Entscheidungsstichwort (Thema)
Befristete Ausfallbürgschaft. Rechtzeitige Inanspruchnahme bei erfolgloser Inanspruchnahme des Hauptschuldners
Leitsatz (amtlich)
Zur rechtzeitigen Inanspruchnahme des Bürgen aus einer befristeten Ausfallbürgschaft.
Normenkette
BGB § 777 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG Köln (Urteil vom 27.09.2000) |
LG Bonn |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 27. September 2000 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einer befristeten Ausfallbürgschaft in Anspruch.
Die Beklagte übernahm am 21. Dezember 1995 im Rahmen des sogenannten DtA-Bürgschaftsprogramms eine Ausfallbürgschaft über einen Höchstbetrag von 1,2 Mio. DM für einen der G. GmbH (im folgenden: Hauptschuldnerin) von der Klägerin zum Zwecke der Betriebsmittelfinanzierung gewährten und ursprünglich bis zum 31. Dezember 1996 befristeten Kontokorrentkredit über 1,5 Mio. DM. Die Bürgschaft war, der Laufzeit des der Hauptschuldnerin gewährten Kredits entsprechend, befristet. Hierzu heißt es in der Bürgschaftserklärung:
„Die Bürgschaft erlischt mit Rückgabe dieser Erklärung, spätestens aber am 31.12.1996, wenn wir nicht bis zu diesem Tage daraus in Anspruch genommen worden sind.”
Als weitere Sicherheiten für den der Hauptschuldnerin von der Klägerin gewährten Kredit dienten selbstschuldnerische Bürgschaften der beiden Gesellschafter der Hauptschuldnerin sowie eine globale Sicherungsabtretung.
Mit Schreiben vom 18. Dezember 1996 verlängerte die Beklagte ihre Bürgschaft wie folgt:
„Die Laufzeit dieser Bürgschaft, die ursprünglich bis zum 31.12.96 befristet war, verlängern wir um ein weiteres Jahr bis zum 31.12.97. Alle anderen mit Ihnen getroffenen Vereinbarungen behalten unverändert Gültigkeit.”
Dementsprechend verlängerte die Klägerin auch die Laufzeit ihres Kredits bis zum 31. Dezember 1997.
Wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten der Hauptschuldnerin kündigte die Klägerin mit Schreiben vom 16. Oktober 1997 den Kredit und stellte den in Höhe von 1.585.383,84 DM ermittelten Saldo zur sofortigen Rückzahlung fällig. Mit Schreiben vom 20. November 1997 informierte die Klägerin die Beklagte unter Beifügung des Kündigungsschreibens über die hierfür maßgeblichen Gründe.
Mit Schreiben vom 9. März 1998 forderte die Beklagte die Klägerin zur Rückgabe der Bürgschaftsurkunde auf, weil die Klägerin innerhalb der Befristung sie nicht als Bürgin in Anspruch genommen habe. Daraufhin hat die Klägerin Klage auf Zahlung eines Teilbetrages in Höhe von 100.000 DM erhoben.
Das Landgericht hat der Klage im wesentlichen stattgegeben; das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Mit ihrer Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
Die Bürgschaft sei erloschen. Sie sei (nach entsprechender Verlängerung durch das Schreiben vom 18. Dezember 1996) als eine bis zum 31. Dezember 1997 befristete Zeitbürgschaft auszulegen. Ihr Inhalt unterscheide sich nur insoweit von der gesetzlichen Regelung des § 777 Abs. 1 BGB, als die Inanspruchnahme des Bürgen – abweichend von Abs. 1 Satz 2 dieser Vorschrift – bis zu dem angegebenen Endtermin habe erklärt werden müssen, um das Erlöschen der Bürgschaftsverpflichtung zu verhindern. Dies habe die Klägerin versäumt; ihr Schreiben vom 20. November 1997 könne – entgegen der Auffassung des Landgerichts – nicht als konkludente Inanspruchnahme der Beklagten verstanden werden. Die Wahrung der Frist sei der Klägerin möglich gewesen, auch wenn es sich um eine Ausfallbürgschaft gehandelt habe; denn zur Inanspruchnahme habe es nicht der Bezifferung des eingetretenen Verlusts bedurft. Eine Ausdehnung der Haftung eines Zeitbürgen unter Billigkeitsgesichtspunkten komme nicht in Betracht.
II.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Das Berufungsgericht hat die Bürgschaft rechtsfehlerfrei als Zeitbürgschaft behandelt. Die Klägerin hat jedoch die in der Bürgschaftsurkunde vorgesehene Inanspruchnahme der Beklagten rechtzeitig erklärt. Dies folgt aus einer interessengerechten Auslegung der Bürgschaftserklärung unter Berücksichtigung des § 777 Abs. 1 Satz 1 BGB.
1. Die Befristung einer Bürgschaft mit der Wirkung, daß sie erlischt, wenn sie bis zu einem bestimmten Endtermin nicht geltend gemacht wird, ist zwar möglich (vgl. BGHZ 91, 349, 351; 99, 288, 290; BGH, Urt. v. 21. Oktober 1981 – VIII ZR 212/80, NJW 1982, 172; v. 21. März 1989 – IX ZR 82/88, NJW 1989, 1856, 1857). Bei der Auslegung der vorliegenden Bürgschaftserklärung muß jedoch berücksichtigt werden, daß die Beklagte nur für den Ausfall der Klägerin haften sollte. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts können die von der Rechtsprechung zur selbstschuldnerischen Zeitbürgschaft nach § 777 Abs. 1 Satz 2 BGB entwickelten Grundsätze auf die von der Beklagten übernommene befristete Ausfallbürgschaft nicht übertragen werden. Der Ausfall des Gläubigers gehört hier zum anspruchsbegründenden Tatbestand (MünchKomm-BGB/Habersack, 3. Aufl. § 765 Rdnr. 102). Der Ausfallbürge kann erst in Anspruch genommen werden, wenn feststeht, daß die Inanspruchnahme des Hauptschuldners, gegebenenfalls auch die Verwertung anderer Sicherheiten, keinen vollen Erfolg verspricht (BGH, Urt. v. 25. Juni 1992 – IX ZR 24/92, ZIP 1992, 1073, 1075; v. 19. März 1998 – IX ZR 120/97, WM 1998, 976, 979; v. 10. Dezember 1998 – IX ZR 156/98, WM 1999, 173, 177). Im Allgemeinen ist eine Ausfallbürgschaft deshalb das Gegenteil der selbstschuldnerischen Bürgschaft (BGH, Urt. v. 19. März 1998 – IX ZR 120/97, aaO). Zeitbürgschaften, die zugleich Ausfallbürgschaften sind, fallen demgemäß regelmäßig nicht unter § 777 Abs. 1 Satz 2 BGB, sondern unter Satz 1 dieses Absatzes (Staudinger/Horn, § 777 BGB Rn. 14; vgl. ferner Reichel JW 1931, 2228, 2229; ders. AcP 135 (1932), 336, 340). Wäre auf sie Satz 2 anzuwenden, würden sie häufig ihren Zweck verfehlen, weil der Ausfall bis zum Ablauf der Zeitspanne, für welche die Bürgschaft eingegangen wurde, nicht festgestellt werden kann. Wenn – wie hier – die regelmäßige (nicht durch vorzeitige Kündigung herbeigeführte) Fälligkeit der Hauptforderung und das zeitliche Ende der Bürgschaft zusammenfallen, wird es dem Gläubiger regelmäßig nicht möglich sein, den Bürgen in Anspruch zu nehmen.
2. Die Auslegung des Berufungsgerichts verstößt, wie die Revision mit Recht rügt, gegen den allgemein anerkannten Grundsatz einer nach beiden Seiten hin interessengerechten Auslegung (vgl. BGH, Urt. v. 6. Mai 1997 – IX ZR 136/96, NJW 1997, 2233, 2234 m.w.N.).
Hätte die Klägerin die Beklagte – entsprechend der Auffassung des Berufungsgerichts – bis spätestens 31. Dezember 1997 in Anspruch nehmen müssen, wobei nur eine nähere Bezifferung hätte vorbehalten werden dürfen, hätte weder die Klägerin ihr wirtschaftliches Ziel der Kreditsicherung noch die Beklagte ihr damit korrespondierendes Ziel der Wirtschaftsförderung durch Absicherung des von der Klägerin gewährten Kredits erreichen können. Denn bis zum 31. Dezember 1997 konnte die Klägerin den Bürgschaftsanspruch noch nicht geltend machen. Nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten stand Ende 1997 weder fest, daß die Hauptschuldnerin leistungsunfähig ist, noch daß die anderweitigen Sicherheiten wertlos sind. Bei seinem Hinweis darauf, daß der Zeitbürge auch eine unbezifferte Inanspruchnahme gegen sich gelten lassen muß, hat das Berufungsgericht übersehen, daß im Falle einer Ausfallbürgschaft selbst eine unbezifferte Inanspruchnahme dem Grunde nach einen Ausfall voraussetzt.
Da das Erlöschen – wie ausgeführt – nicht an das Unterbleiben einer „Inanspruchnahme” im Rechtssinne anknüpfen kann, muß dieses Merkmal untechnisch, nämlich dahin ausgelegt werden, daß die Bürgschaftsverpflichtung am 31. Dezember 1997 erlöschen sollte, falls die Klägerin bis dahin nicht eine krisenhafte Situation, welche die spätere Inanspruchnahme der Beklagten als Bürgin naheliegend erscheinen ließ, angezeigt hatte. Mehr war der Klägerin bis zu dem angegebenen Stichtag nicht möglich, und den Interessen der Beklagten, sich auf eine Inanspruchnahme einstellen zu können, war dadurch genügt.
3. Das Schreiben der Klägerin vom 20. November 1997 erfüllt diese Anforderungen. Darin hat sie der Beklagten folgendes mitgeteilt:
„Das in der Anlage beigefügte Kündigungsschreiben übersenden wir mit der Bitte um Kenntnisnahme.
Die Geschäftsverbindung mußte gekündigt werden, da trotz sehr langen Zuwartens und mehrerer Versuche, den Geschäftsbetrieb auf eine gesunde Grundlage zu stellen, scheiterten. Die Produktion ist vollständig zum Erliegen gekommen, sodaß die Mitarbeiter nicht mehr beschäftigt werden konnten. Rohstoffe werden nicht mehr geliefert, da keine liquiden Mittel mehr zur Verfügung stehen. Der Kreditrahmen in unserem Hause war bekanntlich schon seit geraumer Zeit ausgeschöpft.
Der Gesamtvollstreckungsverwalter hat die Überlassungsverträge gekündigt und betreibt die Herausgabe der Gegenstände. Das Unternehmen hat damit keine Produktionsstätte mehr. Einen Konkursantrag haben die Firmeninhaber bisher nicht gestellt.
Über den Fortgang der Angelegenheit halten wir Sie informiert.”
Der Beklagten mußte danach klar sein, daß der Kredit notleidend geworden war und daß sie – vorbehaltlich der Feststellung eines Ausfalls – als Bürgin würde leisten müssen.
III.
Das angefochtene Urteil ist somit aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO a.F.). Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil sie noch nicht entscheidungsreif ist (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO a.F.).
Daß die Bürgschaft – wie ausgeführt – nicht mit Ablauf des 31. Dezember 1997 erloschen ist, besagt nicht, daß sie auch heute noch besteht. Das Schreiben vom 20. November 1997 hat – seiner Natur als Zwischenbescheid entsprechend – die Rechte der Klägerin nur vorläufig gewahrt. In der Folgezeit konnte die Beklagte gemäß § 777 Abs. 1 Satz 1 BGB frei werden, nämlich dann, wenn die Klägerin nicht die Einziehung der gesicherten Forderung unverzüglich nach Maßgabe des § 772 BGB betrieb, das Verfahren ohne wesentliche Verzögerung fortsetzte und unverzüglich nach seiner Beendigung der Beklagten anzeigte, daß sie nunmehr wegen des Ausfalls in Anspruch genommen werde. Zu alldem hat die Klägerin – die insoweit die Darlegungs- und Beweislast trägt (vgl. Staudinger/Horn, § 777 BGB Rdnr. 22) – bisher nichts vorgetragen. Das wird von der Revisionserwiderung mit Recht beanstandet. Den fehlenden Vortrag nachzuholen, muß der Klägerin noch Gelegenheit gegeben werden, weil sie in erster Instanz obsiegt hat und in zweiter Instanz mit ihrer Klage aus anderen Gründen abgewiesen worden ist. Auf die Ergänzungsbedürftigkeit ihres Vorbringens ist die Klägerin nicht hingewiesen worden.
Unterschriften
Kreft, Fischer, Ganter, Raebel, Kayser
Fundstellen
Haufe-Index 772126 |
DB 2002, 2712 |
DStR 2002, 1455 |
NJW 2002, 2869 |
BGHR 2002, 989 |
EBE/BGH 2002, 250 |
EWiR 2002, 867 |
IBR 2002, 474 |
KTS 2002, 708 |
Nachschlagewerk BGH |
WuB 2003, 29 |
ZIP 2002, 1442 |
MDR 2002, 1326 |
BKR 2002, 672 |
ZBB 2002, 404 |