Verfahrensgang
LG Dresden (Urteil vom 30.03.2005) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 30. März 2005 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 38 Fällen, davon in zwölf Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.
Nach den Feststellungen des Landgerichts missbrauchte der Angeklagte im Zeitraum von April 1998 bis zum 23. Februar 2001 seine zu den Tatzeiten zehn- bis 13-jährigen Enkelinnen sexuell. Mit seiner Revision wendet sich der Angeklagte gegen den Rechtsfolgenausspruch. Mit einer Verfahrensrüge und der allgemeinen Sachrüge greift er die Nichtberücksichtigung von Strafmilderungsgründen an. Die Revision des Angeklagten hat Erfolg.
2. Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift vom 15. August 2005 ausgeführt:
„Der Strafausspruch kann keinen Bestand haben, da das Landgericht seinem Urteil ohne jegliche Erörterung die Annahme uneingeschränkter Schuldfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten zugrunde gelegt hat.
Der Bundesgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass bei Ersttätern im vorgerückten Alter im Bereich des Sexualstrafrechts die Frage der erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) infolge altersbedingter psychischer Veränderungen zu erörtern ist (vgl. u. a. BGH NJW 1964, 2213; BGHR StGB § 21 Sachmangel 1, 2, 3; Sachverständiger 5; Senat, Urteil vom 25. April 1995 – 5 StR 148/95 –; Beschluss vom 12. Juli 1995 – 5 StR 297/95 –; Beschluss vom 6. September 1995 – 3 StR 339/95 –; Beschluss vom 11. Januar 2005 – 3 StR 450/04; s. a. BGHR StGB § 21 Sachverständiger 6; StPO § 244 Abs. 2 Sachverständiger 8; BGH NStZ 1983, 34).
So liegt der Fall auch hier. Der nicht vorbestrafte Angeklagte war zu Beginn der Missbrauchsfälle 63 Jahre alt. Im sexuellen Bereich sind zuvor keine Auffälligkeiten festgestellt worden. Die Kammer hat zur gesundheitlichen Situation angeführt, dass der Angeklagte seit etwa 1987 an Depressionen leide, welche mit Medikamenten behandelt werden.
Über den Strafausspruch ist daher insgesamt neu zu entscheiden. Nach den getroffenen Feststellungen ist auszuschließen, dass der Angeklagte bei Begehung der Taten schuldunfähig war.
Der neue Tatrichter wird zu bedenken haben, ob zur Beurteilung der Frage einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten ein Sachverständiger mit besonderer Erfahrung auf dem Gebiete des Altersabbaus in Anspruch zu nehmen sein wird (vgl. u. a. BGH StV 1989, 102; 1994, 14; Kröber, NStZ 1999, 298, 299).”
Der Senat vermag sich diesen Ausführungen nicht zu verschließen.
3. Danach kommt es auf die Verfahrensrüge, mit der geltend gemacht wird, die Strafkammer habe eine Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK verletzende rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung in den Urteilsgründen nicht erörtert und bei der Strafzumessung nicht berücksichtigt, nicht mehr an. Sollte die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer insgesamt eine von Justizorganen zu vertretende schwerwiegende Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes feststellen, läge ein weiterer selbständiger Strafmilderungsgrund vor. In diesem Fall wäre das Maß der Kompensation durch Vergleich der an sich verwirkten mit der tatsächlich verhängten Strafe ausdrücklich und konkret zu bestimmen (st. Rspr., vgl. zusammenfassend BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 13 m.w.N.).
Unterschriften
Harms, Basdorf, Gerhardt, Raum, Schaal
Fundstellen
Haufe-Index 2565599 |
NStZ-RR 2006, 368 |
NStZ-RR 2006, 38 |
NJW-Spezial 2006, 90 |
StV 2006, 13 |
StraFo 2006, 29 |