Tatbestand

Der Angekl. entwich aus der Strafhaft in der JVA Berlin-Tegel. Er wußte, daß er von Justizvollzugsbediensteten verfolgt wurde, und rechnete mit deren Schußwaffengebrauch. In Sichtweite seiner Verfolger faßte er den Entschluß, ihnen dadurch zu entkommen, daß er sich eines der Personenkraftwagen bemächtigte, die vor einer Straßenkreuzung wegen roten Ampellichtes hielten. Er riß die Fahrertür eines solchen Fahrzeugs auf, zog den Zündschlüssel aus dem Zündschloß und forderte die allein im Fahrzeug befindliche Fahrerin mit der Behauptung, er sei Polizeibeamter und benötige den Wagen für eine Verfolgungsfahrt, zum Verlassen des Fahrzeugs auf. Zur Unterstützung seiner Behauptung Polizeibeamter zu sein, zeigte er seinen Gefangenenausweis. Die Fahrerin verhielt sich zögerlich. Darauf öffnete der Angekl., erst jetzt zur Gewaltanwendung bereit, daß Schloß des Sicherheitsgurtes der Fahrerin und zog sie an ihrem Handgelenk aus dem Fahrzeug. Als es der Fahrerin anschließend gelang, den Zündschlüssel wieder an sich zu nehmen, riß der Angekl. ihn ihr aus den Händen. Er floh mit dem Fahrzeug und stellte es in der Stadt ab, wo es Wochen später aufgefunden wurde.

›Die Vorschrift des § 316 a Abs. 1 Satz 1 StGB setzt u.a. voraus, daß das Angriffsunternehmen des Täters unter Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs erfolgt. Allerdings wird dieses Merkmal nicht schon dadurch erfüllt, daß Gegenstand des Raubes ein fahrbereites Kraftfahrzeug ist ... oder daß darüber hinaus der Täter das Fahrzeug als Fluchtmittel nutzen will ... . Erforderlich ist vielmehr, daß der Täter sich eine Gefahrenlage zunutze macht, die dem fließenden Straßenverkehr eigentümlich ist und gerade deshalb so für den Teilnehmer am Kraftfahrzeugverkehr entsteht (BGHSt ... 37, 256, 258; BGH, NJW 1971, 765. Diese Gefahrenlage findet sich in erster Linie in der Beanspruchung des Fahrers durch das Lenken eines Kraftfahrzeugs (...BGHR StGB § 316 a Abs. 1 Straßenverkehr 4), nämlich in der damit verbundenen Konzentration auf die Verkehrslage und die Fahrzeugbedienung sowie in der hieraus folgenden Erschwerung einer Gegenwehr. Diese Gesichtspunkte gelten auch dann, wenn das Kraftfahrzeug während der Fahrt verkehrsbedingt hält und der Fahrer darauf wartet, seine Fahrt sogleich nach Veränderung der Verkehrssituation fortsetzen zu können, wenn das Fahrzeug sich also - trotz des vorübergehenden Haltes - weiterhin im fließenden Verkehr befindet.

Dementsprechend hat der BGH wiederholt im Überfall auf einen Kraftfahrer bei einem ›fahrtechnisch bedingten Halt im Verlauf einer noch andauernden Fahrt‹ (BGHR StGB § 316 a Abs. 1 Straßenverkehr 1 ...) oder bei sonstigem vorübergehenden Anhalten (BGHSt 14, 386, 391 ...) ein Verbrechen gemäß § 316 a Abs. 1 Satz 1 StGB gefunden. Diejenigen Entscheidungen des BGH, in denen bei einem Angriff auf den Fahrer eines haltenden oder parkenden Kraftfahrzeugs ein räuberischer Angriff auf Kraftfahrer verneint worden ist (BGHSt 24, 320 ...; BGH GoltdArch. 1979, 466), stehen diesem Ergebnis nicht entgegen. Denn in den zitierten Fällen war das Fahrzeug auf einem Parkplatz, am Fahrziel oder an einem Zwischenziel zur Ruhe gekommen, war die Fahrt zumindest vorerst beendet. Es lag jeweils ruhender, nicht aber fließender Verkehr vor.

Hier ist ein Überfall auf die Fahrerin eines verkehrsbedingt im fließenden Verkehr haltenden Kraftfahrzeugs gegeben: Die Fahrerin wartete vor der Kreuzung auf den Wechsel des Ampelsignals, um ihre Fahrt fortsetzen zu können. Eine für das Ergebnis bedeutsame Besonderheit ergibt sich auch nicht daraus, daß der Angekl. zunächst versuchte, durch das Ansichnehmen des Zündschlüssels und eine begleitende Täuschungshandlung sich das Fahrzeug zu verschaffen, und erst dann, als die Täuschung nicht zu gelingen schien, sich zur Gewaltanwendung entschloß und Gewalt anwendete. Denn die spezifische Gefahrenlage, die dem fließenden Straßenverkehr eigen ist, bestand auch zum letztgenannten Zeitpunkt fort. Dies gilt selbst angesichts des Umstandes, daß in dem Augenblick der Gewaltanwendung, als der Angekl. die Fahrerin aus dem Fahrzeug zog, der Zündschlüssel nicht mehr im Zündschloß steckt, der Motor also nicht mehr lief. Daß dies die situationsspezifische Gefahr nicht entscheidend minderte, zeigt sich schon darin, daß die Fahrerin danach trachtete, den Zündschlüssel wieder an sich zu bringen, was ihr für kurze Zeit sogar gelang, bevor der Angekl. ihr den Schlüssel schließlich aus den Händen riß.‹

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993108

BGHSt 38, 196

NJW 1992, 989

DRsp III(336)283c

DRsp III(336)288Nr. 4a

JR 1992, 514

NStZ 1992, 279

JuS 1992, 617

MDR 1992, 603

NZV 1992, 493

Kriminalistik 1992, 440

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