Leitsatz (amtlich)
Zur deliktischen Haftung des Fahrzeugherstellers wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasrückführung gegenüber dem Käufer eines Fahrzeugs.
Normenkette
BGB § 826
Verfahrensgang
OLG Naumburg (Entscheidung vom 27.02.2020; Aktenzeichen 1 U 95/19) |
LG Halle (Saale) (Entscheidung vom 17.04.2019; Aktenzeichen 5 O 353/18) |
Nachgehend
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 27. Februar 2020 wird als unzulässig verworfen, soweit mit ihr die Teilabweisung hinsichtlich der mit dem Berufungsantrag zu 1 geltend gemachten Zinsen aus der zuerkannten Hauptforderung angegriffen wird.
Im Übrigen wird die Revision des Klägers gegen das vorbezeichnete Urteil mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Halle vom 17. April 2019 als unzulässig verworfen wird, soweit sie sich gegen die Abweisung des Klageantrags zu 4 richtet.
Von den Gerichtskosten des Revisionsverfahrens haben der Kläger 47 % und die Beklagte 53 % zu tragen. Von den außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens haben der Kläger 64 % und die Beklagte 36 % zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger nimmt den beklagten Fahrzeughersteller wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung in Anspruch.
Rz. 2
Der Kläger erwarb am 27. Juni 2015 bei einem Händler einen gebrauchten, von der Beklagten hergestellten Pkw VW Passat Variant Comfortline zu einem Preis von brutto 16.990 €. Das Fahrzeug verfügt über einen Dieselmotor des Typs EA189. Dieser Motor war mit einer Steuerungssoftware ausgestattet, die erkannte, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus unterzogen wurde, und schaltete in diesem Fall in einen Abgasrückführungsmodus mit niedrigem Stickoxidausstoß. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltete der Motor dagegen in einen Abgasrückführungsmodus mit höherem Stickoxidausstoß.
Rz. 3
Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) erkannte in der genannten Software eine unzulässige Abschalteinrichtung und ordnete im Oktober 2015 gegenüber der Beklagten unter anderem an, die Abschalteinrichtung bei allen betroffenen Fahrzeugen zu entfernen. Die Beklagte entwickelte daraufhin ein Software-Update, das das KBA als geeignet zur Herstellung der Vorschriftsmäßigkeit auch des hier im Streit stehenden Fahrzeugtyps ansah. Der Kläger ließ das Software-Update im Juli 2016 installieren.
Rz. 4
Mit seiner Klage begehrt der Kläger - soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse - in erster Linie die ungekürzte Erstattung des Bruttokaufpreises Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs nebst Delikts- und Rechtshängigkeitszinsen; lediglich hilfsweise verlangt er diese Erstattung unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung für die von ihm seit dem Kauf mit dem Fahrzeug zurückgelegte Strecke (Berufungsantrag zu 1). Der Kläger begehrt ferner die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Klage- und Berufungsantrag zu 2) sowie die Feststellung der Pflicht der Beklagten zum Ersatz weiterer Schäden (Klage- und Berufungsantrag zu 4).
Rz. 5
Das Landgericht hat die Klage hinsichtlich des Klageantrags zu 4 als unzulässig, im Übrigen als unbegründet abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht die Beklagte unter Klageabweisung im Übrigen zur Erstattung des Bruttokaufpreises, jedoch nur unter Abzug einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 7.984,19 € im Wege der Vorteilsausgleichung, nebst Zinsen ab Rechtshängigkeit Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs sowie teilweise zu der begehrten Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verurteilt.
Rz. 6
Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision wendet sich der Kläger gegen die Teilabweisung seiner Klage durch das Berufungsgericht, insbesondere gegen die vorgenommene Vorteilsausgleichung, die darauf beruhende Teilabweisung hinsichtlich der vorgerichtlichen Kosten sowie gegen die Abweisung der Klage auf Feststellung der Pflicht der Beklagten zum Ersatz weiterer Schäden.
Rz. 7
Die Beklagte hat ihre Revision zurückgenommen.
Entscheidungsgründe
I.
Rz. 8
Nach Auffassung des Berufungsgerichts haftet die Beklagte dem Kläger wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung (§ 826 BGB) auf Erstattung des für den Erwerb des Fahrzeugs verauslagten Bruttokaufpreises abzüglich eines Vorteilsausgleichs für die von dem Kläger gezogenen Nutzungen in Höhe von 7.984,19 € nebst Verzugszinsen ab Rechtshängigkeit - wobei dem Kläger ein Anspruch auf Deliktszinsen nicht zustehe - Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs. Dementsprechend stehe dem Kläger ausgehend von der nur in Höhe der Differenz zwischen Bruttokaufpreis und Nutzungsanrechnung begründeten Hauptforderung lediglich ein Anspruch auf teilweise Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu. Der Klage auf Feststellung der Pflicht der Beklagten zum Ersatz weiterer Schäden fehle ein Feststellungsinteresse, weil weitere Schäden nicht konkret dargelegt seien, zumal sich die Berufung insoweit nicht mit der Begründung auseinandersetze, mit der das Landgericht diesen Antrag als unzulässig angesehen hat.
II.
Rz. 9
Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg.
Rz. 10
1. Soweit die Revision die Teilabweisung der geltend gemachten Zinsen (Berufungsantrag zu 1) aus der zuerkannten Hauptforderung angreift, ist sie mangels Begründung unzulässig (§ 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a ZPO; vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2006 - I ZR 121/03, NJW-RR 2006, 1044 Rn. 22).
Rz. 11
2. Unbegründet ist die Revision, soweit sie sich gegen die Teilabweisung der Klage auf Rückerstattung des von dem Kläger bezahlten Bruttokaufpreises sowie des von ihm geltend gemachten Anspruchs auf Freistellung von vorgerichtlichen Kosten wendet.
Rz. 12
a) Die dem jeweils zugrundeliegende, von der Revision beanstandete Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger müsse sich auf seinen nach § 826 BGB begründeten Schadensersatzanspruch im Wege der Vorteilsausgleichung die von ihm gezogenen Nutzungen anrechnen lassen, steht im Einklang mit gefestigter Rechtsprechung des Senats (vgl. etwa Senatsurteile vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 64 ff.; vom 30. Juli 2020 - VI ZR 397/19, NJW 2020, 2806 Rn. 34; vom 23. März 2021 - VI ZR 3/20, NJW-RR 2021, 1534 Rn. 7; vom 17. Januar 2023 - VI ZR 316/20, VersR 2023, 733 Rn. 9 ff.; vom 24. Oktober 2023 - VI ZR 131/20, WM 2024, 218 Rn. 28), die auch unionsrechtlich unbedenklich ist (vgl. Senatsurteil vom 24. Oktober 2023 - VI ZR 131/20, WM 2024, 218 Rn. 28, 46; BGH, Beschluss vom 15. Mai 2023 - VIa ZR 111/22, juris).
Rz. 13
b) Die Revision bringt dagegen ohne Erfolg vor, der Beklagten sei "unter Billigkeitserwägungen die Anrechnung einer Nutzungsentschädigung zu versagen". Eine unangemessene Entlastung der Beklagten liegt in der Vorteilsausgleichung nicht (vgl. etwa Senatsurteile vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 66 ff.; vom 30. Juli 2020 - VI ZR 354/19, NJW 2020, 2796 Rn. 11; BGH, Urteil vom 10. Oktober 2022 - VIa ZR 542/21, VersR 2023, 192 Rn. 17). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem weiteren Vorbringen der Revision, die durch die anfängliche Umschaltlogik begründete Gefahr der Stilllegung des Fahrzeugs des Klägers habe auch nach der Durchführung des Software-Updates im Juli 2016 fortbestanden, die Schädigung des Klägers sei durch das Update also "perpetuiert" worden, weil nach dessen Installation - wobei Zweifel bestünden, ob der Mangel technisch überhaupt behebbar sei - "Folgeschäden" nicht auszuschließen oder sogar konkret zu befürchten seien, zumal in ihm ein unzulässiges "Thermofenster" enthalten sei. Derartige Eigenschaften des Software-Updates, zu deren Vorliegen das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen hat, mögen für die Beurteilung eine Rolle spielen, ob und inwieweit ein nachträgliches Software-Update geeignet ist, eine schadensersatzrechtlich etwa bedeutsame Differenz zwischen dem objektiven Wert des erworbenen Fahrzeugs und dem dafür bezahlten Kaufpreis nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung oder aber einen so genannten Differenzschaden zu reduzieren (zum "kleinen" Schadensersatz Senatsurteil vom 6. Juli 2021 - VI ZR 40/20, BGHZ 230, 224 Rn. 24; BGH, Urteil vom 24. Januar 2022 - VIa ZR 100/21, NJW-RR 2022, 1033 Rn. 18; zum Differenzschaden BGH, Urteile vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 80; vom 23. Oktober 2023 - VIa ZR 468/21, WM 2023, 2232 Rn. 14; vom 13. Februar 2024 - VIa ZR 1356/22, juris Rn. 16). Auf eine solche Wertdifferenz und deren etwaige Reduzierung kommt es für den Anspruch des Klägers auf (wirtschaftlich gesehen) Rückgängigmachung des Vertrags gegenüber der Beklagten aber von vornherein nicht an (vgl. etwa Senatsurteile vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 58; vom 5. Oktober 2021 - VI ZR 495/20, VersR 2022, 385 Rn. 10). Eine Gefahr der Stilllegung des Fahrzeugs, die - läge eine solche vor - mit der Implementierung einer unzulässigen Abschalteinrichtung auch in das Software-Update verbunden sein mag (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 80), kann der Nutzungsanrechnung, die die Revision hier beanstandet, schon deshalb nicht entgegengehalten werden, weil sich eine solche Gefahr insoweit, wie Nutzungen tatsächlich gezogen worden sind, gerade nicht realisiert hat.
Rz. 14
c) Gegen die Bemessung der Höhe der von dem Kläger gezogenen Nutzungsvorteile (§ 287 ZPO) erhebt die Revision keine Beanstandungen.
Rz. 15
3. Die Revision des Klägers ist, soweit sie die Abweisung der mit dem Klage- und Berufungsantrag zu 4 begehrten Feststellung der Pflicht der Beklagten zum Ersatz weiterer Schäden betrifft, mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass insoweit die Berufung als unzulässig verworfen wird. Denn der Kläger hat, was der Senat als Prozessfortsetzungsvoraussetzung von Amts wegen zu beachten hat und Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor dem Senat war (vgl. BGH, Urteile vom 13. November 2023 - VIa ZR 510/22, juris Rn. 4; vom 6. Februar 2024 - VIa ZR 368/22, juris Rn. 6), die Berufung insoweit nicht in einer § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO genügenden Weise begründet.
Rz. 16
a) Ist die Klageabweisung auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung für jede dieser Erwägungen darlegen, warum sie unrichtig sein soll (vgl. Senatsurteil vom 25. Oktober 2022 - VI ZR 68/20, WM 2022, 2395 Rn. 13; BGH, Urteil vom 13. November 2023 - VIa ZR 510/22, juris Rn. 5). Die Rechtsmittelbegründung muss zudem geeignet sein, das gesamte angefochtene Urteil in Frage zu stellen. Bei mehreren Streitgegenständen oder einem teilbaren Streitgegenstand muss sie sich grundsätzlich auf alle Teile des Urteils erstrecken, hinsichtlich deren eine Abänderung beantragt ist; andernfalls ist das Rechtsmittel für den nicht begründeten Teil unzulässig (Senatsurteil vom 5. Dezember 2006 - VI ZR 228/05, NJW-RR 2007, 414 Rn. 10; BGH, Urteile vom 23. Juni 2015 - II ZR 166/14, NJW 2015, 3040 Rn. 11; vom 11. September 2023 - VIa ZR 1669/22, juris Rn. 13; OLG Brandenburg, Urteil vom 10. Oktober 2019 - 12 U 102/19, juris Rn. 8).
Rz. 17
b) Diese Voraussetzungen sind hier insoweit nicht erfüllt, wie das Landgericht die mit dem Klageantrag zu 4 erhobene Klage auf Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten "für Schäden, die aus der Ausstattung des Fahrzeugs", das der Kläger erwarb, "mit illegaler Motorsoftware resultieren", als unzulässig abgewiesen hat, weil dieser Klageantrag den in § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO verlangten Bestimmtheitsanforderungen nicht genüge.
Rz. 18
Das Landgericht hatte dazu ausgeführt, mit dem "für eine Rechtskraft vollkommen unzugänglichen" Begriff der "illegalen Motorsoftware" bleibe offen, "aufgrund welcher Tatsache eine Schadensersatzpflicht noch festgestellt werden" solle, zumal hier die ursprüngliche Abschalteinrichtung nicht mehr vorhanden und durch ein Update korrigiert worden sei, so dass "keine Klarheit über eine feststellungsfähige Grundursache angegeben" sei.
Rz. 19
Mit diesen Erwägungen und auch eigens mit der Abweisung dieses Feststellungsantrags überhaupt hat sich der Kläger in der Berufungsbegründung nicht befasst. Damit hat er insoweit die gesetzlichen Anforderungen an eine zulässige Berufungsbegründung verfehlt.
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