Leitsatz (amtlich)
a) Zur Anwendung des Zielleistungsprinzips bei Durchführung einer Operation nach der Nr. 2757 des Gebührenverzeichnisses.
b) Zur ergänzenden analogen Abrechenbarkeit von ärztlichen Leistungen, die in der Bewertung einer im Gebührenverzeichnis beschriebenen Zielleistung nicht berücksichtigt sind, weil sie dem Verordnungsgeber bei Erlass der Gebührenordnung noch nicht bekannt gewesen sind (hier: systematische Kompartmentausräumung mit weit gehender Freilegung von Blutgefäßen und Nervenbahnen im Zusammenhang mit einer Radikaloperation der bösartigen Schilddrüsengeschwulst).
Normenkette
GOÄ § 4 Abs. 2a, § 6 Abs. 2; Gebührenverzeichnis Nrn. 2757, 2760, 2583, 2803
Verfahrensgang
LG Halle (Saale) (Urteil vom 30.10.2003) |
AG Halle-Saalkreis (Urteil vom 20.03.2003) |
Tenor
Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil des AG Halle-Saalkreis v. 20.3.2003 teilweise abgeändert und das Urteil der 2. Zivilkammer des LG Halle v. 30.10.2003 teilweise aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 469,88 EUR nebst 4 % Zinsen seit dem 8.12.1999 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weiter gehenden Rechtsmittel der Beklagten werden zurückgewiesen.
Von den Kosten des ersten Rechtszuges haben der Kläger 83 v. H. und die Beklagte 17 v. H. zu tragen. Von den Kosten der Rechtsmittelzüge haben der Kläger 74 v. H. und die Beklagte 26 v. H. zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger, Direktor der Klinik für Allgemeinchirurgie eines Universitätskrankenhauses, macht gegen die Beklagte auf der Grundlage einer Wahlleistungsvereinbarung Honoraransprüche geltend, die im Zusammenhang mit einer am 12.5.1997 wegen eines sporadischen medullären Schilddrüsenkarzinoms durchgeführten Operation stehen. Soweit hier von Interesse, berechnete der Kläger für die Operation - jeweils nach dem 3,5-fachen des Gebührensatzes - eine Gebühr nach Nr. 2757 des Gebührenverzeichnisses der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ), drei Gebühren nach Nr. 2760, zehn Gebühren nach Nr. 2583 und sechs Gebühren nach Nr. 2803. Auf die Rechnung - unter Einschluss weiterer unstreitiger Positionen - von insgesamt 7.522,24 DM zahlte der private Krankenversicherer der Beklagten 2.127,39 DM, wobei dieser die Abrechnung der Gebühr nach Nr. 2757 und von zwei Gebühren nach Nr. 2583 für gerechtfertigt hielt. Die Differenz von 5.394,85 DM (= 2.758,34 EUR) nebst Rechtshängigkeitszinsen ist Gegenstand der Klage.
Das AG hat dem Kläger über den anerkannten Betrag hinaus drei Gebühren nach Nr. 2760, weitere sechs Gebühren nach Nr. 2583 und vier Gebühren nach Nr. 2803 zugebilligt und der Klage i. H. v. 1.777,47 EUR nebst Zinsen entsprochen. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsmittel der Beklagten haben teilweise Erfolg. Die Klage ist nur i. H. v. 469,88 EUR nebst Zinsen begründet.
1. Vergeblich wendet sich die Beklagte mit dem Argument gegen ihre Inanspruchnahme, sie sei über die Entgelte der Wahlleistungen und deren Inhalt nicht im Einzelnen in der nach § 22 Abs. 2 S. 1 BPflV vorgeschriebenen Weise unterrichtet worden. Ob die zu den Akten gereichte Kopie der Vereinbarung v. 9.5.1997 für sich betrachtet den Anforderungen des § 22 Abs. 2 S. 1 BPflV genügt (vgl. hierzu im Einzelnen die BGH, Urt. v. 27.11.2003 - III ZR 37/03, MDR 2004, 435 = BGHReport 2004, 205 = GesR 2004, 55 = NJW 2004, 684; v. 8.1.2004 - III ZR 375/02, GesR 2004, 139 = MDR 2004, 433 = BGHReport 2004, 493 = NJW 2004, 686), mag zweifelhaft erscheinen. Der Kläger hat jedoch mit Schriftsatz v. 30.8.2000 behauptet, der Beklagten seien darüber hinausgehende Informationen erteilt worden. Dem hat die Beklagte weder widersprochen noch hat sie - etwa im Berufungsverfahren - Vorhalte gemacht, die Anlass für eine weitere Prüfung der Frage hätten geben können. Es ist daher rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht von einer wirksamen Wahlleistungsvereinbarung ausgegangen ist.
2. In der Sache ist die Frage zu beantworten, ob die in den Gebührennummern 2760, 2583 und 2803 angeführten Leistungen neben der in Nr. 2757 beschriebenen Leistung, der Radikaloperation der bösartigen Schilddrüsengeschwulst - einschließlich Ausräumung der regionären Lymphstromgebiete und ggf. der Nachbarorgane -, abgerechnet werden dürfen.
a) Nach § 4 Abs. 2 S. 1 GOÄ kann der Arzt Gebühren, die nach Abs. 1 Vergütungen für die im Gebührenverzeichnis genannten ärztlichen Leistungen sind, nur für selbstständige ärztliche Leistungen berechnen. Auch soweit das Gebührenverzeichnis eine bestimmte Leistung nicht aufführt, ist die in § 6 Abs. 2 GOÄ vorgesehene Analogberechnung, d. h. die Heranziehung einer nach Art, Kosten- und Zeitaufwand gleichwertigen Leistung des Gebührenverzeichnisses, nur für selbstständige ärztliche Leistungen eröffnet.
Prinzipiell kommen alle im Gebührenverzeichnis beschriebenen Leistungen als selbstständige ärztliche Leistungen in Betracht. Für die Frage, welche von mehreren gleichzeitig oder im Zusammenhang erbrachten Leistungen selbstständig berechnungsfähig sind, ist - neben Berechnungsbestimmungen im Gebührenverzeichnis selbst - vor allem § 4 Abs. 2a GOÄ i. d. F. der Vierten Verordnung zur Änderung der Gebührenordnung für Ärzte v. 18.12.1995 (BGBl. I, 1861) in den Blick zu nehmen. Nach dieser Bestimmung kann der Arzt für eine Leistung, die Bestandteil oder eine besondere Ausführung einer anderen Leistung nach dem Gebührenverzeichnis ist, eine Gebühr nicht berechnen, wenn er für die andere Leistung eine Gebühr berechnet. Dies gilt auch nach § 4 Abs. 2a S. 2 GOÄ für die zur Erbringung der im Gebührenverzeichnis aufgeführten operativen Leistungen methodisch notwendigen operativen Einzelschritte. In den dem Abschnitt L (Chirurgie, Orthopädie) des Gebührenverzeichnisses vorangestellten Allgemeinen Bestimmungen werden Inhalt und Tragweite dieses als Zielleistungsprinzip bezeichneten Grundsatzes näher verdeutlicht. Es heißt dort:
"Zur Erbringung der in Abschnitt L aufgeführten typischen operativen Leistungen sind in der Regel mehrere operative Einzelschritte erforderlich. Sind diese Einzelschritte methodisch notwendige Bestandteile der in der jeweiligen Leistungsbeschreibung genannten Zielleistung, so können sie nicht gesondert berechnet werden."
b) Gemessen an diesen Grundsätzen ist dem Berufungsgericht darin zu folgen, dass die in den Nr. 2760, 2583 und 2803 des Gebührenverzeichnisses beschriebenen Leistungen bei einer Auslegung nach dem Wortlaut nicht neben der in Nr. 2757 angesprochenen Operation berechenbar sind.
aa) Der Kläger hat mit seiner Berechnung der Nr. 2757 des Gebührenverzeichnisses deutlich gemacht, dass er die dort beschriebene Radikaloperation der bösartigen Schilddrüsengeschwulst vorgenommen hat, die - wie sich aus der eindeutigen Formulierung dieser Gebührennummer ergibt - die Ausräumung der regionären Lymphstromgebiete und ggf. der Nachbarorgane ohne zusätzliche Berechnung einschließt. Die in der nachfolgenden Nr. 2760 beschriebene Ausräumung des regionären Lymphstromgebietes einer Halsseite ist daneben nicht berechenbar (vgl. Brück, Gebührenordnung für Ärzte, 3. Aufl., Bd. 2, zu Nr. 2760; Hoffmann, Gebührenordnung für Ärzte, 3. Aufl., Bd. 2, Nrn. 2750-2760 Rz. 9). Hierfür spricht zum einen, dass die in dieser Nummer beschriebene Leistung mit derselben Formulierung eingeschlossener Bestandteil der komplexen Leistung in Nr. 2757 ist, zum anderen, dass die Abrechnungsfähigkeit an dieser Stelle - ohne dass dies im Hinblick auf § 4 Abs. 2a S. 1 und 2 GOÄ überhaupt nötig wäre -, noch einmal ausdrücklich an die selbstständige Erbringung dieser Leistung geknüpft wird. Von einer selbstständigen Erbringung kann jedoch nicht gesprochen werden, wenn die Leistung als Teil einer Leistung nach Nr. 2757 erbracht wird. Auch der von den Vorinstanzen hinzugezogene Sachverständige Privatdozent Dr. S. hat eingeräumt, unabhängig von einer anatomischen Klassifikation könne man alle zervikalen und mediastinalen Lymphknoten als regionäre Lymphstromgebiete bezeichnen, also auch die vom Kläger vorgenommene - und mit einer dreimaligen Anwendung der Nr. 2760 berechnete - Ausräumung der zervikozentralen und der auf der rechten und linken Seite befindlichen zervikolateralen Kompartimente.
bb) Was die verschiedenen im Halsbereich verlaufenden Nerven und Blutgefäße angeht, stehen die jeweils mehrfach abgerechneten Neurolysen (Nr. 2583) und die Freilegung und/oder Unterbindung von Blutgefäßen (Nr. 2803) ebenfalls mit der vorgenommenen Operation der Beklagten in notwendigem Zusammenhang, so dass es auch insoweit an einer - wie in den beiden Gebührennummern nochmals ausdrücklich hervorgehoben - für die Abrechenbarkeit erforderlichen selbstständigen Leistung fehlt. Es sind zwar Fälle denkbar, in denen bei einer Ummauerung des Nervs durch Tumor- oder Narbengewebe eine eigenständige Indikation zur Neurolyse vorliegt, etwa beim Herauslösen des Nervus recurrens aus Narbengewebe bei Rezidiv-Struma (vgl. Brück, Gebührenordnung für Ärzte, 3. Aufl., zu Nr. 2584); möglicherweise beruht die vorprozessuale Anerkennung zweier Neurolysen für den Nervus recurrens durch den Krankenversicherer der Beklagten auf einer entsprechenden Würdigung. Es bestehen nach dem Ergänzungsgutachten des Sachverständigen jedoch keine Anhaltspunkte, dass den Neurolysen und den Freilegungen von Blutgefäßen eine eigenständige Indikation zu Grunde lag. Vielmehr hat der Sachverständige, wenn auch unter Hinweis auf eine aus seiner Sicht suggestive Fragestellung, eingeräumt, dass man als selbstständige Leistung nur eine solche ansehen könne, die wegen einer eigenständigen medizinischen Indikation vorgenommen werde, und nicht, um beim Erreichen des Operationsziels benachbarte Strukturen zu schonen und nicht zu verletzen. Im Übrigen ergibt sich aus seinem Gutachten v. 15.7.2002 deutlich, dass die durchgeführte Kompartmentausräumung zwingend die langstreckige Freilegung von Nervenbahnen und Blutgefäßen voraussetzte. Besteht jedoch ein solcher Zusammenhang mit der als Hauptleistung durchgeführten Operation, können die in Rede stehenden Teilleistungen als Bestandteil der Komplexleistung nicht gesondert abgerechnet werden (vgl. Hoffmann, Gebührenordnung für Ärzte, 3. Aufl., Bd. 2, Nrn. 2580-2604 Rz. 3, Nrn. 2800-2810 Rz. 2).
3. Das Berufungsgericht gelangt gleichwohl im Umfang der Empfehlung des Sachverständigen Dr. S. zu einer Abrechenbarkeit der Leistungen nach den Gebührennummern 2760, 2583 und 2803, weil es insoweit im Anschluss an dessen Gutachten ein Regelungsdefizit der Gebührenordnung annimmt, das durch eine verfassungskonforme Auslegung von § 4 Abs. 2a, § 6 Abs. 2 GOÄ geschlossen werden müsse, um eine leistungsgerechte Honorierung der ärztlichen Leistung sicherzustellen. Die Leistungslegende zu Nr. 2757 sei bei Einführung der Gebührenordnung für Ärzte im Jahr 1982 definiert worden und beziehe sich auf die damals - und auch heute noch vielfach - übliche Operationsmethode der Thyreoidektomie mit einer unsystematischen Lymphadenektomie. Demgegenüber habe der Kläger hier mit der Kompartmentausräumung eine Operationsmethode angewendet, die dem Verordnungsgeber noch nicht bekannt gewesen sei, weil sie erst in den Neunzigerjahren des vorigen Jahrhunderts entwickelt worden sei. Diese Operationsmethode erfordere einen Umgang mit Gefäßen und Nerven, der in der Gebührennummer 2757 als solcher keinen Niederschlag gefunden habe. Dementsprechend habe der Sachverständige davon gesprochen, die in der Gebührennummer 2757 beschriebenen Leistungen stellten nur eine Teilmenge der hier vorgenommenen Operation dar. Während die in Nr. 2757 beschriebene Leistung einen Zeitaufwand von zwei bis drei Stunden erfordere, gehe es hier um eine Spezialoperation, die nur in wenigen, auf endokrine Chirurgie spezialisierte Kliniken in Deutschland durchgeführt werde und die einen erheblichen zeitlichen und technischen Mehraufwand mit sich bringe. Die Regelungen der Gebührenordnung für Ärzte, die im Bereich des hier operativ behandelten Organs der Schilddrüse seit 1982 unverändert geblieben seien, stünden bei ihrer starren Anwendung nicht nur der ausreichenden Berücksichtigung medizinischen Fortschritts entgegen, sondern würden auch dem Recht des Einzelnen auf Leben und körperliche Unversehrtheit nicht gerecht und sicherten dem Arzt keine angemessene Vergütung seiner - gemessen an der Standardoperation 1982 - zusätzlichen Leistungen. Unter diesen Umständen sei es Aufgabe der Gerichte, eine leistungsgerechte Vergütung sicherzustellen. Da der Gebührenrahmen des § 5 GOÄ dem erhöhten Aufwand nicht Rechnung trage und Bedenken dagegen bestünden, den Arzt auf eine Honorarvereinbarung nach § 2 GOÄ zu verweisen, sei es gerechtfertigt, die Leistungen nach den Nr. 2760, 2583 und 2803 als selbstständige anzuerkennen und sie im Wege der Analogberechnung für die Honorierung der neuen Operationsmethode mit heranzuziehen.
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht in jeder Beziehung stand.
a) Gegen den tatsächlichen Ausgangspunkt des Berufungsgerichts sind allerdings keine durchgreifenden Einwände zu erheben. Richtig ist, dass der Verordnungsgeber bei der Novellierung der Gebührenordnung im Jahr 1982 ein neues Gebührenverzeichnis geschaffen hat, das sich in weiten Teilen an dem einheitlichen Bewertungsmaßstab der kassen-/vertragsärztlichen Versorgung orientiert hat. Mit der zum 1.1.1996 in Kraft getretenen Vierten Verordnung zur Änderung der Gebührenordnung für Ärzte v. 18.12.1995 (BGBl. I, 1861) wurde das Gebührenverzeichnis in verschiedenen Teilen überarbeitet, wobei die bis zu diesem Zeitpunkt von der Bundesärztekammer empfohlenen analogen Bewertungen in das Verzeichnis aufgenommen wurden (vgl. Brück, Gebührenordnung für Ärzte, 3. Aufl., Bd. 1 § 4 Rz. 2, Bd. 2 S. 1203 - Analoge Bewertungen und Abrechnungsempfehlungen). Der Abschnitt L, an dessen Beginn im Zusammenhang mit der Neufassung in § 4 Abs. 2a S. 2 GOÄ die oben zu 2a wiedergegebene allgemeine Bestimmung zum Zielleistungsprinzip gestellt wurde, blieb hingegen weitgehend unverändert. Hieraus ergibt sich das Problem, dass ein einer Zielleistung zuzuordnender Einzelschritt nicht abrechnungsfähig ist, andererseits die Zielleistung in ihrer Bewertung - das ist ja der wesentliche Sinn ihrer Beschreibung - den ihr methodisch zuzuordnenden Einzelschritt möglicherweise nicht umfasst (vgl. Brück, Gebührenordnung für Ärzte, 3. Aufl., Bd. 1, § 4 Rz. 6; Hoffmann, Gebührenordnung für Ärzte, 3. Aufl., Bd. 1, § 4 S. 24/2), etwa weil er bei ihrer Beschreibung noch nicht bekannt war.
Eine Konstellation dieser Art hat das Berufungsgericht - sachverständig beraten - rechtsfehlerfrei festgestellt. Der Sachverständige hat die in der Gebührennummer 2757 beschriebene Operation anschaulich als Teilmenge der an der Beklagten vorgenommenen Operation bezeichnet und dabei insb. darauf hingewiesen, dass die systematische Kompartmentausräumung, die in den Neunzigerjahren des vorigen Jahrhunderts für besondere klinische Konstellationen, vor allem bei fortgeschrittenen Karzinomen und für medulläre Schilddrüsenkarzinome entwickelt worden sei, einen Umgang mit Gefäßen und Nerven erfordere, den der Verordnungsgeber bei der Formulierung und der Bewertung der Gebührennummer 2757 nicht im Auge gehabt habe. Betrachte man als einen wesentlichen objektiv zu erhebenden Parameter den zeitlichen Mehraufwand einer solchen Operation, so liege dieser bei dem zwei- bis vierfachen der in der Gebührennummer 2757 beschriebenen Operation. Diesem Befund ist die Revision nicht entgegengetreten. Vielmehr hat der von dem privaten Krankenversicherer der Beklagten hinzugezogene Chirurg und Unfallchirurg Dr. M. in seiner Stellungnahme v. 22.8.2002 zugestanden, der Sachverständige habe sich ausführlich und sachlich korrekt mit der Frage auseinander gesetzt, inwieweit der Leistungsinhalt der Gebührennummer 2757 die an der Beklagten intraoperativ erbrachten Leistungen richtig widerspiegele. Er hat lediglich aus diesem Befund etwas andere Folgerungen als der Sachverständige gezogen, gleichwohl aber für nachvollziehbar gehalten, dass die erbrachte Leistung über den Inhalt der Nr. 2757 auch bei einer Berücksichtigung des 3,5-fachen des Gebührensatzes hinausgehe und eine zweimalige Berechnung der Nr. 2760 berechtigt sei.
b) Die Revision ist der Auffassung, aus diesem Befund lasse sich eine Abrechenbarkeit nach den Nr. 2760, 2583 und 2803 - auch im Wege einer Analogberechnung - nicht rechtfertigen. Es sei schon die Bewertung des Sachverständigen zu relativieren, wenn er von einer neuen, bei Schaffung der Gebührenordnung unbekannten Operationsmethode ausgehe. Dagegen spreche, dass der Kläger seine Operation selbst unter die Gebührennummer 2757 eingeordnet habe. Aus dem Gutachten des Sachverständigen, der von zusätzlichen relevanten Ausweitungen des operativen Standardeingriffs gesprochen habe, lasse sich nur die Folgerung ziehen, dass es sich hier um eine besondere Ausführungsform für eine in der Gebührenordnung bereits definierte Leistung handele. Dem könne - wie geschehen - nach § 5 Abs. 2 GOÄ Rechnung getragen werden. Demgegenüber schließe § 4 Abs. 2a S. 1 GOÄ die selbstständige Abrechenbarkeit einer "besonderen Ausführung" einer anderen Leistung aus. Eine Anwendung des § 6 Abs. 2 GOÄ scheitere daran, dass es an der Nichtaufnahme der Leistung in das Gebührenverzeichnis fehle.
c) Wie der Senat entschieden hat, ist es Sache des Verordnungsgebers, darüber zu befinden, wie ärztliche Leistungen, ggf. auch unter Berücksichtigung nach Erlass der Verordnung eingetretener Veränderungen des technischen Standards oder der Fortentwicklung wissenschaftlicher Erkenntnisse, zu bewerten sind. Eine Bindung an die Verordnung besteht nur dann nicht, wenn sie wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht - etwa Art. 3 oder Art. 12 GG - nichtig ist, was der Richter selbst feststellen kann (vgl. BGH, Urt. v. 18.9.2003 - III ZR 389/02, BGHReport 2003, 1428 = GesR 2003, 398 = NJW-RR 2003, 1639 [1641]). Darüber hinaus sieht die Gebührenordnung für Ärzte nach § 6 Abs. 2 eine Analogberechnung vor, wenn selbstständige ärztliche Leistungen erbracht worden sind, die in das Gebührenverzeichnis nicht aufgenommen sind.
aa) Dass die alleinige Honorierung der Operationsleistung nach der Nr. 2757 unter Ausschöpfung des Gebührenrahmens das Grundrecht des Klägers aus Art. 12 verletzten würde, weil die Vergütung nicht "auskömmlich" wäre (vgl. BVerfG ZInsO 2001, 463 f.; BGH v. 12.12.2002 - IX ZB 39/02, BGHZ 152, 18 [25]), lässt sich - wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat - auf der Grundlage des klägerischen Vorbringens nicht feststellen. Hierfür genügt nicht die Gegenüberstellung von Punktwerten der Operationsleistung nach der Nr. 2757 einerseits und der in den Nr. 2760, 2583 und 2803 andererseits. Diese Gegenüberstellung mag zwar ein Indiz dafür darstellen, dass bestimmte hier erbrachte Leistungen in der Gebührennummer 2757 keine Bewertung erfahren haben, und insoweit die Frage nach einer angemessenen und leistungsgerechten Vergütung aufwerfen. Dass die Vergütung objektiv nicht auskömmlich wäre, könnte jedoch nur beurteilt werden, wenn Aufwand und Kostenstrukturen näher dargestellt wären. In diese Überlegungen müssten auch die Honorierung entsprechender Leistungen in der vertragsärztlichen Versorgung und der Umstand einbezogen werden, dass Leistungen der genannten Art für gesetzlich Versicherte und Patienten, die keine wahlärztlichen Leistungen in Anspruch nehmen, als allgemeine Krankenhausleistungen durch den Pflegesatz oder Fallpauschalen abgegolten werden.
Soweit das Berufungsgericht das Recht des Patienten auf Leben und körperliche Unversehrtheit betont und wegen der Berufspflichten und Grundrechte des Arztes die Pflicht des Staates, auch der Gerichte, hervorhebt, medizinischen Fortschritt nicht durch eine unangemessene Honorierung ärztlicher Leistungen zu behindern, werden Gesichtspunkte angesprochen, die der Verordnungsgeber bei seiner Tätigkeit im Auge haben muss, sich aber in dieser Allgemeinheit schwerlich für einen einzelnen Behandlungsfall nutzbar machen lassen. Es fehlt deshalb, soweit die Angemessenheit der Vergütung in Rede steht, an einer ausreichend begründeten und nachvollziehbaren Feststellung eines verfassungswidrigen Zustands, der die Gerichte berechtigen könnte, die Grundlagen für eine Honorierung ärztlicher Tätigkeiten, wie sie insb. in § 4 Abs. 2a GOÄ und in den allgemeinen Bestimmungen des Abschnitts L geregelt sind, im Wege verfassungskonformer Auslegung beiseite zu schieben.
Der Senat folgt dem Berufungsgericht daher nicht darin, die vom Kläger erbrachte komplexe Operationsleistung in ihre Einzelschritte aufzugliedern und Letztere, obwohl sie im Verhältnis zur Komplexleistung nicht selbstständige Leistungen darstellen, im Wege einer Analogberechnung einzeln zu honorieren. Eine solche Lösung berücksichtigt nicht hinreichend die grundlegende Unterscheidung zwischen selbstständigen und nicht selbstständigen ärztlichen Leistungen und lässt daher außer Betracht, dass die Bewertung der Leistungen im Gebührenverzeichnis nicht in der Art eines Baukastensystems strukturiert ist. Zwar lehnt sich eine Heranziehung der Gebührennummern 2760, 2583 und 2803 nahe an die dortige Beschreibung der ärztlichen Leistungen an; sie führt aber, legt man den Gesamtaufwand an Zeit zu Grunde, den der Kläger für die Operation benötigte und den der Sachverständige für Operationen dieser Art im Vergleich zu der in Nr. 2757 beschriebenen Leistung allgemein für notwendig erachtet, zu einer unverhältnismäßigen Überhonorierung.
bb) Andererseits teilt der Senat nicht die Auffassung der Revision, der Kläger sei auf die Ausschöpfung des Gebührenrahmens nach § 5 Abs. 2 GOÄ beschränkt oder darauf zu verweisen, mit dem Patienten eine Honorarvereinbarung abzuschließen.
(1) Richtig ist im Ausgangspunkt die Auffassung der Revision, dass der Arzt nach § 5 Abs. 2 GOÄ die Möglichkeit hat, die Gebühren innerhalb des Rahmens unter Berücksichtigung der Schwierigkeit und des Zeitaufwands der einzelnen Leistungen sowie der Umstände bei der Ausführung nach billigem Ermessen zu bestimmen. Danach besteht durchaus die Möglichkeit, in dem durch den Rahmen begrenzten Umfang auch Besonderheiten Rechnung zu tragen, die auf eine neue Behandlungsmethode und Entwicklungen der medizinischen Wissenschaft zurückgehen. Es ist aber nicht die Aufgabe der Vorschrift, für eine angemessene Honorierung solcher Leistungen zu sorgen, für die eine Analogberechnung in Betracht kommt (vgl. zum Verhältnis von § 6 Abs. 2 GOZ zu § 5 Abs. 2 GOZ BGH, Urt. v. 23.1.2003 - III ZR 161/02, BGHReport 2003, 509 = NJW-RR 2003, 636 [637]). Ein solches Verständnis nähme dem Arzt die Möglichkeit, den Gebührenrahmen wegen anderer, gleichfalls vorliegender Umstände auszuschöpfen.
(2) Dem Arzt kann auch nicht angesonnen werden, sich in Fällen, in denen die Anwendung der Gebührenordnung für Ärzte wegen eines möglichen Regelungsdefizits Zweifel aufwirft, durch Abschluss einer Vereinbarung ein angemessenes Honorar zu sichern. Da durch eine solche Vereinbarung nach § 2 Abs. 1 S. 1 GOÄ lediglich eine abweichende Gebührenhöhe festgelegt werden kann, sind die im Gebührenverzeichnis beschriebenen Leistungen einschließlich der Punktzahlen und Punktwerte für die Abrechnung gleichermaßen verbindlich. Würde der Arzt eine analoge Berechnung von Leistungspositionen für berechtigt halten, auf eine entsprechende Abrechnung jedoch zur Vermeidung von Streit verzichten wollen, könnte er das aus seiner Sicht angemessene Honorar nur durch die Vereinbarung von Steigerungsfaktoren erreichen, die unter Umständen erheblich über den Rahmen des § 5 Abs. 2 GOÄ hinausreichen. Abgesehen davon, dass eine solche Verfahrensweise auf Widerstand der privaten Krankenversicherer stoßen würde, liefe sie auch auf eine scheinbare Kommerzialisierung ärztlicher Leistungen hinaus, die die Tätigkeit des Arztes unzumutbar erschweren könnte.
cc) Der Senat hält es jedoch für zulässig, die Regelungslücke in Bezug auf die hier vorgenommene Operation durch eine weitere, den Gebührenrahmen ausschöpfende Berechnung der Gebührennummer 2757 nach § 6 Abs. 2 GOÄ zu schließen. Insoweit folgt der Senat dem Gutachten in dem Befund, dass die in der Gebührennummer 2757 beschriebene Leistung nur eine Teilmenge der hier vorgenommenen ärztlichen Leistungen darstellt und dass die durchgeführte Operation ihrer Art nach den zwei- bis vierfachen zeitlichen Aufwand verlangt. § 4 Abs. 2a S. 1 GOÄ verbietet zwar auch die Berechnung einer Leistung, die eine besondere Ausführung einer anderen Leistung nach dem Gebührenverzeichnis ist (vgl. hierzu Miebach, MedR 2003, 88 [90]; Lang/Schäfer/Stiel/Vogt, Der GOÄ-Kommentar, 1996, § 4 Rz. 41 f.). Für die Anwendung des § 6 Abs. 2 GOÄ kommt es daher darauf an, dass die in Rede stehende Leistung eine andere als die im Leistungsverzeichnis beschriebene ist und nicht nur eine besondere Ausführung der Letzteren. Wo die Grenze zwischen beidem liegt, lässt sich letztlich nicht ohne Einbeziehung wertender Gesichtspunkte bestimmen. Auch wenn es bei der vorliegenden Operation im Ausgangspunkt um die in Nr. 2757 beschriebene Leistung ging, sind erhebliche Tätigkeiten im Bereich der Gebührennummern 2583 und 2803 erbracht worden, die die Leistungslegende der Nr. 2757 in ihrer Bewertung nicht umfasst. Die Operation hat ihre besondere Ausprägung durch die arbeits- und zeitaufwändige Ausräumung der Kompartimente erfahren, was bei einer wertenden Betrachtung von der in die Nr. 2757 als Nebenleistung einbezogenen Ausräumung der regionären Lymphstromgebiete so nicht umfasst wird. Um dieses Defizit auszugleichen, andererseits dem Grundsatz der Nichtabrechenbarkeit unselbstständiger Leistungen, die notwendiger Bestandteil der durchgeführten Operation sind, zu folgen, hält der Senat für die in der Bewertung der Komplexleistung nach der Nr. 2757 nicht hinreichend berücksichtigte Ausräumung der Kompartimente eine weitere - die Lücke füllende - analoge Abrechnung dieser Gebührennummer für gerechtfertigt. Der Kläger kann daher über die vorprozessualen Leistungen hinaus Zahlung von 469,88 EUR verlangen. Der Betrag errechnet sich wie folgt:
Nr. 2757 analog, Faktor 3,5 |
1.476,30 DM |
gemindert auf 83 v. H. gem. § 1 der Vierten Gebührenanpassungsverordnung v. 27.9.1996 (BGBl. I, 1488) |
1.225,33 DM |
abzgl. 25 v. H. wegen stationärer Behandlung (§ 6a GOÄ) |
919 DM |
|
= 469,88 EUR |
Fundstellen
Haufe-Index 1162566 |
BGHZ 2005, 142 |
BGHR 2004, 1135 |
ArztR 2004, 403 |
MDR 2004, 928 |
MedR 2004, 679 |
MedR 2005, 228 |
VersR 2004, 1135 |