Entscheidungsstichwort (Thema)
Nutzung der Wohnung als Kindertagesstätte ohne Zustimmung des Verwalters
Leitsatz (redaktionell)
Ohne die erforderliche Zustimmung des Verwalters darf die Nutzung einer Wohnung als Kindertagespflegestätte für bis zu fünf Kleinkinder nach versagendem Beschluss der Wohnungseigentümer nicht fortgesetzt werden.
Normenkette
BGB § 1004; WEG § 15 Abs. 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision gegen das Urteil der 29. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 11. August 2011 wird auf Kosten der Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass nicht der „unzulässige” Gebrauch, sondern der „ungenehmigte” Gebrauch der Wohnung als Kindertagespflegestelle zu unterlassen ist.
Tatbestand
Rz. 1
Die Parteien sind Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Wohnung der Klägerin befindet sich im Erdgeschoss des Hauses, die darüber liegende Wohnung der Beklagten im ersten Obergeschoss. Die Teilungserklärung enthält folgende Regelung:
„Die Ausübung eines Gewerbes oder Berufes in der Wohnung ist nur mit Zustimmung des Verwalters zulässig. Die Zustimmung darf nur aus wichtigem Grund verweigert werden. Bei Vorliegen eines wichtigen Grundes kann sie auch von der Erfüllung von Auflagen abhängig gemacht werden. Als wichtiger Grund für die Verweigerung der Zustimmung gilt insbesondere, wenn die Ausübung des Gewerbes oder Berufes eine unzumutbare Beeinträchtigung anderer Wohnungseigentümer oder Hausbewohner befürchten lässt …. Erteilt der Verwalter eine beantragte Zustimmung nicht …, so kann der betroffene Miteigentümer einen Beschluss der Gemeinschaft herbeiführen, die die Entscheidung des Verwalters mit dreiviertel Mehrheit der abgegebenen Stimmen ändern kann.”
Rz. 2
Die Mieterin der Beklagten betreut in ihrer Wohnung mit Erlaubnis der Stadt gegen Entgelt bis zu fünf Kinder im Alter von 0 bis 3 Jahren von 7.00 Uhr bis 19.00 Uhr. Im Mai 2009 erklärte die Verwalterin gegenüber den Beklagten schriftlich, dass sie dieser Nutzung wegen der mit der Kinderbetreuung einhergehenden Lärmbelästigungen nicht zustimmen werde. In der Eigentümerversammlung vom 28. September 2009 stimmten die Wohnungseigentümer mit weniger als dreiviertel der abgegebenen Stimmen für eine Genehmigung der Kinderbetreuungstätigkeit. Der Beschluss wurde nicht angefochten. Die Mieterin setzte die Kinderbetreuung fort.
Rz. 3
Das Amtsgericht hat die gegen die Beklagten gerichtete Klage der Klägerin auf Unterlassung der Nutzung der Wohnung als Kindertagespflegestelle abgewiesen. Das Landgericht hat ihr stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision möchten die Beklagten eine Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erreichen. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe
I.
Rz. 4
Das Berufungsgericht bejaht einen Unterlassungsanspruch aus § 1004 BGB i.V.m. § 15 Abs. 3 WEG. Zwar widerspreche die Nutzung der Wohnung zur entgeltlichen Kinderbetreuung nicht dem Beschluss der Eigentümerversammlung vom 28. September 2009, da Gegenstand des Beschlusses nicht eine Untersagung der weiteren Kinderbetreuungstätigkeit, sondern lediglich die Nichterteilung der erforderlichen Genehmigung gewesen sei. Es liege jedoch ein Verstoß gegen die Teilungserklärung vor, da die Tagespflegestelle ohne die erforderliche Zustimmung betrieben werde. Die Verwalterin habe die Zustimmung zu Recht versagt. Bei einer typisierenden Betrachtung sei davon auszugehen, dass eine ganztätige Kinderbetreuung in einem Wohnhaus zu Beeinträchtigungen wie einem erhöhten Lärmpegel, einer gesteigerten Besucherfrequenz, vermehrtem Schmutz im Treppenhaus und einem erhöhten Müllaufkommen durch Windeln führe. Die Beeinträchtigungen seien unzumutbar, weil sie wegen des täglichen Publikumsverkehrs, der zudem zu ungewöhnlichen Zeiten stattfinde, und der Verschmutzung des Treppenhauses über diejenigen hinausgingen, die mit einer normalen Wohnungsnutzung einhergingen. Außerdem habe die Klägerin – anders als bei im Familienverbund aufwachsenden Kindern – nicht die Perspektive, dass die Lärmbeeinträchtigungen mit zunehmendem Alter der Kinder nachlassen.
II.
Rz. 5
Dies hält im Ergebnis einer rechtlichen Nachprüfung stand. Der Klägerin steht gegen die Beklagten gemäß § 15 Abs. 3 WEG i.V.m. § 14 Nr. 2 WEG ein Anspruch darauf zu, dass die Mieterin der Beklagten die gegenwärtige Nutzung der Wohnung als Kindertagespflegestelle unterlässt.
Rz. 6
1. Rechtsfehlerfrei nimmt das Berufungsgericht an, dass die Nutzung einer Wohnung zum Betrieb einer entgeltlichen Tagespflegestelle für bis zu fünf Kleinkinder die „Ausübung eines Gewerbes oder Berufes in der Wohnung” im Sinne der Teilungserklärung darstellt und daher der Zustimmung des Verwalters oder einer ¾-Mehrheit der hierüber abstimmenden Wohnungseigentümer bedarf.
Rz. 7
a) Aus der Zweckbestimmung von Räumen als Wohnungseigentum oder Wohnung folgt, dass das Wohneigentum zum Wohnen bestimmt ist und sich seine ordnungsmäßige Nutzung nach diesem Zweck richtet. Hierzu gehört in erster Linie die Nutzung der Wohnung als Lebensmittelpunkt (Senat, Urteil vom 15. Januar 2010 – V ZR 72/09, NJW 2010, 3093 Rn. 15). Zwar gehört zum Wohnen auch die Möglichkeit, in der Familie neben den eigenen Kindern fremde Kinder zu betreuen, etwa bei regelmäßigen Besuchen von Freunden der Kinder oder im Wege der Nachbarschaftshilfe. Hiervon zu unterscheiden ist jedoch die Nutzung der Wohnung zur (werk-)täglichen Erbringung von Betreuungsdienstleistungen gegenüber Dritten in Form einer Pflegestelle für bis zu fünf Kleinkinder, bei der der Erwerbscharakter im Vordergrund steht. Eine solche teilgewerbliche Nutzung der Wohnung wird vom Wohnzweck nicht mehr getragen und ist als „Ausübung eines Gewerbes oder Berufes” im Sinne der Teilungserklärung zu qualifizieren (vgl. LG Berlin, NJW-RR 1993, 907; LG Hamburg, NJW 1982, 2387).
Rz. 8
b) Aus § 24 SGB VIII folgt – anders als die Revision meint – kein anderes Ergebnis. Die Vorschrift regelt die Rechte des Kindes zur Inanspruchnahme von Tageseinrichtungen und Kindertagespflege. Adressat der dort normierten Leistungspflichten ist der Träger der öffentlichen Jugendhilfe, der darauf hinzuwirken hat, dass ein entsprechendes Angebot zu Verfügung steht. In die Rechtsbeziehungen von Wohnungseigentümern bei der Nutzung des Wohneigentums greift die Regelung hingegen nicht ein.
Rz. 9
2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt es aber auf die Frage, ob die Verwalterin zu Recht die Zustimmung zum Betrieb einer Tagespflegestelle in der Wohnung der Beklagten verweigert hat, nicht an. Denn ein Unterlassungsanspruch der Klägerin gemäß § 15 Abs. 3 WEG folgt bereits daraus, dass den Beklagten die weitere Ausübung der Tätigkeit ihrer Mieterin in der Wohnung als Tagesmutter durch bestandskräftigen Beschluss der Wohnungseigentümer untersagt wurde.
Rz. 10
a) Der Beschluss der Wohnungseigentümer in der Eigentümerversammlung vom 28. September 2009 erschöpft sich nicht allein in einem Negativbeschluss des Inhalts, dass sich die erforderliche Mehrheit für die Erteilung einer Genehmigung nicht fand. Vielmehr beinhaltet die Verweigerung der Genehmigung – wie bereits die Formulierung des der Beschlussfassung zugrunde liegenden Tagesordnungspunktes deutlich macht („Beschlussfassung über die Genehmigung bzw. Untersagung der bereits bestehenden gewerblichen/beruflichen Nutzung”) – zugleich die Untersagung einer weiteren Fortsetzung der in der Wohnung ausgeübten Kinderbetreuungstätigkeit. Der Beschluss ist, nachdem er nicht angefochten wurde, bestandskräftig geworden. Dies hat zur Folge, dass die Klägerin, der gemäß § 15 Abs. 3 WEG ein Anspruch auf einen der Beschlussfassung entsprechenden Gebrauch der Wohnung zusteht, von den Beklagten die Unterlassung der gleichwohl fortgesetzten Tagesmuttertätigkeit verlangen kann.
Rz. 11
b) Die Klägerin ist an der Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs nicht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) gehindert. Denn die Beklagten haben sich bisher zu keinem Zeitpunkt um die Erteilung einer Zustimmung zum Betrieb einer – nach Anzahl der zu betreuenden Kinder und zeitlichem Umfang konkret beschriebenen – Kindertagespflegestelle bemüht. Damit fehlt es schon an einer tatsächlichen Grundlage für die Beurteilung der Frage, ob den Beklagten ein Zustimmungsanspruch zusteht. Den Beklagten bleibt es aber unbenommen, einen entsprechenden Antrag zu stellen. Der Umstand, dass die Wohnungseigentümer in der Eigentümerversammlung vom 28. September 2009 gegen die Erteilung einer Genehmigung gestimmt haben, stünde einer erneuten Befassung der Wohnungseigentümer nicht entgegen. Denn insoweit handelt es sich um einen Negativbeschluss, der für eine erneute Beschlussfassung über denselben Gegenstand keine Sperrwirkung entfaltet (Senat, Beschluss vom 19. September 2002 – V ZB 30/02, BGHZ 152, 46, 51). Über einen Antrag der Beklagten wäre unter Berücksichtigung der tatsächlichen konkreten Gegebenheiten innerhalb der Wohnungseigentumsanlage, der Wertungen des § 22 Abs. 1a BImSchG, die nach dem Willen des Gesetzgebers auch auf das Wohnungseigentumsrecht ausstrahlen sollen, und der in der Teilungserklärung ausdrücklich vorgesehenen Möglichkeit der Erteilung von Auflagen zu entscheiden. Solange eine erforderliche Zustimmung aber nicht vorliegt, darf die Tagesmuttertätigkeit aufgrund des bestandskräftigen Untersagungsbeschlusses nicht fortgesetzt werden. Insoweit ist das Berufungsurteil klarzustellen.
III.
Rz. 12
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 WEG.
Unterschriften
Krüger, Schmidt-Räntsch, Roth, Brückner, Weinland
Fundstellen