Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung von Erziehungspflichten
Nachgehend
Tenor
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 11. August 2000 aufgehoben. Soweit das Urteil Taten zum Nachteil des Nebenklägers Se. betrifft, wird es auch auf dessen Revision aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an das Landgericht Leipzig zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen –
Gründe
Das Landgericht hat wegen Eintritts der absoluten Verfolgungsverjährung das vom Oberlandesgericht Dresden am 28. April 2000 eröffnete Hauptverfahren eingestellt. Die dagegen gerichteten Revisionen der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten werden, und des Nebenklägers haben mit den erhobenen Sachrügen Erfolg. Auf die – den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht genügende – Aufklärungsrüge des Nebenklägers kommt es nicht an.
1. Den Angeklagten war angelastet, als Mitarbeiter im „Spezialkinderheim H.” in Meerane Straftaten zum Nachteil dort untergebrachter schwer erziehbarer Jugendlicher begangen zu haben. Im einzelnen lagen zur Last
- dem Angeklagten I. im Zeitraum 4. Januar 1988 bis 5. Dezember 1989 ein Vergehen der Verletzung von Erziehungspflichten (§ 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB-DDR),
- dem Angeklagten H. zwischen 1986 und Dezember (offensichtlich 2. Oktober) 1990 Verletzung von Erziehungspflichten in fünf Fällen und zwei Vergehen der Freiheitsberaubung (§ 131 Abs. 1 StGB-DDR),
- dem Angeklagten M. von Herbst 1987 bis 5. Dezember 1989 fünf Fälle der Verletzung von Erziehungspflichten, davon in einem Fall zwischen Sommer und Dezember 1989 in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch eines Jugendlichen (§ 150 Abs. 1 StGB-DDR), und eine Freiheitsberaubung
- und der Angeklagten Lö zwischen Herbst 1987 und Sommer 1989 drei Fälle der Verletzung von Erziehungspflichten und eine Freiheitsberaubung.
2. Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist in keinem Fall Verfolgungsverjährung eingetreten. Die Verjährungsfristen für die Verletzung von Erziehungspflichten und Freiheitsberaubung von fünf Jahren (§ 82 Abs. 1 Nr. 2 StGB-DDR) und von acht Jahren (§ 82 Abs. 1 Nr. 3 StGB-DDR) für den sexuellen Mißbrauch von Jugendlichen waren am 3. Oktober 1990 noch nicht verstrichen und wurden an diesem Tag unterbrochen (Art. 315a Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 EGStGB). Ab diesem Zeitpunkt sind die §§ 78 ff. StGB anzuwenden (vgl. BGH NStZ 1998, 36) mit der Folge, daß nach § 78c Abs. 3 Satz 1 StGB für alle angelasteten Taten die § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB zu entnehmenden fünfjährigen Verjährungsfristen zu laufen begannen. Diese wurden durch Art. 1 des 2. Verjährungsgesetzes vom 27. September 1993 (BGBl. I 1657) bis 31. Dezember 1997 verlängert. Die in Art. 2 dieses Gesetzes normierte Voraussetzung, Nichteintritt der Verjährung vor Ablauf des 30. September 1993 lag vor. Vor dem Inkrafttreten des 2. Verjährungsgesetzes war in keinem Fall seit Beendigung der Tat durch Ablauf von zehn Jahren absolute Verjährung eingetreten (§ 78c Abs. 3 Satz 2 StGB). Durch Art. 1 und 2 des 3. Verjährungsgesetzes vom 22. Dezember 1997 (BGBl. I 3223) wurden die am 31. Dezember 1997 noch nicht abgelaufenen Verjährungsfristen bis zum 2. Oktober 2000 verlängert (Art. 315 a Abs. 2 Alt. 1 EGStGB).
Vor diesem Zeitpunkt konnte auch die absolute Verjährung nach § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB nicht eintreten (BGHR EGStGB Art. 315a – Verjährungsfrist 2; BGH Beschluß vom 7. Februar 2001 – 3 StR 3/01 –).
Art. 315a Abs. 2 EGStGB ist eine gegenüber § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB vorrangige Norm, die ohne sachliche Differenzierung hinsichtlich der im Gesetzgebungsverfahren diskutierten faktischen Verfolgungserschwernisse (vgl. BGHR EGStGB Art. 315a – Verjährungsfrist 3) anzuwenden ist. Diese – auch dem im Eröffnungsverfahren ergangenen Beschwerdebeschluß des Oberlandesgerichts Dresden vom 28. April 2000 (1 Ws 317/99) zutreffend zugrunde gelegte – Auffassung entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (entsprechend Jähnke in LK 11. Aufl. § 78c Rdn. 44; Letzgus NStZ 1994, 57, 63), von der abzugehen kein Anlaß besteht. Entgegen der Auffassung der Verteidigung war es nicht geboten, nur die im (1.) Verjährungsgesetz genannten Delikte von der nach Art. 3 Abs. 1 GG grundsätzlich erforderlichen Gleichbehandlung der in den alten und neuen Bundesländern begangenen Straftaten auszunehmen.
Seit Verkündung des landgerichtlichen Urteils ist der Ablauf der Verjährungsfrist nach Art. 315a Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 EGStGB, § 78c Abs. 3 Satz 3, § 78b Abs. 3 StGB gehemmt. Diese Wirkung tritt auch durch ein auf Einstellung lautendes Prozeßurteil unabhängig von dessen sachlicher Richtigkeit ein (BGH NJW 2001, 1146, 1147; zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt). Für ein Einstellungsurteil wegen Verjährung gilt nichts anderes.
Das Hinausschieben des Eintritts der Verjährung auf einen Zeitpunkt bis über 15 Jahre nach Tatbeendigung ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden (BVerfG – Kammer – NJW 1995, 1145; vgl. BGH aaO). Allerdings wird einem langen Zeitablauf gegebenenfalls im Rahmen der Rechtsfolgenentscheidung Rechnung zu tragen sein (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 – Verfahrensverzögerung 13).
Zum Amnestieeinwand der Verteidigung verweist der Senat auf BGHSt 39, 353, 358, 361.
3. Der Senat hat von § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO Gebrauch gemacht.
Unterschriften
Harms, Basdorf, Tepperwien, Raum, Brause
Fundstellen
Haufe-Index 604655 |
NStZ-RR 2001, 328 |