Leitsatz (amtlich)
›Die durch die vorzeitige Rückgewähr eines Kredits bewirkte unmittelbare Gläubigerbenachteiligung bildet keine Grundlage für die anfechtungsrechtliche Rückforderung der Hauptschuld selbst, wenn der Gemeinschuldner die Forderung bei Eintritt der Fälligkeit ebenfalls rechtlich wirksam hätte erfüllen können.‹
Verfahrensgang
LG Magdeburg |
OLG Naumburg |
Tatbestand
Der Kläger ist Verwalter in dem am 23. Juni 1993 eröffneten Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der E. GmbH, M. (nachfolgend als Gesellschaft oder Gemeinschuldnerin bezeichnet), der Beklagte war einer von sieben Gesellschaftern sowie alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer. Er gewährte der Gesellschaft im Jahre 1992 mehrere Darlehen, die Anfang Dezember 1992 bis auf einen Betrag von 90.000 DM zurückgezahlt waren.
Die Bilanz der Gesellschaft vom 31. Dezember 1992 war ausgeglichen. Auf Veranlassung des Beklagten wurde am 25. Februar 1993 eine Gesellschafterversammlung durchgeführt. Die Gesellschafter beschlossen, mehreren Mitarbeitern wegen ungünstiger Entwicklung der Auftragslage zu kündigen sowie die bisher geleisteten Bürgschaften von 35.000 DM auf 100.000 DM zu erhöhen, um weiteren Bankkredit zu erhalten. Gleichzeitig wurde festgestellt, daß den aktuellen Verbindlichkeiten von rund 600.000 DM Betriebsvermögen und Forderungen gegen Dritte in etwa gleicher Höhe gegenüberstanden.
Am 2. März 1993 veranlaßte der Beklagte die Überweisung des Betrages von 90.000 DM an sich selbst. Am 15. April 1993 stellte er den Antrag, das Gesamtvollstreckungsverfahren zu eröffnen.
Der Kläger verlangt vom Beklagten im Wege der Anfechtung nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 und 2 GesO sowie aus § 32 a GmbHG die Rückzahlung der Anfang März 1993 erhaltenen 90.000 DM. Der Verwalter behauptet, der Beklagte habe bei Vorbereitung der Gesellschafterversammlung vom 25. Februar 1993 spätestens am 10. Februar gewußt, daß sich die Gesellschaft in ernsten finanziellen Schwierigkeiten befinde. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht ihr mit Ausnahme eines Teils der Zinsen stattgegeben. Mit der Revision erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
I. Das Berufungsgericht hat die Anfechtung gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 2 GesO durchgreifen lassen und zur Begründung ausgeführt:
Die Auszahlung des Betrages an den Beklagten habe zu einer Benachteiligung der Gläubiger geführt; denn die vorhandene Masse reiche nicht zur Befriedigung aller Ansprüche aus. Bei einer Verfahrenseröffnung wegen Zahlungsunfähigkeit spreche der Anscheinsbeweis für eine Unzulänglichkeit des Aktivvermögens der Masse. Der Beklagte habe keine Tatsachen bewiesen, die geeignet seien, diesen Anschein zu erschüttern.
Daher werde zu Lasten des Anfechtungsgegners vermutet, daß er die Absicht der Gemeinschuldnerin, die Gläubiger zu benachteiligen, gekannt habe. Dem Beklagten sei der ihm obliegende Gegenbeweis nicht gelungen.
II. Gegen diese Erwägungen wendet sich die Revision mit Erfolg. Auf der Grundlage der im Berufungsurteil enthaltenen tatsächlichen Feststellungen sind die Voraussetzungen für eine Anfechtung nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 GesO nicht erfüllt.
1. § 10 Abs. 1 Nr. 2 GesO ist der Vorschrift des § 31 Nr. 2 KO nachgebildet. Die Bestimmung setzt daher eine unmittelbare Gläubigerbenachteiligung voraus (BGHZ 129, 236, 240). Die Anfechtung kann nur dann begründet sein, wenn durch die Rechtshandlung selbst ohne Hinzutreten weiterer Umstände das Vermögen der Gemeinschuldnerin gemindert worden ist. Hat sie für das, was sie aufgegeben hat, eine gleichwertige Gegenleistung erhalten, fehlt es an einer unmittelbaren Gläubigerbenachteiligung (BGHZ 128, 184, 187; 129, 236, 240).
2. Anders als nach § 31 Nr. 2 KO können nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 GesO nicht nur Verträge, sondern darüber hinaus alle Leistungen angefochten werden, durch die ein unmittelbarer Nachteil für das Vermögen des Gemeinschuldners entstanden ist. Zu den nach dieser Vorschrift anfechtbaren Rechtshandlungen zählt daher auch die Tilgung einer Verbindlichkeit.
a) Die Gläubiger sind durch die Zahlung an den Beklagten unmittelbar benachteiligt worden, wenn es an einer rechtsbeständigen Verpflichtung der Gesellschaft zur Rückzahlung des Darlehens fehlte (vgl. BGHZ 129, 236, 240). Davon kann jedoch gegenwärtig nicht ausgegangen werden.
Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte das Darlehen, für dessen Rückerstattung eine Zeit nicht bestimmt war, vor dem 2. März 1993 gekündigt hatte. Der Kläger behauptet, der Gesellschaft sei das vom Beklagten vorgelegte Kündigungsschreiben vom 9. Dezember 1992 nicht zugegangen. Es kann jedoch dahingestellt bleiben, ob der Beklagte die Forderung gemäß § 609 Abs. 1 BGB fällig gestellt oder als Geschäftsführer - sofern er vom Verbot des Selbstkontrahierens befreit war - auf die Einhaltung der Kündigungsfrist verzichtet hat. Diese Frage betrifft den Bestand des Anspruchs nicht. Nach der mit der Gemeinschuldnerin getroffenen Vereinbarung war der Beklagte berechtigt, das Darlehen jederzeit mit einer Frist von einer Woche zum Monatsende zu kündigen. Der unmittelbare Nachteil für die Gemeinschuldnerin kann also höchstens darin liegen, daß sie die Zahlung etwa vier Wochen zu früh erbracht hat und ihr die Nutzung des Geldes in diesem Zeitraum entgangen ist. Dieser Nachteil rechtfertigt indessen nicht die Rückforderung der Hauptschuld, sondern allenfalls Ansprüche wegen entgangener Nutzungsvorteile, die jedoch nicht geltend gemacht sind (vgl. BGHZ 129, 236, 242). Der durch die verfrühte Erfüllung einer rechtswirksamen Verpflichtung eingetretene Nachteil läßt sich nur ermitteln, indem die eingetretenen Folgen mit denen verglichen werden, die sich ergeben hätten, wenn die Gemeinschuldnerin erst bei Fälligkeit der Schuld gezahlt hätte. Mit der Berücksichtigung eines bloß hypothetischen Kausalverlaufs (vgl. dazu BGHZ 104, 355, 360; 121, 179, 187) hat dies nichts zu tun.
Ob die Anfechtung dann den Gesamtanspruch erfassen würde, wenn die Gemeinschuldnerin, hätte sie die Fälligkeit des Darlehensrückzahlungsanspruchs abgewartet, diesen nicht mehr mit Wirkung gegenüber der Masse hätte erfüllen können, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Entsprechende Voraussetzungen sind im Streitfall nicht gegeben, weil der Gesamtvollstreckungsantrag erst im April 1993 gestellt wurde.
Es kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger die Voraussetzungen dargetan hat, unter denen am 2. März 1993 ein Rückzahlungsanspruch des Beklagten nach den Regeln über die Umqualifizierung von vor Eintritt der Unternehmenskrise erbrachten Gesellschafterleistungen in Eigenkapitalersatz entfallen war (vgl. dazu BGHZ 121, 31, 35 f; 127, 336, 341; BGH, Urt. v. 19. Dezember 1994 - II ZR 10/94, WM 1995, 293, 294); denn das Berufungsurteil enthält keine diesbezüglichen Tatsachenfeststellungen. Der Senat hat sich daher auch nicht mit der Frage zu befassen, ob der Beklagte entsprechend §§ 30, 31 GmbHG zur Rückzahlung verpflichtet ist.
b) Das Berufungsgericht hat ebenfalls nicht festgestellt, ob das Vermögen der Gesellschaft noch ausreichte, alle fälligen Gläubigerforderungen zu befriedigen, als die Rückzahlung des Darlehens an den Beklagten erfolgte. Daher ist nicht auf die Frage einzugehen, ob und ggf. in welchem Umfang eine unmittelbare Gläubigerbenachteiligung im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 2 GesO allein deswegen zu bejahen ist, weil die spätere Gemeinschuldnerin eine infolge zwischenzeitlicher Überschuldung nicht mehr vollwertige Forderung getilgt hat (vgl. zum Recht der Kapitalaufbringung BGHZ 90, 370, 373; 125, 141, 145 f).
III. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben. Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat nicht möglich. Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand rechtfertigt sich die Anfechtung der Rückzahlung möglicherweise aus § 10 Abs. 1 Nr. 1 GesO wegen Gläubigerbenachteiligungsabsicht. Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit die insoweit erforderlichen tatsächlichen Feststellungen getroffen werden.
Für die neue Verhandlung und Entscheidung wird auf folgendes hingewiesen:
1. Für eine Anfechtung nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 GesO genügt eine mittelbare Gläubigerbenachteiligung. Es spricht der Anscheinsbeweis dafür, daß in dem eröffneten Verfahren die Konkursmasse nicht ausreicht, um alle Gläubigeransprüche zu befriedigen (vgl. BGH, Urt. v. 29. April 1986 - IX ZR 145/85, ZIP 1986, 787, zur Eröffnung wegen Überschuldung; v. 12. November 1992 - IX ZR 237/91, ZIP 1993, 271, zur Eröffnung wegen Zahlungsunfähigkeit). Gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, daß der bisherige Vortrag des Beklagten nicht geeignet sei, den Anscheinsbeweis zu erschüttern, wendet sich die Revision zu Unrecht. Der Beklagte hätte sich eingehend mit allen zum Vermögen der Gemeinschuldnerin gehörenden Posten befassen und aufzeigen müssen, daß es heute noch ausreicht, um die in § 13 GesO bezeichneten Ansprüche sowie alle Gläubigerforderungen zu tilgen. Entsprechende Tatsachen hat er nicht nachvollziehbar dargelegt.
2. § 10 Abs. 1 Nr. 1 GesO setzt - ebenso wie § 31 Nr. 1 KO - nicht voraus, daß die Benachteiligung der Gläubiger den Zweck und den Beweggrund des Handelns bildete. Vielmehr genügt es, daß der Nachteil als mutmaßliche Folge des Handelns erkannt und gebilligt wurde (vgl. BGHZ 124, 76, 81 f; Urt. v. 9. Januar 1997 - IX ZR 47/96, WM 1997, 436, 439). Die Beweislast trifft insoweit jedoch den Verwalter.
a) Hat die Gemeinschuldnerin dem Gläubiger eine inkongruente Deckung gewährt, liegt darin ein Beweisanzeichen für eine Benachteiligungsabsicht (BGHZ 123, 320, 326 m.w.N.). In diesem Zusammenhang kann daher Bedeutung gewinnen, ob der Beklagte das ihm zurückgewährte Darlehen gekündigt oder seitens der Gesellschaft wirksam auf die Einhaltung der Kündigungsfrist verzichtet hatte. Bei fehlender Fälligkeit ergab sich eine Inkongruenz jedoch nur insoweit, als dem Beklagten der streitgegenständliche Betrag etwa vier Wochen zu früh ausbezahlt wurde. Ist das Ausmaß der Inkongruenz nur gering, verliert sie in der Regel als Beweisanzeichen für eine Benachteiligungsabsicht an Bedeutung (BGH, Urt. v. 12. November 1992 - IX ZR 236/91, ZIP 1993, 276, 279). Droht bereits im Zeitpunkt der Leistung die Insolvenz, kann dies anders zu beurteilen sein.
b) In jedem Fall bedarf es einer erschöpfenden Berücksichtigung aller entscheidungserheblichen Umstände sowie der Erhebung der dafür angebotenen Beweise.
Dazu gehört im Streitfall insbesondere die Prüfung, ob am 25. Februar und in den Tagen danach bis zum 2. März 1993 für die Gesellschaft eine krisenhafte Situation eingetreten und dem Beklagten bewußt geworden war, daß das Unternehmen möglicherweise demnächst nicht mehr in der Lage sein werde, alle Gläubigerforderungen zu befriedigen. Das Vorbringen des Beklagten enthält gerade zu diesem Punkt umfangreiche Tatsachenbehauptungen. Wesentlich ist insbesondere, welchen kurzfristig zu realisierenden Wert die Außenstände der Gesellschaft nach dem Kenntnisstand des Beklagten besaßen, sowie ob und unter welchen Voraussetzungen die Norddeutsche Landesbank damals bereit war, der Gesellschaft weiteren Kredit zu gewähren.
Daß die Gesellschaft im Jahre 1992 anstelle von Bankkrediten Darlehen beim Beklagten und dem Gesellschafter G. aufnahm, besagt nichts, weil dies zu einer Zeit geschah, in der sich das Unternehmen wirtschaftlich nicht in einer finanziellen Krise befand. Die - für solche Geschäfte typische - Vereinbarung über die Abtretung von Forderungen sowie die Übereignung von Gegenständen zur Sicherung der Kreditforderungen des Beklagten, die entgegen der Feststellung des Berufungsgerichts nicht am 9. März 1993, sondern genau ein Jahr früher getroffen wurde, deutet für sich genommen ebenfalls nicht auf eine Benachteiligungsabsicht der Gemeinschuldnerin hin.
Auffällig ist demgegenüber, daß am 25. Februar 1993 die Entlassung mehrerer Mitarbeiter wegen fehlender Aufträge beschlossen wurde, der Beklagte seine Darlehensforderung an diesem Tage durch Bürgschaften der Mitgesellschafter absichern ließ und gleichwohl eine Woche später die Rückzahlung des Kredits an sich veranlaßte. Entgegen der Meinung der Revision liefert der Bescheid des Ministeriums für Arbeit und Soziales des Landes Sachsen-Anhalt über eine Zuwendung in Höhe von über 1,2 Mio DM keinen Hinweis dafür, daß der Beklagte Ende Februar/Anfang März 1993 die wirtschaftliche Situation positiv beurteilt hat; denn die Gesellschaft hatte zu diesem Zeitpunkt mit der geförderten Maßnahme noch nicht begonnen, was die Voraussetzung für die Auszahlung der öffentlichen Gelder bildete.
Fundstellen
Haufe-Index 2993716 |
DB 1997, 1563 |
BGHR DDR-GesO § 10 Abs. 1 Nr. 1 Benachteiligungsabsicht 5 |
BGHR DDR-GesO § 10 Abs. 1 Nr. 2 Gläubigerbenachteiligung 2 |
KTS 1997, 505 |
WM 1997, 921 |
ZIP 1997, 853 |
InVo 1997, 231 |
MDR 1997, 767 |