Entscheidungsstichwort (Thema)
unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
Tenor
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Verden vom 13. März 2000 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
- soweit beide Angeklagte in den Fällen 1 und 2 der Anklage freigesprochen worden sind,
- im Strafausspruch, soweit der Angeklagte J. im Fall 3 der Anklage verurteilt worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Landgericht hat beide Angeklagte aus tatsächlichen Gründen vom Vorwurf der gemeinschaftlichen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fall 1 der Anklage) und vom Vorwurf des gemeinschaftlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fall 2 der Anklage) freigesprochen. Den Angeklagten J. hat es wegen Handeltreibens mit Kokain in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt sowie den Verfall von Wertersatz in Höhe von 6.000 DM angeordnet. Mit ihrer auf die Aufklärungsrüge und die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision erstrebt die Staatsanwaltschaft die Aufhebung der Freisprüche und des gegen den Angeklagten J. ergangenen Urteils im Strafausspruch. Das Rechtsmittel hat mit der vom Generalbundesanwalt vertretenen Sachrüge Erfolg. Auf die Aufklärungsrüge kommt es daher nicht mehr an.
I.Freispruch im Fall 1 der Anklage
1. Nach den Feststellungen verurteilte das Landgericht Kleve den Zeugen M. wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren mit Strafaussetzung zur Bewährung, weil er am 16. Dezember 1998 245 Gramm Kokain aus den Niederlanden in die Bundesrepublik Deutschland eingeführt hatte. Bei einer Beschuldigtenvernehmung vom 10. März 1999 gab der Zeuge M. an, er habe das Kokain zu dem Libanesen „A.” in R. bringen sollen.
Beide Angeklagte haben sich in der Hauptverhandlung zum Tatvorwurf nicht eingelassen. Auf Grund der Beweisaufnahme, insbesondere der Aussage des Vernehmungsbeamten D. über die Angaben des Zeugen M. bei seinen Beschuldigtenvernehmungen, dem zielsicheren Auffinden der Wohnung des Angeklagten J. durch den Zeugen sowie dessen auf den Angeklagten O. passende Beschreibung des „A.”, ging das Landgericht davon aus, daß M. bereits vor dem 16. Dezember 1998 in der vom Angeklagten J. gemieteten Wohnung in R. gewesen und dort mit dem Angeklagten J. und einer „A.” genannten Person, bei der es sich wahrscheinlich um den Angeklagten O. gehandelt habe, zusammengetroffen sei. Es konnte sich jedoch nicht davon überzeugen, daß die bei dem Zeugen sichergestellten 245 Gramm Kokain tatsächlich an die Angeklagten ausgeliefert werden sollten. Ihre Zweifel am Wahrheitsgehalt der Angaben des Zeugen hat die Strafkammer im wesentlichen damit begründet, daß über die Einbindung des Zeugen in die Betäubungsmittelszene nichts bekannt sei, dieser in dem gegen ihn gerichteten Verfahren nicht unter Wahrheitspflicht gestanden und es sich um seine dritte Tatversion gehandelt habe; es sei daher nicht auszuschließen, daß der Zeuge M. den wahren Empfänger nicht benannt und den Angeklagten O. als Abnehmer des Kokains nur vorgeschoben habe, um eine Strafmilderung gemäß § 31 BtMG zu erreichen.
2. Gegen die Beweiswürdigung der Strafkammer bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken.
Nach ständiger Rechtsprechung ist der Tatrichter gehalten, sich in der Beweiswürdigung mit allen festgestellten Indizien auseinanderzusetzen, die geeignet sind, das Beweisergebnis zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen (vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 7; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 11 und Beweiswürdigung, unzureichende 1; Engelhardt in KK 4. Aufl. § 267 Rdn. 41). Dies gilt auch für Beweisanzeichen, die in einem anderen Zusammenhang festgestellt worden sind, jedoch für die zu erörternde Tat bedeutsam sein können (BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 25). Dabei ist eine Gesamtwürdigung aller Indizien dann erforderlich, wenn eine Mehrzahl von Beweisanzeichen zwar nicht für sich allein zum Nachweis der Täterschaft eines Angeklagten ausreicht, diese aber in ihrer Gesamtheit dem Gericht die entsprechende Überzeugung vermitteln können (BGH NJW 1962, 549; BGH, Urt. vom 1. September 1982 – 2 StR 39/82 – m.w.Nachw.). Diesen Anforderungen wird das freisprechende Urteil nicht gerecht.
Das Landgericht hat bei seiner Beweiswürdigung wesentliche Belastungsindizien außer Betracht gelassen, so daß der Freispruch nicht bestehen bleiben kann. Im Fall 3 der Anklage geht es davon aus, daß der Angeklagte J. nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft mit – zuvor – gebunkertem Kokain Handel getrieben hat (UA S. 16). Diese Feststellung, die die Aussage des Zeugen M. stützt, daß er auf Wunsch des Angeklagten O. das zu liefernde Kokain eingraben sollte (UA S. 7), hat es bei der Beweiswürdigung nicht erkennbar berücksichtigt. Außerdem ist das Tatgericht in seiner Beweiswürdigung nicht auf den Umstand eingegangen, daß beide Angeklagte wegen Handeltreibens mit Kokain straffällig geworden sind. Für den Angeklagten J. ergibt sich dies aus seiner Verurteilung im Fall 3 der Anklage; der Angeklagte O. ist im Jahre 1997 wegen Handeltreibens mit Kokain in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden (UA S. 13, 14). Weiterhin hat die Strafkammer bei der Beweiswürdigung zum Fall 1 der Anklage die zum Fall 2 der Anklage festgestellten, beide Angeklagten belastenden Indizien unberücksichtigt gelassen, insbesondere die Aussage des Zeugen Z. über die Bestellung von Kokain durch den Angeklagten O. (UA S. 13), die Erkenntnisse aus der Telefonüberwachung (UA S. 10, 11), die auf ein Rauschgiftgeschäft hindeuten, und die bei der am 12. Mai 1999 erfolgten Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten J. aufgefundenen Restmengen von Kokain (UA S. 12).
II.Freispruch im Fall 2 der Anklage
1. Nach den Feststellungen zu diesem Fall trafen sich der gesondert verfolgte Z. und die Angeklagten am 12. Mai 1999 in der Wohnung des Angeklagten J., in der sich noch weitere Personen befanden. Nachdem Z. die Wohnung verlassen hatte, wurden bei ihm 300 Gramm Kokain mit einem Reinheitsgehalt von 81 % sichergestellt. Bei einer zeitgleich durchgeführten Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten J. wurden dort geringe Mengen von Kokain gefunden. Z. hat in dem gegen ihn gerichteten Strafverfahren angegeben, er habe die 300 Gramm Kokain an den Angeklagten O. verkaufen wollen, da dieser Kokain bei ihm bestellt habe; der Angeklagte O. habe jedoch die Abnahme des Kokains wegen angeblich schlechter Qualität abgelehnt.
Auch zu diesem Fall haben die Angeklagten von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Die Kammer hält es nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme für wahrscheinlich und lebensnah, daß Z. Kokain in die Wohnung des Angeklagten J. lieferte, möglicherweise eine größere Menge, möglicherweise nur eine Probe, zumindest aber dort ein Kokaingeschäft verabredete. Sie geht davon aus, daß kurz vor der Wohnungsdurchsuchung Kokain die Toilette hinuntergespült worden war, weil im Bereich der Toilettenschüssel Kokainanhaftungen festgestellt sowie eine ausgewaschene Plastiktüte gefunden worden seien.
Das Landgericht konnte sich nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit davon überzeugen, daß die Angeklagten mit Betäubungsmitteln Handel getrieben haben. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, am Wahrheitsgehalt der Angaben des Z., der in der Hauptverhandlung von seinem Aussageverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO Gebrauch gemacht habe, bestünden erhebliche Zweifel. Er habe seine Einlassung als nicht zur Wahrheit verpflichteter Beschuldigter abgegeben. Möglicherweise sei das bei Z. sichergestellte Kokain für einen anderen, nicht bekannten Abnehmer bestimmt gewesen. Es sei denkbar, daß Z. mit seinen Angaben den anderen Abnehmer habe decken und für sich eine milde Strafe habe erreichen wollen. Es fehle an ausreichenden Anhaltspunkten dafür, daß am 12. Mai 1999 von Z. tatsächlich Kokain in die Wohnung des Angeklagten J. geliefert worden sei. Außerdem hätte Empfänger des Rauschgiftes auch eine der Personen sein können, die sich mit den Angeklagten in der Wohnung aufgehalten hätten. Aus den festgestellten Tatsachen könne nicht der sichere Schluß gezogen werden, daß vor der Wohnungsdurchsuchung eine von Z. gelieferte größere Menge Kokain die Toilette hinuntergespült worden sei. Es könnte auch von den Angeklagten in der Wohnung gebunkertes oder einer anderen Person gehörendes Kokain entsorgt worden sein.
2. Auch in diesem Fall hält das freisprechende Urteil rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Zunächst ist zu besorgen, daß die Strafkammer den Begriff des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln im Sinne der §§ 29, 29 a BtMG verkannt hat. Ausweislich der Urteilsgründe hält sie es für durchaus wahrscheinlich und lebensnah, daß der gesondert verfolgte Z. in der Wohnung des Angeklagten J. ein Kokaingeschäft zumindest verabredet hat (UA S. 14). Bereits in einer solchen Anbahnung eines Betäubungsmittelgeschäftes ist ein Handeltreiben mit Betäubungsmitteln zu sehen. Darauf, ob das Rauschgift tatsächlich geliefert wurde, kommt es nicht an (BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 31 und § 29 a Abs. 1 Nr. 2 Handeltreiben 1). Auf Grund der Gesamtumstände, insbesondere der Erkenntnisse aus der Telefonüberwachung, liegt die von der Kammer angenommene Möglichkeit fern, daß der Zeuge Z. nicht mit den Angeklagten, sondern mit einer der bei dem polizeilichen Zugriff in der Wohnung angetroffenen weiteren Personen Handel getrieben hat.
Außerdem befaßt sich das Tatgericht auch in diesem Fall nicht mit gewichtigen, die Angeklagten belastenden Indizien, so daß die Beweiswürdigung lückenhaft ist. So hat die Strafkammer in die erforderliche Gesamtwürdigung aller Beweisanzeichen nicht erkennbar einbezogen, daß beide Angeklagte bereits wegen Handeltreibens mit Kokain in Erscheinung getreten sind und gegen sie die im Fall 1 der Anklage dargestellten erheblichen Indiztatsachen für ein Kokaingeschäft sprechen, die auch den Tatvorwurf im Fall 2 der Anklage stützen können. Sie beschäftigt sich auch nicht mit dem auffälligen Indiz, daß in der Küche des Angeklagten J. eine leere Plastiktüte aufgefunden wurde (UA S. 12), die die gleiche Aufschrift „Seyfo-Bäckerei” trug wie die beim Zeugen Z. sichergestellte Plastiktüte mit den 300 Gramm Kokain. Hinsichtlich des auf der Toilettenbrille aufgefundenen Kokains erörtert sie nicht, ob insoweit Übereinstimmungen hinsichtlich Zusammensetzung und Wirkstoffgehalt mit dem bei Z. sichergestellten Kokain vorliegen und daß das nur wenige Minuten dauernde Treffen (UA S. 11/12) zwischen Z. und den Angeklagten in der Wohnung des Angeklagten J. nach den am 11. und 12. Mai vom Angeklagten O. geführten zahlreichen Telefonaten mit konspirativem Charakter (UA S. 10/11) auf die Übergabe von Betäubungsmitteln an die Angeklagten hindeuten kann.
III.Verurteilung des Angeklagten J. im Fall 3 der Anklage
1. Nach den Feststellungen überließ der Angeklagte J. nach seiner am 8. Juni 1999 erfolgten Entlassung aus der Untersuchungshaft von ihm gebunkerte 100 Gramm Kokain den gesondert verfolgten At. und F. zum Verkauf. Diese veräußerten das Rauschgift an einen festen Kundenstamm, eine Teilmenge von 50 Gramm zum Preis von 5.000 DM an „B.” eine Vertrauensperson der Polizei.
Diesen Sachverhalt hat das Landgericht als einen minder schweren Fall des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29 a Abs. 2 BtMG bewertet. Dabei hat es das Geständnis des nicht vorbe-straften Angeklagten, seine besondere Haftempfindlichkeit als nicht sprach-kundiger Ausländer, die Verbüßung von fast neun Monaten Untersuchungshaft und die nicht so bedeutende Menge von 100 Gramm Kokain berücksichtigt, zumal eine Teilmenge von 50 Gramm an eine Vertrauensperson der Polizei verkauft worden sei und deshalb nicht in den Verkehr habe gelangen können.
2. Gegen die Annahme eines minder schweren Falls (Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe anstatt von einem Jahr bis zu 15 Jahren) und damit gegen den Strafausspruch bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken.
Da die Strafkammer Feststellungen zum Wirkstoffgehalt des gehandelten Kokains nicht getroffen hat, ist zu besorgen, daß sie diesen bei der erforderlichen Gesamtwürdigung von Tat und Täter (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl. § 46 Rdn. 41 f.) nicht ausreichend berücksichtigt hat. Bei der Prüfung, ob ein minder schwerer Fall vorliegt, kommt der Wirkstoffmenge von Rauschgift eine erhebliche Bedeutung zu (BGHR BtMG § 30 Abs. 2 Strafrahmenwahl 3). Für eine sachgerechte schuldangemessene Festsetzung der Strafe kann bei Betäubungsmitteldelikten regelmäßig auf Feststellungen zum Wirkstoffgehalt nicht verzichtet werden (BGHR BtMG § 29 a Abs. 1 Nr. 2 Menge 3 m.w.Nachw.). Im übrigen ist der Strafzumessung durch die Aufhebung der rechtsfehlerhaften Freisprüche die Grundlage entzogen, weil nicht auszuschließen ist, daß im Falle einer Verurteilung der Angeklagten in den Fällen 1 und 2 der Anklage die Frage, ob ein minder schwerer Fall des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge vorliegt, anders bewertet werden wird. Die Entscheidung über den Verfall wird von der Aufhebung des Strafausspruchs nicht berührt.
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, daß zum Verkauf des Rauschgifts an die Vertrauensperson der Polizei die Umstände der Anbahnung des Geschäfts im einzelnen dargestellt werden müssen, damit das Revisionsgericht die rechtliche Tragweite des Strafmilderungsgrundes nachvollziehen kann (vgl. BGHSt 45, 321).
Unterschriften
Kutzer, Rissing-van Saan, Pfister, von Lienen, Becker
Fundstellen