Leitsatz (amtlich)
Eine häusliche Gemeinschaft im Sinne des § 247 StGB setzt den freien und ernstlichen Willen der Mitglieder zum Zusammenleben auf eine gewisse Dauer voraus.
Wer von vornherein ein Zusammenleben allein dazu ausnutzen will, um strafbare Handlungen gegenüber Mitgliedern der Gemeinschaft zu begehen, hat einen solchen Willen nicht.
Verfahrensgang
LG Landau (Pfalz) (Entscheidung vom 11.12.1978) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Landau i.d. Pfalz vom 11. Dezember 1978 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen fortgesetzten Betruges, Diebstahls in zwei Fällen und wegen Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt. Mit seiner Revision wendet sich der Angeklagte nur gegen die Verurteilung wegen Betruges und Diebstahls zum Nachteil der Frau M.. Das in zulässiger Weise beschränkte, auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
Der Angeklagte hatte auf einer Faschingsveranstaltung die unverheiratete 36jährige Arbeiterin M. kennengelernt und ihr nach einigen Tagen vorgeschlagen, "doch zusammen zu leben". Sie war damit einverstanden und der Angeklagte "entschloß sich daraufhin, das Interesse der Zeugin an ihm auszunutzen und unter verschiedenen erfundenen Vorwänden die Zeugin zu veranlassen, ihm ihr erspartes Geld, soweit sie welches hatte, auszuhändigen und das so erlangte Geld für sich zu verbrauchen" (UA 7). Unter Hinweis darauf, daß ihn eine andere Frau, mit der er noch zusammenlebe, erst dann frei gebe und die Wohnung räume, wenn er ihr eine hohe Abfindung zahle, und unter anderen Vorwänden hat er von Frau M. in der Zeit von Ende Februar bis Anfang April 1978 dreimal erhebliche Geldbeträge in Höhe von insgesamt 18.582 DM erschwindelt. Als der Angeklagte, der das Geld für sich verbraucht hatte, sich ab Anfang April 1978 nicht mehr bei ihr sehen ließ, zeigte Frau M. ihn Mitte April wegen Betruges an, hielt aber an dieser Anzeige nach einer Aussprache mit ihm im Mai 1978 nicht mehr fest. Am 1. Juli 1978 mietete sie dann zusammen mit dem Angeklagten nach Zahlung einer Monatsmiete und einer Kaution in Höhe von zwei Monatsmieten eine möblierte Wohnung, in der sie mit ihm bis zum 6. Juli 1978 zusammen wohnte. Am 5. Juli 1978 hatte sie sich ihr restliches Sparguthaben von 14.000 DM auszahlen lassen und dem Angeklagten im Vertrauen auf dessen Rückzahlungsversprechen weitere 2.800 DM als Darlehen ausgehändigt. Die restlichen 11.200 DM hatte sie auf Anraten des Angeklagten mit in die gemeinsame Wohnung genommen. Sie wollte das Geld am Abend des nächsten Tages bei einer anderen Bank einzahlen. Nachdem sie am Morgen des 6. Juli zur Arbeit gefahren war, nahm der Angeklagte die 11.200 DM an sich, verließ die Wohnung und kehrte nicht mehr dahin zurück. Anfang August 1978 erreichte es der Angeklagte, daß ihn Frau M. für eine Nacht in ihrem elterlichen Haus unterbrachte. Diese Gelegenheit benutzte er, um das Sparbuch des Bruders der Frau M. zu entwenden und von diesem nach Fälschen einer Vollmacht 14.200 DM abzuheben.
II.
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge ergibt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten. Die Ausführungen der Revision, daß die Verletzte das Vorgehen des Angeklagten gebilligt, dieser sich also nicht rechtswidrig verhalten habe, stehen im Gegensatz zu den Urteilsfeststellungen und erschöpfen sich damit in unzulässigen Angriffen gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung. Das Urteil ist frei von Verstößen gegen die Denkgesetze oder Erfahrungssätze und leidet auch an keinen inneren Widersprüchen.
III.
Auch aus der von Amts wegen zu berücksichtigenden Tatsache, daß kein Strafantrag der Frau M. vorliegt, ergeben sich keine Bedenken. Strafanträge gemäß § 247 und § 263 Abs. 4 StGB (bei häuslicher Gemeinschaft zwischen Täter und Verletztem) waren hier nämlich nicht erforderlich.
1.
Voraussetzung für das Antragserfordernis gemäß § 247 StGB ist einmal, daß die näheren Beziehungen im Sinn dieser Vorschrift bereits zur Zeit der Tat zwischen Täter und Verletztem bestanden haben (Stree in Schönke/Schröder, StGB 19. Aufl., § 77 Rdn. 2; Dreher/Tröndle, StGB 38. Aufl., vor § 77 Rdn. 2; Rudolphi in SK, 2. Aufl., vor § 77 Rdn. 2; Mösl in LK, 9. Aufl., § 61 a.F. Rdn. 9; RGSt 72, 324, 325). Das trifft hier für die vom Angeklagten erreichte Aushändigung der 2.800 DM am 5. Juli 1978, dem letzten Teilakt des fortgesetzten Betruges (vgl. BGHSt 17, 157, 158), und für den Diebstahl der 11.200 DM am 6. Juli 1978 zu. Diese Taten sind nämlich begangen worden, als sich der Angeklagte noch in der mit der Verletzten gemeinsam gemieteten Wohnung aufhielt.
2.
Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils ist jedoch das Zusammenwohnen des Angeklagten und der Frau M. in der Zeit zwischen dem 1. und dem 6. Juli 1978 nicht als häusliche Gemeinschaft im Sinne des § 247 StGB anzusehen.
a)
Durch den in bestimmten Fällen vorgesehenen Antrag für die Strafverfolgung eines mit dem Verletzten in häuslicher Gemeinschaft lebenden Täters soll der häusliche Frieden innerhalb einer nahen Verbindung von Menschen, deren Gemeinschaft auf einem freien Entschluß beruht, geschützt werden. Den Mitgliedern dieser Gemeinschaft soll die Möglichkeit offengehalten werden, bei Entwendungen im häuslichen Bereich die Angelegenheit unter sich zu bereinigen und den häuslichen Frieden, der durch eine Strafverfolgung empfindlich gestört werden könnte, selbst wieder herzustellen (BT-Drucks. 7/550 S. 247 zu § 247 i.d.F. EGStGB; Eser in Schönke/Schröder, StGB 19. Aufl., § 247 Rdn. 1; Dreher/Tröndle, StGB 38. Aufl., § 247 Rdn. 1; Samson in SK, 2. Aufl., § 247 Rdn. 6; vgl. auch BGHSt 10, 400, 403; 18, 123, 126).
Die Gleichstellung der Mitglieder einer häuslichen Gemeinschaft mit Angehörigen im Sinne des § 11 Abs. 1 StGB im § 247 StGB und das damit verbundene Zurücktreten des Strafverfolgungsrechts des Staates ist jedoch nur dann gerechtfertigt, wenn eine auf freiem Entschluß beruhende Gemeinschaft auch tatsächlich zustande gekommen ist. Da sich das nicht nur nach äußeren Anhaltspunkten beurteilen läßt - Zwangsgemeinschaften in Kasernen oder Anstalten würden sonst mit umfaßt -, kann es entscheidend nur auf die innere Willensrichtung der Mitglieder der Gemeinschaft ankommen. Wesentlich ist ihr Wille, in einer häuslichen Gemeinschaft wenigstens für eine gewisse Dauer zusammen leben und die mit dem Eintritt in die Gemeinschaft verbundenen Verpflichtungen übernehmen zu wollen. Wie das Beispiel des Verlöbnisses zeigt, das § 247 StGB als eine persönliche Beziehung nicht verwandtschaftlicher Art für seinen Bereich ebenso wie die häusliche Gemeinschaft dem Antragserfordernis unterstellt, ist in strafrechtlicher Hinsicht allein entscheidend, ob ein auf einem ernstlich gemeinten Willensentschluß beruhendes Eheversprechen beider Partner vorliegt. Ist dieser ernsthafte Wille bei einem von ihnen - auch wenn der andere keine Kenntnis davon hat - nicht vorhanden oder inzwischen aufgegeben worden, so liegt unabhängig von der zivilrechtlichen Beurteilung ein im Strafverfahren zu berücksichtigendes Verlöbnis nicht vor (RGSt 10, 117 ff; 35, 49, 52; 75, 290, 291; BGHSt 3, 215, 216; NJW 1972, 1334; Dreher/Tröndle, StGB 38. Aufl., § 11 Rdn. 7; Stree in Schönke/Schröder, StGB 19. Aufl., § 77 Rdn. 2; Rudolphi in SK, 2. Aufl., vor § 77 Rdn. 1; Meyer in Löwe/Rosenberg, StPO 23. Aufl., § 52 Rdn. 6). Diese Grundsätze lassen sich auch auf die häusliche Gemeinschaft anwenden. Eine wegen der engen Beziehungen der Mitglieder untereinander vom Gesetzgeber in den § 247 StGB einbezogene persönliche Gemeinschaft setzt sonach voraus, daß der Wille zum Zusammenleben in einem Haus oder in einer Wohnung unter Bejahung der sich daraus ergebenden Bindungen und Verpflichtungen bei jedem einzelnen Mitglied auch ernstlich vorhanden ist. Ein solcher Wille fehlt jedenfalls bei demjenigen, der von vornherein das Zusammenleben allein dazu ausnutzen will, um strafbare Handlungen gegenüber Mitgliedern der Gemeinschaft zu begehen. Es liegt dann zwar, von außen gesehen, ein gemeinsames Wohnen vor, das wesentliche Element einer Gemeinschaft, die freie, ernsthafte Entscheidung für ein auf eine gewisse Dauer angelegtes Zusammenleben, fehlt jedoch.
b)
Ob im vorliegenden Fall das Merkmal des Zusammenlebens für eine gewisse Dauer erfüllt ist, kann dahinstehen. Jedenfalls hatte der Angeklagte nicht den ernstlichen Willen zum Zusammenleben im Sinne des § 247 StGB. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat er sein ursprüngliches Ziel, das Interesse der Frau M. an einer Gemeinschaft mit ihm auszunutzen, um ihr Vermögen schädigen zu können, bis zum 6. Juli 1978 nicht aufgegeben, als er die erst am 1. des Monats bezogene Wohnung unter Mitnahme des restlichen Geldes verließ. Das Landgericht hat deshalb auch den am 5. Juli 1978 noch während seines Aufenthalts in der gemeinsam gemieteten Wohnung begangenen Betrug als Teilakt der im Februar 1978 begonnenen fortgesetzten Handlung angesehen. Der Angeklagte hat damit vom 1. bis 6. Juli 1978 allein zu dem Zweck mit Frau M. zusammengewohnt, um durch Betrug und Diebstahl ihr Sparguthaben an sich zu bringen; den Willen, in einer häuslichen Gemeinschaft im Sinne des § 247 StGB zusammen zu leben, hatte er somit nicht. Ein Strafantrag für die Verfolgung dieser Taten war deshalb nicht erforderlich.
Fundstellen
Haufe-Index 3018758 |
BGHSt 29, 54 - 58 |
BGHSt, 54 |
NJW 1979, 2055 (Volltext mit amtl. LS) |
MDR 1979, 950-951 (Volltext mit amtl. LS) |