Leitsatz (amtlich)
a) Auch im Schadensersatzprozeß des Dienstberechtigten trägt der Dienstverpflichtete die Beweislast dafür, daß ihm ein Recht zu der von ihm ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung des Dienstvertrages zustand.
b) Zur Frage, inwieweit dem Weiterbildungsteilnehmer, dessen Ausbildungsvertrag fristlos gekündigt worden ist, Beweiserleichterungen für das Bestehen der Abschlußprüfung und die Ausübung eines Berufes mit entsprechenden Verdienstmöglichkeiten zukommen.
Normenkette
BGB § 626; ZPO § 287
Verfahrensgang
OLG München (Urteil vom 23.04.1996) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 23. April 1996 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin, ausgebildete Diplom-Psychologin, war seit dem Sommersemester 1984 in der Akademie des Beklagten zur Ausbildung als psychoanalytische Psychotherapeutin eingeschrieben. Dem Ausbildungsvertrag lag die Weiterbildungs- und Prüfungsordnung des Beklagten zugrunde. Die in Ziffer 5 vorgesehene Zwischenprüfung bestand die Klägerin im Mai 1991. Ab dem Sommer 1992 war die Klägerin mit ihrem ersten kasuistisch-technischen Seminar befaßt. Nach vorausgegangenen Gesprächen mit verschiedenen Mitarbeitern des Beklagten teilte dessen Leiter des Weiterbildungsausschusses der Klägerin mit Schreiben vom 4. Mai 1993 mit, sie erscheine für den Beruf der Psychoanalytikerin nicht ausreichend geeignet. Der Beklagte, der in diesem Schreiben eine fristlose Kündigung des Ausbildungsvertrages sieht, setzte die Ausbildung der Klägerin im Anschluß hieran nicht mehr fort. Nach seiner Behauptung faßte der Erweiterte Vorstand des Beklagten in seiner Sitzung vom 23. März 1994 einen im Berufungsrechtszug vorgelegten Beschluß über die Exmatrikulation der Klägerin gemäß Ziffer 1.5.7.2 b der Weiterbildungs- und Prüfungsordnung.
Die Klägerin hält das eingeschlagene Verfahren des Beklagten für fehlerhaft und die Exmatrikulation für unbegründet; sie behauptet, bei Fortsetzung ihrer Ausbildung hätte sie auch die Abschlußprüfung bestanden.
Mit ihrem Hauptantrag begehrt die Klägerin Ersatz ihres Verdienstausfalls als psychoanalytische Psychotherapeutin, den sie als Teilbetrag für drei Jahre mit 236.200 DM beziffert, mit ihrem ersten Hilfsantrag die Feststellung, daß der Beklagte ihr zum Ersatz jeglichen materiellen Schadens verpflichtet sei, der ihr ab Januar 1995 aufgrund der Vertragsbeendigung entstanden sei, und mit ihrem in der Berufungsinstanz gestellten zweiten Hilfsantrag die Erstattung der ihr entstandenen Ausbildungskosten in Höhe von 74.622 DM. Die Klage blieb in den Vorinstanzen ohne Erfolg. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihre Anträge weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob die vom Beklagten ausgesprochene Kündigung des Ausbildungsvertrages rechtswirksam gewesen ist. Es hat einen Anspruch auf Ersatz des behaupteten Verdienstausfalls und hilfsweise auf Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten verneint, weil die Klägerin nicht nachgewiesen habe, daß sie bei Fortbestand des Ausbildungsvertrages die Abschlußprüfung bestanden hätte. Eine tatsächliche Vermutung oder eine tatsächliche Wahrscheinlichkeit für das Bestehen der Abschlußprüfung greife hier angesichts der widersprechenden Darstellungen der Parteien über die Qualität der Leistungen im Rahmen des kasuistisch-technischen Seminars nicht zugunsten der Klägerin ein. Für die Einholung des von ihr beantragten Gutachtens eines Sachverständigen fehle es an ausreichenden Anknüpfungstatsachen. Der Hilfsantrag auf Ersatz der bis zur Kündigung aufgewendeten Ausbildungskosten sei ebenfalls unbegründet, weil es auch insoweit darauf ankomme, daß die Klägerin ihr Abschlußexamen bestanden hätte.
II.
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Die Revision beanstandet mit Recht, daß das Berufungsgericht ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens die Kausalität zwischen der Exmatrikulation und dem behaupteten Verdienstausfall verneint hat, weil die Klägerin den ihr obliegenden Nachweis für den erfolgreichen Abschluß ihrer Ausbildung nicht erbracht habe.
a) Da das Berufungsgericht keine Feststellung zur Frage getroffen hat, ob der Beklagte den mit der Klägerin geschlossenen Ausbildungsvertrag, der als Dienstvertrag anzusehen ist, vor dem Abschluß der Ausbildung kündigen durfte, ist für das Revisionsverfahren davon auszugehen, daß der Beklagte die Klägerin zu Unrecht exmatrikuliert hat. Dann kann ihn eine Schadensersatzpflicht treffen. Zutreffend geht das Berufungsgericht insoweit von der ständigen Rechtsprechung des Senats aus, wonach der Geschädigte grundsätzlich dafür beweispflichtig ist, daß ihm durch das pflichtwidrige Verhalten des Vertragspartners ein Schaden entstanden ist. Es sieht auch die Möglichkeit, daß der Geschädigte in bestimmten Fällen dem anderen Teil den Nachweis überlassen kann, daß der Schaden nicht auf die Pflichtverletzung zurückzuführen ist, wenn Pflichtverletzung und zeitlich nachfolgender Schaden feststehen, was etwa dann in Betracht kommt, wenn nach der Lebenserfahrung eine tatsächliche Vermutung oder eine tatsächliche Wahrscheinlichkeit für den ursächlichen Zusammenhang besteht (vgl. Senat BGHZ 129, 226, 233; Urteile vom 22. Mai 1986 – III ZR 237/84 – NJW 1986, 2829, 2831; vom 3. März 1983 – III ZR 34/82 – NJW 1983, 2241, 2242 und vom 8. Dezember 1977 – III ZR 46/75 – VersR 1978, 281, 282). Es bestehen keine Bedenken, diese vom Senat für den Amtshaftungsprozeß entwickelten Grundsätze auch im Fall der Verletzung dienstvertraglicher Verpflichtungen anzuwenden. Dem Geschädigten können darüber hinaus, weil es um eine Frage der haftungsausfüllenden Kausalität geht, die Beweiserleichterungen des § 287 ZPO zugute kommen, die die Anforderungen an die Darlegung verringern (Senat BGHZ 129, 226, 233; Urteile vom 6. Oktober 1994 – III ZR 134/93 – NJW-RR 1995, 248, 249 f; vom 8. Juni 1989 – III ZR 63/88 – NJW 1989, 2945, 2946 und vom 22. Mai 1986 a.a.O. S. 2832).
b) Die Klägerin hat durch Einholung eines Sachverständigengutachtens unter Beweis gestellt, daß bei ihr gravierende Eignungsmängel zum Beruf einer Psychoanalytikerin nicht vorlägen und ihre Stundenprotokolle zum ersten kasuistisch-technischen Seminar das Gegenteil bewiesen. Sie hat sich ferner gegenbeweislich zur Behauptung des Beklagten, die erkennbaren Defizite der Klägerin seien im Rahmen der weiteren Ausbildung nicht behebbar gewesen und sie hätte das Abschlußexamen ganz sicher nicht bestanden, auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens berufen. Auch wenn man – wie das Berufungsgericht – davon ausgeht, die Klägerin sei für den Eintritt eines Schadens aufgrund einer Pflichtverletzung des Beklagten voll beweispflichtig, durften diese Beweisanträge nicht mit der Begründung abgelehnt werden, es fehle zur Leistungsbeurteilung an ausreichenden Anknüpfungstatsachen.
Wenn das Berufungsgericht Anknüpfungstatsachen zur Leistungsbeurteilung vermißt, übersieht es den Vortrag beider Parteien, den sie zur Grundlage für ihre Bewertung gemacht haben, die Klägerin sei für das angestrebte Ausbildungsziel geeignet bzw. ungeeignet. Der Beklagte hat die Beendigung des Ausbildungsverhältnisses entscheidend darauf gestützt, daß ein schriftlicher Bericht über einen von der Klägerin unter Supervision behandelten Patienten und Stundenprotokolle, aus denen sich ergibt, wie der Ausbildungskandidat mit dem Patienten arbeitet, die grundlegende psychoanalytische Inkompetenz ergeben hätten. Er hat zwar weiter darauf hingewiesen, daß verschiedene Besprechungen der Klägerin mit ihrem Weiterbildungsleiter und hinzugezogenen Lehranalytikern den Eindruck bestätigt hätten, daß die Klägerin zu einer analytischen Arbeit nicht geeignet sei. Aber auch diese Besprechungen hatten mit Stundenprotokollen, aus denen sich die Interaktion zwischen der Klägerin und der ihr anvertrauten Patientin in einer Behandlungsstunde ergab, schriftliche Ausarbeitungen der Klägerin zum Gegenstand, so daß es zu wesentlichen Teilen nicht darum geht, eine nicht mehr rekonstruierbare Prüfungssituation nachzuvollziehen und zu beurteilen, sondern die schriftlichen Unterlagen der Klägerin, auf die der Beklagte seine Exmatrikulationsentscheidung gestützt hat, im Hinblick auf das beiderseits unter Beweis gestellte Vorbringen zu untersuchen. Daß ein mit der Psychoanalyse vertrauter Sachverständiger nicht in der Lage wäre, in dieser Hinsicht Sachdienliches zur Überzeugungsbildung des Gerichts beizutragen, ist nicht erkennbar.
c) Das Berufungsgericht verkennt auch den engen Zusammenhang der offengelassenen Frage nach der Berechtigung der Kündigung mit der für eine Schadensersatzpflicht bedeutsamen Frage, ob die Klägerin bei Fortsetzung des Ausbildungsverhältnisses das Abschlußexamen bestanden hätte. Deswegen und weil es Tatsachenvortrag der Klägerin nicht in seine Würdigung einbezieht, verstellt es sich, wie die Revision mit Recht rügt, die zutreffende Beantwortung der Frage, ob der Klägerin im Sinne der angeführten Rechtsprechung des Senats Beweiserleichterungen zukommen.
Überzeugt sich das Gericht von der Richtigkeit der Behauptung des Beklagten, es lägen nicht behebbare, gravierende Eignungsmängel der Klägerin vor, die einer weiteren Ausbildung entgegenstünden, dann liegt es nahe, daß die Klägerin bei Fortsetzung der Ausbildung das Ausbildungsziel nicht erreichen kann. Unterstellt man hingegen, die Klägerin bringe die Voraussetzungen dafür mit, das Ausbildungsziel zu erreichen, ist ein Abbruch ihrer Ausbildung nicht gerechtfertigt. Dann käme aber zugunsten der Klägerin eine Beweiserleichterung für die Frage, ob sie bei Fortsetzung der Ausbildung das Abschlußexamen bestanden hätte, in Betracht. Ob nach der Lebenserfahrung eine tatsächliche Vermutung oder tatsächliche Wahrscheinlichkeit für den ursächlichen Zusammenhang der Pflichtverletzung mit dem behaupteten Verdienstausfall besteht, dürfte dann jedenfalls nicht mit der Begründung des Berufungsgerichts verneint werden, die widersprechenden Darstellungen der Parteien über die Qualität der Leistungen der Klägerin erlaubten von vornherein keine Schlußfolgerungen zugunsten der Klägerin. Denn dies stünde mit der revisionsrechtlich zu unterstellenden unberechtigten Kündigung in einem denkgesetzlich nicht zu vereinbarenden Widerspruch. Es kommt hinzu, daß das Berufungsgericht den Vortrag der Klägerin über ihre Ausbildungsbemühungen, die hohe Motivation der Weiterbildungsteilnehmer und die tatsächlich niedrige Durchfallquote bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt hat.
2. Die Entscheidung über den Hauptantrag der Klägerin stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 563 ZPO). Ob sich im Dienstvertragsrecht – wie das Landgericht hilfsweise erwogen hat – eine Vertragspartei gegen eine aus wichtigem Grund ausgesprochene Kündigung nach § 254 BGB zur Wehr setzen muß, um den drohenden Schaden abzuwenden oder sich Schadensersatzansprüche zu erhalten, bedarf keiner allgemeinen Beantwortung. Hier war der Klägerin jedenfalls die Erhebung einer Feststellungsklage oder die Beantragung einer einstweiligen Verfügung nicht zumutbar. In der Zeit zwischen Sommer 1992 und Mai 1993, als die Weiterbildung der Klägerin endgültig abgelehnt wurde, gab es nach Darstellung des Beklagten verschiedene Versuche, der Klägerin eine Fortsetzung ihrer Ausbildung zu ermöglichen. Die Klägerin erhielt Gelegenheit, den vom Seminarleiter beanstandeten schriftlichen Bericht mit dem Weiterbildungsleiter zu besprechen. Darüber hinaus wurden weitere Stundenprotokolle vom Weiterbildungsleiter und einer Lehranalytikerin durchgesehen. Schließlich wurden diese Arbeiten unter Hinzuziehung zweier weiterer Lehranalytiker – unter ihnen der für die Supervision der Klägerin zuständige Mitarbeiter – in einer kleinen Gruppe besprochen. Hierbei gelangten die im Dienst des Beklagten stehenden Fachkräfte, wie der Beklagte in seiner Klageerwiderung vom 26. Juni 1995 vorgetragen hat, mehrheitlich zu der Auffassung, daß die Arbeiten der Klägerin nicht angenommen werden könnten und ihre Defizite so schwerwiegend seien, daß das Ausbildungsverhältnis beendet werden müsse. Unter diesen Umständen war es der Klägerin nicht zuzumuten, den Rechtsweg mit dem Ziel zu beschreiten, eine Weiterbildung durch den Beklagten zu erzwingen.
3. Hiernach wird das Berufungsgericht im Rahmen des Hauptantrages – auch unter Berücksichtigung eines dem Beklagten bei prüfungsspezifischen Wertungen verbleibenden Entscheidungsspielraums (vgl. BVerfGE 84, 34, 52) – zu klären haben, ob die Exmatrikulation unwirksam gewesen ist. Dabei wird das Berufungsgericht die Prüfung nachzuholen haben, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen dem Beklagten, der die Beweislast hierfür trägt (vgl. BAG, JZ 1973, 58, 59 f), ein Recht zur außerordentlichen Kündigung des Ausbildungsvertrages außerhalb eines förmlichen Prüfungsverfahrens zustand.
Sollte sich ergeben, daß der Beklagte seine Berechtigung zur außerordentlichen Kündigung nicht nachweisen kann, wird das Berufungsgericht weiter zu prüfen haben, ob der Klägerin für den Nachweis des geltend gemachten Schadens unter Berücksichtigung der Anknüpfungstatsachen und der anderen genannten Umstände Beweiserleichterungen zukommen.
III.
Sollte die erforderliche weitere Klärung durch das Berufungsgericht ergeben, daß der Hauptantrag erneut abzuweisen ist, ist der Hinweis veranlaßt, daß auch die Erwägungen des Berufungsgerichts zur Abweisung des zweiten Hilfsantrags, wie die Revision mit Recht rügt, von Rechtsirrtum beeinflußt sind. Erweist sich die Kündigung des Beklagten als unberechtigt, kommt ein Anspruch der Klägerin auf Erstattung vergeblich aufgewendeter Ausbildungskosten wegen positiver Vertragsverletzung des Ausbildungsvertrages in Betracht. In diesem Fall wäre es Sache der Beklagten, den Nachweis darüber zu führen, daß die Klägerin das Abschlußexamen nicht bestanden hätte und die aufgewendeten Ausbildungskosten ohnehin vergeblich gewesen wären.
Unterschriften
Rinne, Wurm, Streck, Schlick, Dörr
Fundstellen
Haufe-Index 1237636 |
DB 1998, 571 |
NJW 1998, 748 |
BGHR |
Nachschlagewerk BGH |
WM 1998, 716 |
MDR 1998, 237 |
MedR 1998, 217 |