetamin, das auf der Gefährlichkeitsskala einen mittleren Platz einnimmt, bis hin zu sog. weichen Drogen wie Cannabis vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 15. Juni 2016 – 1 StR 72/16, NStZ-RR 2016, 313, 314; vom 14. Juni 2017 – 3 StR 97/17, StV 2019, 265, 266 und vom 26. März 2019 – 1 StR 677/18, NStZ-RR 2019, 185, 186). Es ist deshalb – wie der Senat bereits mehrfach ausgesprochen hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. November 2019 – 4 StR 504/19 und vom 5. Dezember 2018 – 4 StR 231/18) – verfehlt, Marihuana als Substanz „mittlerer Gefährlichkeit” einzuordnen. Die Erwägung des Landgerichts lässt besorgen, dass es die im Vergleich zu anderen illegalen Betäubungsmitteln geringere Gefährlichkeit von Marihuana zum Nachteil des Angeklagten mit zu geringem Gewicht in die Strafzumessung eingestellt hat.
Rz. 12
bb) Darüber hinaus hat das Landgericht rechtsfehlerhaft zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass er durch die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 270.000 Euro zusätzlich belastet ist. Ungeachtet des Umstands, dass das Landgericht – wie es selbst nicht verkannt hat – eine Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen gerade nicht getroffen, der Angeklagte also eine Vermögenseinbuße nicht erlitten hat, stellte die mit einer solchen Entscheidung verbundene Vermögenseinbuße auch keinen Strafmilderungsgrund dar. Denn die Einziehung des Wertes von Taterträgen dient allein der Gewinnabschöpfung und damit dem Ausgleich unrechtmäßiger Vermögensverschiebung (vgl. BGH, Urteile vom 28. Januar 2015 – 5 StR 486/14, NStZ-RR 2015, 281, 282; vom 1. März 1995 – 2 StR 691/94, NStZ 1995, 491 und vom 21. August 2002 – 1 StR 115/02, BGHSt 47, 369).
Rz. 13
b) Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass das Urteil auf diesen Rechtsfehlern beruht (§ 337 StPO). Dies führt zur Aufhebung der Einzelstrafen sowie zur Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs mit den zugrundeliegenden Feststellungen. Damit ist auch dem Ausspruch über die Dauer des Vorwegvollzugs, der – wie das Landgericht selbst ausgeführt hat – rechtsfehlerhaft zu hoch bemessen war und daher zu korrigieren gewesen wäre, die Grundlage entzogen.
Rz. 14
c) Das Landgericht hat schließlich – worauf es in den Urteilsgründen ebenfalls selbst hingewiesen hat – keine Entscheidung über die Einziehung des Wertes von Taterträgen getroffen, obwohl hierzu Anlass bestand.
Rz. 15
Nach den Feststellungen erzielte der Angeklagte aus den verfahrensgegenständlichen 29 Taten erhebliche Erlöse, die er teilweise unmittelbar selbst vereinnahmte und die ihm teilweise von den gesondert verfolgten B. und T. ausgehändigt wurden. Eine Entscheidung über die Frage der Einziehung des Wertes von Taterträgen gemäß §§ 73 ff. StGB war sonach veranlasst.
Rz. 16
Soweit die Staatsanwaltschaft in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO eine eigene Sachentscheidung des Senats angeregt und beantragt hat, die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 270.000 Euro anzuordnen, vermag der Senat dieser Anregung schon deshalb nicht zu folgen, weil auch unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Urteilsgründe nicht nachvollziehbar ist, dass der Angeklagte Taterträge in dieser Höhe erlangt hat.
Rz. 17
Das Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte im verfahrensgegenständlichen Zeitraum mindestens 27 Kilogramm Marihuana gewinnbringend an seine Abnehmer veräußert hat. Auf der Grundlage der Einlassung des Angeklagten ist es ohne nähere Begründung von einem Verkaufspreis von 10 Euro je Gramm ausgegangen. Dies ist auf der Grundlage der Urteilsausführungen nicht nachvollziehbar. Im Rahmen der Beweiswürdigung ist aufgeführt, dass der Angeklagte einem seiner Kunden – einem von der Polizei eingesetzten „Scheinkäufer” – einen „Rabatt” gewährte und ihm 100 Gramm Marihuana zum Preis von 8,50 Euro pro Gramm verkaufte (vgl. UA 23); demgegenüber hat die Ehefrau des Angeklagten angegeben, dass Portionen mit 0,7 Gramm Marihuana für 10 Euro und 1,4 Gramm Marihuana für 20 Euro verkauft worden seien (vgl. UA 20). Vor diesem Hintergrund hätte die Feststellung eines Verkaufspreises von 10 Euro pro Gramm näherer Darlegung und Erörterung bedurft, an der es hier fehlt. Das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht wird den Verkaufspreis erforderlichenfalls im Wege der Schätzung (vgl. § 73d Abs. 2 StGB) zu ermitteln und die Schätzgrundlagen nachvollziehbar in den Urteilsgründen darzulegen haben.
Rz. 18
3. Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung.
Rz. 19
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer Gelegenheit haben wird, auch Feststellungen dazu zu treffen, ob und inwieweit die gesondert verfolgten B. und T. faktische bzw. wirtschaftliche Mitverfügungsgewalt über die Taterträge erlangten (zur faktischen Mitverfügungsgewalt siehe BGH, Urteil vom 5. Juni 2019 – 5 StR 670/18, StV 2019, 736; zur gesamtschuldnerischen Haftung, die in den Urteilstenor aufzunehmen wäre vgl. BGH, Urteil vom 7. Juni 2018 – 4 StR 63/18).
Unterschriften
Sost-Scheible, Roggenbuck, Quentin, Bartel, Rommel
Fundstellen
Haufe-Index 13792035 |
NStZ-RR 2022, 335 |