Verfahrensgang
LG Mönchengladbach (Entscheidung vom 01.08.2023; Aktenzeichen 22 KLs 9/23) |
Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 1. August 2023 aufgehoben
1. in den Aussprüchen über
a) die Strafe für die Tat unter II. 1. der Urteilsgründe,
b) die Gesamtstrafe,
2. soweit von der Anordnung eines Vorwegvollzugs abgesehen worden ist;
jedoch werden die jeweils zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bewaffneten Sichverschaffens von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln und wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Zudem hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision zu Lasten des Angeklagten gegen die für die Tat unter II. 1. der Urteilsgründe verhängte Einzelstrafe sowie den Gesamtstrafenausspruch. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
Rz. 2
1. Das Landgericht hat zu der Tat unter II. 1. der Urteilsgründe folgende Feststellungen getroffen:
Rz. 3
Der Angeklagte erwarb am 22. Februar 2023 rund 6,6 g Heroin mit einem Wirkstoffgehalt von 2,21 Gramm Heroinhydrochlorid. Dabei führte er in Jacken- und Hosentaschen griffbereit unter anderem einen Teleskopschlagstock, ein Einhandmesser und ein Tierabwehrspray mit sich. Die Sachen wollte er zur Verteidigung verwenden, um sich erforderlichenfalls im Besitz der Drogen halten zu können. Außerdem hatte er noch fünf Bubbles mit 1,38 Gramm Kokain (1,325 Gramm Kokainhydrochlorid) bei sich.
Rz. 4
2. Das Landgericht hat die Tat als einen minder schweren Fall des bewaffneten Sichverschaffens von Betäubungsmitteln im Sinne des § 30a Abs. 3 BtMG - in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln - gewertet. Einen Strafrahmen nach § 29a BtMG wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge hat es nicht in den Blick genommen.
II.
Rz. 5
Die Revision ist begründet. Ihre Beschränkung ist - mit Ausnahme der Frage des Vorwegvollzugs - wirksam.
Rz. 6
1. Die von der Generalstaatsanwaltschaft klargestellte Beschränkung der Revision auf den Strafausspruch zu der Tat unter II. 1. der Urteilsgründe sowie den Gesamtstrafenausspruch ist grundsätzlich möglich. Entscheidend dafür ist, dass der Schuldspruch insgesamt und der Strafausspruch zur Tat unter II. 2. der Urteilsgründe von den beanstandeten Punkten nicht berührt werden. Gleiches gilt für die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB. Allerdings betrifft dies nicht die Frage des Vorwegvollzuges (§ 67 StGB), weil hierfür die beanstandete Gesamtfreiheitsstrafe maßgeblich ist (vgl. BGH, Urteile vom 26. Januar 2023 - 3 StR 154/22, juris Rn. 10 f.; vom 15. Dezember 2022 - 3 StR 295/22, juris Rn. 8 ff.). Insoweit ist die Beschränkung mithin unwirksam.
Rz. 7
2. Die Strafe für die Tat unter II. 1. der Urteilsgründe hat keinen Bestand; denn das Landgericht hat nicht erkennbar erwogen, dass der Strafrahmenuntergrenze des im Wege der Gesetzeskonkurrenz verdrängten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 BtMG) eine Sperrwirkung zukommt, falls insofern nicht ebenso ein minder schwerer Fall vorliegt (§ 29a Abs. 2 BtMG).
Rz. 8
Der Angeklagte hat neben dem Tatbestand des bewaffneten Sichverschaffens von Betäubungsmitteln denjenigen des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge erfüllt, indem er die Sachherrschaft über das erworbene Heroin ausübte (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juli 2023 - 5 StR 17/23, NStZ-RR 2023, 282, 283). Zwar tritt die entsprechende Strafbarkeit des Besitzes hinter den Qualifikationstatbestand des bewaffneten Sichverschaffens im Wege der Gesetzeskonkurrenz zurück (Grundsatz der Spezialität; MüKoStGB/Oğlakcıoğlu, 4. Aufl., § 30a BtMG Rn. 208; BGH, Beschluss vom 11. November 2009 - 2 StR 429/09, NStZ 2010, 224). Jedoch darf bei Annahme des minder schweren Falles nach § 30a Abs. 3 BtMG die Strafe nicht milder sein als nach dem Strafrahmen der verdrängten Vorschrift des § 29a Abs. 1 BtMG, sofern nicht ausnahmsweise auch die Voraussetzungen eines minder schweren Falles nach § 29a Abs. 2 BtMG gegeben sind. Bei Gesetzeskonkurrenz entfaltet ebenso wie bei Tateinheit (§ 52 Abs. 2 Satz 2 StGB) das zurücktretende Delikt eine Sperrwirkung hinsichtlich der Mindeststrafe (vgl. BGH, Urteile vom 13. Februar 2003 - 3 StR 349/02, BGHR BtMG § 30a Abs. 3 Strafzumessung 1; vom 14. Juli 2022 - 3 StR 455/21, juris Rn. 45; Beschluss vom 1. September 2020 - 3 StR 469/19, BGHR BtMG § 30a Abs. 3 Strafzumessung 5 Rn. 5).
Rz. 9
Das Urteil beruht auf dem Rechtsfehler; denn es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht keinen minder schweren Fall nach § 29a Abs. 2 BtMG angenommen und angesichts der danach höheren Mindeststrafe auf eine andere Strafe erkannt hätte. Zwar können die von ihm zur Prüfung des minder schweren Falles nach § 30a Abs. 3 BtMG herangezogenen Umstände grundsätzlich auch bei § 29a Abs. 2 BtMG Berücksichtigung finden. Allerdings hat es bei seiner Prüfung ausdrücklich auf einen Vergleich mit „durchschnittlichen Fällen des bewaffneten Sichverschaffens von Betäubungsmitteln“ abgestellt. Nach den Umständen kommt in Betracht, dass es die Zumessungsgesichtspunkte in Bezug auf den Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge anders gewichtet und gegebenenfalls bei der Annahme des Regelstrafrahmens angesichts der Sperrwirkung eine höhere Einzelstrafe festgesetzt hätte.
Rz. 10
3. Mit der Aufhebung der Einzelstrafe zu Tat II. 1. ist der Gesamtstrafe die Grundlage entzogen, die ebenfalls neu zu bemessen sein wird.
Rz. 11
4. Schließlich bedingt der Wegfall der Gesamtfreiheitsstrafe die Aufhebung der Entscheidung über den Vorwegvollzug, da sich dieser gemäß § 67 Abs. 2 Satz 2 und 3, Abs. 5 Satz 1 StGB nach der Dauer der Gesamtstrafe richtet. Insofern wird nach § 2 Abs. 6 StGB, Art. 316o Abs. 1 EGStGB die aktuelle Gesetzeslage zu beachten sein, da die Anordnung der Unterbringung nicht vor dem 1. Oktober 2023 rechtskräftig angeordnet gewesen ist (vgl. zum umgekehrten Fall BGH, Beschluss vom 5. März 2024 - 3 StR 23/24, juris Rn. 8 ff.).
Berg |
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Hohoff |
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Kreicker |
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Voigt |
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Fundstellen
Haufe-Index 16416560 |
NStZ-RR 2024, 282 |