Normenkette
SchVG § 7 Abs. 6, § 9 Abs. 4, § 19 Abs. 2; BGB §§ 667, 675
Verfahrensgang
OLG Nürnberg (Entscheidung vom 08.06.2021; Aktenzeichen 14 U 3753/19) |
LG Nürnberg-Fürth (Entscheidung vom 13.09.2019; Aktenzeichen 10 O 545/19) |
Tenor
Auf die Rechtsmittel des Beklagten werden das Urteil des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 8. Juni 2021, soweit zum Nachteil des Beklagten erkannt worden ist, und das Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 13. September 2019 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Anschlussrevision der Kläger wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden den Klägern auferlegt.
Der Wert des Revisionsverfahrens wird auf 9.085 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Kläger sind Gläubiger inhaltsgleicher Anleihen, welche die zwischenzeitlich insolvente F. KGaA (fortan: Schuldnerin) im Rahmen einer Gesamtemission ausgegeben hat. Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin wurde der Beklagte durch Mehrheitsbeschluss der Gläubigerversammlung zum gemeinsamen Vertreter der Gläubiger bestellt. Die Kläger nahmen an der Abstimmung nicht teil oder wurden überstimmt.
Rz. 2
Im Sommer 2018 zahlte der Insolvenzverwalter an den Beklagten einen Abschlag auf die zu erwartenden Quoten. Der Beklagte leitete den auf den jeweiligen Gläubiger entfallenden Betrag an diesen weiter, behielt jedoch einen Betrag in Höhe von 1,1 % der Nominalhöhe der Schuldverschreibung als Abschlag auf seine Vergütung ein.
Rz. 3
Im vorliegenden Rechtsstreit haben die Kläger die Auszahlung der einbehaltenen Beträge nebst Zinsen sowie die Erstattung vorgerichtlich entstandener Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen verlangt. Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Die Berufung des Beklagten hatte nur hinsichtlich der Rechtsverfolgungskosten Erfolg. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision will der Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage erreichen. Im Wege der Anschlussrevision verfolgen die Kläger den Anspruch auf Erstattung ihrer vorgerichtlich entstandenen Anwaltskosten nebst Zinsen weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 4
Die Revision hat Erfolg. Die Anschlussrevision der Kläger ist unbegründet.
A.
Rz. 5
Die Revision des Beklagten führt zur Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen, soweit zum Nachteil des Beklagten erkannt worden ist, und zur Abweisung der Klage.
I.
Rz. 6
Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Zwischen den Parteien sei ein entgeltlicher Geschäftsbesorgungsvertrag zustande gekommen. Aus dieser vertraglichen Beziehung folge jedoch kein Vergütungs- und Aufwendungsersatzanspruch des gemeinsamen Vertreters. Der Vergütungsanspruch richte sich vielmehr ausschließlich gegen den Schuldner. Die insoweit einschlägige Vorschrift des § 7 Abs. 6 SchVG sei auch dann anzuwenden, wenn der gemeinsame Vertreter erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners bestellt worden sei. Die Kostenregelung des § 9 Abs. 4 SchVG führe zu keiner anderen Beurteilung. Eine ergänzende Vertragsauslegung in dem vom Beklagten gewünschten Sinne komme angesichts der gesetzlichen Regelung des § 7 Abs. 6 SchVG nicht in Betracht. Bereicherungsansprüche entfielen, weil der Geschäftsbesorgungsvertrag zwischen den Parteien den Rechtsgrund für die Leistung des Beklagten bilde. Die Voraussetzungen eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB lägen schließlich ebenfalls nicht vor.
II.
Rz. 7
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Rz. 8
1. Grundlage des Begehrens der Kläger ist § 667 BGB in entsprechender Anwendung. Das Rechtsverhältnis zwischen dem nach § 19 Abs. 2 SchVG von der Gläubigerversammlung bestellten gemeinsamen Vertreter und den Gläubigern richtet sich, soweit das Schuldverschreibungsgesetz keine abweichenden Bestimmungen trifft, nach den Vorschriften der §§ 675, 667 ff BGB (BGH, Urteil vom 10. März 2022 - IX ZR 178/20, WM 2022, 617 Rn. 8 mwN). Der Beklagte ist verpflichtet, das, was er aus seiner Tätigkeit nach § 19 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 SchVG erlangt hat, an den jeweiligen Kläger herauszugeben.
Rz. 9
2. Der nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Emittenten bestellte gemeinsame Vertreter der Anleihegläubiger ist jedoch berechtigt, die ihm zustehende angemessene Vergütung nebst Auslagen der auf den einzelnen Anleihegläubiger entfallenden Quote zu entnehmen (vgl. BGH, Urteil vom 10. März 2022 - IX ZR 178/20, WM 2022, 617 Rn. 10 ff).
Rz. 10
a) Der von der Gläubigerversammlung bestellte gemeinsame Vertreter hat Anspruch auf eine angemessene Vergütung. Dieser Anspruch richtet sich zwar grundsätzlich gegen den Schuldner (vgl. § 7 Abs. 6 SchVG). Das gilt auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners. Auch dann steht dem gemeinsamen Vertreter kein selbständig durchsetzbarer Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Vergütung gegen den einzelnen Gläubiger zu (vgl. BGH, Urteil vom 10. März 2022, aaO Rn. 11 f mwN).
Rz. 11
b) Der Vergütungsanspruch berechtigt den gemeinsamen Vertreter jedoch, die angemessene Vergütung und seine Auslagen der auf den einzelnen Gläubiger entfallenden Quote zu entnehmen. Grundlage der Entnahmebefugnis ist der nach § 19 Abs. 2 Satz 1 SchVG gefasste Mehrheitsbeschluss der Gläubiger. Das Schuldverschreibungsgesetz schützt den einzelnen Gläubiger nicht vor Mehrheitsbeschlüssen, die sich nachteilig auf dessen Hauptforderung auswirken. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf das bereits zitierte Senatsurteil vom 10. März 2022 (IX ZR 178/20, WM 2022, 617 Rn. 13 ff) Bezug genommen. Die Höhe der geltend gemachten Vergütung ist (bisher) nicht zu beanstanden (BGH, Urteil vom 10. März 2022, aaO Rn. 20).
Rz. 12
3. Das Senatsurteil vom 10. März 2022 ist überwiegend kritisch aufgenommen worden (vgl. die Anmerkungen von Kienle/Vos, NZI 2022, 454; Borowski, ZInsO 2022, 1033; Wilken/Wintzer, EWiR 2022, 371; hinsichtlich der Begründung auch Cranshaw, WuB 2022, 277). Der Senat hat die Kritik zur Kenntnis genommen, hält aber an seiner Auffassung fest. Wünschenswert wäre eine gesetzliche Regelung der Vergütung des gemeinsamen Vertreters nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners.
III.
Rz. 13
Das angefochtene Urteil kann folglich keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben, soweit zum Nachteil des Beklagten erkannt worden ist (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat in der Sache selbst zu entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Auf die Berufung des Beklagten wird die Klage abgewiesen.
B.
Rz. 14
Die Anschlussrevision der Kläger bleibt ohne Erfolg. Grundlage des geltend gemachten Anspruchs ist § 280 Abs. 1 BGB. Diese Vorschrift setzt eine Pflichtverletzung voraus. Der Beklagte war jedoch, wie gezeigt, berechtigt, einen Abschlag in Höhe der streitbefangenen Beträge einzubehalten.
Grupp |
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Lohmann |
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Schultz |
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Selbmann |
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Harms |
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Fundstellen
InsbürO 2023, 167 |
ZRI 2022, 1011 |