Leitsatz (amtlich)
Die in einem Bauelement verwirklichte Erfindung ist nicht schon dann ohne weiteres der Öffentlichkeit zugänglich, wenn die Bauelemente auf einer einzelnen, mit dem Herstellerbetrieb verbundenen Baustelle verwendet werden und die Erfindung nur bei Zerlegung der Bauelemente erkennbar wird.
Normenkette
EPÜ Art. 54 Abs. 2; PatG 1981 § 3 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Berufung gegen das Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 24. März 1998 wird auf Kosten der Kläger zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des unter Inanspruchnahme der Priorität einer von Rechtsanwalt S. in R. treuhänderisch für die Beklagte getätigten Voranmeldung in der Schweiz vom 23. April 1982 am 31. März 1983 angemeldeten europäischen Patents 0 092 693 (Streitpatents). Dieses betrifft ein „Schalungselement mit Hartschaum-Platten für die Mantelbauweise” und umfaßt neun Patentansprüche. Ein Einspruchsverfahren gegen das Streitpatent hat mit der Zurückweisung der Einsprüche geendet. Patentanspruch 1 des Streitpatents lautet in der Verfahrenssprache Deutsch:
„Schalungselement für die Mantelbetonbauweise mit zwei zueinander parallelen, vertikalen, gleiche Höhe sowie Länge aufweisenden Hartschaum-Platten (1, 2), die durch vertikale, metallische Querstege (3) mit zumindest teilweise geringerer Höhe als die Platten starr miteinander verbunden sind, dadurch gekennzeichnet, daß die Platten (1, 2) im wesentlichen ebene Seitenflächen aufweisen und daß die Querstege (3) an ihren beiden Endbereichen beidseitig angeordnete, voneinander getrennte in einer Druckzone jeder Platte (1, 2) gelegene Flanschlappen (30) und näher bei ihren Mittelbereichen wenigstens teilweise in einer Zugzone der Platten (1, 2) gelegene Durchbrüche (31) aufweisen, wobei die Druckzone und die Zugzone auf einen Belastungszustand des Schalungselementes bezogen sind, der beim mit unverfestigtem Beton gefüllten Schalungselement vorliegt.”
Wegen der unmittelbar oder mittelbar auf Patentanspruch 1 rückbezogenen weiteren Patentansprüche wird auf die Patentschrift des Streitpatents verwiesen.
Die nunmehr in Liquidation befindliche Klägerin zu 1, die früher als „…” firmiert hat, und der Kläger zu 2 haben geltend gemacht, daß das Streitpatent gegenüber dem Stand der Technik, wie ihn insbesondere die US-Patentschriften 3 788 020, 4 223 501 und 4 229 920 bildeten, nicht patentfähig sei, da es nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe. Sie haben sich weiter auf verschiedene mündliche Offenbarungen der von ihnen entwickelten „…”-Elemente berufen, die sie als der Patentfähigkeit entgegenstehend angesehen haben. Das Bundespatentgericht hat die Nichtigkeitsklage abgewiesen.
Im Berufungsverfahren, in dem die Kläger ihr Begehren auf umfassende Nichtigerklärung des Streitpatents für die Bundesrepublik Deutschland weiterverfolgen, haben sie sich zusätzlich auf die deutsche Patentschrift 25 59 426 gestützt. Weiter haben sie geltend gemacht, daß dem Streitpatent der in Anspruch genommene Zeitrang der Voranmeldung in der Schweiz nicht zukomme, weil zwischen den jeweiligen Anmeldern keine Identität bestehe und die Beklagte als Nachanmelderin nicht Rechtsnachfolgerin des Erstanmelders gewesen sei und zudem der Inhalt der Nachanmeldung über den der Erstanmeldung hinausgehe. Zum Zeitpunkt der Anmeldung des europäischen Patents sei der Öffentlichkeit aber durch mündliche Beschreibung und Benutzung ein fast identisches Schalungselement zugänglich gewesen.
Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen. Sie verteidigt das Streitpatent hilfsweise mit einem eingeschränkten Patentanspruch 1, an den sich weitere Patentansprüche 2 bis 8 anschließen sollen, wegen deren Wortlauts auf die Akten verwiesen wird.
Professor Dr.-Ing. C. G., Universität D., hat als gerichtlicher Sachverständiger ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg. Der Senat kann nicht feststellen, daß der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents im Sinn des Nichtigkeitsgrunds mangelnder Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG; Art. 138 Abs. 1 lit. a EPÜ) nicht schutzfähig ist. Die nachgeordneten Patentansprüche haben mit Patentanspruch 1, auf den sie rückbezogen sind, Bestand.
I. 1. Das Streitpatent betrifft ein Schalungselement für die Mantelbetonbauweise. Derartige Schalungselemente in Form einer „verlorenen” Schalung bestehen aus zwei zueinander parallelen Hartschaumplatten, die durch Querstege miteinander verbunden sind. Für die Erstellung senkrechter Mauern aus Beton werden solche Elemente, die in vorgegebenen Maßen vorgefertigt werden, in der erforderlichen Anzahl übereinander- und nebeneinandergestellt und sodann ausbetoniert. Die Hartschaumplatten bleiben nach dem Ausbetonieren stehen und bilden eine beidseitige Isolationsschicht an der Mauer.
Solche Schalungselemente waren bekannt; das Streitpatent nennt hierzu u.a. die österreichische Patentschrift 326 879 und die schweizerische Patentschrift 519 066. Es bemängelt an den bekannten Elementen, daß die Stege in starken inneren Vorsprüngen der somit unebenen Schaumstoffplatten eingeschäumt seien, wodurch sich Schwächungsstellen im Beton bildeten, die sich feuertechnisch, akustisch und hinsichtlich der Befestigung von Gegenständen in der Mauer, aber auch statisch ungünstig auswirkten; zudem sei die Teilbarkeit eines Elements durch den groben Raster beschränkt.
2. Durch das Streitpatent soll demgegenüber ein Schalungselement zur Verfügung gestellt werden, das die genannten konstruktiven Nachteile vermeidet, in Herstellung und Verwendung vorteilhaft ist und eine widerstandsfähige Verbindung der beiden Hartschaumplatten aufweist (Beschreibung Sp. 1 Z. 42-48).
Hierzu lehrt das Streitpatent in seinem Patentanspruch 1 ein Schalungselement für die Mantelbetonbauweise
mitzwei Hartschaumplatten,
- die zueinander parallel und
- vertikal angeordnet sind,
- gleiche Höhe sowie Länge und
- im wesentlichen ebene Seitenflächen aufweisen und
- durch Querstege starr miteinander verbunden sind, wobei
dieQuerstege
- aus Metall und
- vertikal angeordnet sind,
- zumindest teilweise geringere Höhe als die Platten aufweisen,
an ihren beiden EndbereichenFlanschlappen aufweisen, die
- beidseitig angeordnet und
- voneinander getrennt sind und
- jeweils in einer Druckzone der Platten liegen,
Durchbrüche aufweisen, die
- näher bei den Mittelbereichen der Querstege und
- wenigstens teilweise in einer Zugzone der Platten liegen.
Patentanspruch 1 definiert dabei die Begriffe Druckzone und Zugzone durch einen Belastungszustand des Schalungselements, wie er nach Befüllung mit unverfestigtem Beton vorliegt. Die Beschreibung erläutert die Begriffe dahin, daß unter Druckzone die Zone verstanden wird, in der die Betonfüllung längs der Platten (im Bereich der Querstege) Druck erzeugt, unter Zugzone den Bereich, in dem die Betonfüllung einen Zug in der Plattenlängsrichtung erzeugt. Der gerichtliche Sachverständige hat hierzu ausgeführt, daß die Hartschaumplatten infolge des Betondrucks im statischen Sinn plattenförmig beansprucht werden, so daß Druck- und Zugspannungen in der Plattenebene hervorgerufen werden. Solche konzentrierten Zugspannungen treten besonders an den Einbindestellen der Querstege auf den Innenseiten der Platten auf. Da in diesem Bereich der Querschnitt der Platten geschwächt wird, ist deren Tragfähigkeit deutlich gemindert; bei Überbeanspruchung würde ein Bruch entlang der Einbindestellen mit der Folge auftreten, daß die Querstege ausreißen und die Platten brächen. Durch die Löcher in der Zugzone dringt beim Herstellen der Platten Schaum, wodurch die Querschnittsverminderung deutlich vermindert wird, weshalb im Bereich der Durchbrüche Zugspannungen übertragen werden können und die Tragfähigkeit der Platten ansteigt.
Die nachstehend wiedergegebene Figur 4 des Streitpatents zeigt eine schematische perspektivische Darstellung eines Schalungselements:
Dabei bezeichnen die Bezugszeichen 1 und 2 die Hartschaumplatten, 3 einen Quersteg, 30 die Flanschlappen und 31 die Durchbrüche.
3. Als Vorteile der patentgemäßen Lösung gibt die Beschreibung des Streitpatents u.a. an, daß die Innenseite der Platten im wesentlichen eben, d.h. ohne Verankerungsvorsprünge, ausgebildet werde, ohne daß die Verankerungskraft vermindert werde. Der feuerhemmende, aus Metall bestehende Steg unterstütze die Lochfreiheit der Mauer. Die Anordnung einer Mehrzahl von durch Unterbrüche getrennten Flanschlappen bewirke eine erstaunliche Steigerung der Verankerungskraft, die durch das Anbringen in der Druckzone des Elements noch vergrößert werde. Durch die Anordnung von Durchbrechungen in den Stegen zumindest teilweise in der Zugzone könne die Ausreißkraft zusätzlich gefördert werden.
II. 1. Mit dem sachkundig besetzten Bundespatentgericht und in Übereinstimmung mit den Angaben des gerichtlichen Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung kann der Senat nicht feststellen, daß der druckschriftlich belegte Stand der Technik, wie ihn insbesondere die US-Patentschrift 3 788 020, die weitgehend mit der in der Beschreibungseinleitung genannten österreichischen Patentschrift 326 879 übereinstimmt die weiteren US-Patentschriften, 4 223 501 und 4 229 920 sowie die deutsche Offenlegungsschrift 25 59 426 bilden, den Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents im Sinn der Art. 52, 54, 56 EPÜ vorweggenommen oder für den Fachmann, einen Fachhochschulingenieur der Fachrichtung Bauwesen mit einigen Jahren Berufserfahrung, derart nahegelegt hätte, daß es zu seinem Auffinden keines erfinderischen Zutuns bedurft hätte.
2. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents ist gegenüber dem druckschriftlichen Stand der Technik neu (Art. 54 EPÜ).
a) Die US-Patentschrift 3 788 020 (Gregori) zeigt und beschreibt ebenfalls ein Schalungselement für die Mantelbauweise, die dort als selbsttragende, verlorene Bauform aus Polymer-Schaumstoff bezeichnet wird. Eine Ausführungsform ist in der nachstehend wiedergegebenen Figur 1 (übereinstimmend in der österreichischen Patentschrift 326 879) dargestellt:
Sie unterscheidet sich von dem Gegenstand nach Patentanspruch 1 des Streitpatents jedenfalls dadurch, daß die Platten nicht im wesentlichen ebene Seitenflächen aufweisen (Merkmal 1.4). Weiter liegen die Flanschlappen der Querstege nicht im Druckbereich der Platte, sondern in den Wülsten und damit ebenso wie die Durchbrüche sogar noch jenseits der Zugzone der ebenen Platte, wie der gerichtliche Sachverständige bei seiner Befragung überzeugend bekundet hat; auch die Parteien haben dies nicht in Zweifel gezogen. Damit sind auch die Merkmale (2.4.3) und (2.5.2) nicht verwirklicht.
b) Die US-Patentschrift 4 223 501 (DeLozier) zeigt und beschreibt ebenfalls eine selbsttragende Betonform als Polymermaterial mit zwei Seitenwänden und einem Querverbinder aus Blech; insoweit entspricht sie dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents. Die nachstehend wiedergegebene Figur 2 zeigt eine Ausführungsform:
Auch hier sind die Innenwände der Seitenwandelemente nicht im wesentlichen eben, sondern mit vorspringenden, sich vertikal erstreckenden Rippen versehen, weshalb Merkmal (1.4) nicht verwirklicht ist. Die Querverbinder, die im Mittelteil aus flachem Blech bestehen, weisen an den Enden flache Befestigungsflansche auf. Diese sind so angeordnet, daß sie in relativ geringem Abstand von der Außenoberfläche des Seitenwandelements verlaufen, wodurch ermöglicht werden soll, sie als mechanische Aufnahme für selbstschneidende Befestigungsglieder zu verwenden (Beschreibung Sp. 4 Z. 12-14). Flanschlappen mit einer Ausgestaltung im Sinn der Merkmale (2.4.1) und (2.4.2) sind nach dieser Entgegenhaltung nicht vorgesehen.
c) Die US-Patentschrift 4 229 920 (Lount) zeigt und beschreibt eine Kunststoffschaum-Betonform sowie Verbinder dafür. Anders als bei den in den vorgenannten Entgegenhaltungen beschriebenen Elementen weist die Betonform nach dieser Entgegenhaltung Platten aus Polymerschaum auf, die, wie insbesondere die nachstehend wiedergegebene Figur 1 in Aufsicht und Figur 2 zeigen, auch auf ihrer Innenseite im wesentlichen eben sind:
In die Platten werden bei der Herstellung Verbinderanker so eingebettet, daß Teile von ihnen über die Innenoberfläche der Platten vorstehen, während die Anker im übrigen in die Platte eingebettet sind. Die Anker bestehen vorzugsweise aus Kunststoff. Verbinder, die ebenfalls vorzugsweise aus Kunststoff bestehen, können in gegenüberliegende Ankerteile gleitend eingreifen und dort in hier nicht näher interessierender Weise reibschlüssig fixiert werden. Damit verwirklicht die Entgegenhaltung zwar die Merkmalsgruppe (1) mit Ausnahme des die Querstege betreffenden Merkmals (1.5), sie weist aber keine Querstege im Sinn der Merkmalsgruppe (2) auf.
d) Die deutsche Patentschrift 25 59 426 (Pistner) betrifft eine Vorrichtung zur Errichtung einer Wand mittels verlorener Schalungsplatten mit in deren Nuten eingreifenden gesicherten Abstandhaltern, bei der eine stabile Befestigung aneinanderstoßender Schalungsplatten wie auch die Gesamtstabilität der Wand gewährleistet sind. Hierzu werden Nuten für den Eingriff klammerartiger Sicherungsmittel an den Innenflächen der Schalungsplatten angeordnet. Die Abstandhalter werden durch Streben diagonal versteift oder selbst als diagonale Streben ausgebildet. Dazu sind kombinierte Abstandhalter und Zuganker vorgesehen, von denen in Figur 4 – 7 verschiedene Ausgestaltungen vorgestellt werden. Die Abstandhalter können einstückig oder aus mehreren Teilstücken zusammengesetzt sein. Die zwischen zwei aneinanderstoßenden Schalungsplatten eingesetzten Abstandhalter sind nach beiden Seiten abgekantet, wobei zusätzlich Ausstanzungen verwendet werden können, wie dies u.a. Figur 19 zeigt, auf die die Kläger sich gegenüber Patentanspruch 3 des Streitpatents gestützt haben:
3. Der Senat kann nicht feststellen, daß der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents durch die Zusammenschau dieser Entgegenhaltungen nahegelegt wäre (Art. 56 EPÜ). Dabei geht der Senat von der US-Patentschrift 4 229 920 (Lount) als nächstkommendem Stand der Technik aus, die als einzige in Übereinstimmung mit dem Streitpatent ein Schalungselement für eine verlorene Schalung mit ebenen Innenwänden betrifft. Zwar konnte der Fachmann erkennen, daß die in dieser Entgegenhaltung beschriebene Konstruktion, insbesondere, was das Verankerungsteil betrifft, herstellungstechnisch aufwendig ist, und daß sie auch deshalb, weil erst auf der Baustelle die beiden Platten zusammenmontiert werden müssen, bei der Handhabung gewisse Schwierigkeiten bieten kann. Der Fachmann hatte deshalb Anlaß, sich nach Lösungen umzusehen, wie das Element nach dieser Patentschrift vereinfacht und verbessert werden konnte. Dabei wurde er durch den Hinweis in der Beschreibung auf das kanadische Patent 838 601 auch auf die Lehre gelenkt, die diese und die parallele US-Patentschrift 3 788 020 (Gregori) vermitteln. Aus der Zusammenschau dieser beiden Patentschriften konnte der Fachmann ohne erfinderische Leistung die Erkenntnis entnehmen, daß bei Schalungselementen mit auf der Innenseite ebenen Platten Querstege verwendet werden konnten, die in ihrer Ausbildung denen nach der US-Patentschrift 3 788 020 entsprechen. Er konnte aus dieser Veröffentlichung aber keinen Hinweis darauf entnehmen, die Flansche dieser Querstege in der Druckzone der Platten anzuordnen; hiervon führte ihm im Gegenteil die Anordnung der Flansche in den Wülsten bei dieser Entgegenhaltung weg. Die Erkenntnis, daß die Flansche in der Druckzone anzuordnen sind, vermittelte auch nicht die US-Patentschrift 4 229 920, da diese keine Querstäbe mit Flanschen aufweist und die damit allenfalls vergleichbaren Stäbe des Verankerungsteils bei dieser über die gesamte Dicke der Platte und nicht etwa gezielt im Druckbereich vorgesehen sind.
Die Vorteilhaftigkeit der Anordnung der Flansche im Druckbereich gehörte, wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend dargelegt hat, auch nicht zum technischen Allgemeinwissen oder zum Fachwissen des hier eher praktisch ausgerichteten Durchschnittsfachmanns, sondern setzte eine vertiefte Durchdringung der Materie voraus, die von einem Fachhochschulingenieur am Anmelde- wie am Prioritätstag nicht erwartet werden konnte. Eine entsprechende Erkenntnis konnte dem Fachmann auch die US-Patentschrift 4 223 501 (DeLozier) nicht vermitteln. Bei dieser Entgegenhaltung sind zwar einfach umgebogene Laschen im Druckbereich der Platten angeordnet. Der Fachmann wurde durch sie aber zu der Annahme gelenkt, daß diese Anordnung der Laschen in der Platte deshalb erfolgte, um einen stabilen mechanischen Halt für mit herkömmlichen Befestigungsmitteln außen anzubringendes Verkleidungsmaterial bereitzustellen (Beschreibung Sp. 4 Z. 28-36). Der gerichtliche Sachverständige hat hierzu angegeben, es sei zwar im Nachhinein bei Kenntnis der Erfindung nahezu selbstverständlich, daß die umgebogenen Laschen als Verankerungsmittel des Querverbinders in den Platten dienten, er hat es aber als zweifelhaft bezeichnet, ob der Durchschnittsfachmann dies zum maßgeblichen Zeitpunkt auch habe erkennen können. Allein daraus, daß die Entgegenhaltung wiederholt von einer selbsttragenden Form spricht, worauf die Kläger hinweisen, ergab sich die Erkenntnis, die Querträger im Druckbereich zu verankern, nicht, wie schon die US-Patentschrift 3 788 020 zeigt, die ebenfalls eine selbsttragende Form beschreibt, bei der aber die Verankerung gerade nicht im Druckbereich erfolgt. In Übereinstimmung mit den von Sachkunde getragenen und überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen kann der Senat deshalb nicht feststellen, daß eine Anordnung von Flanschen zur Verankerung des Querträgers in der Druckzone der Platten dem Fachmann nahegelegt war.
Dieses Ergebnis wird dadurch unterstützt, daß der gerichtliche Sachverständige auf dieser Grundlage die Lehre des Patentanspruchs 1 des Streitpatents als sehr geschickte Kombination der Vorteile der drei US-Patente bezeichnet hat. Diese Beurteilung spricht für eine erfinderische Leistung und steht mit der Feststellung entgegen, daß die Lehre des Streitpatents für den Fachmann naheliegend war.
III. Die von den Nichtigkeitsklägern in erster Instanz geltend gemachten Vorbenutzungshandlungen hat das Bundespatentgericht zutreffend als nicht durchgreifend erachtet, teils, weil diese die Lehre des Streitpatents nicht öffentlich zugänglich gemacht haben, teils, weil nicht festgestellt werden konnte, welche Lehre überhaupt offenbart worden sei. Die Nichtigkeitskläger haben sich im Berufungsverfahren auf diese Vorbenutzungshandlungen nicht mehr gestützt.
IV. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents wird auch nicht durch die Benutzungshandlungen im Prioritätsintervall, auf die sich die Nichtigkeitskläger im Berufungsverfahren gestützt haben, vorweggenommen oder nahegelegt. Es bedarf deshalb keines Eingehens auf die Frage, ob für das Streitpatent der Anmeldetag der Voranmeldung in der Schweiz nach Art. 87 Abs. 1 EPÜ zu Recht in Anspruch genommen worden ist.
Die Kläger haben sich – in der mündlichen Verhandlung unwidersprochen – darauf gestützt, daß patentgemäße Schalungselemente von einem zur Unternehmensgruppe der Beklagten gehörendes Unternehmen auf der Baustelle des Geschäftsführers dieses Unternehmens in B. im November 1982 eingebaut worden sei, nachdem die Beklagte es durch Dritte habe fertigen lassen, und daß es dort dem Kläger zu 2 wie einem weiteren Zeugen im Rahmen von Gesprächen über eine Vermarktung gezeigt worden sei. Hieraus folgt indessen entgegen der Auffassung der Kläger nicht, daß die Lehre des Streitpatents im Sinn des Art. 56 Abs. 2 EPÜ der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden wäre.
Öffentliche Zugänglichkeit ist zunächst zu verneinen, soweit sich die Kläger auf eine nicht näher spezifizierte Fertigung der Elemente durch Dritte stützen. Wie der Senat bereits wiederholt entschieden hat, ergibt sich aus einer Herstellung patentgemäßer Gegenstände durch ein Drittunternehmen ohne Hinzutreten besonderer Umstände, für die hier nichts ersichtlich ist, eine öffentliche Zugänglichkeit der Benutzung nicht (Sen.Urt. v. 10.11.1998 – X ZR 137/94, Mitt. 1999, 362/364 – Herzklappenprothese; Sen.Urt. v. 19.5.1999 – X ZR 67/98, GRUR 1999, 976/977 – Anschraubscharnier).
Es begründet auch bei der hier gebotenen typisierenden Betrachtungsweise (Senat aaO – Herzklappenprothese) keine öffentliche Zugänglichkeit, daß patentgemäße Schalungselemente im Prioritätsintervall auf der Baustelle in B. verwendet worden sind. Zwar kann im Einzelfall auch eine Verwendung auf einer Baustelle öffentliche Zugänglichkeit begründen. Anders als bei einer Lieferung patentgemäßer Gegenstände an Dritte zur Weiterveräußerung, bei der dies regelmäßig der Fall ist (Senat, aaO – Anschraubscharnier), liegt bei einer Verwendung auf einer Baustelle ein gleichermaßen typisch gelagerter Sachverhalt nicht vor. Das ergibt sich zunächst schon daraus, daß Dritten das Betreten einer Baustelle regelmäßig nicht ohne weiteres möglich sein wird. Typischerweise ist auch nicht damit zu rechnen, daß fachkundige Dritte eine Baustelle ohne besonderen Anlaß betreten. Die Untersuchungsmöglichkeiten für Dritte sind hier von vornherein nicht die gleichen wie bei einer Lieferung auf Grund eines Veräußerungsgeschäfts. Baumaterial kann von Dritten nicht einfach mitgenommen und einer Untersuchung zugeführt werden. Auf einer Baustelle kann daher mit einer nicht entfernt liegenden Möglichkeit der Kenntnisnahme einer in einem Bauelement verkörperten, nicht auf Grund bloßen Augenscheins erkennbaren Ausgestaltung des Bauelements nicht ohne weiteres gerechnet werden (vgl. BGHZ 136, 40, 47, 51 – Leiterplattennutzen; Sen.Beschl. v. 5.3.1996 – X ZB 13/92, GRUR 1996, 747 – Lichtbogen-Plasma-Beschichtungssystem). Weiter sind keine konkreten Umstände erkennbar, die für eine Wahrscheinlichkeit sprechen, daß die Schalungselemente in einer Weise beschädigt oder bearbeitet worden wären, daß die zunächst verborgen liegende Ausgestaltung der Querverbinder und ihrer Flansche nach außen sichtbar geworden wäre. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß der Sachverständige überzeugend angegeben hat, bei einer Beschädigung der Elemente sei damit zu rechnen, daß das Hartschaummaterial an dem Metall der Querverbinder hafte und deshalb auch in diesem Fall nicht ohne weiteres mit einem Zutagetreten zu rechnen sei. Im vorliegenden Fall kommt schließlich hinzu, daß es sich nicht um die Baustelle eines Außenstehenden, sondern des Geschäftsführers eines Unternehmens gehandelt hat, das mit der Beklagten wirtschaftlich verbunden war; dies rückt den zu beurteilenden Sachverhalt näher an den grundsätzlich öffentliche Zugänglichkeit nicht begründenden Bereich der Entwicklung und Erprobung heran.
Schließlich ergibt sich die öffentliche Zugänglichkeit der in dem Bauelement verkörperten Information auch nicht daraus, daß mit dem Kläger zu 2 und einem Zeugen auf der Baustelle unter Übergabe eines Musterstücks Gespräche über eine Vermarktung des Bauelements geführt worden sind. Es kann dabei dahinstehen, ob, wie dies das Europäische Patentamt mehrfach entschieden hat, Mitteilungen im Rahmen von Geschäftsbeziehungen oder bei deren Anbahnung in der Regel als vertraulich anzusehen sind (EPA T 818/93, referiert in Die Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA im Jahr 1996, Sonderausgabe zum Amtsblatt des Europäischen Patentamts 1997, S. 20 f; EPA T 480/95, ebenda S. 21). Jedenfalls ist in solchen Fällen eine auch konkludent mögliche Begründung einer Geheimhaltungspflicht (vgl. EPA T 830/90 ABl. EPA 1994, 713, 721 ff. = GRUR Int. 1995, 154 – Geheimhaltungsvereinbarung) ernsthaft in Betracht zu ziehen. Die Kläger haben hierzu nur pauschal behauptet, daß eine Geheimhaltungsvereinbarung nicht getroffen worden sei, während sich die Beklagte darauf gestützt hat, daß die Informationen in Lizenzverhandlungen eingebunden gewesen seien, weshalb von einer stillschweigenden Geheimhaltungsvereinbarung auszugehen sei. Diese nach den Umständen nicht von der Hand zu weisende Möglichkeit haben die insoweit als Angreifer beweisbelasteten Kläger nicht ausräumen können. Dies geht zu ihren Lasten und führt dazu, daß eine Zurechnung zum Stand der Technik auf Grund dieser Informationsweitergabe nicht festgestellt werden kann.
Der weitere Vortrag der Kläger zu einer Verwendung patentgemäßer Schalungselemente auf weiteren Baustellen ist zu pauschal, als daß an ihn Feststellungen über eine Zurechnung zum Stand der Technik geknüpft werden könnten.
V. Die Kostenentscheidung beruht nach dem übergangsrechtlich (Art. 29 des 2. PatGÄndG) weiterhin anzuwendenden § 110 Abs. 3 PatG i.d.F. der Bekanntmachung vom 16.12.1980 i.V.m. §§ 97, 100 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Rogge, Jestaedt, Melullis, Keukenschrijver, Meier-Beck
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 13.03.2001 durch Fritz Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 584939 |
DB 2001, 2193 |
BGHR 2001, 704 |
NJW-RR 2002, 1124 |
GRUR 2001, 819 |
Nachschlagewerk BGH |
MDR 2001, 1070 |
BPatGE, 280 |
Mitt. 2001, 250 |