Leitsatz (amtlich)
Eine Prämienanpassungsklausel in der privaten Krankenversicherung, nach welcher der Versicherer die Beiträge bei einer Abweichung der erforderlichen von den kalkulierten Versicherungsleistungen um mehr als fünf Prozent überprüfen und anpassen kann, aber nicht muss, weicht nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers von § 203 Abs. 2 Satz 4 VVG in Verbindung mit § 155 Abs. 3 Satz 2 VAG ab und benachteiligt diesen auch nicht unangemessen gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB.
Normenkette
VVG § 203 Abs. 2 S. 4; VAG § 155 Abs. 3 S. 2; BGB § 307 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Oberlandesgerichts Rostock - 4. Zivilsenat - vom 27. September 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Beklagte zur Zahlung von mehr als 1.197,60 € zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21. November 2020 verurteilt worden ist, und die Sache im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 3.042,48 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Beitragserhöhungen in der privaten Krankenversicherung des Klägers.
Rz. 2
Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine Kranken- und Pflegeversicherung einschließlich Krankentagegeldversicherung. Dem Versicherungsvertrag liegen "Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung" (im Folgenden: AVB KK) der Beklagten zugrunde, die unter anderem folgende Regelung enthalten:
"§ 8b Beitragsanpassung
Teil I
1. Im Rahmen der vertraglichen Leistungszusage können sich die Leistungen des Versicherers z.B. wegen steigender Heilbehandlungskosten, einer häufigeren Inanspruchnahme medizinischer Leistungen oder aufgrund steigender Lebenserwartung ändern. Dementsprechend vergleicht der Versicherer zumindest jährlich für jeden Tarif die erforderlichen mit den in den technischen Berechnungsgrundlagen kalkulierten Versicherungsleistungen und Sterbewahrscheinlichkeiten. Ergibt die Gegenüberstellung zu den Versicherungsleistungen für eine Beobachtungseinheit eines Tarifes eine Abweichung von mehr als 10 %, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst. Bei einer Abweichung von mehr als 5 % können alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst werden. Ergibt die Gegenüberstellung zu den Sterbewahrscheinlichkeiten für eine Beobachtungseinheit eines Tarifes eine Abweichung von mehr als 5 %, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und mit Zustimmung des Treuhänders angepasst. […]
2. Von einer Beitragsanpassung kann abgesehen werden, wenn nach übereinstimmender Beurteilung durch den Versicherer und den Treuhänder die Veränderung der Versicherungsleistungen als vorübergehend anzusehen ist.
3. […]"
Rz. 3
Die Beklagte informierte den Kläger - jeweils mit Schreiben vom November des Vorjahres - unter anderem über Beitragserhöhungen im Tarif 2 zum 1. Januar 2012 um 49,90 €, zum 1. Januar 2013 um 39,90 €, zum 1. Januar 2015 um 19,67 €, zum 1. Januar 2017 um 49,40 € und zum 1. Januar 2018 um 35,60 €.
Rz. 4
Der Kläger hält die Beitragserhöhungen für unrechtmäßig. Soweit für die Revision noch von Interesse, hat er mit seiner Klage die Rückzahlung der auf die genannten und weitere Erhöhungen entfallenden Prämienanteile in Höhe von 14.934,46 € nebst Zinsen ab Rechtshängigkeit begehrt. Das Landgericht hat ein zunächst antragsgemäß ergangenes Versäumnisurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Rz. 5
Mit der Berufung hat der Kläger den Zahlungsantrag auf 4.240,34 € nebst Zinsen für die auf die genannten Erhöhungen von Januar 2017 bis Dezember 2018 bzw. für die Erhöhung zum 1. Januar 2018 von diesem Datum bis Dezember 2018 gezahlten Prämienanteile reduziert. Das Oberlandesgericht hat das landgerichtliche Urteil unter Abweisung der weitergehenden Klage dahingehend abgeändert, dass das Versäumnisurteil aufrechterhalten worden ist, soweit die Beklagte zur Zahlung von 4.240,08 € nebst Zinsen verurteilt worden ist.
Rz. 6
Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Zurückweisung der Berufung weiter, soweit nicht die Beitragserhöhung im Tarif 2 zum 1. Januar 2012 betroffen ist.
Entscheidungsgründe
Rz. 7
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Rz. 8
I. Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung unter anderem in VersR 2022, 1418 veröffentlicht ist, ist der Ansicht, dass die Prämienanpassungen zum 1. Januar 2013, 1. Januar 2015, 1. Januar 2017 und 1. Januar 2018 unwirksam seien, weil eine Beitragsänderung nach § 8b Abs. 1 Satz 4 AVB KK nicht in Betracht gekommen sei. Sie wäre allein nach dieser Klausel möglich gewesen, soweit die Veränderung bei den Versicherungsleistungen zwar jeweils über dem Schwellenwert von fünf Prozent nach der genannten Regelung gelegen habe, jedoch unter dem gesetzlichen Schwellenwert von zehn Prozent gemäß § 155 Abs. 3 Satz 2 VAG. § 8b Abs. 1 Satz 4 AVB KK sei aber gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam, weil sich aus der Regelung eine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers ergebe bzw. sie zum Nachteil des Versicherungsnehmers von der gesetzlichen Regelung abweiche. Anpassungsklauseln seien unwirksam, welche nur das einseitige Recht des Klauselverwenders vorsähen, Erhöhungen seiner Kosten an seine Kunden weiterzugeben, nicht aber auch spiegelbildlich die Verpflichtung enthielten, bei einer Minderung eigener Kosten den Preis für die Kunden abzusenken. Wenn nach § 8b Abs. 1 Satz 4 AVB KK bei einer Abweichung von mehr als fünf Prozent alle Beiträge einer Beobachtungseinheit nach Überprüfung angepasst werden "können", werde ein Versicherungsnehmer der Regelung keinen anderen Inhalt entnehmen, als dass der Versicherer unter solchen Voraussetzungen frei entscheide, ob er eine Änderung vornehme bzw. die Prüfung hierfür einleite oder nicht. Der Kläger habe danach in den von ihm zugrunde gelegten Zeiträumen Prämienanteile ohne Rechtsgrund an die Beklagte geleistet.
Rz. 9
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Rz. 10
1. Die Revision ist zulässig; insbesondere ist sie in dem Umfang, in dem die Beklagte das Berufungsurteil angreift, statthaft (§ 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Sie wendet sich allein gegen die Rückzahlung von Prämienanteilen, die der Kläger auf die Beitragserhöhungen zum 1. Januar 2013, 1. Januar 2015, 1. Januar 2017 und 1. Januar 2018 gezahlt hat. Darauf hat das Berufungsgericht die Zulassung der Revision wirksam beschränkt und die Verurteilung zur Rückzahlung von Prämienanteilen aus der Beitragserhöhung zum 1. Januar 2012 davon ausgenommen. Eine Beschränkung der Revisionszulassung ist im Hinblick auf einen tatsächlich und rechtlich selbständigen Teil des Streitgegenstands zulässig (vgl. Senatsurteil vom 9. Februar 2022 - IV ZR 337/20, NJW-RR 2022, 606 Rn. 16). Um einen solchen handelt es sich bei einer früheren Prämienanpassung in demselben Tarif und die darauf gestützten Ansprüche des Versicherungsnehmers.
Rz. 11
2. Die Revision ist auch begründet.
Rz. 12
a) Noch zutreffend hat das Berufungsgericht die Zulässigkeit der Berufung in vollem Umfang bejaht.
Rz. 13
Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 bis 4 ZPO muss die Berufungsbegründung die bestimmte Bezeichnung der im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) enthalten. Die gesetzliche Regelung bezweckt, formale und nicht auf den konkreten Streitfall bezogene Berufungsbegründungen auszuschließen, um dadurch auf die Zusammenfassung und Beschleunigung des Verfahrens im zweiten Rechtszug hinzuwirken (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juni 2015 - II ZR 166/14, NJW 2015, 3040 Rn. 11). Die Rechtsmittelbegründung muss zudem geeignet sein, die erstinstanzliche Entscheidung im Umfang der Anfechtung in Frage zu stellen. Bei mehreren Streitgegenständen oder einem teilbaren Streitgegenstand hat sie sich daher grundsätzlich auf alle Teile des Urteils zu erstrecken, hinsichtlich derer eine Abänderung beantragt ist; andernfalls ist das Rechtsmittel für den nicht begründeten Teil unzulässig (BGH, Beschluss vom 5. Juli 2022 - VIII ZR 137/21, NJW 2022, 3010 Rn. 24 m.w.N.). Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung hier gerecht. Das Berufungsgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Kläger nicht nur alle Prämienanpassungen, die Gegenstand der Berufung gewesen sind, hinsichtlich ihrer Rechtmäßigkeit angegriffen hat, sondern sich die Berufungsbegründung auch für jede der Prämienanpassungen vom 1. Januar 2012, 1. Januar 2013 und 1. Januar 2015 gegen die mit Verjährung begründete Klageabweisung durch das Landgericht wendet.
Rz. 14
b) Zu Unrecht hat das Berufungsgericht dagegen die Prämienerhöhungen mit der Begründung für endgültig unwirksam gehalten, dass es für diese an einer wirksamen Prämienanpassungsklausel fehle. Die streitgegenständlichen Prämienanpassungen, bei denen die Veränderung der Versicherungsleistungen unterhalb des gesetzlich vorgesehenen Schwellenwerts von 10 % gemäß § 203 Abs. 2 VVG in Verbindung mit § 155 Abs. 3 Satz 2 VAG bzw. (dem bis zum 31. Dezember 2015 geltenden) § 12b Abs. 2 Satz 2 VAG a.F. lag, können auf die Regelung in § 8b Abs. 1 Satz 4 AVB KK gestützt werden, die einen Schwellenwert von 5 % vorsieht. Dieser Wert wird nach den Feststellungen des Berufungsgerichts durch die Veränderung der Versicherungsleistungen bei den hier in Rede stehenden Prämienanpassungen jeweils überschritten.
Rz. 15
aa) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass § 8b Abs. 2 AVB KK unwirksam ist, dies aber die Wirksamkeit von § 8b Abs. 1 AVB KK unberührt lässt (vgl. Senatsurteil vom 22. Juni 2022 - IV ZR 253/20, VersR 2022,1078 Rn. 33 ff. zu § 8b MB/KK 2009).
Rz. 16
bb) Zu Unrecht hat das Berufungsgericht demgegenüber § 8b Abs. 1 Satz 4 AVB KK für unwirksam gehalten. Die Klausel weicht nicht entgegen § 208 Satz 1 VVG zum Nachteil des Versicherungsnehmers von der gesetzlichen Regelung in § 203 Abs. 2 VVG ab. § 203 Abs. 2 VVG in Verbindung mit § 155 Abs. 3 Satz 2 VAG erlaubt die Festsetzung eines zusätzlichen Schwellenwerts - neben der gesetzlichen 10 %-Grenze - in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen, bei dessen Überschreitung durch den Vergleich der erforderlichen mit den kalkulierten Versicherungsleistungen der Versicherer zu einer Prämienanpassung berechtigt, aber noch nicht verpflichtet wird (vgl. auch OLG Karlsruhe VersR 2023, 768 [juris Rn. 66]; OLG Dresden VersR 2023, 717 [juris Rn. 14]; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 21. November 2022 - 1 U 55/22, juris Rn. 5; OLG Hamburg VersR 2022, 565 [juris Rn. 110]; Haase-Uhländer in Bach/Moser, PKV 6. Aufl. § 8b MB/KK Rn. 39; Muschner in Langheid/Rixecker, VVG 7. Aufl. § 203 Rn. 23a; Reinhard in Looschelders/Pohlmann, VVG 3. Aufl. § 203 Rn. 12; MünchKomm-VVG/Boetius, 2. Aufl. § 203 Rn. 808; BeckOK-VAG/Franz/Frey, § 155 Rn. 48 [Stand: 1. Juni 2023]; a.A. OLG Köln, Urteil vom 4. März 2022 - 20 U 106/21, juris Rn. 46; Klimke in Boetius/Rogler/Schäfer, Rechtshandbuch Private Krankenversicherung § 31 Rn. 97; BeckOK-VVG/Gramse, § 203 Rn. 23a [Stand: 1. Mai 2023]; Brand in Brand/Baroch Castellvi, VAG § 155 Rn. 26).
Rz. 17
(1) § 203 Abs. 2 VVG berechtigt den Versicherer bei einer nicht nur als vorübergehend anzusehenden Veränderung einer für die Prämienkalkulation maßgeblichen Rechnungsgrundlage zur Neufestsetzung der Prämie und verweist dafür in Satz 4 auf § 155 VAG in Verbindung mit der Krankenversicherungsaufsichtsverordnung (KVAV). § 155 Abs. 3 Satz 2 VAG legt dazu den gesetzlichen Schwellenwert von 10 % fest, bei dessen Überschreitung durch eine Abweichung der erforderlichen von den kalkulierten Versicherungsleistungen der Versicherer alle Prämien des betreffenden Tarifs zu überprüfen und bei einer nicht nur vorübergehenden Abweichung anzupassen hat. Der Wortlaut der Vorschrift lässt dabei noch unterschiedliche Deutungen zu, da er dem Versicherer die Möglichkeit eröffnet, in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen einen geringeren Prozentsatz als 10 % vorzusehen, ohne eindeutig festzulegen, ob dieser den gesetzlichen Schwellenwert - mit der damit verbundenen Verpflichtung zur Prämienanpassung - ersetzen muss oder auch neben diesen treten darf.
Rz. 18
(2) Nach dem Willen des Gesetzgebers soll § 155 Abs. 3 Satz 2 VAG jedoch als Öffnungsklausel wirken, die den Versicherer berechtigt, bereits unterhalb der Schwelle zur zwingenden Prämienanpassung eine Überprüfung und Neukalkulation der Prämien vorzunehmen, ohne ihn insoweit zu verpflichten. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu, dass die Versicherungsunternehmen - zur Vermeidung großer Prämiensprünge - in den Versicherungsbedingungen einen geringeren Schwellenwert mit der Maßgabe festlegen können, dass sie berechtigt sind, bereits beim Überschreiten dieses geringeren Wertes die Prämien zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen (vgl. BT-Drucks. 12/6959, S. 62 zur Vorgängerregelung in § 12b VAG a.F.). Der Gesetzgeber wollte damit das zuvor in den Prämienanpassungsklauseln geregelte und als bewährt angesehene Verfahren im Kern beibehalten (vgl. aaO). Dieses frühere Verfahren sah aber in den - aufsichtsrechtlich genehmigten - Tarifbedingungen bereits vor, dass alle Tarifbeiträge überprüft und ggf. angepasst werden müssen, wenn die Gegenüberstellung von erforderlichen und kalkulierten Versicherungsleistungen eine Veränderung von mehr als 10 % ergibt, während diese bei einer Änderung von mehr als 5 % (nur) angepasst werden können (vgl. § 8c Abs. 1 Tarifbedingungen 1976, zitiert nach MünchKomm-VVG/Boetius, 2. Aufl. § 203 Rn. 754).
Rz. 19
(3) Dieses Verständnis der gesetzlichen Regelung entspricht auch den versicherungsaufsichtsrechtlichen Normen im Übrigen. So geht § 17 Abs. 1 Satz 2 KVAV ebenfalls von der Möglichkeit aus, dass der in den Versicherungsbedingungen festgelegte Prozentsatz überschritten, jedoch von einer Neukalkulation abgesehen wird.
Rz. 20
cc) Die Klausel benachteiligt den Versicherungsnehmer auch nicht nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen. Unangemessen ist die Benachteiligung, wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen (Senatsurteil vom 26. Januar 2022 - IV ZR 144/21, BGHZ 232, 344 Rn. 43). So liegt es hier nicht.
Rz. 21
Die Klausel erlaubt unter den dort genannten Voraussetzungen eine Anpassung der Prämien, d.h. sowohl eine Erhöhung als auch eine Senkung, ohne den Versicherer insoweit dazu zu verpflichten. Dieses Prämienanpassungsrecht des Versicherers soll aber vorrangig die dauernde Erfüllbarkeit der Versicherungsverträge gewährleisten (vgl. Senatsurteile vom 19. Dezember 2018 - IV ZR 255/17, BGHZ 220, 297 Rn. 44; vom 16. Juni 2004 - IV ZR 117/02, BGHZ 159, 323, 326 [juris Rn. 8]). In diesem Sinne dient die Berechtigung zur Prämienanpassung nicht der Durchsetzung eigener Interessen des Versicherers zu Lasten des Versicherungsnehmers, sondern auch den Belangen der Versichertengemeinschaft. Die Berechtigung zur Vornahme von Prämienanpassungen bereits unterhalb der gesetzlichen Höchstschwelle für die Abweichung der erforderlichen von den kalkulierten Versicherungsleistungen soll gerade zu stetigen Anpassungen führen, um große Prämiensprünge zu vermeiden (vgl. BT-Drucks. 12/6959, S. 62).
Rz. 22
Die Rechtsprechung zu Preisanpassungsklauseln in anderen Vertragstypen (vgl. BGH, Urteile vom 31. Juli 2013 - VIII ZR 162/09, BGHZ 198, 111 Rn. 39 ff.; vom 21. April 2009 - XI ZR 78/08, BGHZ 180, 257 Rn. 18 ff.) ist hier nicht übertragbar. Die Klausel sieht kein einseitiges Recht des Versicherers vor, Kostensteigerungen oder Zinsentwicklungen "nach billigem Ermessen" an den Versicherungsnehmer weiterzugeben. Das Prämienanpassungsrecht des Versicherers und die Erteilung der Zustimmung durch den Treuhänder unterliegen nicht dem weiten Maßstab des billigen Ermessens, sondern den durch die genannten Rechtsvorschriften geregelten, ins Einzelne gehenden engen und verbindlichen Vorgaben (Senatsurteil vom 16. Juni 2004 - IV ZR 117/02, BGHZ 159, 323, 328 [juris Rn. 13]). § 203 Abs. 2 VVG in Verbindung mit § 155 Abs. 3 VAG und die ergänzenden Prämienanpassungsklauseln wie hier § 8b Abs. 1 AVB KK beschränken die Möglichkeit des Versicherers, für ihn ungünstige Veränderungen der Rechnungsgrundlagen nach § 2 KVAV durch Prämienanpassungen auszugleichen. Nur bei zwei dieser Rechnungsgrundlagen - den Versicherungsleistungen und den Sterbewahrscheinlichkeiten - kann eine Abweichung der tatsächlichen von den kalkulierten Werten zum auslösenden Faktor einer Prämienanpassung werden, da der Gesetzgeber Veränderungen der weiteren Rechnungsgrundlagen, bei denen seiner Ansicht nach Veränderungen im Wesentlichen auf einer Unternehmensentscheidung beruhen, nicht zum Anlass einer Neukalkulation werden lassen wollte (vgl. BT-Drucks. 16/3945, S. 113). Erst wenn es - ausgelöst durch einen dieser Faktoren - überhaupt zu einer Neukalkulation kommt, werden dabei alle Rechnungsgrundlagen berücksichtigt. Nach dem aufsichtsrechtlich geregelten Prämienanpassungsverfahren führen daher Kostensteigerungen auch nicht unmittelbar zu Prämiensteigerungen oder Kostensenkungen zu Prämiensenkungen. Eine Abweichung der erforderlichen von den kalkulierten Versicherungsleistungen nach oben oder unten kann bei der Neukalkulation anhand aller Rechnungsgrundlagen jeweils zu einer Anpassung der Prämie nach oben oder unten führen (vgl. Muschner in Langheid/Rixecker, VVG 7. Aufl. § 203 Rn. 23b; HK-VVG/Marko, 4. Aufl. § 203 Rn. 7). Die dem Versicherer durch die Klausel eröffnete Möglichkeit, bereits früher ein Prämienanpassungsverfahren durchzuführen, ist daher in beide Richtungen offen.
Rz. 23
III. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, soweit die Beklagte zur Rückzahlung von mehr als 1.197,60 € (49,90 € x 24 Monate), die der Kläger auf die von der Revision ausgenommene Prämienanpassung zum 1. Januar 2012 gezahlt hat, verurteilt worden ist. Die Sache ist noch nicht zur Endentscheidung reif, weil sich das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - nicht mit der Frage der formellen Rechtmäßigkeit der Prämienanpassungen vom 1. Januar 2013, 1. Januar 2015, 1. Januar 2017 und 1. Januar 2018 befasst hat. Das wird nachzuholen sein.
Prof. Dr. Karczewski |
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Harsdorf-Gebhardt |
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Dr. Brockmöller |
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Dr. Bußmann |
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Dr. Bommel |
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Fundstellen