Leitsatz (amtlich)

Zur Frage der groben Fahrlässigkeit bei Hereinnahme abhanden gekommener Inhaber-Verrechnungsschecks durch Kreditinstitute.

 

Normenkette

BGB §§ 990, 989 i.V.m; ScheckG Art. 21

 

Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 25.01.1995; Aktenzeichen 21 U 204/93)

LG Frankfurt am Main

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 23. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 25. Januar 1995 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin verlangt von der beklagten Sparkasse Schadensersatz, weil diese einen abhandengekommenen Inhaber-Verrechnungsscheck zum Inkasso angenommen hat.

Der auf die Sparkasse H. gezogene Scheck über 179.343,04 DM war von der Klägerin zusammen mit anderen Unterlagen in einem gewöhnlichen Brief an einen ihrer Gläubiger übersandt worden und unter nicht geklärten Umständen in die Hände des griechischen Staatsangehörigen D. gelangt. Dieser reichte den Scheck am 24. April 1992 bei der Geschäftsstelle der Beklagten in Ha. zugunsten des bei der Filiale der Beklagten in E. geführten Kontos seines – schon etwa ein Jahr vorher wieder nach Griechenland zurückgekehrten – Landsmanns S. ein, für das er Kontovollmacht hatte. Der Gegenwert wurde von der zentralen Scheckabteilung der Beklagten am 27. April 1992 mit Wertstellung zum 28. April 1992 „Eingang vorbehalten” gutgeschrieben. Auf Verlangen des Scheckeinreichers, der sich durch einen Reisepaß auswies, zahlte die Hauptstelle der Beklagten noch vor Eingang der Deckung am 30. April 1992 175.000 DM in bar aus. Der Scheck ist von der Sparkasse H. eingelöst worden. D. hat sich ins Ausland abgesetzt.

Die Klägerin verlangt Ersatz in Höhe des Scheckbetrags zuzüglich eines entgangenen Skontos in Höhe von 4.091,90 DM.

Die Klage war in den Vorinstanzen erfolglos. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Ersatzanspruch weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht verneint unter Hinweis auf die bisherige Rechtsprechung eine grobe Fahrlässigkeit der Beklagten beim Erwerb des Schecks: Auch bei erkennbar kaufmännischen Zwecken dienenden Inhaberverrechnungsschecks über höhere Summen sei die Disparität zwischen dem im Scheck ausgewiesenen Begünstigten und dem Einreicher kein verdächtiger Umstand, der eine gesteigerte Sorgfaltspflicht der Beklagten auslöse; es liege gerade im Wesen des Inhaberschecks, daß er ohne Indossament weitergegeben werde. Auch eine die sonstigen Umstände berücksichtigende Gesamtschau begründe keinen Anlaß für den Vorwurf grober Fahrlässigkeit beim Erwerb des Schecks. Soweit die Klägerin geltend mache, nach einem Wandel in den geschäftlichen Gepflogenheiten innerhalb der letzten Jahre sei es im heutigen kaufmännischen Zahlungsverkehr – jedenfalls in größeren Unternehmen – ausgeschlossen, daß Inhaberschecks zahlungshalber weitergegeben würden (unter Beweis gestellt durch Sachverständigengutachten und Auskunft der Industrie- und Handelskammer), sei das Vorbringen nicht substantiiert genug und die Beweisbehauptung „ins Blaue hinein” aufgestellt.

II.

Das hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

Die vom Berufungsgericht vorgenommene und grundsätzlich dem Tatrichter vorbehaltene (vgl. Senatsurteil vom 16. März 1993 – XI ZR 103/92 – NJW 1993, 1583, 1584 m. Nachw.) Beurteilung, daß die Beklagte bei Hereinnahme des Schecks nicht grob fahrlässig gehandelt hat, weist auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung keine Rechtsfehler auf. Das Urteil leidet jedoch an Verfahrensmängeln.

1. Die Bedeutung der Disparität zwischen dem Scheckbegünstigten und dem Scheckeinreicher für die Begründung eines Fahrlässigkeitsvorwurfs gegen das den Scheck zum Inkasso hereinnehmende Kreditinstitut hängt wesentlich davon ab, ob es im kaufmännischen Geschäftsverkehr nicht unüblich ist, Inhaberverrechnungsschecks zahlungshalber weiterzugeben. Wäre eine solche Weitergabe unüblich, müßte bei Einreichung eines an einen Dritten adressierten Schecks notwendig die Frage nach der Verfügungsberechtigung des Inhabers gestellt und die Scheckberechtigung überprüft werden. Die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beruht auf dem jeweils nicht substantiiert bestrittenem Vorbringen, Inhaber-Verrechnungsschecks würden – entsprechend der rechtlichen Möglichkeit – im kaufmännischen Verkehr von dem im Scheck Begünstigten durchaus zahlungshalber wieder in Verkehr gebracht (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juni 1988 – II ZR 295/87 – NJW 1988, 2798; Senatsurteil vom 16. März 1993 aaO m. Nachw.). Die Richtigkeit einer solchen Behauptung, die jeweils die Grundlage der bisherigen Entscheidungen bildete, ist in Zweifel gezogen worden: Sie sei zwar für die Vergangenheit möglicherweise richtig, jedoch heute „offensichtlich falsch” (Aden NJW 1994, 413, 416). In Deutschland sei es völlig ungewöhnlich, empfangene Schecks zahlungshalber weiterzugeben. Gegen den von der Rechtsprechung angenommenen Erfahrungssatz spreche, daß ein regelmäßig mit Krediten arbeitender Kaufmann aus Zinsgründen und wegen des Risikos der Ausstellerinsolvenz ein Interesse an einer schnellen Gutschrift des Scheckbetrages habe und der Scheckbetrag so gut wie nie mit der Höhe der Schuld identisch sei, für deren Begleichung er angeblich weitergegeben werde; außerdem werde ein Kaufmann auch kaum durch die Weitergabe des Schecks offenbaren, mit wem er in welchem Umfang Geschäfte mache.

Trifft das zu, kommt also – wie die Klägerin behauptet – eine Weitergabe von Inhaberschecks (insbesondere über höhere Beträge) im kaufmännischen Verkehr praktisch nicht mehr vor, ist der bisherigen Beurteilung der Fahrlässigkeit bei der Hereinnahme sog. disparischer Schecks der Boden entzogen; bei derartigen Schecks müßte die Verfügungsberechtigung durch Rückfrage beim Scheckbegünstigten oder beim Scheckaussteller intensiver als bisher geprüft werden, um den Vorwurf einer grob fahrlässigen Scheckhereinnahme zu vermeiden (vgl. Nobbe, Neue höchstrichterliche Rechtsprechung zum Bankrecht 6. Aufl. Rdn. 525, 526).

Das Berufungsgericht hätte deshalb der unter Beweis gestellten Behauptung der Klägerin nachgehen und durch Einholung einer auf den Zeitpunkt der Scheckeinreichung bezogenen Auskunft der IHK und gegebenenfalls eines Sachverständigengutachtens überprüfen müssen, ob es im kaufmännischen Verkehr – insbesondere bei Großunternehmen und bei hohen Scheckbeträgen – unüblich ist, Inhaberschecks zahlungshalber weiterzugeben.

2. Die Prüfung der Verfügungsberechtigung des Einreichers eines disparischen Schecks ist auch dann erforderlich, wenn das hereinnehmende Kreditinstitut weiß, daß der im Scheck Ausgewiesene zu seinen Gunsten ausgestellte Scheck grundsätzlich nicht wieder zahlungshalber in Verkehr gibt. Wird unter solchen Umständen eine Prüfung nicht vorgenommen, kann der Vorwurf grober Fahrlässigkeit gerechtfertigt sein.

Das Berufungsgericht hätte deshalb auch den angebotenen Zeugenbeweis über die Behauptung der Klägerin erheben müssen, die mit der Hereinnahme und Verbuchung des eingereichten Schecks befaßten Angestellten der Beklagten hätten gewußt, daß die Scheckbegünstigte Inhaberverrechnungsschecks nicht an Dritte weitergebe.

III.

Aus diesen Gründen war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

 

Unterschriften

Schimansky, Dr. Halstenberg, Dr. Schramm, Nobbe, Dr. van Gelder

 

Fundstellen

Haufe-Index 875206

BB 1996, 556

NJW 1996, 657

Nachschlagewerk BGH

ZIP 1996, 270

JuS 1996, 556

ZBB 1996, 62

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