Entscheidungsstichwort (Thema)
Verdacht der Beihilfe zur Rechtsbeugung
Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 26. März 1999 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des Landgerichts Leipzig zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe
Gegenstand des Verfahrens ist die in der DDR erfolgte Anklageerhebung gegen Dietmar Z. und seine Verurteilung wegen mehrfacher Beeinträchtigung staatlicher Tätigkeit (§ 214 Abs. 1 StGB-DDR) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten. Mit Urteil vom 10. Juli 1997 hatte das Landgericht Chemnitz den Angeklagten L., der im damaligen Verfahren die Anklage erhoben und Haftfortdauer beantragt hatte, den früheren Mitangeklagten S., der in der damaligen Hauptverhandlung die Anklage vertreten und eine entsprechende Freiheitsstrafe beantragt hatte, und den früheren Mitangeklagten D., unter dessen Vorsitz das Kreisgericht K. die Freiheitsstrafe verhängt hatte, vom Vorwurf der Rechtsbeugung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung bzw. der Beihilfe hierzu freigesprochen. Dieses Urteil hatte der Senat auf die Revision der Staatsanwaltschaft durch Urteil vom 22. April 1998 (NStZ-RR 1999, 43) mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Nunmehr hat das Landgericht (nach gesonderter Aburteilung der beiden früheren Mitangeklagten) den Angeklagten wieder freigesprochen. Hiergegen richtet sich die erneute Revision der Staatsanwaltschaft, mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird.
1. Nach den neuerlichen Feststellungen des Landgerichts stellte der Betroffene Dietmar Z. für sich und seine Familie im November 1986 einen ersten Ausreiseantrag. Nachdem dieser nicht beschieden wurde, stellte er im September 1987 einen zweiten und im April 1988 einen dritten Ausreiseantrag. Auch hierüber wurde bis August 1988 nicht entschieden; stattdessen wurden der Betroffene und seine Ehefrau regelmäßig alle drei Monate zum Rat des Stadtbezirks vorgeladen und befragt, ob sie ihren Ausreiseantrag weiter aufrechterhalten wollten. Am 9. August 1988 und am 6. September 1988 nahm der Betroffene jeweils an einem Zusammentreffen von Ausreisewilligen vor dem Rathaus der Stadt K. teil, um gegenüber den das Gebäude bei Dienstschluß verlassenden Bediensteten zu dokumentieren, daß über seinen Ausreiseantrag noch nicht entschieden worden war, und um eine schnellere Bearbeitung des Antrags zu erreichen. Am 9. August 1988 verblieb er mit ca. 60 weiteren Personen ungefähr 25 Minuten vor dem Rathaus, ohne daß aus dem Kreis der Teilnehmer Plakate gezeigt oder Parolen gerufen wurden oder daß es zu anderen Auffälligkeiten kam. Der Ort war aber so ausgewählt, daß die Öffentlichkeit darauf aufmerksam werden mußte, was sich vor dem Rathaus abspielte. Am 6. September 1988 gesellte sich der Betroffene zu ca. 50 Ausreisewilligen, die in kleinen Gruppen auf dem Platz vor dem Rathaus standen. Wenige Minuten danach wurde er von einem Polizeibeamten in Zivil aufgefordert, seinen Ausweis vorzuzeigen und den Platz sodann zu verlassen. Er ging daraufhin nur ca. zehn Meter weiter und verließ der Platz erst, nachdem er sich dort insgesamt 25 Minuten aufgehalten hatte. Auch an diesem Tag wurden keine Plakate gezeigt oder Parolen gerufen. Zwei Tage später wurde der Betroffene vorläufig festgenommen. Am nächsten Tag erließ das Kreisgericht K. auf Antrag der Staatsanwaltschaft des Bezirks K. ohne Mitwirkung des Angeklagten Haftbefehl wegen des Verdachts eines Vergehens nach § 214 Abs. 1 StGB-DDR. Die Untersuchungshaft wurde u.a. damit begründet, daß „die Tat, die den Gegenstand des Verfahrens bildet, mit Haftstrafe bedroht und eine Strafe mit Freiheitsentzug zu erwarten ist” (§ 122 Abs. 1 Nr. 4 StPO-DDR). Nach Abschluß der Ermittlungen wurde die Sache durch Verfügung der Staatsanwaltschaft des Bezirks vom 20. September 1988 an die Staatsanwaltschaft der Stadt abgegeben mit der Bitte um Anklageerhebung innerhalb von drei Tagen. Am 21. September 1988 erging durch einen Vorgesetzten des Angeklagten die Verfügung „Genossen L. zur Bearbeitung”. Der Angeklagte erhob am 22. September 1988 Anklage gegen den Betroffenen und beantragte dabei, den Haftbefehl aus den Gründen seines Erlasses aufrechtzuerhalten. Die Anklageschrift wurde der Staatsanwaltschaft des Bezirks am 23. September 1988 zugesandt mit einem Strafvorschlag von einem Jahr Freiheitsstrafe. Gleichzeitig wurde um Kenntnisnahme und Bestätigung des Strafvorschlags gebeten. Diese Verfügung an die Staatsanwaltschaft des Bezirkes war ausdrücklich an einen „Genossen B.” gerichtet. In der Handakte der Staatsanwaltschaft findet sich auf der Rückseite der Ladung zum Hauptverhandlungstermin ein handschriftlicher Vermerk: „FS 1, 4 – 6 >≫ Rücksprache bei Gen. B.”. Am 19. Oktober 1988 wurde der Betroffene auf entsprechenden Antrag des früheren Mitangeklagten S. durch eine Strafkammer des Kreisgerichts K. unter dem Vorsitz des früheren Mitangeklagten D. wegen mehrfacher Beeinträchtigung staatlicher Tätigkeit (Vergehen gemäß § 214 Abs. 1, § 6 Abs. 1, § 63 Abs. 2 StGB-DDR) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Er verbüßte die Strafe bis zu seiner aufgrund einer Amnestie erfolgten Entlassung am 22. November 1989.
Das Landgericht hat in der Verurteilung des Betroffenen durch den früheren Mitangeklagten D. Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung und in der Stellung eines entsprechenden Antrags durch den früheren Mitangeklagten S. Beihilfe hierzu gesehen. In dem mit der Anklage verbundenen Antrag auf Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft hat das Landgericht objektiv eine Beihilfehandlung des Angeklagten zur Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung gesehen. Eine Täterschaft hat das Landgericht mit der Begründung verneint, die Aufhebung der Untersuchungshaft hätte nur die Staatsanwaltschaft des Bezirkes veranlassen können (UA S. 37). Das Landgericht hat sich aber nicht vom Rechtsbeugungsvorsatz überzeugen können und dies wie folgt begründet: Von der rechtsbeugerisch überhöhten Freiheitsstrafe gegen den Betroffenen habe der Angeklagte nichts geahnt; in dem Antrag auf Haftfortdauer läge die Prognose, daß zumindest Haftstrafe zwischen einer Woche und sechs Monaten gerechtfertigt sei; daß der Angeklagte eine weitergehende Freiheitsentziehung als eine Haftstrafe erstrebte, sei nicht feststellbar.
2. Der Freispruch hält erneut rechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Das Urteil enthält keine Feststellungen zur Person des Angeklagten. Solche Feststellungen sind zwar in erster Linie bei verurteilenden Erkenntnissen notwendig, um nachvollziehen zu können, daß der Tatrichter die wesentlichen Anknüpfungstatsachen für die Strafzumessung, wie das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (§ 46 Abs. 2 Satz 2 StGB) und die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind (§ 46 Abs. 1 Satz 2 StGB), ermittelt und berücksichtigt hat (BGH st. Rspr., BGH NStZ-RR 1999, 46); der Tatrichter ist aber auch bei freisprechenden Urteilen aus sachlichrechtlichen Gründen zumindest dann zu solchen Feststellungen verpflichtet, wenn diese zur Überprüfung des Freispruchs durch das Revisionsgericht auf Rechtsfehler hin notwendig sind. So liegt es hier. Das Landgericht stützt den Freispruch auf Annahmen über die Vorstellungen des Angeklagten vom weiteren Ablauf des gegen den Betroffenen geführten Strafverfahrens. Es geht um dessen Kenntnisse über die Verfahrensweise der Strafjustiz der DDR in politischen Strafsachen. Ohne Angaben zur Ausbildung des Angeklagten, zur Art und Dauer seiner Tätigkeit in der Strafjustiz der DDR, zu seiner Einbindung in die gesellschaftlichen Strukturen der DDR und seiner Kenntnis von der Verfahrenspraxis in politischen Strafsachen ist es dem Revisionsgericht nicht möglich zu prüfen, ob die Hinweise des Landgerichts auf eine fehlende rechtsstaatliche Schulung des Angeklagten (UA S. 44) und auf dessen sonst üblichen Aufgabenbereich (UA S. 45) tragfähige Grundlagen für den Freispruch sind. Auf diesem Mangel kann das Urteil beruhen.
b) Das Landgericht setzt sich nicht mit der Feststellung auseinander, daß in unmittelbarem Zusammenhang mit der Anklageerhebung der vorgesetzten Staatsanwaltschaft ein Strafvorschlag (ein Jahr Freiheitsstrafe) zur Billigung vorgelegt worden ist. Dessen hätte es aber bedurft, da es nicht fernliegt, daß der Angeklagte als der die Anklage erhebende Staatsanwalt diese Erwartung vom Verfahrensergebnis entweder selbst verfaßt oder bei der Abfassung mitgewirkt oder von Strafvorschlägen in dieser Höhe bei vergleichbaren Fällen Kenntnis gehabt hat.
c) Das Landgericht setzt sich nicht mit der Einlassung des Angeklagten auseinander, er sei von einer Strafe mit Freiheitsentziehung ausgegangen, „sofern der Geschädigte Z. seinen Ausreiseantrag nicht zurücknehme” (UA S. 15). Diese Einschätzung des Angeklagten könnte bedeuten, daß er das Strafverfahren gegen den Betroffenen als Teil eines Maßnahmekatalogs der DDR-Staatsführung zur Diskriminierung Ausreisewilliger (vgl. BGHSt 40, 30, 38) verstanden hat. Dies wäre für die Prüfung des Rechtsbeugungsvorsatzes deshalb von Bedeutung, weil die Bestrafung als Mittel zur Ausschaltung des politischen Gegners oder einer bestimmten sozialen Gruppe ebenfalls Rechtsbeugung darstellen kann (vgl. BGHSt 40, 30, 43; 41, 247, 254).
3. Obwohl die Feststellungen zu dem Geschehen, welches dem Betroffenen zum Vorwurf gemacht worden war, sowie zum Ablauf des Strafverfahrens gegen ihn von dem Fehler nicht berührt sind, hat der Senat das Urteil vollständig aufgehoben, um dem neuen Tatrichter die Möglichkeit umfassend neuer Feststellungen zu geben. Er hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Sache an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen.
Im Hinblick darauf, daß das Landgericht den Angeklagten entsprechend der Entscheidung des Oberlandesgerichts Dresden bei der Eröffnung des Hauptverfahrens nur als möglichen Beihelfer angesehen hat, wird der neue Tatrichter die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu bedenken haben: Danach kann ein Staatsanwalt bei rechtsbeugerisch angeordneter Untersuchungshaft durch die Beantragung der Fortdauer der Untersuchungshaft bei Anklageerhebung Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung als Täter begehen (BGHSt 41, 247, 249 f.; BGH, Urt. vom 21. August 1997 - 5 StR 403/96 = BGHR StGB § 336 Rechtsbeugung 12). In Fällen von Teilnahme an sogenannten Schweigedemonstrationen kann sich die Verhängung einer zu vollstreckenden Freiheitsstrafe gegen einen Ausreisewilligen wegen eines Vergehens nach § 214 StGB-DDR als Rechtsbeugung durch eine schlechthin überharte Sanktionierung darstellen (st. Rspr.; BGH, Beschl. vom 3. Juni 1999 - 5 StR 143/99 m.w.Nachw.; Beschl. vom 15. Juni 1999 - 5 StR 614/98). Dann aber käme eine täterschaftliche Begehung in Betracht, weil die Verhängung der Untersuchungshaft auch mit einer zu erwartenden zu verbüßenden Freiheitsentziehung begründet war. Die Einbindung des Angeklagten in die Staatsanwaltschaft der Stadt hätten ihn nicht gehindert, einen Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls nach § 133 StPO-DDR zu stellen.
Unterschriften
Rissing-van, Saan, Blauth, Winkler, Pfister, von Lienen
Fundstellen
Haufe-Index 540537 |
NStZ 2000, 91 |