Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Kartellsenats des Oberlandesgerichts München vom 23. Mai 1996 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin betreibt eine Parfümerie in der M. Innenstadt. Die Beklagte ist hervorgegangen aus einer Fusion u.a. der D. L. GmbH, Bo. (im folgenden: L.) mit der B. GmbH, Bo.. L. vertrieb in Deutschland hochwertige Kosmetikartikel. Sie belieferte ausschließlich autorisierte Fachhändler zu den Bedingungen eines europaweit verwendeten Depot-Vertrages.
1986 schloß L. mit der Drogerie-Parfümerie P. H., als deren Filiale die Klägerin ausgewiesen war, einen Depot-Vertrag, den sie 1987 durch einen weitgehend entsprechenden Vertrag ersetzte. Diesen kündigte sie mit Schreiben vom 26. Januar 1990 mit sofortiger Wirkung, soweit er sich auf Lieferungen an die Klägerin bezog. Zur Begründung führte sie an, über die Inhaberverhältnisse an der von der Klägerin betriebenen „C. -Parfümerie” getäuscht worden zu sein. Vorangegangen war der Kündigung am 12. Januar 1990 ein Rundschreiben eines Konkurrenten der Klägerin an L. und andere Hersteller bekannter Kosmetikartikel, in dem auf Niedrigpreispolitik und unzulässiges Rabattverhalten der Klägerin hingewiesen worden war. Ähnliche Vorwürfe gegen die Klägerin wurden auch in einem Rundschreiben der I. C. -E. GmbH Anfang März 1990 erhoben.
Auch andere angesprochene Vertriebsfirmen kündigten in zeitlichem Zusammenhang mit den Rundschreiben ihre Verträge mit der Klägerin. Die Beklagte weigert sich, mit der Klägerin einen neuen Depot-Vertrag abzuschließen.
Die Klägerin vertritt die Auffassung, daß ihr sowohl aus Art. 85 EGV i.V.m. § 823 Abs. 2, § 249 BGB als auch aus § 26 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 35 Abs. 1 GWB, § 249 BGB ein Belieferungsanspruch gegen die Beklagte zustehe.
Einen Verstoß gegen Art. 85 EGV sieht die Klägerin zum einen in einer Klausel der Präambel des von L. verwendeten Muster-Depot-Vertrages, nach der ein Antrag auf Autorisierung nicht weiter geprüft wird, falls zum Zeitpunkt der Besichtigung der zu autorisierenden Verkaufsstelle dort Mitbewerbermarken oder die Marke L. unautorisiert geführt werden. Da allgemein bekannt sei, daß auf hochwertige Depot-Kosmetik spezialisierte Fachparfümerien auf diese Produkte angewiesen seien und sich diese vor ihrer Zulassung zum Depot-System auf dem Graumarkt beschaffen müßten, wolle sich die Beklagte die Möglichkeit offenhalten, unliebsame Händler, insbesondere solche, die sich ihrer Preispolitik nicht anpaßten, unter dem Anschein eines Grundes für die unterschiedliche Behandlung nicht zu beliefern. Damit verstoße bereits das Depot-System von L. als solches gegen Art. 85 EGV. Jedenfalls aber stelle die Nichtzulassung der Klägerin zu dem Depot-System und die damit verbundene Lieferverweigerung eine nach Art. 85 EGV unzulässige Diskriminierung dar, da sie kein Einzelfall sei, sondern systematisch zur Ausschaltung von Preiswettbewerb erfolge. Die von L. seinerzeit zur Kündigung des Depot-Vertrages herangezogenen Gründe wie auch ihre späterhin erhobene Behauptung, die Klägerin betreibe Versandhandel und Querlieferungen von L. -Produkten an unautorisierte Händler, seien nur vorgeschoben. Die Beklagte müsse die Klägerin in bezug auf eine Belieferung den von L. autorisierten Depositären gleichstellen, weil die Klägerin sämtliche im Muster-Depot-Vertrag von L. aufgestellten qualitativen Voraussetzungen an Ausstattung der Geschäftsräume, Fachberatung etc. erfülle. In der Nichtbelieferung liege eine Wettbewerbsbeschränkung zu Lasten der Klägerin, die bei einem Marktanteil der L. von 7 - 8 % auf dem sachlich relevanten Markt für gehobene Depot-Kosmetik geeignet sei, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten spürbar zu beeinflussen. Da Art. 85 EGV ein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB darstelle, berechtige der Verstoß gegen jene Norm die Klägerin, Schadensersatz in Form von Naturalrestitution zu verlangen, begründe also für die Beklagte einen Kontrahierungszwang.
Dieser ergebe sich auch aus § 26 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 35 Abs. 1 GWB, da die Klägerin von L. im Sinne dieser Vorschrift abhängig sei. Mit einem Gesamtumsatz von über 90 Millionen DM im Jahr 1989 nehme L. auf dem sachlich relevanten Markt eine Spitzenstellung ein. Sie gehöre zu den mit Abstand umsatzstärksten Anbietern. Ihre Produkte würden im Geschäft der Klägerin am häufigsten nachgefragt. Angesichts des hohen Distributionsgrades ihrer Erzeugnisse, der sehr hohen Markentreue der Kunden in diesem Bereich sowie der Kundenerwartung im Sinne eines Vollsortiments seien L. -Produkte für die Klägerin unverzichtbar. Sie würden denn auch – mit Ausnahme eines wegen seiner Preispolitik ebenfalls gezielt diskriminierten Fachgeschäfts – von allen Parfümerien der M. Innenstadt geführt. Da eine Umlenkung von Kunden, die L. -Produkte verlangten, auf andere Marken praktisch unmöglich sei, bereite die Nichtbelieferung der Klägerin erhebliche Wettbewerbsnachteile durch Umsatzausfall und Ansehensverlust. Eine Abhängigkeit bestehe darüber hinaus auch insofern, als L. zu der Spitzengruppe von zehn Lieferanten gehöre, die bei einzelnen Warengruppen der gehobenen Depot-Kosmetik über mehr als 70 % des Gesamtumsatzes verfügten. Neben L. hätten weitere Unternehmen aus dieser Spitzengruppe der Klägerin die Depot-Verträge aufgrund der Boykottaufrufe gekündigt. Der Verlust mehrerer Marken der Spitzengruppe führe bei ihr zu schwerwiegenden Wettbewerbsnachteilen.
Die Klägerin hat beantragt festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet sei, sie entsprechend ihren Bestellungen mit Erzeugnissen der Marke L., wie sie in den jeweils gültigen Preislisten enthalten sind, zu ihren üblichen Konditionen zu beliefern.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Nach ihrer Ansicht kommt Art. 85 EGV als Anspruchsgrundlage für einen Belieferungsanspruch grundsätzlich nicht in Betracht, da Verstöße in der Anwendung einer selektiven Vertriebsbindung nur zu deren Nichtigkeit führten, nicht aber einen Kontrahierungszwang auslösen könnten. Eine Verletzung von Art. 85 EGV liege zudem nicht vor, weil zwischen der Nichtbelieferung der Klägerin und deren Preispolitik kein Zusammenhang bestehe. Anlaß für die Beendigung der Vertragsbeziehung zwischen den Parteien sei vielmehr die Feststellung von L. gewesen, daß die Klägerin sich die Autorisierung erschlichen habe, indem sie sich als Filiale eines L. -Depositärs ausgegeben habe. Eine Gleichstellung mit den von der Beklagten belieferten Depositären könne die Klägerin auch deshalb nicht verlangen, weil sie entgegen dem von L. allen Lieferverhältnissen zugrunde gelegten, bei der Europäischen Kommission zur Freistellung gemäß Art. 85 Abs. 3 EGV angemeldeten Muster-Depot-Vertrag Versandhandel betreibe und Querlieferungen an nicht autorisierte Händler vornehme.
Auch aus § 26 Abs. 2 GWB könne die Klägerin keinen Anspruch auf Aufnahme einer Lieferbeziehung herleiten. Weder sei der von der Klägerin vorgenommenen Marktabgrenzung zu folgen, noch bestehe infolge einer Spitzenstellung oder Spitzengruppenzugehörigkeit von L. auf dem relevanten Markt eine Abhängigkeit der Klägerin. Zudem berechtigten die Täuschung über die Beteiligungsverhältnisse, schwerwiegende Rabattverstöße im Zeitraum vor 1990 sowie der Versandhandel der Klägerin die Beklagte, die Klägerin gegenüber anderen Fachhändlern unterschiedlich zu behandeln.
Die Klägerin hat sowohl Querlieferungen als auch einen Versandhandel bestritten. Soweit sie Kunden Waren zusende, liege dies im Bereich des üblichen Kundenservice.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die dagegen von der Beklagten eingelegte Berufung hat das Oberlandesgericht das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Feststellungsbegehren weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel der Klägerin führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
1. In Übereinstimmung mit dem Landgericht hat das Berufungsgericht Art. 85 EGV i.V.m. § 823 Abs. 2, § 249 BGB als Rechtsgrundlage für einen Belieferungsanspruch eines zu Unrecht von einem selektiven Vertriebssystem ausgeschlossenen Händlers grundsätzlich für möglich erachtet. Eines näheren Eingehens hierauf bedürfe es jedoch nicht, weil die Klägerin entgegen einer mit europäischem Kartellrecht in Einklang stehenden Klausel des von L. verwendeten Muster-Depot-Vertrages Versandhandel betreibe.
2. Dieser Rechtsansicht kann nicht gefolgt werden. Art. 85 EGV kommt als Rechtsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Belieferungsanspruch nicht in Betracht. Auf den von der Beklagten behaupteten Versandhandel kommt es daher insoweit nicht an.
a) Im Ansatz zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß sich nach deutschem Recht aus Verstößen gegen Art. 85 EGV Schadensersatzansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB ergeben können. Die in Art. 85 Abs. 1 EGV enthaltenen Verbote dienen nicht lediglich dem Schutz der Allgemeinheit vor Wettbewerbsbeschränkungen. Vielmehr sind sie ihrer Natur nach geeignet, in den Beziehungen zwischen einzelnen unmittelbare Wirkungen zu erzeugen, und deshalb unmittelbar in deren Person Rechte entstehen zu lassen, die die Gerichte der Mitgliedstaaten zu wahren haben (EuGH, Urt. v. 30.1.1974 - Rs 127/73, Slg. 1974, S. 51, 62 Tz 15/17 - BRT - I/SABAM; Urt. v. 10.7.1980 - Rs 37/79, Slg. 1980, S. 2481, 2500 Tz 13 - Marty/Estée Lauder). Art. 85 Abs. 1 EGV stellt daher grundsätzlich ein Schutzgesetz i.S. von § 823 Abs. 2 BGB dar (BGH, Urt. v. 23.10.1979 - KZR 21/78, WuW/E 1643, 1645 - BMW-Importe; vgl. auch Bunte in Langen/Bunte, Kartellrecht, 8. Aufl., Art. 85 EGV Rdn. 183, 184 m.w.N.).
b) Ob aus Zuwiderhandlungen gegen Art. 85 Abs. 1 EGV dem einzelnen im Rahmen von § 823 Abs. 2 BGB ein Anspruch erwächst, läßt sich jedoch – ebenso wie bei Verstößen gegen das nationale Kartellverbot des § 1 GWB (vgl. insoweit BGHZ 64, 232, 237 f. - Krankenhauszusatzversicherung; 86, 324, 330 - Familienzeitschrift) – nicht allgemein sagen, sondern muß für den einzelnen Fall entschieden werden. Maßgeblich ist dabei nicht die Wirkung des wettbewerbswidrigen Verhaltens, sondern die Frage, ob der Anspruchsteller zu dem vom Gesetzgeber ins Auge gefaßten geschützten Personenkreis gehört und ob gerade ein Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, gewährt werden sollte (vgl. BGHZ 116, 7, 13).
aa) Wiederverkäufer und aktuelle Nachfrager von Depot-Kosmetikartikeln wie die Klägerin gehören zu dem Personenkreis, den Art. 85 EGV vor Wettbewerbsbeschränkungen durch verbotene selektive Vertriebssysteme schützen will (vgl. auch BGH, Urt. v. 10.11.1987 - KZR 15/86, WuW/E 2451, 2457 - Cartier-Uhren). Werden sie vom Hersteller nicht beliefert, obwohl sie alle qualitativen Voraussetzungen für die Aufnahme in ein selektives Vertriebssystem erfüllen, und unterbindet der Hersteller etwa gleichzeitig einen Warenbezug der Außenseiter durch lieferbereite Depositäre, könnte ihnen daher – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des Art. 85 EGV – für den daraus entstehenden Schaden aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 85 Abs. 1 EGV als Schutzgesetz ein Ersatzanspruch in Geld zustehen. Ein Anspruch auf Belieferung ist vom Schutzzweck des Art. 85 EGV hingegen nicht erfaßt. Die Norm verbietet einem Hersteller, seine Waren unter unzulässiger Beschränkung des Wettbewerbs in einem einzelne Händler diskriminierenden Vertriebssystem abzusetzen, gebietet ihm aber nicht, sämtliche Wiederverkäufer, die für den Absatz seiner Produkte fachlich geeignet sind, zu beliefern.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften sind selektive Vertriebssysteme ein mit Art. 85 Abs. 1 EGV vereinbarer Bestandteil des Wettbewerbs, sofern die Auswahl der Wiederverkäufer aufgrund objektiver Gesichtspunkte qualitativer Art erfolgt, die sich auf die fachliche Eignung des Wiederverkäufers, seines Personals und seiner sachlichen Ausstattung beziehen, und sofern diese Voraussetzungen einheitlich für alle in Betracht kommenden Wiederverkäufer festgelegt und ohne Diskriminierung angewendet werden (EuGH, Urt. v. 25.10.1977 - Rs 26/76, Slg. 1977, S. 1875, 1905 Tz 20 - Metro I; Urt. v. 11.12.1980 - Rs 31/80, Slg. 1980, S. 3775, 3790 Tz 15 - L'Oreal; Urt. v. 25.10.1983 - Rs 107/82, Slg. 1983, S. 3151, 3194 Tz 35 - AEG-Telefunken). Diese Grundsätze stehen in engem Zusammenhang mit den wettbewerblichen Wirkungen geschlossener selektiver Vertriebssysteme. Letztere beeinflussen bei europaweiter Verbreitung zwangsläufig den Wettbewerb im gemeinsamen Markt. Gleichwohl können die Eigenschaften bestimmter Erzeugnisse den Vertrieb in einem selektiven System erfordern, wenn nur so ihre Qualität und ihr richtiger Gebrauch gewährleistet sind (EuGH Slg. 1983, S. 3151, 3194 Tz 33 - AEG-Telefunken). Für den hier in Frage stehenden Bereich der Luxuskosmetika hat das Gericht Erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften das Erfordernis eines selektiven Vertriebssystems damit begründet, daß ein allgemeiner Verkauf, der bei der Präsentation dieser Produkte nicht das ästhetisch und funktionell Besondere herausstelle, dem Erfordernis, die „Aura von Luxus” der betreffenden Produkte in den Augen der Verbraucher aufrechtzuerhalten, nicht gerecht werde (EuG, Urt. v. 12.12.1996 - Rs T-19/92, GRUR Int. 1998, 149, 155 Tz 114 ff. - Leclerc/Kommission).
bb) Soweit das selektive Vertriebssystem die Auswahl der Wiederverkäufer aufgrund objektiver Gesichtspunkte qualitativer Art vorsieht und damit auf die Aufrechterhaltung eines Fachhandels gerichtet ist, der in der Lage ist, die erforderliche Dienstleistung zu erbringen, rechtfertigt es diese auf die Verbesserung des Wettbewerbs gerichtete Zielsetzung, mit dem Vertriebssystem unvermeidbar einhergehende Beschränkungen – insbesondere in bezug auf Preiswettbewerb – hinzunehmen. Die Rechtfertigung entfällt jedoch, wenn der Hersteller diese Zielsetzung verläßt, indem er entweder die Zulassung von Wiederverkäufern an Bedingungen knüpft, die zur Erreichung der beschriebenen Wettbewerbsverbesserungen nicht erforderlich sind, oder indem er – wie hier von der Klägerin behauptet – in der Absicht, ein hohes Preisniveau aufrechtzuerhalten, Händlern, die den qualitativen Anforderungen der Vertriebsbindung genügen, systematisch die Zulassung verweigert. Ein in dieser Weise gehandhabtes Vertriebssystem verstößt, jedenfalls sofern es die Folge vertraglicher Absprachen oder einer Verhaltensabstimmung zwischen dem Hersteller und den von ihm belieferten Einzelhändlern ist (vgl. EuGH, Urt. v. 25.10.1983 - Rs 107/82, Slg. 1983, S. 3151, 3195 Tz 36 - 38 - AEG-Telefunken; BGH, Urt. v. 10.11.1987 - KZR 15/86, WuW/E 2451, 2457 - Cartier-Uhren), gegen Art. 85 Abs. 1 EGV. Ob eine Gleichbehandlung der Wiederverkäufer auf der Grundlage qualitativer Auswahlkriterien erfolgt, gibt demnach einen wesentlichen Hinweis für eine an den Wertmaßstäben des Art. 85 EGV zu messende zulässige oder unzulässige Zielsetzung eines selektiven Vertriebssystems. Da hiervon die rechtliche Wirksamkeit des Systems in seiner Gesamtheit oder zumindest in Teilbereichen abhängt, bewirken die gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen für den Hersteller einen mittelbaren Zwang zur Gleichbehandlung, führen jedoch nicht zur Einschränkung der Freiheit, sich seinen Vertragspartner frei wählen zu können (so auch Gleiss/Hirsch, EG-Kartellrecht, Bd. 1, Art. 85 EGV Rdn. 1698; a.A. K. Schmidt in Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht, Bd. I, Art. 85 Abs. 2 EGV Rdn. 86 m.w.N.). Vielmehr steht es dem Hersteller frei, den Verstoß gegen Art. 85 Abs. 1 EGV entweder durch eine diskriminierungsfreie Belieferung von Außenseitern oder durch eine Aufgabe oder Änderung seines Vertriebssystems zu beenden (vgl. auch EuG, Urt. v. 18.9.1992 - Rs T-24/90, Slg. 1992 II, S. 2223, 2268 Tz 51, 52 - Automec).
Soweit Verstöße gegen das Diskriminierungsverbot des § 26 Abs. 2 GWB im Einzelfall im Interesse einer den Wiederverkäufern einzuräumenden Chancengleichheit im Verhältnis zu einem marktmächtigen Hersteller zu Schadensersatz in Form einer Lieferverpflichtung führen können (vgl. BGHZ 49, 90, 98 f. - Jägermeister), kommt eine Übertragung der insoweit vom Senat entwickelten Grundsätze auf Verstöße gegen Art. 85 Abs. 1 EGV schon deshalb nicht in Betracht, weil eine § 26 Abs. 2 GWB von der gesetzgeberischen Zielsetzung her vergleichbare, an den Mißbrauch von Marktmacht anknüpfende gemeinschaftsrechtliche Regelung ausschließlich in Art. 86 EGV enthalten ist.
cc) Da das Klagebegehren nicht auf die Fortsetzung der vor 1990 bestehenden vertraglichen Beziehungen zu der Beklagten gerichtet ist, sondern die Klägerin die Aufnahme einer neuen Lieferbeziehung ausschließlich unter Hinweis auf die Belieferung anderer, ihr qualitativ vergleichbarer Wiederverkäufer im Rahmen eines selektiven Vertriebssystems anstrebt, hat sie selbst dann keinen auf § 823 Abs. 2 BGB gestützten Anspruch auf Belieferung durch die Beklagte, wenn das Depot-System von L. – wie von der Klägerin behauptet – in seiner praktischen Handhabung gegen Art. 85 EGV verstieße.
II.
1. Demgegenüber kann ein Schadensersatzanspruch in Form eines Kontrahierungszwangs aus § 26 Abs. 2 i.V.m. § 35 Abs. 1 GWB, § 249 BGB im Ausnahmefall hergeleitet werden, wenn ein marktstarkes Unternehmen in einem gleichartigen Unternehmen üblicherweise zugänglichen Geschäftsverkehr einem von ihm abhängigen Unternehmen Geschäftsbeziehungen ohne sachlich gerechtfertigten Grund verweigert (st. Rspr.; vgl. BGHZ 49, 90, 98 f. - Jägermeister; BGH, Urt. v. 26.10.1972 - KZR 54/71, WuW/E 1238, 1245 - Registrierkassen; Urt. v. 17.1.1979 - KZR 1/78, WuW/E 1567, 1569 - Nordmende).
Das Berufungsgericht hat einen solchen Anspruch ohne Prüfung der Normadressateneigenschaft von L. unter Bezugnahme auf seine Ausführungen im Rahmen der Prüfung von Art. 85 EGV mit der Begründung verneint, die Ungleichbehandlung der Klägerin gegenüber den von L. autorisierten Fachhändlern erfolge aus einem sachlich gerechtfertigten Grund. Durch Urkunden, aus denen sich ergebe, daß einer Kundin auf deren schriftliche Bestellung hin unter Erteilung einer Kundennummer, Beifügung eines Bestellformulars und eines Werbeschreibens der Klägerin über die Firma A. D. Kosmetika zugesandt worden seien, sei belegt, daß die Klägerin – entgegen ihrer Behauptung – über einen auf Einzelfälle beschränkten Lieferservice hinaus Versandhandel betreibe. Ein solches Verhalten stehe im Widerspruch zu dem Vertriebsbindungssystem von L., das Versandhandel untersage. Nach der Entscheidung der Europäischen Kommission vom 16. Dezember 1991 (ABl. Nr. L 12/24 v. 18.1.1992 = GRUR Int. 1992, 915, 918 - Yves Saint Laurent Parfums) sei das Verbot von Versandhandel im Rahmen eines selektiven Vertriebssystems für hochwertige Kosmetika mit Art. 85 Abs. 1 EGV vereinbar, da es im Zusammenhang mit weiteren Erfordernissen stehe, die dem sachgerechten Absatz der Kosmetika, der Pflege des guten Rufs des Herstellers sowie der Erhaltung des Qualitätsniveaus dienten. Das Berufungsgericht hat weiter ausgeführt, die Klägerin könne sich nicht darauf berufen, sie sei an die Verpflichtungen aus dem Depot-Vertrag nicht gebunden, weil sich L. bisher geweigert habe, einen derartigen Vertrag mit ihr abzuschließen. Da die Klägerin einen Versandhandel im Verfahren – offensichtlich wahrheitswidrig – bestritten habe, rechtfertige dies die Befürchtung, sie werde ihr Verhalten auch nach Aufnahme einer Lieferbeziehung fortsetzen.
2. Diese Ausführungen begegnen rechtlichen Bedenken. Ob eine unterschiedliche Behandlung von Unternehmen durch einen Normadressaten des § 26 Abs. 2 GWB ohne sachlich gerechtfertigten Grund erfolgt, ist anhand einer Abwägung der Interessen der Beteiligten festzustellen. Diese muß nicht nur unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielsetzung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen erfolgen, sondern auch Wertungen des europäischen Kartellrechts einbeziehen (vgl. Schultz in Langen/Bunte, Kartellrecht, 8. Aufl., § 26 GWB Rdn. 165 m.w.N.).
Der Beklagten ist zwar – in Übereinstimmung mit der Wertung der Europäischen Kommission (GRUR Int. 1992, 915, 918 - Yves Saint Laurent Parfums) – ein berechtigtes Interesse daran zuzubilligen, einen Versandhandel ihrer hochwertigen Kosmetika zu verhindern, um Image und Qualitätsniveau ihrer Produkte nicht zu gefährden.
Ein Verhalten der Klägerin vor Vertragsschluß kann jedoch nur dann einen sachlich gerechtfertigten Grund für eine Lieferverweigerung geben, wenn es die Besorgnis rechtfertigt, die Klägerin werde auch nach der Aufnahme vertraglicher Beziehungen mit der Beklagten Versandhandel unter Verstoß gegen vertragliche Pflichten betreiben. Dies wäre beispielsweise dann anzunehmen, wenn die Klägerin schon vor der Kündigung des Depot-Vertrages im Jahr 1990 unter Verstoß gegen ihre vertraglichen Pflichten Versandhandel betrieben hätte. Der vom Berufungsgericht für erwiesen erachtete Versand von Kosmetika betrifft jedoch das Jahr 1996. Auch einen Versandhandel großen Stils, der das Geschäftsgebaren der Klägerin nachhaltig prägen würde, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Soweit es ernsthafte Zweifel an der Vertragstreue der Klägerin deshalb als berechtigt angesehen hat, weil die Klägerin „offensichtlich wahrheitswidrig stets behauptet hat, keinen Versandhandel zu betreiben”, verkürzt es den Vortrag der Klägerin in unzulässiger Weise. Die Klägerin hat nämlich einen Versand von Kosmetikartikeln über A. D. eingeräumt, dabei allerdings bestritten, daß es sich hierbei um einen über Kundenservice hinausgehenden Versandhandel gehandelt habe. Ob das vom Berufungsgericht festgestellte Verhalten der Klägerin als Versandhandel im Sinne der vorgenannten Entscheidung der Europäischen Kommission zu werten ist, kann offenbleiben. Da die Übergänge zwischen Lieferservice und Versandhandel fließend sind, läßt das Prozeßverhalten der Klägerin jedenfalls nicht den Schluß auf einen hartnäckigen Willen zu künftigem Vertragsbruch zu. Darauf, ob das Berufungsgericht, wie von der Revision mit einer Verfahrensrüge geltend gemacht, in diesem Zusammenhang auch eine in einem vom Berufungsgericht als verspätet gewerteten Schriftsatz enthaltene strafbewehrte Unterlassungserklärung hätte berücksichtigen müssen, kommt es deshalb nicht an.
Da der vorvertragliche Versandhandel der Klägerin keinen sachlich gerechtfertigten Grund für eine Ungleichbehandlung der Klägerin gegenüber anderen Fachhändlern darstellt und das Berufungsgericht bezweifelt, letztlich aber offengelassen hat, ob die von der Beklagten behauptete, Jahre zurückliegende Täuschung über die Beteiligung des P. H. an der von der Klägerin betriebenen Parfümerie eine Ungleichbehandlung zu rechtfertigen vermag, bedarf es für die Entscheidung über das Klagebegehren einer Prüfung der weiteren Tatbestandsvoraussetzungen des § 26 Abs. 2 GWB. Obwohl dies aufgrund des Klagevorbringens eher fernliegt, kann der Senat die Abhängigkeit der Klägerin von L. im Sinne einer sortimentsbedingten sog. Spitzengruppenabhängigkeit nicht mit Sicherheit ausschließen, weil das Berufungsgericht zur Abgrenzung des sachlich und örtlich relevanten Marktes, der dort herrschenden Wettbewerbssituation, der Marktgeltung der von L. vertriebenen Produkte sowie der Belieferung der Klägerin durch andere Hersteller namhafter Depot-Kosmetik keine Feststellungen getroffen hat.
Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Für die neue Verhandlung wird auf die Urteile des Senats vom 22. Januar 1985 - KZR 35/83, WuW/E 2125, 2127 f. - Technics, und vom 24. März 1987 - KZR 39/85, WuW/E 2419, 2423 - Saba-Primus, hingewiesen.
Unterschriften
Geiß, v. Ungern-Sternberg, Ball, Tepperwien, Bornkamm
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 12.05.1998 durch Walz Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen