Verfahrensgang
LG Hamburg (Urteil vom 18.01.2019) |
Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 18. Januar 2019 im Strafausspruch aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer zurückverwiesen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und Einziehungsentscheidungen getroffen. Die Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat mit der Sachrüge überwiegend Erfolg.
I.
Rz. 2
1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
Rz. 3
Der in Deutschland bislang nicht vorbestrafte Angeklagte ist niederländischer Staatsangehöriger und lebt in den Niederlanden. Dort war er seit Mitte 2016 arbeitslos und hatte Schulden. Im Juli 2017 lernte er in einer von Marokkanern betriebenen Autowerkstatt einen „M.” kennen, der von den Geldproblemen des Angeklagten erfahren hatte und ihn darauf ansprach, ob er für ihn Drogen transportieren könne. Der Angeklagte erklärte sich dazu bereit und transportierte im März 2018 für einen Kurierlohn von 1.500 Euro per Flugzeug von Amsterdam nach Stockholm einen Koffer, in dem sich Drogen – mutmaßlich MDMA – befanden.
Rz. 4
Nach dieser nicht verfahrensgegenständlichen Tat bat „M.” den Angeklagten im Juli 2018, Drogen mit einem Lieferwagen nach Kopenhagen zu transportieren. Der Angeklagte erklärte sich für einen Lohn von 2.000 bis 3.000 Euro dazu bereit. Am 16. Juli 2018 kam es in den Niederlanden zur Übergabe eines Iveco Kleintransporters, der Angeklagte erhielt 800 Euro für die Fahrt und die damit verbundenen Kosten sowie ein Mobiltelefon, um mit „M.” Kontakt zu halten. Zudem waren im Wagen ein Navigationsgerät mit der eingespeicherten Adresse eines Kopenhagener Hotels und – vom Angeklagten unbemerkt – ein GPS-Sender eingebaut.
Rz. 5
Der von der Fahrerkabine getrennte Frachtraum war leer, wie der Angeklagte bei einer Kontrolle sah. Er ging davon aus, dass im Fahrzeug Betäubungsmittel versteckt waren, wusste aber nicht wo. Weil „M.” vor allem mit Haschisch handelte, ging der Angeklagte davon aus, dieses zu transportieren; billigend in Kauf nahm er eine Menge von ca. 15 kg, wobei er sich über die Qualität keine Gedanken machte. Tatsächlich befanden sich in einem zwischen Fahrerkabine und Frachtraum professionell verbauten Hohlraum 15 Pakete Haschisch mit einem Nettogewicht von über 350 kg (3.718 Platten) und Wirkstoffgehalten zwischen 28 und fast 34 Prozent (Gesamtwirkstoffmenge über 108 kg Tetrahydrocannabinol). Bei einer Kontrolle auf der Autobahn zwischen Bremen und Hamburg entdeckten Zollbeamte das Rauschgift.
Rz. 6
2. Unter Verbrauch des vertypten Strafmilderungsgrundes der Aufklärungshilfe (§ 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG) hat das Landgericht einen minder schweren Fall der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge angenommen. Bei der Strafrahmenwahl und der Strafzumessung im Einzelnen ist die Strafkammer von der Vorstellung des Angeklagten ausgegangen, höchstens 15 kg Haschisch einzuführen. Hinsichtlich der nicht vom Vorsatz umfassten größeren Menge treffe ihn aufgrund des nur schwer erkennbaren Hohlraums und der mangels Werkzeugs nicht gegebenen Möglichkeit der Kontrolle der mitgeführten Betäubungsmittelmenge auch nicht der Vorwurf der Fahrlässigkeit, so dass dies keine strafschärfende Berücksichtigung finden könne.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 7
Die Revision der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung des Strafausspruchs.
Rz. 8
1. Die Revision ist ausweislich ihrer Begründung wirksam auf den Strafausspruch beschränkt, denn die Staatsanwaltschaft bemängelt weder Schuldspruch noch Einziehungsentscheidung, sondern lediglich, dass bei der Strafrahmenwahl und der Strafzumessung im Einzelnen von einem zu geringen Schuldumfang ausgegangen sei.
Rz. 9
2. In diesem Umfang hat das Rechtsmittel überwiegend Erfolg.
Rz. 10
a) Zwar ist die Beweiswürdigung zu der Frage, welche Betäubungsmittelmenge vom Vorsatz des Angeklagten erfasst war, eingedenk des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Überprüfungsmaßstabes (vgl. zum bedingten Vorsatz bezüglich derartiger Mehrmengen BGH, Urteile vom 5. Juli 2017 – 2 StR 110/17, und vom 21. April 2004 – 1 StR 522/03; Beschluss vom 31. März 1999 – 2 StR 82/99, NStZ 1999, 467) noch nicht zu beanstanden. Denn das Landgericht hat die diesbezügliche Einlassung des Angeklagten nicht ungeprüft übernommen, sondern auf das professionelle und vom Angeklagten nicht erkennbare Versteck, die Möglichkeit weniger voluminöser Verstecke im Fahrzeug, das Fehlen von Finger- und Handflächenspuren des Angeklagten an den Drogenpaketen und die Einschätzung der als Zeugen vernommenen Zollbeamten abgestellt, sie hätten bei der Fahrzeugkontrolle allenfalls mit einer Betäubungsmittelmenge von 10 bis 15 kg gerechnet. Damit hat die Strafkammer alle nach den Feststellungen wesentlichen Umstände des Falls erwogen und Zweifel an der billigenden Inkaufnahme des Transports einer Mehrmenge nicht auszuräumen vermocht. Diese dem Tatgericht obliegende Würdigung, die weder Würdigungslücken noch sonstige Rechtsfehler enthält, ist vom Revisionsgericht hinzunehmen.
Rz. 11
b) Keinen Rechtsfehler enthält auch die Berücksichtigung des vertypten Strafmilderungsgrundes der Beihilfe, denn die Strafkammer hat diese Erwägung zutreffend lediglich im Rahmen der Prüfung verwendet, ob auch ein minder schwerer Fall des Handelstreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 29a Abs. 2 BtMG anzunehmen ist.
Rz. 12
c) Rechtsfehlerhaft hat die Strafkammer allerdings einen Fahrlässigkeitsvorwurf des Angeklagten bezüglich der vom Vorsatz nicht erfassten Mehrmenge verneint und ist deshalb für die Strafzumessung von einem zu geringen Schuldumfang ausgegangen.
Rz. 13
aa) Führt der Täter eine Rauschgiftmenge ein, die tatsächlich größer ist, als er sich vorstellt, darf die von seinem Vorsatz nicht erfasste Mehrmenge nur dann als tatschulderhöhend gewertet und mithin als strafschärfend berücksichtigt werden, wenn ihn insoweit der Vorwurf der Fahrlässigkeit trifft (vgl. BGH, aaO und Urteil vom 6. September 1995 – 2 StR 310/95, StV 1996, 90). Bei deren Prüfung hat die Strafkammer einen verkürzten rechtlichen Maßstab angelegt, indem sie darauf abgestellt hat, der Angeklagte habe das professionelle Drogenversteck nicht erkennen und mangels Werkzeugs nicht kontrollieren können.
Rz. 14
bb) Fahrlässig handelt, wer eine objektive Pflichtwidrigkeit begeht, sofern er diese nach seinen subjektiven Kenntnissen und Fähigkeiten vermeiden konnte, wenn gerade diese Pflichtwidrigkeit objektiv und subjektiv vorhersehbar den Erfolg herbeiführt (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 20. September 2017 – 1 StR 64/17, BGHSt 63, 11 mwN). Ob eine Pflichtwidrigkeit vorliegt, bestimmt sich nach den vom Täter in der konkreten Lebenssituation zu erbringenden Sorgfaltsanforderungen. Vorhersehbar ist, was der Täter nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten in der konkreten Tatsituation als möglich hätte vorhersehen können, sofern sich die eingetretenen Folgen innerhalb der Lebenserfahrung bewegen; sie müssen nicht in allen Einzelheiten vorhersehbar sein (BGH, Urteil vom 4. September 2014 – 4 StR 473/13, BGH NJW 2015, 96). Vielmehr kann einem Täter auch zur Last gelegt werden, dass er in einer Situation gehandelt hat, obwohl die möglichen Folgen für ihn ungewiss und nicht voraussehbar waren (vgl. Sternberg-Lieben/Schuster in Schönke/Schröder, 30. Aufl., § 15 Rn. 200 f. mwN). In diesem Zusammenhang ist besonders von Belang, inwieweit der Täter Veranlassung hatte anzunehmen, sein Verhalten sei in Hinblick auf das geschützte Rechtsgut riskant (Sternberg-Lieben/Schuster, aaO, Rn. 201 mwN).
Rz. 15
cc) Nach diesen Maßstäben ist dem Angeklagten auf der Grundlage der rechtsfehlerfreien Feststellungen der Strafkammer in Hinblick auf die von seinem Vorsatz nicht umfasste Mehrmenge ein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen. Er hat ein sehr großes Fahrzeug (Transporter) über die Grenze gefahren, in dem eine ihm völlig unbekannte Menge Rauschgift so verbaut war, dass man sie nicht sehen konnte. Die bewusste Übernahme des Rauschgifttransports war objektiv und subjektiv pflichtwidrig. Weil ihm gegenüber keinerlei Angaben zu den transportierten Rauschgiftmengen gemacht worden waren, er das Drogenversteck nicht kannte und ihm zudem ein großes Lieferfahrzeug übergeben wurde, bei dem – anders als bei einem Kleinwagen – auch ganz erhebliche Drogenmengen verborgen werden können, lag es innerhalb des objektiv wie subjektiv Vorhersehbaren, dass der Transport auch mehrere hundert Kilo Rauschgift umfassen konnte. Dass der Angeklagte das Rauschgiftversteck nicht selbst untersuchen und prüfen konnte, ist ohne Relevanz (vgl. demgegenüber – nicht tragend – BGH, Urteil vom 6. September 1995 – 2 StR 310/95, StV 1996, 90). Denn ihm ist insoweit vorzuwerfen, dass er die für das Rechtsgut der Volksgesundheit riskante Einfuhrfahrt angetreten hat, ohne die Menge der transportierten Drogen überhaupt prüfen zu können.
Rz. 16
3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich die fehlerhafte Bestimmung des Schuldumfangs auf die Strafrahmenwahl und die Strafzumessung im Einzelnen ausgewirkt hat. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen können bestehen bleiben, weil es sich um einen bloßen Wertungsfehler des Landgerichts handelt (vgl. § 353 Abs. 2 StPO); insoweit bleibt die Revision der Staatsanwaltschaft erfolglos. Die Feststellungen können um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen.
Rz. 17
4. Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten (vgl. § 301 StPO) hat die Überprüfung des Urteils im angefochtenen Umfang nicht ergeben.
Unterschriften
Mutzbauer, Schneider, Berger, Mosbacher, Köhler
Fundstellen
Haufe-Index 13485486 |
NStZ 2019, 6 |
NStZ 2020, 553 |
NStZ-RR 2019, 6 |
NJW-Spezial 2019, 730 |
StV 2020, 389 |