Leitsatz (amtlich)
Stellt die Bundesbahn einen (hier französischen) Güterwagen zum Entladen zur Verfügung, so genügt sie nicht schon mit Einhaltung der nach § 32 Abs. 3 der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBBO), § 42 des Übereinkommens über die gegenseitige Benutzung der Güterwagen im internationalen Verkehr (RIV) vorgeschriebenen 4-jährigen Revision der ihr gegenüber den mit dem Entladen beschäftigten Personen obliegenden Verkehrssicherungspflicht.
Normenkette
BGB § 823; EBBO § 32
Verfahrensgang
OLG Stuttgart (Urteil vom 26.08.1975) |
LG Stuttgart (Urteil vom 26.11.1974) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 26. August 1975 insoweit aufgehoben, als es der Klägerin auch den Betrag von 42,80 DM (Beitragsanteil zur Berufsgenossenschaft) zugesprochen hat. In diesem Unfang wird die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 17. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 26. November 1974 zurückgewiesen.
Im übrigen wird die Revision der Beklagten zurückgewiesen.
Die Kosten der Revision fallen der Beklagten zur Last mit Ausnahme eines Betrages von 50,– DM, den die Klägerin von ihren eigenen Kosten selbst zu tragen hat.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin ließ am 14. Januar 1974 durch den bei ihr beschäftigten Kraftfahrer M. (M.) einen von der beklagten Bundesbahn für sie im Bahnhof bereitgestellten Eisenbahnwaggon mit Briketts entladen, Bei dem Waggon handelte es sich um einen „Selbstentladewagen” der französischen Eisenbahn (SNCF), der an den beiden Längsseiten mit vom Erdboden aus bedienbaren Auslaufrutschen versehen war. Die auslaufende Kohle konnte dann der Empfänger mit einem Förderband verladen und abtransportieren. Während des Entladevorgangs stieg M. auf eine an der Stirnseite des Waggons angebrachte eiserne Leiter, um nach dem Ladegut zu sehen. Dabei brach die oberste Sprosse ab, deren Schadhaftigkeit wegen anhaftenden Schmutzes nicht zu sehen gewesen war. M., der sich an dieser obersten Sprosse beim Hinaufsteigen hatte festhalten wollen, verlor den Halt, stürzte ab und verletzte sich erheblich. Er war etwa einen Monat arbeitsunfähig.
Die Klägerin hat, gestützt auf § 4 LFZG, Ersatz des während der Arbeitsunfähigkeit weitergezahlten Arbeitsentgeltes (2.460 DM), der Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung (331,49 DM) und eines Beitragsanteils zur Berufsgenossenschaft (42,80 DM) – insgesamt somit Zahlung von 2.834,29 DM nebst Zinsen – verlangt.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat ihr stattgegeben.
Mit der (zugelassenen) Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht bejaht eine Haftung der beklagten Bundesbahn wegen Verletzung der ihr obliegenden Verkehrssicherungspflicht (§§ 823 Abs. 1, 842 BGB). Die Beklagte sei dafür verantwortlich gewesen, daß sich die Leiter an den von ihr zur Beförderung des für die Klägerin bestimmten Transportgutes eingesetzten Güterwaggon nicht in verkehrssicherem Zustand befunden habe. Sie habe gegenüber allen Personen, die auf Seiten des Absenders oder Empfängers von Transportgut beim Ladevorgang tätig wurden, für die Sicherheit der Leiter einzustehen. Es könne sie nicht entlasten, daß der französische Waggon bei der Heimatverwaltung der SNCF in regelmäßigen Zeitabständen von 4 Jahren einer technischen Revision unterzogen werde; ein so großer Zeitabstand genüge nicht, die infolge der starken Beanspruchung solcher Güterwagen und der fortgesetzten Witterungseinflüsse auftretenden möglichen Schäden ausfindig zu machen; selbst die über ein Jahr vor dem Unfall durchgeführte Überprüfung sei, wie der Unfall beweise, nicht ausreichend gewesen.
II.
Hiergegen wendet sich die Revision ohne Erfolg.
1. Es kann sich schon fragen, ob – wie das Berufungsgericht unter Bezugnahme auf BGH Urt. v. 18. Dezember 1956 (VI ZR 166/56 = VersR 1957, 112) meint – eine Haftung der Beklagten nach § 1 RHG darum ausscheidet, weil das erst nach Beendigung des Transportes durchgeführte Entladen des an sein Ziel beförderten Eisenbahnwaggons mit der Beförderungstätigkeit der Eisenbahn nicht in unmittelbarem Zusammenhang stehe, also nicht mehr „zum Betrieb” der Eisenbahn gehöre. Dies könnte unter dem Gesichtspunkt geprüft werden, ob nicht doch die – ungeklärte – Ursache der Schadhaftigkeit und Verschmutzung der Leiter dem Gefahrenbereich der Bundesbahn, für den sie nach § 11 RHG ohne weiteres einzustehen hatte, zuzurechnen ist, dies jedenfalls bei Verwendung ausländischer Waggons. Die Beantwortung dieser Frage kann jedoch dahingestellt bleiben, weil die Haftung der Beklagten ohnehin aus § 823 BGB begründet ist.
2. Dem Berufungsgericht ist darin zu folgen, daß die Beklagte bezüglich jenes Waggons im Rahmen der verkehrserforderlichen Sorgfalt unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherungspflicht die Verantwortung für dessen ordnungsgemäßen Zustand trifft (§ 823 Abs. 1 BGB).
a) Die Beklagte hat in erster Linie geltend gemacht, es sei überhaupt nicht erforderlich gewesen, beim Entladen die Leiter an dem Selbstentladewagen zu benutzen. Das Berufungsgericht hat es demgegenüber darauf abgestellt, daß die Beklagte wegen der Bauart des Waggons, des Standorts der Leiter und deren ungehinderter Zugänglichkeit jedenfalls mit deren Benutzung durch das Entladepersonal habe rechnen müssen, zumal eine solche sich geradezu angeboten habe, um den Abfluß des Transportgutes durch einen Blick von oben in das Innere des Waggons zu überprüfen und etwaige Störungen von oben her zu beseitigen, und die Beklagte diese Benutzung auch nicht verboten gehabt habe.
Diese Ausführungen sind nicht zu beanstanden. Insoweit wird auch von der Revision nichts erinnert.
b) Die Revision wendet sich aber gegen die Anforderungen, die das Berufungsgericht an die verkehrserforderliche Sorgfalt (§ 276 BGB) der Beklagten stellt. Sie meint, es bedeute eine Überspannung, von einem auf Massenverkehr eingerichteten Großverkehr wie der Bundesbahn, zumal bei ihren Verflechtungen mit den Eisenbahnverwaltungen der europäischen Länder, eine häufigere Überprüfung als die vorgesehene turnusmäßige vierjährige Revision zu verlangen. Diese Frist hätte sich als ausreichend erwiesen. Der Unfall sei auf ungeklärte Umstände, möglicherweise auf einen unbekannt gebliebenen Materialfehler, zurückzuführen. Die Beklagte für derartige unvorhergesehene Zufälligkeiten haften zu lassen, sei ungerechtfertigt.
Dem war nicht zu folgen.
aa) Zu Recht hält das Berufungsgericht die Einhaltung der nach § 32 Abs. 3 der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBBO) in Verbindung mit § 42 des Übereinkommens über die gegenseitige Benutzung der Güterwagen im internationalen Verkehr (RIV = Regolamento Internationale Veicoli, Ausgabe Wien gültig ab 1. Juli 1972) vorgeschriebenen 4-jährigen Revision nicht für ausreichend, um der der Beklagten obliegenden Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich möglicher Abnützungs- und Korrosionsschäden, durch die Dritte bei Benutzung der Waggons gefährdet werden können, zu genügen. Diese turnusmäßigen Revisionen dienen – wie sich aus dem Titel des § 42 RIV: „Uhterhaltungszustand” ergibt – in erster Linie der Betriebssicherheit der Waggons im Eisenbahnverkehr. Im Streitfall handelt es sich aber um deren Verkehrstauglichkeit für die Benutzer der Bahn. Ebensowenig, wie vergleichsweise die in regelmäßigen Zeitabschnitten durchzuführende Kraftfahrzeuguntersuchung beim TÜV den Halter und Fahrer eines Kraftfahrzeugs davon entbindet, dieses ständig auf für ihn erkennbare mögliche Gefahrenquellen, vor allem für seine Benutzer und seine Insassen, zu untersuchen, erfüllt die Beklagte schon die ihr obliegende allgemeine Verkehrssicherungspflicht durch Einhaltung der für die Betriebssicherheit vorgeschriebenen Revisionen oder deren Überwachung bei Übernahme ausländischer Wagen an der Grenze.
bb) Zwar kann nicht, wie das Berufungsgericht es tut, ohne weiteres aus der Tatsache, daß ein Unfall geschehen ist, darauf geschlossen werden, daß die Beklagte ihre Sorgfaltspflicht verletzt habe. Jedoch kann dahingestellt bleiben, welche Anforderungen insoweit an ihre Verkehrssicherungspflicht im einzelnen zu stellen sind. Es mag Schadensfälle geben, in denen sie sich, insbesondere wenn es sich – was die Revision als möglich unterstellt – um einen Materialfehler handelt, wird entlasten können. Das hängt davon ab, in welchem Umfang es ihr unter Berücksichtigung ihrer Aufgabe als ein der Allgemeinheit dienendes und verpflichtetes Transport- und Verkehrsmittel wirtschaftlich und personell möglich und zumutbar ist, die Wagen einer laufenden Kontrolle zu unterziehen (vgl. für den Inhaber eines landwirtschaftlichen Betriebes BGH Urt. v. 24. November 1958 – VI ZR 8/58 – VersR 1959, 234). Hierzu hat aber die Beklagte in den Tatsacheninstanzen nichts vorgetragen. Trotz Hinweis des Berufungsgerichts hat sie es verabsäumt, mitzuteilen, auf welche Art und Weise und in welchen zeitlichen Abständen sie die hier für den Schadenseintritt maßgebliche Leiter überhaupt auf ihre Verkehrstauglichkeit überprüft hatte und hat geglaubt, sich mit dem Hinweis auf die 4-Jährige Revisionsfrist begnügen zu können. Nicht einmal ihren technischen Prüfungsbericht über den Unfall hat sie vorgelegt. Diese Umstände aber rechtfertigen es, wenn das Berufungsgericht von einem Verschulden der Beklagten ausgeht. Denn sie ist jedenfalls der im Streitfall ihr obliegenden Darlegungspflicht nicht nachgekommen. Diese oblag nicht der Klägerin, da letztere außerstande war, über die interne Gestaltung der Organisation und die konkrete Durchführung der Überwachung möglicher Mängel an den Waggons Angaben zu machen (vgl. dazu BGH Urt. v. 26. September 1961 – VI ZR 92/61 – VersR 1961, 1078 und v. 16. Januar 1962 – VI ZR 133/61 – VersR 1962, 325). Daher war es zumindest Sache der Beklagten, dadurch zur Aufklärung der Unfallursache beizutragen, daß sie aus ihren Unterlagen belegte, welchen Lauf jener Waggon seit seiner Übernahme von der französischen Grenze genommen hatte, von wem und wie er jeweils beladen, entladen und benutzt und daß ihr nichts darüber gemeldet worden war, einer der Benutzer habe beim Be- oder Entladen die eiserne Leiter angestoßen und beschädigt. Das zu belegen, wäre ihr unschwer möglich gewesen.
III.
Das Berufungsgericht meint, der Höhe nach sei die Forderung in vollem Umfang begründet; der in § 4 Abs. 1 LFZG geregelte Anspruchsübergang auf den Arbeitgeber erfasse nach dem Wortlaut dieser Bestimmung auch die vom Arbeitgeber aufzubringenden Beitragsanteile zur Berufsgenossenschaft. Dies ist, wie der Bundesgerichtshof inzwischen entschieden hat (Urt. v. 11. November 1975 – VI ZR 128/74 = VersR 1976, 340), nicht richtig. Die Beiträge des Arbeitgebers zur Berufsgenossenschaft sind nicht dem Erwerb des Arbeitnehmers i.S. von § 842 BGB zuzurechnen, werden daher von § 4 LFZG nicht erfaßt. Insoweit wird auf die Ausführungen des genannten Urteils verwiesen.
Demgemäß war die Klage in Höhe von 42,80 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 5. April 1974 abzuweisen.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Weber, Dunz, Scheffen, Dr. Steffen, Richter Dr. Kullmann ist im Urlaub Dr. Weber
Fundstellen
Haufe-Index 1502212 |
Nachschlagewerk BGH |