Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschränkung des Anspruchs gemäß § 2287 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) auf die durch die Schenkung herbeigeführte Beeinträchtigung des Schlusserben
Normenkette
BGB §§ 2287, 516, 2050 Abs. 3, § 2052
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 12. März 1987 teilweise aufgehoben, soweit das Berufungsgericht den Beklagten zur Zahlung verurteilt und über die Kosten entschieden hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des zweiten Revisionsverfahrens - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Parteien sind Brüder. Ihre Eltern, der am 22. Mai 1976 verstorbene Erblasser und die im Jahre 1965 vorverstorbene Mutter, hatten am 18. Juli 1965 ein gemeinschaftliches Testament errichtet; darin hatten sie einander zu Alleinerben und ihre beiden Söhne, die Parteien, zu Erben des Längstlebenden eingesetzt und ferner bestimmt, daß der Überlebende von ihnen berechtigt sein solle, "die Verteilung unter den Söhnen zu bestimmen".
Der Erblasser war Landwirt und Eigentümer landwirtschaftlicher Grundstücke, die er zunächst selbst bewirtschaftet hatte und ab 1. Januar 1967 an den Kläger und dessen Ehefrau verpachtete. Nach familiären Streitigkeiten übertrug der Erblasser aufgrund notariellen Vertrages vom 1. August 1975 den größten Teil seines Grundbesitzes auf den Beklagten und behielt sich daran den Nießbrauch vor. Als Gegenleistung übernahm der Beklagte die Verpflichtung, den Vater vollständig zu unterhalten, ihn in gesunden und kranken Tagen zu pflegen und ihm lebenslang eine Rente in Höhe von zunächst 250 DM monatlich zu zahlen. Gemäß Vertrag vom 18. Dezember 1975 "verpachtete" der Erblasser das ihm vorbehaltene Nießbrauchsrecht ohne weitere Gegenleistung an den Beklagten. Das Pachtverhältnis zwischen dem Erblasser und dem Kläger und dessen Ehefrau ging mit dem 31. Dezember 1975 zu Ende.
Der Kläger hat von dem Beklagten unter anderem einen Hälfteanteil an den übereigneten und noch vorhandenen Grundstücken sowie die Hälfte des Erlöses eines weiterveräußerten Grundstücks für sich beansprucht, weil der Erblasser die Grundstücke dem Beklagten in der Absicht geschenkt habe, ihn, den Kläger, zu benachteiligen. Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage insoweit für begründet gehalten. Auf die Revision des Beklagten hat der erkennende Senat die Klage abgewiesen, soweit mit ihr beantragt war, den Beklagten zur Auflassung und zur Bewilligung der Umschreibung im Grundbuch zu verurteilen. Wegen des Zahlungsantrages in Höhe von damals 32.802 DM nebst Zinsen hat der Senat die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Das Senatsurteil ist im wesentlichen abgedruckt in BGHZ 82, 274.
Nach der Zurückverweisung hat der Kläger zuletzt beantragt, den Beklagten zur Zahlung von 338.599,50 DM nebst Zinsen zu verurteilen. Dieses Begehren stützt der Kläger darauf, daß die Grundstücke, die der Erblasser an den Beklagten übereignet hat, bei der Zuwendung einen Wert von 651.133 DM gehabt hätten und daß dieser Betrag im Hinblick auf den Kaufkraftschwund bis zum Erbfall auf 677.199 DM umzurechnen sei.
Das Berufungsgericht hat dieser Klage in Höhe von 126.861 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 20. Juni 1977 stattgegeben und hat sie im übrigen abgewiesen. Mit seiner Revision beantragt der Beklagte,
die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Die Revision des Klägers hat der Senat nicht zur Entscheidung angenommen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten führt zur erneuten Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.
Das Berufungsgericht stellt - von der Revision unbeanstandet - fest, daß die auf den Beklagten übertragenen Grundstücke bei Umschreibung im Grundbuch am 21. Oktober 1975 einen Wert von insgesamt 536.285 DM gehabt hätten und daß die dem Erblasser verbliebenen Nachlaßgrundstücke beim Erbfall am 22. Mai 1976 einen Wert von insgesamt 270.063 DM gehabt hätten. Beide Beträge zieht es zusammen und teilt die Summe (806.348 DM) durch zwei. Demgemäß entfielen auf jede Partei 403.174 DM, so daß der Beklagte 133.111 DM mehr erhalten habe, als ihm bei hälftiger Teilung zustehe. Von diesem "Mehrbetrag" zieht es den Wert der "tatsächlich erbrachten" Gegenleistungen des Beklagten (Rente und Pflege) an den Erblasser ab, den es mit 6.250 DM bemißt. Den hieraus errechneten Betrag von 126.861 DM billigt das Berufungsgericht dem Kläger anscheinend sowohl aus dem Gesichtspunkt eines "Ausgleichsanspruchs" als auch aus § 2287 BGB zu.
Diese Entscheidung ist rechtsfehlerhaft. Der Kläger hat weder einen auf Zahlung gerichteten "Ausgleichsanspruch", noch sind die Voraussetzungen für einen Bereicherungsanspruch aus § 2287 BGB festgestellt.
I.
Wie bereits in BGHZ 82, 274 im einzelnen ausgeführt und begründet ist, ist nicht zweifelhaft, daß der Kläger im vorliegenden Fall den Schutz des § 2287 BGB genießt; dieser Schutz reicht aber, wie der Senat BGHZ 82, 277 ff. betont hat, erheblich weniger weit, als das Berufungsgericht angenommen hatte.
1.
§ 2287 BGB setzt (auch) voraus, daß der Erblasser berechtigte Erberwartungen eines (Vertrags- oder) Schlußerben objektiv beeinträchtigt. Ist das nicht der Fall, dann kann eine etwa dennoch in Benachteiligungsabsicht vorgenommene Schenkung des Erblassers dem Schlußerben keinen Anspruch aus dieser Vorschrift verschaffen. Dementsprechend kann auch ein begründeter Anspruch aus § 2287 BGB nicht höher sein als die durch die Schenkung herbeigeführte Beeinträchtigung des Schlußerben, und zwar selbst dann nicht, wenn der Erblasser eine darüber hinausgehende Benachteiligung beabsichtigt haben sollte.
2.
Dieser Gesichtspunkt ist im vorliegenden Fall deshalb von Bedeutung, weil der Erblasser die aufgrund des Vertrages vom 1. August 1975 übertragenen Grundstücke nicht schlicht weggeschenkt (im Sinne einer gemischten Schenkung), sondern dem Beklagten als einem der beiden Schlußerben "im Wege der vorweggenommenen Erbfolge", d.h. auf seinen Erbteil zugewendet hat. Die damit angeordnete Ausgleichung gemäß §§ 2052, 2050 Abs. 3 BGB (vgl. BGHZ 82, 278 Abs. 3; statt zweimal "Ausgleichsanordnung" muß es dort und in den Leitsätzen S. 274 Ausgleichungsanordnung heißen, richtig aber Bl. 308, 312 R d.A.) hat zur Folge, daß der Kläger von dem tatsächlich vorhandenen Nachlaß bei der Auseinandersetzung erheblich mehr zu erhalten hat als der Beklagte. Wenn der Nachlaß nicht "mehr" enthält, als der Beklagte aufgrund des Vertrages vom 1. August 1975 schon hat, fällt das gesamte Restvermögen des Erblassers sogar vollständig an den Kläger. Die Ausgleichung gemäß §§ 2052, 2050 Abs. 3 BGB gibt dem Kläger keinen "Ausgleichsanspruch" (Zahlungsanspruch), sondern modifiziert lediglich die Teilungsquote (vgl. BGHZ 96, 174). Das hat das Berufungsgericht sich nicht klar gemacht.
Es liegt auf der Hand, daß eine derartige Ausgleichung ihren Teil zu einer "gerechten Verteilung" des Erblasservermögens unter die Parteien beiträgt. Reicht der Nachlaß aus, die Parteien mit Hilfe der Ausgleichung völlig gleichzustellen, dann bleibt für § 2287 BGB kein Anwendungsbereich übrig, eben weil die "berechtigten Erberwartungen" des Klägers nicht beeinträchtigt sind. Lediglich soweit eine derartige Gleichstellung der Parteien mit Hilfe der Ausgleichung noch nicht erreicht werden kann (weil der Nachlaß dafür nicht ausreicht), kommt § 2287 BGB ("wegen des Mehrbetrages") zur Stützung des Klageantrages überhaupt nur in Betracht.
3.
Das Berufungsgericht hat bisher lediglich den Wert der im Nachlaß verbliebenen Grundstücke zum Todestag ermittelt und hält es nicht für nötig festzustellen, welchen Wert der sonstige Nachlaß des Erblassers hatte, weil der Prozeßstoff hierzu - im Hinblick auf die teilweise noch beim Landgericht anhängige Stufenklage des Klägers - noch im ersten Rechtszug verblieben sei. Für den Senat ist daher völlig offen, ob und in welchem Umfang der Kläger - bei Berücksichtigung der Ausgleichung - durch die Grundstücksübertragungen an den Beklagten im Sinne von § 2287 BGB überhaupt beeinträchtigt ist.
Unter diesen Umständen kann das angefochtene Urteil nicht bestehen bleiben. Die erforderlichen Feststellungen über den Wert des sonstigen Nachlasses werden nachzuholen sein (vgl. dazu auch Bl. 70 d.A.).
II.
Für die neue Berufungsverhandlung ist weiter auf folgendes hinzuweisen:
1.
Das Berufungsgericht hat den Wert der Gegenleistungen, die der Beklagte dem Erblasser aufgrund des Vertrages vom 1. August 1975 zu erbringen hatte, zum Stichtag - 21. Oktober 1975 - auf 33.000 DM geschätzt. Gleichwohl kürzt es den Wert der übertragenen Grundstücke bei der Feststellung des Umfange der (gemischten) Schenkung nur um den Wert von tatsächlich erforderlichen Leistungen in Höhe von 6.250 DM. Das ist rechtlich bedenklich.
Wie das Berufungsgericht an anderer Stelle selbst hervorhebt, setzt eine gemischte Schenkung, wie sie hier in Betracht zu ziehen ist, eine Einigung über die Unentgeltlichkeit des nicht durch die Gegenleistung abgegoltenen Teils der Zuwendung voraus. Nur derjenige Teil der Zuwendung, über dessen Unentgeltlichkeit die Beteiligten sich geeinigt haben, ist Schenkung im Sinne von § 516 BGB und für § 2287 BGB von Bedeutung. Deshalb kommt es im Grundsatz auf die Sicht der Vertragspartner und in diesem Rahmen auch auf die Lebenserwartung des Erblassers an. Das hat das Berufungsgericht bei der Feststellung der - teilweisen - Unentgeltlichkeit des Geschäfts zutreffend gesehen. Den Anspruch aus § 2287 BGB höher zu bemessen als den Wert der Schenkung (des geschenkten Teiles), geht nicht an.
2.
Im Rahmen der Ausgleichung gemäß §§ 2050 Abs. 3, 2052 BGB wird das Berufungsgericht zu berücksichtigen haben, daß es nicht genügt, den Wert der - gemischten - Schenkung an den Beklagten zur Zeit der Zuwendung festzustellen. Vielmehr ist dieser Betrag im Hinblick auf den Geldwertschwund noch vom 21. Oktober 1975 auf den Todestag am 22. Mai 1976 nach den Grundsätzen von BGHZ 65, 75, 77; 82, 274, 278 f. umzurechnen. Das hat das Berufungsgericht übersehen.
3.
Das Berufungsgericht meint, auf ein lebzeitiges Eigeninteresse des Erblassers an der gemischten Schenkung komme es im Hinblick auf dessen festgestellte Benachteiligungsabsicht ("mithin") nicht an. Diese Auffassung stimmt mit der Rechtsprechung des Senats nicht überein. In BGHZ 82, 274, 282 ist sogar ausdrücklich betont, daß der Mißbrauch der dem Erblasser verbliebenen lebzeitigen Verfügungsbefugnis, den § 2287 BGB voraussetzt, zu der (praktisch immer vorliegenden) Benachteiligungsabsicht hinzu treten muß. Zudem hat das Berufungsgericht den Gesichtspunkt des lebzeitigen Eigeninteresses unzulässigerweise auf die Aussicht einer Versorgung durch die landwirtschaftliche Alterskasse verengt.
4.
Das Berufungsgericht hat dem Kläger Zinsen seit dem 20. Juli 1977 zugebilligt, obwohl die zugesprochene Zahlungsklage nicht vor dem 4. Februar 1982 rechtshängig geworden ist. Ob es sich bei der Einführung dieses Zahlungsantrages in den Rechtsstreit nicht um eine Klageänderung handelt, wie das Berufungsgericht zur Begründung anführt, ist für den Beginn der Verzinsung ohne Bedeutung.
Unterschriften
Dr. Hoegen Rottmüller
Dr. Lang
Dehner
Dr. Schmidt-Kessel
Fundstellen