Leitsatz (amtlich)
Zur Bemessung des Unterhaltsanspruchs des geschiedenen Ehegatten nach §§ 58, 59 EheG, insbesondere zur angemessenen Aufteilung des Einkommens erwerbstätiger geschiedener Ehegatten.
Verfahrensgang
OLG Stuttgart (Entscheidung vom 28.10.1977) |
AG Böblingen |
Tenor
Auf die Revisionen der Parteien wird das Urteil des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 28. Oktober 1977 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Ehe der Parteien wurde durch Urteil vom 19. Februar 1976 rechtskräftig aus dem Verschulden des Beklagten geschieden. Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Zahlung von Unterhalt für die Zeit ab 21. Februar 1976 in Anspruch.
Beide Parteien waren während der Ehe berufstätig, wobei das Einkommen des Beklagten wesentlich höher als das der Klägerin war. Im Zeitpunkt der Ehescheidung bezog die Klägerin Krankengeld. Anschließend arbeitete sie nochmals einige Monate halbtags. Inzwischen bezieht sie eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Der Beklagte ist wie früher weiterhin berufstätig. Er hat am 6. August 1976 wieder geheiratet. Seine neue Ehefrau ist ebenfalls berufstätig.
Mit der Klage begehrte die Klägerin einen monatlichen Unterhaltsbetrag von 400,- DM. Das Amtsgericht hat ihr eine Unterhaltsrente von monatlich 250,- DM, für die Zeit eines stationären Krankenhausaufenthalts vom 22. September 1976 bis 11. Februar 1977 ermäßigt auf 120,- DM, zugesprochen. Auf die Berufungen beider Parteien hat das Oberlandesgericht die Unterhaltsrente für die Zeit bis 31. Dezember 1976 auf 350,- DM und für die Folgezeit auf 200,- DM monatlich bemessen.
Gegen das Urteil haben beide Parteien die vom Berufungsgericht zugelassene Revision eingelegt. Die Klägerin erstrebt weiterhin eine Unterhaltsrente von monatlich 400,- DM, während der Beklagte nur eine Unterhaltszahlung von monatlich 200,- DM für die Zeit bis 31. März 1977 - und auch dies nur mit Ausnahme der Zeit des Klinikaufenthalts der Klägerin - für gerechtfertigt hält und im übrigen die Abweisung der Klage beantragt.
Entscheidungsgründe
Die zulässigen Revisionen beider Parteien führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Da die Ehe der Parteien vor Inkrafttreten des 1. EheRG geschieden worden ist, bestimmt sich der Unterhaltsanspruch der Klägerin nach früherem Recht (Art. 12 Nr. 3 Abs. 2 des 1. EheRG). Maßgebend sind danach die Vorschriften der §§ 58 ff EheG. Durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Regelung bestehen nicht. Soweit die genannten Vorschriften dem Wortlaut nach zwischen Mann und Frau differenzieren, kann dies durch eine verfassungskonforme Auslegung im Sinne des Art. 3 Abs. 2 GG ausgeglichen werden (vgl. hierzu MünchKomm/Richter, BGB Familienrecht, § 1577 Rdn. 2). Davon geht auch das Berufungsgericht aus.
II.
Die Art und Weise, in der das Berufungsgericht den Unterhaltsanspruch bemessen hat, wird jedoch dem Regelungsgehalt und der Systematik der §§ 58, 59 EheG nicht gerecht. Das Berufungsurteil kann daher nicht bestehen bleiben.
1.
Das Berufungsgericht hat in seinem Urteil ausschließlich die §§ 58 Abs. 1, 62 EheG herangezogen und dazu ausgeführt:
Die Höhe des Unterhalts richte sich nach den wirtschaftlichen Verhältnissen im Zeitpunkt der Scheidung. Im Interesse der Rechtssicherheit müsse die Berechnung schematisiert werden. Richtigerweise sei dabei nicht eine Aufteilung der addierten beiderseitigen Einkommen vorzunehmen, sondern es sei von der Differenz der Nettoeinkommen der Ehegatten auszugehen.
Für das Jahr 1976 belaufe sich das Nettoeinkommen des Beklagten auf etwa 2.200,- bis 2.250,- DM; das Nettoeinkommen der Klägerin habe in diesem Jahr etwa 830,- DM betragen. Von der Einkommensdifferenz könne die Klägerin ein Viertel, also 350,- DM, beanspruchen. Dabei sei berücksichtigt, daß der Beklagte seiner jetzigen Ehefrau zur Zahlung eines Unterhaltsbeitrags verpflichtet sei, andererseits aber die jetzige Ehefrau des Beklagten bei der Heirat von der Unterhaltspflicht des Beklagten gegenüber der Klägerin gewußt habe.
Für das Jahr 1977 und die Folgezeit betrage das Nettoeinkommen des Beklagten nur 1.900,- DM, während das Einkommen der Klägerin infolge des Bezugs der laufend gesteigerten Rente auf durchschnittlich monatlich 1.050,- DM gestiegen sei. Der Unterhaltsanspruch betrage wiederum ein Viertel der Einkommensdifferenz, so daß sich (gerundet) 200,- DM ergäben.
2.
Mit diesen Ausführungen hat das Berufungsgericht § 58 EheG rechtsfehlerhaft angewandt und darüber hinaus § 59 EheG nicht hinreichend berücksichtigt.
a)
§ 58 EheG bildet die Grundlage für die Bemessung der nachehelichen Unterhaltspflicht des aus alleinigem oder überwiegendem Verschulden geschiedenen Ehegatten. Der Ehegatte, der nicht oder nur in geringerem Maße für schuldig erklärt worden ist, hat danach im Rahmen seiner Bedürftigkeit Anspruch auf den nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt. Damit gibt das Gesetz einen objektiven Bemessungsmaßstab, der von der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten unabhängig ist. Der unterhaltsberechtigte Ehegatte soll nach § 58 EheG so gestellt werden, daß er seinen in der Ehe erworbenen Lebensstandard beibehalten kann.
In der Kommentarliteratur wird überwiegend die Auffassung vertreten, daß sich der Betrag des angemessenen Unterhalts im Sinne des § 58 EheG von vornherein nach der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten richte und § 59 EheG nur den Sonderfall regle, daß die Leistungsfähigkeit des Verpflichteten infolge zusätzlicher Verbindlichkeiten eingeschränkt sei (u.a. Hoffmann/Stephan, EheG 2. Aufl., § 58 Rdn, 13, 25 und § 59 Rdn. 3; Palandt/Diederichsen, BGB 35. Aufl., § 59 EheG Anm. 2; Staudinger/Donau, BGB 10. Aufl., § 59 EheG Rdn. 5; RGRK-BGB/Wüstenberg 10./11. Aufl., § 58 EheG Anm. 68). Der Senat kann sich dieser Auffassung, die letztlich auf eine ältere Entscheidung des Oberlandesgerichts München (HRR 1940, Nr. 891) zurückgeht, nicht anschließen. Es ist kein Grund ersichtlich, warum die Regelung des § 59 EheG auf den Sonderfall der Leistungsunfähigkeit wegen sonstiger Verpflichtungen beschränkt und die Folgen der eingeschränkten Leistungsfähigkeit damit uneinheitlich geregelt sein sollten. Ebenso wie der hinsichtlich der Berücksichtigung sonstiger Verpflichtungen fast wortgleiche § 1603 BGB ist § 59 EheG vielmehr als umfassende Regelung des Einflusses der eingeschränkten Leistungsfähigkeit auf den Unterhaltsanspruch anzusehen. Die ausdrückliche Erwähnung sonstiger Verpflichtungen dient nur der Klarstellung, daß diese Verpflichtungen bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit nicht unberücksichtigt bleiben dürfen. § 58 EheG bestimmt demgegenüber - vergleichbar der Vorschrift des § 1610 BGB - das Maß des angemessenen Unterhalts objektiv nach dem ehelichen Lebensstandard (ebenso Brühl/Göppinger/Mutschler, Unterhaltsrecht 3. Aufl., Rdn. 248).
Die Bemessung des Unterhaltsanspruchs nach §§ 58, 59 EheG geht daher stufenweise vor sich. Ausgangspunkt ist der nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessene Unterhalt gemäß § 58 EheG. Der Anspruch ist jedoch nach Billigkeitsgrundsätzen zu beschränken, wenn der Verpflichtete nicht voll leistungsfähig im Sinne des § 59 EheG ist. Diese Zweistufigkeit der gesetzlichen Regelung muß nicht in allen Fällen dazu führen, daß der Betrag des angemessenen Unterhalts nach § 58 EheG zunächst konkretisiert wird. Er kann offen bleiben, wenn die Leistungsfähigkeit des Verpflichteten offensichtlich unzureichend ist und die Billigkeitsentscheidung nach § 59 EheG ohne Festlegung der Höhe des angemessenen Unterhalts möglich ist, etwa wenn es nach Sachlage nur darum geht, das geringe Einkommen des Verpflichteten unter den geschiedenen Ehegatten nach Billigkeitsgrundsätzen aufzuteilen. Wenn - wie im vorliegenden Fall - auch der Unterhaltsbedarf des neuen Ehegatten des Verpflichteten zu berücksichtigen ist, wird es jedoch auch bei offensichtlich unzulänglicher Leistungsfähigkeit des Verpflichteten zumindest erforderlich sein, die Beträge des angemessenen Unterhalts der verschiedenen Berechtigten und den für die Unterhaltszahlungen insgesamt zur Verfügung stehenden Betrag zueinander in Relation zu setzen, um eine Kürzung der Ansprüche nach Billigkeit zu ermöglichen.
b)
Diesen Grundsätzen wird das Berufungsgericht nicht gerecht.
Das Urteil läßt nicht zweifelsfrei erkennen, ob das Berufungsgericht die zugesprochenen Beträge als den angemessenen Unterhalt nach § 58 EheG oder als einen nach Billigkeit bemessenen Unterhalt gemäß § 59 EheG angesehen hat. Für ersteres spricht, daß das Berufungsgericht nur § 58 EheG angeführt und auf die wirtschaftlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Ehescheidung abgestellt hat. Auf eine Bemessung nach § 59 EheG deutet dagegen die Berücksichtigung der Unterhaltspflicht des Beklagten gegenüber seiner neuen Ehefrau hin. Die Ausführungen des Berufungsgerichts würden jedoch nach beiden Bestimmungen nicht ausreichen, um das Urteil zu tragen.
aa)
Soweit der angemessene Unterhalt nach § 58 EheG in Frage steht, hat das Berufungsgericht im Ausgangspunkt rechtsfehlerfrei auf die Einkommensverhältnisse der Parteien abgestellt und auch die späteren Änderungen der Einkommen berücksichtigt, die nicht auf einer Änderung der bereits während der Ehe gegebenen Lebensstellung der Parteien beruhten (Palandt/Diederichsen a.a.O. § 58 EheG Anm. 3 m.w.N.). Die Einkommen der Parteien lagen noch nicht in einer Größenordnung, die zwingend ergeben würde, daß bei vernünftiger Lebensführung ein Teil der Einkommen nicht mehr zur Deckung des laufenden ehelichen Lebensaufwands, sondern zur langfristigen Vermögensbildung verwendet worden wäre. Die Einkommen konnten daher in voller Höhe der Bemessung des ehelichen Lebensstandards zugrunde gelegt werden.
Es ist auch nicht zu beanstanden, daß das Berufungsgericht den Betrag des Unterhaltsanspruchs mittels eines Richtsatzes ermittelt hat, indem es der Klägerin eine Quote des Unterschiedsbetrages der beiderseitigen Nettoeinkommen zugesprochen hat. Der Betrag des angemessenen Unterhalts bestimmt sich zwar nach den Umständen des Einzelfalles. Bei der Bemessung des Betrages kann aber von Richtsätzen ausgegangen werden, die auf die gegebenen Verhältnisse abgestellt sind und der Lebenserfahrung entsprechen, soweit nicht im Einzelfall besondere Umstände eine Abweichung bedingen (BGH NJW 1969, 919).
Die Revisionen beider Parteien machen hierzu geltend, die Berechnungsmethode des Berufungsgerichts sei insoweit fehlerhaft, als das Berufungsgericht nicht eine Quote der beiden addierten Einkommen abzüglich des Einkommens der Klägerin als Bemessungsmaßstab genommen habe, sondern eine Quote der Differenz beider Einkommen. Hiermit dringen die Revisionen nicht durch. Das Bundessozialgericht hat allerdings in einem Fall, in dem die Ehefrau zwar Einkommen aus Vermögen, aber nicht aus einer Erwerbstätigkeit bezogen hatte, deren angemessenen Unterhaltsbedarf mit einer Quote der addierten Einkommen bemessen (BSGE 32, 197 = NJW 1971, 1333). Jedenfalls bei der hier während und auch noch nach der Ehe gegebenen Berufstätigkeit beider Ehegatten ist jedoch die vom Berufungsgericht angewandte Differenzberechnung aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Sie berücksichtigt, daß beide Ehegatten mit ihrem Einkommen zum ehelichen Lebensaufwand beitragen müssen, daß aber jedem Erwerbstätigen von seinem Einkommen mehr als die Hälfte zugebilligt werden muß, um den mit der Berufstätigkeit verbundenen erhöhten Aufwand auszugleichen. Zugleich wird damit erreicht, daß der Anreiz der Ehegatten zur Erwerbstätigkeit gesteigert wird.
Die Höhe der vom Berufungsgericht angenommenen Quote widerspricht hier jedoch der Lebenserfahrung. Die Ehegatten nahmen am ehelichen Lebensstandard grundsätzlich in gleicher Weise teil, was an sich zu einer Aufteilung der Einkommen je zur Hälfte führen würde. Die Berücksichtigung des besonderen Aufwands, der mit der Berufstätigkeit verbunden ist, führt zwar dazu, daß den Erwerbstätigen jeweils mehr als die Hälfte ihres Einkommens zugerechnet werden muß. Mangels besonderer Umstände, die hier nicht geltend gemacht sind, kann dieser Zuschlag im allgemeinen aber nur maßvoll sein. So geht beispielsweise die sogenannte "Düsseldorfer Tabelle", die in der Praxis weitgehend angewandt wird, in der Neufassung nach dem Stand vom 1. Januar 1979 (FamRZ 1978, 854 = NJW 1979, 25) insoweit davon aus, daß jedem Ehegatten sein Einkommen zu drei Fünfteln belassen werden müsse, so daß der Unterhaltsanspruch zwei Fünftel der Differenz der Einkommen betragen würde (2/5 des Einkommens des Beklagten zuzüglich 3/5 des Einkommens der Klägerin als angemessener Lebensbedarf, wovon dann das Einkommen der Klägerin noch abzuziehen ist). Die vom Berufungsgericht zugrunde gelegte Quote von einem Viertel der Einkommensdifferenz würde demgegenüber bedeuten, daß jedem Ehegatten sein Einkommen zu drei Vierteln verbleiben müßte. Eine derart ungleiche Aufteilung kann - jedenfalls unter den hier gegebenen Einkommensverhältnissen - nicht als angemessen erachtet werden.
bb)
Die Unterhaltsbemessung des Berufungsgerichts kann auch als Billigkeitsentscheidung nach § 59 EheG nicht aufrecht erhalten bleiben. Abgesehen davon, daß nicht zweifelsfrei erkennbar ist, ob das Berufungsgericht überhaupt den Tatbestand des § 59 EheG als erfüllt angesehen und eine Entscheidung nach Billigkeit - die ihm als Tatsachengericht grundsätzlich vorbehalten bleiben muß - getroffen hat, würden die Ausführungen des Berufungsgerichts nicht ausreichen, um den zugesprochenen Betrag aus Billigkeitsgründen zu rechtfertigen. Das Berufungsurteil erwähnt zwar die Unterhaltspflicht des Klägers gegenüber seiner neuen Ehefrau. Es beziffert aber deren Unterhaltsbedarf nicht und läßt auch nicht erkennen, in welchem Verhältnis die angemessenen Unterhaltsbeträge für beide Ehefrauen zueinander und zur Leistungsfähigkeit des Beklagten stehen.
Das Berufungsurteil kann daher keinen Bestand haben. Das Berufungsgericht muß vielmehr unter Beachtung der dargelegten Grundsätze neu über den Klageanspruch befinden.
III.
Für die neue Verhandlung und Entscheidung wird vorsorglich noch auf folgendes hingewiesen:
Der Unterhaltsbedarf der jetzigen Ehefrau des Beklagten kann auf die Bemessung des Klageanspruchs nicht für den ganzen von der Klage umfaßten Zeitraum, sondern erst ab Schließung der neuen Ehe von Einfluß sein.
Soweit die Revisionen der Parteien geltend machen, daß das Berufungsgericht einige Posten seiner Berechnung unrichtig bemessen habe, besteht kein Anlaß zur Stellungnahme. Die Parteien können insoweit ihren Vortrag in der neuen Verhandlung vor dem Berufungsgericht anbringen.
Fundstellen
Haufe-Index 3018756 |
NJW 1979, 1985-1986 (Volltext mit amtl. LS) |
MDR 1979, 917-918 (Volltext mit amtl. LS) |