Tenor
Die Berufung gegen das am 10. September 1996 verkündete Urteil des 4. Senats (Nichtigkeitssenats IV) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 23. November 1987 unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 27. November 1986 angemeldeten, erstreckten DD-Patents 275 208 (Streitpatents), das sechs Patentansprüche umfaßt und dessen Patentanspruch 1 wie folgt lautet:
„Extrusionskopf mit mindestens einem um eine Achse schwenkbaren Kopfteil, einem feststehenden Kopfteil [und] – an jeder Kopfseite – eine[m] Hydraulikzylinder zum Verspannen der Kopfteile zu einer betriebsfähigen Einheit,
dadurch gekennzeichnet,
daß jedem schwenkbaren Kopfteil (5; 105) – bei einem Extrusionskopf mit beweglichen Zwischenteilen (25; 26): jedem äußeren schwenkbaren Kopfteil – an jeder Seite je ein fest mit dem feststehenden Kopfteil (4) verbundener Hydraulikzylinder (11; 51; 52) zugeordnet ist, dessen Kolbenstange (12; 53; 54; 112) in Richtung auf das ggf. äußere schwenkbare Kopfteil (5), das an dem feststehenden Kopfteil (3; 4) bzw. an einem ggf. vorhandenen Zwischenteil (25; 26) anliegt, ausfahrbar ist, und daß zwischen dem freien Ende der Kolbenstange (12; 53; 54; 112) und dem ggf. äußeren beweglichen Kopfteil (5) eine auf Zug beanspruchbare, lösbare Verbindung zwischen dem Kopfteil und den Kolbenstangen vorgesehen ist.”
Die Klägerin hat mit ihrer Nichtigkeitsklage geltend gemacht, der Gegenstand des Patentanspruchs 1 sei nicht patentfähig. Die Beklagte ist dem entgegengetreten.
Durch Urteil vom 10. September 1996 hat das Bundespatentgericht das Streitpatent im Umfang seines Patentanspruchs 1 für nichtig erklärt.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Patentnichtigkeitsklage abzuweisen.
Die Klägerin ist diesem Begehren entgegengetreten.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des beratenden Ingenieurs und Sachverständigen für Kunststoffe Dr.-Ing. P. F., das dieser in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
I. Die Lehre zum technischen Handeln nach Anspruch 1 des Streitpatents liegt auf dem Gebiet der Herstellung von bahnen- oder streifenförmigen Erzeugnissen aus in den plastischen Zustand schmelzbaren und auspreßbaren Werkstoffen. Zu ihrer Produktion werden Spritz- oder Extrusionsköpfe verwendet. Ihr Inneres muß zugänglich sein, damit dort, insbesondere in den Kanälen, notwendige Reinigungsarbeiten vorgenommen werden können. Üblicherweise werden solche Vorrichtungen deshalb mit mindestens einem schwenkbaren Kopfteil ausgerüstet, so daß sie aufgeklappt werden können. Dies führt dazu, daß es zur Schaffung einer betriebsfähigen Einheit einer zuverlässigen Verspannung der festen mit den beweglichen Kopfteilen bedarf, die den beträchtlichen Drücken standhält, die im Inneren solcher Vorrichtungen auftreten. Bereits ein ganz geringfügiges Klaffen der Sitzflächen der Kopfteile kann ein maßhaltiges Spritzen beispielsweise der Lauffläche von Fahrzeugreifen unmöglich machen.
Die Streitpatentschrift schildert als bekannt, Kopfteile durch seitlich angeordnete Zugrahmen oder durch hakenförmige Klammern, die an seitlich an den beweglichen Kopfteilen angeordneten Knaggen angreifen, zu einer betriebsfähigen Einheit zusammenzupressen. Zum Öffnen der Zuführkanäle – so führt die Streitpatentschrift weiter aus – bedürfe es deshalb eines seitlichen Ausschwenkens der Verspannungsvorrichtungen; hierdurch ergebe sich bei den im einzelnen erwähnten Vorrichtungen des Standes der Technik ein erheblicher Platzbedarf; bei Vorrichtungen, bei denen Hydraulikzylinder den Schwenkrahmen ausschwenkten, seien außerdem flexible Druckmittelleitungen nötig, was erhebliche Werkstoffprobleme verursache.
Als Ziel der Erfindung wird sodann angegeben, mit der Neuerung einen Extrusionskopf zur Verfügung zu stellen, der in seiner Handhabung und funktionalen Verwendung vereinfacht ist.
II. Sieht man von der Möglichkeit der Verwendung beweglicher Zwischenteile ab, lehrt der Vorschlag nach Anspruch 1 des Streitpatents hierzu eine Vorrichtung, deren Merkmale sich wie folgt aufgliedern lassen:
Extrusionskopf mit
- einem um eine Achse schwenkbaren Kopfteil,
- einem feststehenden Kopfteil und
- einem Hydraulikzylinder zum Verspannen der Kopfteile zu einer betriebsfähigen Einheit.
- Dem schwenkbaren Kopfteil ist an jeder Seite je ein Hydraulikzylinder zugeordnet.
- Jeder Hydraulikzylinder ist mit dem feststehenden Kopfteil fest verbunden.
- Die Kolbenstange jedes Hydraulikzylinders ist in Richtung auf das schwenkbare Kopfteil, das an dem feststehenden Kopfteil anliegt, ausfahrbar.
Zwischen dem freien Ende der Kolbenstange und dem beweglichen Kopfteil ist eine Verbindung vorgesehen, die
- auf Zug beanspruchbar und
- lösbar ist.
Diese Anl. K 1 entnommene Merkmalsgliederung haben sowohl der gerichtliche Sachverständige seiner Begutachtung als auch beide Parteien ihrem Vortrag in der mündlichen Verhandlung zugrunde gelegt. Der Senat hat keine Bedenken, sie zur Verdeutlichung des patentgemäßen Vorschlages nach Anspruch 1 des Streitpatents zu verwenden.
III. Während die übrigen Merkmale näherer Erörterung nicht bedürfen, macht der Streit der Parteien ein Eingehen darauf erforderlich, welche gegenständliche Anweisung Anspruch 1 des Streitpatents im Hinblick auf die zum Verspannen der Kopfteile dienende, lösbare Verbindung (Merkmal 5) enthält.
Die Beklagte meint, zum Verspannen müßten die Kolbenstangen auf Zug beansprucht werden; ihr freies Ende müsse jeweils eine unmittelbare Verbindung mit dem schwenkbaren Kopfteil eingehen, indem es an ihm angreife; zum Lösen müsse das freie Ende – entsprechend seiner Bezeichnung – freigesetzt werden. Dem kann nicht beigetreten werden.
1. Der Streitpunkt der Parteien betrifft die Frage der Auslegung des Streitpatents. Sie beurteilt sich nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland. Nach § 5 ErstrG sind auf die am 1. Mai 1992 im Beitrittsgebiet bestehenden und gemäß § 4 ErstrG auf das übrige Bundesgebiet erstreckten Schutzrechte die im Beitrittsgebiet bisher geltenden Rechtsvorschriften nur noch anzuwenden, soweit es sich um die Voraussetzungen der Schutzfähigkeit und die Schutzdauer handelt. Zu diesen Voraussetzungen gehört die Patentauslegung nicht; sie dient der Erkenntnis, welche Lehre zum technischen Handeln geschützt sein soll, und ist unabhängig davon, ob und unter welchen Voraussetzungen diese Lehre Ausschließlichkeitsschutz genießt.
Was als patentfähig unter Schutz gestellt sein soll, ist nach dem Patentgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. Dezember 1980 (BGBl. 1981 I S. 1) in dem jeweiligen Patentanspruch anzugeben. Bei einem erteilten Patent sind also die in dem betreffenden Patentanspruch verwendeten Worte auszulegen. Dieser im deutschen Patentrecht schon seit langem geltende Grundsatz (vgl. etwa BGH, Urt. v. 07.01.1955 - I ZR 67/52, GRUR 1955, 244, 245 - Repassiervorrichtung II; a. Urt. v. 22.11.1957 - I ZR 152/56, GRUR 1958, 179 - Resin) hat angesichts der Maßgeblichkeit der erteilten Patentansprüche für den gewährten Patentschutz, wie sie auch § 14 PatG 1981 in Übereinstimmung mit der Regelung im EPÜ hervorhebt, weiterhin seine Berechtigung (vgl. Sen.Urt. v. 24.03.1998 - X ZR 39/95, GRUR 1998, 1003, 1004 - Leuchtstoff). Ziel der Auslegung hat allerdings nicht ein bloß philologisches Verständnis zu sein; zu ermitteln ist der technische Sinngehalt des betreffenden Patentanspruchs (Sen.Urt. v. 02.03.1999 - X ZR 85/96 - Spannschraube m.w.N.; vgl. a. Urt. v. 03.10.1989 - X ZR 33/88, GRUR 1989, 903 - Batteriekastenschnur). Entscheidend ist, was ein Fachmann durchschnittlichen Wissens und Könnens dem erteilten Patentanspruch darüber entnehmen konnte und mußte, welcher Gegenstand durch ihn geschützt sein soll (vgl. Sen.Beschl. v. 17.01.1995 - X ZB 15/93, GRUR 1995, 330, 331 f. - elektrische Steckverbindung). Beschreibung und Zeichnungen sind dabei heranzuziehen. Sie bilden die patenteigene Auslegungshilfe und können eine sinnvolle Erläuterung enthalten (vgl. Sen.Beschl. v. 20.12.1988 - X ZB 30/87, GRUR 1990, 346, 348 - Aufzeichnungsmaterial) sowie den Sprachgebrauch des Patents vermitteln und so ein bestimmtes Verständnis vom technischen Sinn einzelner in einem Patentanspruch verwendeter Begriffe und ihrer Gesamtheit ermöglichen oder erleichtern. Es ist deshalb auch möglich, daß Beschreibung und/oder Zeichnungen den Offenbarungsgehalt eines erteilten Patentanspruchs so begrenzen, daß der Fachmann ihm eine engere Lehre als die entnimmt, welche der Anspruchswortlaut zu vermitteln scheint (Sen.Urt. v. 02.03.1999 - X ZR 85/96 - Spannschraube). Angesichts der Maßgeblichkeit des erteilten Patentanspruchs selbst können Einzelheiten der Beschreibung und der Zeichnungen zu einer solchen Auslegung in der Regel jedoch nur führen, wenn und soweit sie Niederschlag gerade in dem zu beurteilenden Patentanspruch gefunden haben. Dieser Grundsatz trägt dem Umstand Rechnung, daß es dem Anmelder regelmäßig möglich ist, einen Patentanspruch so zu formulieren, daß er den beanspruchten Schutzgegenstand erkennen läßt und daß deshalb nach Erteilung des Patents die Fassung des Patentanspruchs bestimmt, für welche Lehre zum technischen Handeln er Patentschutz gewährt (vgl. BGHZ 105, 381 - Verschlußvorrichtung für Gießpfannen).
2. Im vorliegenden Fall fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten für ein einschränkendes Verständnis des Anspruchs 1 des Streitpatents. Zum einen ist nichts dafür ersichtlich, warum nicht bereits durch die Formulierung des Anspruchs 1 des Streitpatents dem Fachmann hätte nahegebracht werden können, daß diese Lehre – wie die Beklagte meint – wesentlich von einer Kolbenstange geprägt sei, die einerseits selbst mit ihrem freien Ende an dem schwenkbaren Kopfteil angreift, andererseits selbst hiervon auch wieder gelöst werden kann. Einen hierauf hindeutenden Wortlaut hätte ein Fachmann durchschnittlichen Wissens und Könnens zum anderen überdies erwartet. Als Durchschnittsfachmann kann ausgehend von den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen, denen die Parteien nicht entgegengetreten sind, ein in einer Konstruktionsabteilung eines Maschinenbauunternehmens tätiger Techniker oder Ingenieur angesehen werden, der berufliche Erfahrungen im praktischen Umgang mit den hier interessierenden Maschinen im Versuchsbetrieb bzw. vorzugsweise in der Produktion hat. Ein solcher Fachmann weiß, daß Teile einer Vorrichtung in mannigfacher Weise in ihrer Lage zueinander festgehalten werden können. Auf die unterschiedlichen Gestaltungen, die einem Fachmann zur Verfügung stehen, um eine Verbindung zwischen bestimmten Vorrichtungsteilen herzustellen, hat der gerichtliche Sachverständige anläßlich seiner Befragung in der mündlichen Verhandlung hingewiesen. Sie ergibt sich aber auch aus dem von der Beklagten selbst überreichten Buch „Feinwerkstechnik”, wonach das Fügen vorbereiteter Teile, um ihre Lage zueinander festzuhalten, sowohl in Form mittelbarer, also zusätzliche Verbindungselemente benötigender Gestaltung, in Form unmittelbarer Verbindung oder in Form stoff-, kraft- oder formschlüssiger sowie lösbarer oder unlösbarer Verbindung möglich ist. Diese Vielfalt verlangt nach Festlegung, wenn nur bestimmte Verbindungen, etwa nur unmittelbare, beansprucht werden sollen.
Gleichwohl enthält Patentanspruch 1 des Streitpatents nur im Hinblick auf die Lösbarkeit eine nähere Kennzeichnung in dem eben genannten Sinne. Im übrigen sind nur die Verbindung selbst und die zu verbindenden Vorrichtungsteile genannt; auch davon, daß die Kolbenstange unter Zug stehen müsse, ist nicht die Rede; nur von der Verbindung als solcher heißt es, daß sie auf Zug beanspruchbar sein müsse. Die Allgemeinheit der Formulierung des Patentanspruchs 1 des Streitpatents legt deshalb die Deutung nahe, die Gestaltung der jeweiligen Verbindung zwischen einem freien Ende einer Kolbenstange und einem beweglichen Kopfteil sei dem fachmännischen Können überlassen; beansprucht sei jede brauchbare Gestaltung, welche das freie Ende der Kolbenstange und den beweglichen Kopfteil mit einbezieht und dazu führt, daß Kolbenstange und schwenkbarer Kopfteil in ihrer Lage zueinander durch eine auf Zug beanspruchbare, aber lösbare Verbindung festgehalten werden.
Der gerichtliche Sachverständige, der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat insbesondere zur Auslegung des Patentanspruchs 1 im Hinblick auf Merkmal 5 befragt worden ist, hat bestätigt, daß dies auch die Sicht des Durchschnittsfachmanns des Prioritätszeitpunkts ist, der Anspruch 1 liest. Er erfahre nur, daß eine ansonsten lösbare Verbindung zwischen dem freien Ende der Kolbenstange und dem beweglichen Kopfteil bzw. zwischen dem Kopfteil und den Kolbenstangen vorgesehen sein müsse und sich bei Zug nicht lösen dürfe. Angesichts der ansonsten allgemeinen Formulierung des Anspruchs 1 des Streitpatents gehe er von der Verwendung eines die Verbindung herstellenden Gliedes und davon aus, dieses Verbindungsglied frei wählen zu können. In Anspruch 1 sei das Verbindungsglied eben nicht definiert. Für den Fachmann könne das Verbindungsglied deshalb beispielsweise in einer Kette, in einem Bolzen, aber auch in einer Spannklammer bestehen. Ein Grund, warum das Verbindungsglied nicht auch eine Spannklammer sollte sein können, erkenne der Fachmann nicht.
Die nachfolgenden Patentansprüche fördern dieses Verständnis von Anspruch 1 des Streitpatents. Sie lassen sich als Lehren für Ausführungsformen begreifen, die im Rahmen der allgemeinen Lehre des Anspruchs 1 die Lösungen verkörpern, welche der Erfinder als bevorzugt erkannt hat, weil sie zu einer unmittelbaren Verbindung führen, so daß tatsächlich die geschilderten Nachteile des Standes der Technik vermieden und die Vorteile erreicht werden, die auf S. 2 der Beschreibung eingangs der Darlegung des Wesens der Erfindung erwähnt sind. Dies deckt sich ebenfalls mit den Angaben des gerichtlichen Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, wonach erst in den Folgeansprüchen das vom Fachmann im Rahmen des Anspruchs 1 für notwendig gehaltene Verbindungsglied angesprochen ist.
3. Auch die Darstellung der Erfindung in der Beschreibung führt nicht zu einem Verständnis des Fachmanns in dem von der Beklagten für richtig gehaltenen Sinne. Die Darstellung in der Beschreibung entspricht dem Aufbau der Patentansprüche. Sie befaßt sich hauptsächlich mit Ausführungsformen, die – wie in den Zeichnungen dargestellt – den vorteilhaften Anweisungen nach Anspruch 2 genügen und deren Befolgung gewährleistet, daß eine betriebsfähige Einheit entsteht, die ohne seitlich ausschwenkende Spann- oder Klemmteile auskommt und bei der das Verspannen der einzelnen Extrusionskopfteile unabhängig vom Verspannen oder Klemmen von Profilleiste oder Kassette erfolgt. Die Angaben der Beschreibung zum Patentanspruch 1 beschränken sich dagegen auf eine Wiederholung seines Wortlauts. Zusätzlich ist nur behauptet, hierdurch werde die soeben erwähnte Aufgabe gelöst.
4. Die Nennung einer bestimmten Aufgabe in der Beschreibung eines Patents und ihre Zuordnung zu einem bestimmten Anspruch dieses Patents ist jedoch nur Ausdruck der subjektiven Vorstellungen des Anmelders von dem, was die Lehre dieses Patentanspruchs leisten soll. Subjektive Vorstellungen des Anmelders sind nicht mitbestimmend für den geschützten Gegenstand (Sen.Beschl. v. 24.03.1987 - X ZB 23/85, GRUR 1987, 510, 511 - Mittelohr-Prothese); dieser ergibt sich – wie ausgeführt – vielmehr aus den im jeweiligen Patentanspruch enthaltenen Anweisungen zum technischen Handeln.
5. Der Kennzeichnung des Endes der Kolbenstange als „frei” kann ebenfalls nicht zuverlässig entnommen werden, daß mit Anspruch 1 ausschließlich eine dem bevorzugten Beispiel in Anspruch 2 entsprechende oder ähnliche unmittelbare lösbare Anlenkung am beweglichen Kopfteil beansprucht sei. Der gerichtliche Sachverständige hat anläßlich seiner Befragung angegeben, daß der Fachmann als freies Ende einer Kolbenstange das außerhalb des Kolbens befindliche Wirkende unabhängig davon bezeichne, ob daran etwas angeschlossen sei oder nicht. Auch hier kann deshalb unter dem freien Ende der Kolbenstange zwanglos das Ende verstanden werden, das über die Kolbenstange aus dem Zylinder in Richtung auf den schwenkbaren Kopfteil ausgefahren werden kann. Der Umstand, daß der in der DE-PS 17 29 618 im Hinblick auf die dort beschriebene Klammer gebrauchte Begriff „freies Ende” möglicherweise eine andere Bedeutung hat, steht dieser Auslegung nicht entgegen. Maßgeblich ist nicht die Bedeutung, die Worte in anderen Unterlagen haben.
Die Erörterung mit dem gerichtlichen Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung hat ferner ergeben, daß die doppelte Kennzeichnung der Verbindung einmal als solche zwischen dem freien Ende der Kolbenstange und dem beweglichen Kopfteil, zum anderen als solche zwischen dem Kopfteil und den Kolbenstangen ebenfalls nicht zu einer weiteren Aufklärung führt, die lediglich bestimmte lösbare und auf Zug beanspruchbare Verbindungen als beansprucht erscheinen lassen könnte. Auch insoweit hat der Sachverständige als wesentlich erachtet, daß der Fachmann mit den Kenntnissen zum Prioritätszeitpunkt mit Anspruch 1 des Streitpatents eine Definition des vorgeschlagenen Verbindungsgliedes nicht erhalte. Deshalb messe der Fachmann der wiederholten Angabe von Teilen, zwischen denen die beanspruchte Verbindung das Verspannen bewirke, allenfalls die Bedeutung zu, daß neben dem freien Ende der Kolbenstange und dem beweglichen Kopfteil als den zu verbindenden Teilen mit der Angabe, daß eine Verbindung zwischen beweglichem Kopfteil und Kolbenstangen nötig sei, die erstrebte Funktion der Verbindung beschrieben werde; es sei aber schon fraglich, ob ein Durchschnittsfachmann der wiederholten Angabe überhaupt eine sachliche Aussage entnehme.
Ein für die Meinung der Beklagten sprechender Gesichtspunkt läßt sich schließlich auch nicht mit der Überlegung gewinnen, ein Durchschnittsfachmann werde davon ausgehen, ein erteilter Patentanspruch wolle nur solche Ausführungsformen unter Schutz stellen, welche sich vom Stand der Technik abheben (vgl. Sen.Urt. v. 29.02.1968 - X ZR 80/65, Umdr. S. 8). Denn – wie nachfolgend dargelegt wird – unterscheidet sich auch die allgemein verstandene Lehre des Anspruchs 1 des Streitpatents vom nächstkommenden entgegengehaltenen Stand der Technik.
6. Der Senat ist deshalb überzeugt, daß der Fachmann durchschnittlichen Könnens Anspruch 1 des Streitpatents zum Prioritätszeitpunkt in dem geschilderten allgemeinen Sinne verstanden hat. Diese Auslegung steht im Einklang mit den in höchstrichterlicher Rechtsprechung bereits zum früheren Recht vertretenen (BGH, Urt. v. 07.01.1955 - I ZR 67/52, GRUR 1955, 244 - Repassiervorrichtung II) und angesichts der Bedeutung des maßgeblichen Patentanspruchs im Rahmen der Offenbarung eines erteilten Patents auch im geltenden Patentrecht keinesfalls weniger sachgerechten Grundsatz, daß eine Einschränkung der aus dem Hauptanspruch sich ergebenden Lehre unter Heranziehung von Ausführungsbeispielen oder Unteransprüchen unzulässig ist. Wie ausgeführt, wird die vom Senat gewonnene Überzeugung außerdem von den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen getragen. Nach seiner Auffassung, von der er auch in der mündlichen Verhandlung nicht abgerückt ist, läßt Anspruch 1 des Streitpatents offen, wie die auf Zug beanspruchbare, lösbare Verbindung zwischen dem Kopfteil und den Kolbenstangen ausgeführt sein soll.
IV. Anspruch 1 des Streitpatents kann keinen Bestand haben. Angesichts seiner weiten Fassung unterfallen ihm Ausführungsformen, deren Gestaltung durch den Stand der Technik jedenfalls nahegelegt sind. Anspruch 1 des Streitpatents genügt deshalb nicht den Anforderungen von § 5 des Gesetzes über den Rechtsschutz für Erfindungen – Patentgesetz – vom 27. Oktober 1983 (GBl. I S. 284), nach dem sich angesichts des Anmeldezeitpunkts des Streitpatents die Frage der Schutzfähigkeit hier entscheidet, wie der Senat bereits im Urteil vom 16. September 1997 (X ZR 105/94) ausgeführt hat.
1. Aus der DE-PS 17 29 618 ist ein aufklappbarer Spritzkopf für extrudierbare plastische Werkstoffe bekannt. Behandelt sind zwei Ausführungsformen, bei denen jeweils Spannklammern Verwendung finden. Bei der Ausführung, die in den Fig. 1 und 2 abgebildet und anhand dieser Abbildungen in der Beschreibung erläutert ist, können die hier als Lasche ausgebildeten Klammern jeweils eine an dem beweglichen Kopfteil seitlich angebrachte Knagge hintergreifen; am anderen Ende weisen sie jeweils einen Gelenkbolzen auf. Zum Festspannen kommt bei jeder Klammer ein Hydraulikzylinder zum Einsatz, der an einer an dem feststehenden Kopfteil fest angebrachten Wange befestigt ist und dessen ausfahrbare Kolbenstange zu dem Gelenkbolzen weist und an ihm dauerhaft festgemacht ist. Durch Ausfahren der Kolbenstangen wird über sie, die Gelenkbolzen, die Laschen und die Knaggen der schwenkbare Kopfteil gegen den feststehenden Kopfteil gezogen (Merkmale 1, 2 u. 3). Nach der vorgenommenen Auslegung des Anspruchs 1 des Streitpatents kann das am Gelenkbolzen festgemachte Ende einer Kolbenstange auch als ihr freies Ende bezeichnet werden. Zwischen diesem aus- und einfahrbaren Ende und dem schwenkbaren Kopfteil besteht über die Gelenkbolzen und die Klammern eine Verbindung zwischen dem Kopfteil und den Kolbenstangen, die auf Zug beanspruchbar und lösbar ist (Merkmale 5, 5.1 u. 5.2). In Übereinstimmung mit dem Bundespatentgericht und dem gerichtlichen Sachverständigen, der angegeben hat, die Formulierung dieser Merkmalsgruppe im Anspruch 1 des Streitpatents schließe die Ausführungen nach der DE-PS 17 29 618 nicht aus, kann deshalb festgestellt werden, daß zwischen Anspruch 1 des Streitpatents und dem vorveröffentlichten Vorschlag nach den Fig. 1 und 2 der DE-PS 17 29 618 ein Unterschied lediglich in Merkmal 4 besteht; nach Fig. 1 und 2 der DE-PS 17 29 618 sind die Kolbenstangen in entgegengesetzter Richtung ausfahrbar.
Für einen Fachmann, der sich mit der Konstruktion nach dieser vorveröffentlichten Schrift beschäftigt, bedeutete zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents eine Ausfahrbarkeit in Richtung auf den beweglichen Kopfteil jedoch eine ihm ohne weiteres mögliche Abwandlung. Um mit ihrer Hilfe eine funktionsfähige Verbindung zu schaffen, ist lediglich erforderlich, jede Kolbenstange mit ihrem freien Ende an einer geeigneten Stelle in dem zu dem schwenkbaren Kopfteil reichenden Bereich der Klammer angreifen zu lassen und sie selbst auf Zug zu beanspruchen. Das sind rein handwerkliche Maßnahmen.
Dieser Feststellung steht nicht der Umstand entgegen, daß die nötigen Maßnahmen für eine Vorrichtung der Merkmale 1, 2, 3 und 5 im Rahmen einer Patentanmeldung mit der DE-OS 34 27 022 erstmals mehr als 15 Jahre später offenbart bzw. beansprucht worden ist. Die Anweisung, die Kolbenstange in Richtung des beweglichen Kopfteils ausfahrbar zu gestalten, hat zur Folge, daß das zur Erzeugung der Spannkraft eingesetzte Druckmedium innerhalb des Kolbens nur die Kolbenoberseite beaufschlagen kann. Da deren Fläche durch den Querschnitt der Kolbenstange vermindert ist, steht als Wirkfläche für das Druckmedium nicht eine möglichst große Kolbenfläche zur Verfügung, wie sie bekanntermaßen an der Kolbenbodenseite gegeben ist. Hierauf ist in Sp. 10 Z. 46 ff. der DE-PS 17 29 618 ausdrücklich hingewiesen. Dem Fachmann war damit zum einen bedeutet, warum dieser Erfinder zum Verspannen der Kopfteile zu einer betriebsfähigen Einheit eine Beaufschlagung der Kolbenbodenseite für vorschlagenswert hielt und nicht bereits dieser Vorschlag die Möglichkeit einschloß, in Umkehrung dieser Verhältnisse einerseits den Spanndruck auf die Kolbenoberseite aufzubringen und andererseits zum Lösen der Verbindung die Kolbenstange in Richtung des beweglichen Kopfteils ausfahren zu lassen. Gegen eine solche sich aus der benannten Textstelle ohne weiteres ergebende Alternative sprach zum anderen aber auch nach dieser Schrift nichts anderes als die Annahme, zur Erzeugung der erforderlichen Spannkräfte eine möglichst große Kolbenfläche zu benötigen. Dieser Vorstellung war der Boden entzogen, nachdem die DE-OS 34 27 022 am 23. Januar 1986 veröffentlicht worden war. Diese Schrift lehrt ebenfalls eine Vorrichtung zur Herstellung von bahnen- oder streifenförmigen Erzeugnissen aus in den plastischen Zustand schmelzbaren und auspreßbaren Werkstoffen. Sie weist seitliche, mit dem Extruder gelenkig, aber fest verbundene Hydraulikzylinder auf, die jeweils zum Verschwenken eines Kopfteils und – gleichermaßen – zum Verspannen der Kopfteile zu einer betriebsfähigen Einheit dienen und deren jeweilige Kolbenstange in Richtung auf den schwenkbaren Kopfteil, das an einem feststehenden Vorrichtungsteil anliegt, ausfahrbar ist. Die Verspannung erfolgt nach diesem Vorschlag durch Druck des Mediums gegen die Kolbenoberseite. Hieraus konnte der Fachmann entnehmen, daß aus der bei dieser Gestaltung bauartbedingten geringeren Fläche, die zur Hydraulikbeaufschlagung zur Verfügung steht, sich keine Probleme ergeben, die sich bei Spritzköpfen nicht beherrschen ließen. Es sind daher keine Gründe zu erkennen, die zum Prioritätszeitpunkt einen Fachmann davon hätten abhalten können, die Vorrichtung nach DE-PS 17 29 618 in der durch Anspruch 1 des Streitpatents vorgeschlagenen Bauart auszuführen. Entgegen der Meinung der Beklagten ging es hier nicht darum, Merkmale unterschiedlicher Spritzkopfsysteme miteinander zu kombinieren; um die im handwerklichen Bereich liegende Maßnahme gemäß der in Merkmal 4 zum Ausdruck kommenden Anweisung zu verwirklichen, war nur zu erkennen, daß für den notwendigen dichten Verschluß des Spritzkopfes tatsächlich auch in Richtung eines beweglichen Kopfteils ausfahrbare Kolbenstangen zum Verspannen eingesetzt werden können, was sich jedenfalls der am 23. Januar 1986 veröffentlichten DE-OS 34 27 022 entnehmen ließ.
Wie das Bundespatentgericht zu Recht überdies ausgeführt hat, hat es für eine solche Maßnahme durchaus auch Anlaß gegeben. Denn sie bietet die Möglichkeit, die dem konkreten Vorschlag nach Fig. 1 und 2 der DE-PS 17 29 618 eigene ausladende Form der Spannmittel zugunsten einer kürzeren Bauweise vorteilhaft fortzubilden. Dementsprechend hat auch der gerichtliche Sachverständige angenommen, die Lehre nach Anspruch 1 des Streitpatents habe sich in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergeben, weil die Ansatzpunkte für eine entsprechende Lösung dem bekannten Stand der Technik zu entnehmen gewesen seien und sie vom Durchschnittsfachmann in Ausführungen hätten umgesetzt werden können, die der Lehre des Anspruchs 1 des Streitpatents entsprechen. In der mündlichen Verhandlung hat der Sachverständige ergänzend geäußert, wenn der Fachmann zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der DE-PS 17 29 618 schon das ihm 1986 zugängliche Wissen gehabt hätte, hätte er schon damals den Zylinder „umgedreht”, weil dies zu einer kürzeren Bauart und zu einem kürzeren Wirkweg führe. Im Zusammenhang mit der Lehre des Streitpatents hat der Sachverständige im übrigen sogar den Ausdruck „trivial” gebraucht.
V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 110 Abs. 3 PatG a.F., § 97 Abs. 1 ZPO. Ein Grund, daß die Billigkeit eine andere Kostenentscheidung erfordere, ist nicht ersichtlich.
Unterschriften
Jestaedt, Maltzahn, Melullis, Scharen, Keukenschrijver
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 13.04.1999 durch Wermes Justizhauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 541399 |
Mitt. 2000, 105 |