Tenor
Auf die Revision des beklagten Landes wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Kammergerichts vom 22. Januar 1999 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des beklagten Landes erkannt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
In den frühen Morgenstunden des 21. Juli 1993 wurde in Berlin ein Pkw-Fahrer festgenommen, der mehrere Polizeisperren durchbrochen hatte. An dem Einsatz waren zahlreiche Polizeibeamte des beklagten Landes, darunter auch der Kläger, der damals Zivilfahnder war, beteiligt. Der Kläger trug Prellungen und Schürfwunden an der Nase sowie Prellungen am rechten Brustkorb davon. Er erkrankte psychisch und wurde wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt.
Wegen der erlittenen Verletzungen beansprucht der Kläger von dem beklagten Land die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes und die Feststellung der Ersatzpflicht für die ihm entstandenen materiellen Schäden. Er stützt das Schadensersatzbegehren auf Amtshaftung und hat dazu behauptet, Polizeibeamte des beklagten Landes hätten ihn bei dem Einsatz getreten und ihm dadurch die vorbeschriebenen Verletzungen zugefügt. Dies habe zu seiner psychischen Erkrankung geführt.
Das Landgericht hat dem Kläger 15.000 DM nebst Zinsen zugesprochen und im übrigen die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht das beklagte Land verurteilt, an ihn 30.000 DM nebst Zinsen zu zahlen, und festgestellt, daß das beklagte Land verpflichtet sei, ihm sämtliche materiellen Schäden aus dem Vorfall vom 21. Juli 1993 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder Dritte übergegangen seien oder übergingen. Die weitergehende Berufung des Klägers und die Berufung des beklagten Landes hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt das beklagte Land den Antrag auf vollständige Abweisung der Klage weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils, soweit zum Nachteil des beklagten Landes erkannt worden ist, und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht hat dem Kläger einen Schadensersatzanspruch wegen Amtspflichtverletzung (§§ 839, 847 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 Satz 1 GG) zugebilligt und dazu im wesentlichen ausgeführt:
Der Kläger sei bei dem Einsatz vom 21. Juli 1993 von anderen Polizeibeamten getreten worden. Dadurch habe er im Gesicht und am Körper Prellungen und Schürfwunden erlitten. Die Polizeibeamten hätten dem Kläger die Verletzungen vorsätzlich zugefügt.
Diese Feststellungen ergäben sich aus den – urkundenbeweislich verwerteten – Protokollen des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens über die Vernehmung der an dem Einsatz beteiligten Polizeibeamten. Einer Vernehmung des Polizeibeamten S. als Zeugen habe es nicht bedurft. Denn es könne zugunsten des beklagten Landes unterstellt werden, daß dieser dann ebenso wie im Ermittlungsverfahren ausgesagt hätte.
Die Körperverletzung habe zu der psychischen Erkrankung des Klägers geführt. Da eine Renten- oder Begehrensneurose nicht vorliege, sei auch diese Folge der Amtspflichtverletzung dem beklagten Land zuzurechnen.
II.
Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Prüfung nicht stand.
1. Die das angefochtene Urteil tragenden Feststellungen zu einer von den Polizeibeamten des beklagten Landes begangenen Amtspflichtverletzung sind nicht frei von Verfahrensfehlern getroffen worden. Die Revision beanstandet zu Recht, daß sich das Berufungsgericht allein auf der Grundlage der Niederschriften über die Vernehmung der an dem Einsatz beteiligten Polizeibeamten davon überzeugt hat, daß der Kläger von Kollegen vorsätzlich getreten und dadurch im Gesicht sowie am Brustkorb verletzt wurde.
Schriftliche Aussagen sowie Protokolle über die Aussagen von Zeugen in einem anderen Verfahren können urkundenbeweislich verwertet werden, wenn – wie es hier der Fall gewesen ist – die beweispflichtige Partei dies beantragt und die Akten des anderen Verfahrens Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren. Die Möglichkeit des Urkundenbeweises berührt jedoch nicht das Recht der Parteien, die unmittelbare Anhörung des Zeugen im anhängigen Rechtsstreit zu beantragen. Macht eine der Parteien davon Gebrauch, so ist die Verwertung einer im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren protokollierten Aussage im Wege des Urkundenbeweises anstelle der beantragten Anhörung des Zeugen unzulässig (vgl. Senatsurteil vom 10. Juli 1997 - III ZR 69/96 = BGHR ZPO § 355 Abs. 1 Unmittelbarkeit 7; BGH, Urteile vom 13. Juni 1995 - VI ZR 233/94 = NJW 1995, 2856, 2857; vom 9. Juni 1992 - VI ZR 215/91 = NJW-RR 1992, 1214, 1215; vom 30. November 1999 - VI ZR 207/98 - UA 9 f = EBE BGH 2000, 27, 29). Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht nicht beachtet.
Das beklagte Land hatte im Berufungsverfahren – wie im Verfahren vor dem Landgericht – bestritten, daß es zu Fußtritten gegen den Kläger gekommen sei. Dessen Verletzungen seien darauf zurückzuführen, daß er in das Gebüsch und auf den mit Steinplatten ausgelegten Boden gefallen sei. Ferner hatte sich das beklagte Land auf seinen erstinstanzlichen Vortrag bezogen, daß – falls die Polizeibeamten tatsächlich getreten hätten – sich die Tritte gegen den Pkw-Fahrer, der festgenommen werden sollte, gerichtet hätten. Sofern der Kläger durch diese Fußtritte verletzt worden sein sollte, sei dies nur versehentlich geschehen. Zum Beweis für diese Behauptungen hatte sich das beklagte Land in zulässiger Weise auf das Zeugnis von Polizeibeamten berufen.
Das Berufungsgericht hat seine Überzeugung, daß Polizeibeamte des beklagten Landes den Kläger vorsätzlich verletzt hätten, aber nur auf Urkundenbeweis, nämlich auf die Verwertung der Vernehmungsprotokolle aus dem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren, gestützt. In diesem Vorgehen liegt ein Verstoß gegen die Vorschrift des § 286 ZPO sowie gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 355 Abs. 1 ZPO, vgl. BGH, Urteil vom 6. Juni 1988 - II ZR 332/87 = BGHR ZPO § 373 Unmittelbarkeit 1).
Das Berufungsgericht ist dem Beweisantrag, den Polizeibeamten S. als Zeugen zu hören, nicht gefolgt, weil zugunsten des beklagten Landes unterstellt werden könne, daß dieser sich als Zeuge so wie im Ermittlungsverfahren geäußert hätte. Es hat damit nicht die unter Beweis gestellte Behauptung, sondern eine bestimmte Aussage des Zeugen zu dieser Behauptung unterstellt und diese Aussage, ohne den Zeugen selbst vernommen zu haben, gewürdigt. Auch das war nicht zulässig. Zwar konnte das Berufungsgericht die Aussage, die S. in dem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren gemacht hatte, im Wege des Urkundenbeweises verwerten. Damit konnte jedoch der Antrag des beklagten Landes, S. als Zeugen zu vernehmen, nur dann als erledigt angesehen werden, wenn es sich damit einverstanden erklärt hätte, daß in diesem Rechtsstreit der Urkundenbeweis anstelle der Zeugenvernehmung erhoben werde (vgl. BGHZ 40, 367, 374). Ein solches Einverständnis hat hier nicht vorgelegen, im Gegenteil hat das beklagte Land auf der Vernehmung des Zeugen bestanden.
2. Die gegen die Feststellung der Verletzungshandlung weiter erhobene Rüge, § 286 ZPO sei verletzt, weil sich das Berufungsgericht in Widerspruch zu Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens gesetzt habe, greift dagegen nicht durch. Von einer Begründung wird gemäß § 565 a Satz 1 ZPO abgesehen.
3. Zu Unrecht meint die Revisionserwiderung, die genannten Verfahrensfehler könnten nicht mehr gerügt werden, weil das beklagte Land in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht der angekündigten urkundenbeweislichen Verwertung der in den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten enthaltenen Zeugenaussagen nicht widersprochen habe (§ 295 ZPO). Der Niederschrift über die Sitzung des Kammergerichts vom 22. Januar 1999 ist ein derartiger Hinweis nicht zu entnehmen. Der Vermerk, die Strafakten hätten vorgelegen und seien Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen, gibt für die behauptete Ankündigung nichts her. Der Senat muß deshalb davon ausgehen, daß für das beklagte Land seinerzeit nicht erkennbar war, das Berufungsgericht werde die Feststellungen zum Tathergang unter Verstoß gegen beweisrechtliche Vorschriften treffen.
4. Der Verfahrensfehler führt zur Aufhebung des Berufungsurteils. Denn der vom Berufungsgericht unzulässig übergangene Beweisantrag betraf die Feststellung der schadenstiftenden Handlung. Das Berufungsgericht wird durch Vernehmung der als Zeugen benannten Polizeibeamten den Sachverhalt in objektiver und subjektiver Hinsicht zu klären haben.
III.
Für das weitere Verfahren wird auf folgendes hingewiesen:
1. Die Möglichkeit eines Irrtums über das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes oder eines Verbotsirrtums, die den Vorsatz ausschließen würden, liegt nach dem bisherigen Sach- und Streitstand fern. Der Hergang der Festnahme des flüchtigen Pkw-Fahrers bietet nicht den geringsten Anhalt, daß die beteiligten Polizeibeamten Fußtritte gegen den festzunehmenden Fahrer oder gar gegen den Kläger, ihren Kollegen, für erlaubt halten konnten.
2. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Schadenszurechnung bei psychischen Folgen – für einen kleinen Sektor gesundheitlicher Belastungen des Geschädigten – Grenzen gezogen sind: Der Schädiger muß nicht für die Folgen einstehen, die dadurch entstehen, daß die Schädigungshandlung zu einer Renten- und Begehrensneurose führt; diese Ausgrenzung betrifft die Fälle, in denen der Geschädigte den Schadensfall in dem neurotischen Streben nach Versorgung und Sicherung lediglich zum Anlaß nimmt, den Schwierigkeiten und Belastungen des Erwerbslebens auszuweichen. Eine weitere Begrenzung der Schadenszurechnung kommt dann in Betracht, wenn das schädigende Ereignis ganz geringfügig ist (Bagatelle) und nicht gerade eine etwa vorhandene spezielle Schadensanlage des Verletzten trifft, wenn also die psychische Reaktion des Verletzten im konkreten Fall wegen ihres groben Mißverhältnisses zum Anlaß schlechterdings nicht mehr verständlich ist (vgl. BGHZ 137, 142, 145 ff m.w.N.).
a) Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei eine Bagatellverletzung verneint. Diese setzt voraus, daß es sich um vorübergehende, im Alltagsleben typische und häufig auch aus anderen Gründen als einem besonderen Schadensfall entstehende Beeinträchtigungen des Körpers oder des seelischen Wohlbefindens handelt. Es sind also Beeinträchtigungen gemeint, die sowohl von der Intensität als auch der Art der Primärverletzung her nur ganz geringfügig sind und üblicherweise den Verletzten nicht nachhaltig beeindrucken, weil er schon aufgrund des Zusammenlebens mit anderen Menschen daran gewöhnt ist, vergleichbaren Störungen seiner Befindlichkeit ausgesetzt zu sein (BGH aaO 147). Das Berufungsgericht hat zu Recht ausgeführt, daß eine solche Bagatelle nicht vorliege, weil die vom Kläger unstreitig erlittenen Schürfwunden und Prellungen an Kopf und Brustkorb „typischerweise mit einem besonderen Schadensereignis verbunden” seien. Dem kann nicht mit der Revision entgegengehalten werden, daß die Besonderheiten des Polizeidienstes dabei vernachlässigt worden seien. Im Streitfall geht es nicht um Beeinträchtigungen, wie sie im täglichen Polizeidienst bei der Festnahme von Verdächtigen stets möglich sind und auch von dem Kläger früher klaglos „weggesteckt” wurden. Der Kläger wurde – unterstellt, die vom Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft getroffenen Feststellungen träfen in der Sache zu – von den eigenen Kollegen körperlich mißhandelt. Das gibt dem Schadensfall das besondere, ihn aus dem alltäglichen Dienst eines Polizeibeamten deutlich hervorhebende Gepräge.
Scheidet aber schon eine Bagatelle aus, kommt es nicht mehr darauf an, ob das schädigende Ereignis auf eine spezielle Schadensanlage des verletzten Klägers traf, ob also dessen psychische Reaktion wegen ihres groben Mißverhältnisses zum Anlaß nicht mehr verständlich ist.
b) Der gerichtlich bestellte Sachverständige hat sich zu der Frage, ob die psychische Erkrankung des Klägers noch in Zusammenhang mit der am 21. Juli 1993 erlittenen – hier unterstellten – Mißhandlung steht, nicht klar geäußert. Einerseits soll nach seinem Gutachten die bei dem Kläger festgestellte gravierende Fixierung und Chronifizierung der seelischen Symptomatik nicht mehr als Reaktion auf dieses Ereignis angesprochen werden können. Sie soll vielmehr in Beziehung stehen zu dem auf das Ereignis folgenden Rechtsstreit im Zusammenhang mit schweren Differenzen und Auseinandersetzungen mit den Vorgesetzten. Andererseits heißt es am Schluß des Gutachtens, die eingetretene Berufsunfähigkeit sei nicht monokausal zu erklären. Eine komplexe Ereigniskonstellation (Persönlichkeit, Unfall, Rechtsstreit) habe zu der Berufsunfähigkeit des Klägers geführt. Das Berufungsgericht wird diesen möglichen Widerspruch durch Anhörung des Sachverständigen zu klären haben.
Unterschriften
Rinne, Wurm, Richter am Bundesgerichtshof Dr. Kapsa ist durch Urlaub verhindert, seine Unterschrift beizufügen. Rinne, Dörr, Galke
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 13.04.2000 durch Freitag, Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen