Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 14. Juni 2000 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht es abgelehnt, den Beschuldigten gemäß § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen. Die hiergegen gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des sachverständig beratenen Landgerichts war wegen einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis mit formalen Denkstörungen die Schuldfähigkeit des Beschuldigten, dessen Strafregisterauszug sieben Eintragungen aufweist, bei allen 15 Anlaßtaten erheblich vermindert, seine Schuldunfähigkeit nicht ausschließbar. In diesem Zustand hat der Beschuldigte neben anderen Delikten ein nicht zugelassenes und nicht versichertes Fahrzeug geführt, ohne im Besitz der erforderlichen Fahrerlaubnis zu sein, Unterschlagungen und Diebstähle mit Schadenshöhen von über 600 DM (in einem Fall) und von ca. 800 DM (in drei Fällen) sowie zwei räuberische Diebstähle begangen. In dem ersten dieser Fälle wurde der Beschuldigte nach dem Diebstahl geringwertiger Verbrauchsgüter nach Durchqueren der Kasse von der Marktleiterin angesprochen und, weil er flüchten wollte, angehalten. Erst als er diese zur Seite schubste, konnte er sich befreien und mit der entwendeten Ware flüchten. Kurze Zeit später entwendete er drei Schachteln Zigaretten, wurde nach Passieren der Kasse aufgefordert, stehenzubleiben, und schließlich nach Erreichen seines Fahrrads festgehalten. Wieder versuchte er sich zu befreien. Schließlich gelang es zwei Personen, den Beschuldigten wieder in das Geschäft zurückzubringen, wo er die Zigaretten zurückgab.
Das Landgericht hat die von der Staatsanwaltschaft beantragte Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt, weil es sich bei allen Anlaßtaten um Bagatellfälle aus dem Bereich der unteren Kriminalität handele, die eine Gefährlichkeitsprognose nicht zuließen. Das gelte auch für die beiden Fälle des räuberischen Diebstahls, da sich die angewendete Gewalt in Grenzen gehalten und sich nicht gegen Personen gerichtet habe. Da die Unterbringung des Beschuldigten nach § 1906 BGB angeordnet und seine Betreuung mit den Aufgabenbereichen Aufenthaltsbestimmung und Gesundheitsfürsorge beschlossen sei, komme die zusätzliche Unterbringung des Beschuldigten gemäß § 63 StGB nicht in Betracht.
2. Das Urteil hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.
a) Die Annahme des Landgerichts, daß der Beschuldigte wegen einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis bei allen Anlaßtaten in seiner Schuldfähigkeit „in jedem Fall” erheblich vermindert und seine Schuldunfähigkeit nicht ausschließbar sei, ist mit dem Hinweis „auf das überzeugende Gutachten der Sachverständigen” nur unzureichend belegt. Es hätte näherer Darlegung der Persönlichkeitsstörung nach Art, Entstehung, Ausmaß und Wirkungen im Urteil bedurft, um ihren möglichen Einfluß auf die Schuldfähigkeit des Beschuldigten beurteilen zu können und dem Revisionsgericht unter diesem Gesichtspunkt die rechtliche Prüfung zu ermöglichen. Auch fehlen Ausführungen dazu, daß die Taten auf diesen Defekt zurückzuführen sind, das heißt mit diesem in einem kausalen, symptomatischen Zuammenhang stehen (Senatsentscheidungen NStZ 1999, 612, 613; 1999, 128 – jeweils m.w.Nachw.). Solcher Ausführungen hätte es schon deshalb bedurft, weil der Beschuldigte vor dem Auftreten der endogenen Psychose im Januar 1997 mehrfach straffällig geworden ist. Der neue Tatrichter wird sich auch damit auseinandersetzen müssen, daß der Beschuldigte in dem Zeitraum der Begehung der Anlaßtaten wegen – eines im schuldfähigen Zustand begangenen – Diebstahls zu einer Geldstrafe verurteilt worden ist.
b) Die Wertung der Strafkammer, daß es sich bei den bisherigen Delikten nicht um „erhebliche” Straftaten im Sinne des § 63 StGB handelt, ist revisionsrechtlich nicht nachvollziehbar. Die Grenze für die Anwendbarkeit der Maßregel der Unterbringung ist dann überschritten, wenn es sich um Taten handelt, die der mittleren Kriminalität zuzurechen sind (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 63 Rdn. 12 m.w.Nachw.). Sie wird nicht erreicht in Bagatellfällen (vgl. zur Abgrenzung BGHSt 27, 246, 248; BGH NStZ 1992, 178; BGHR StGB § 62 Verhältnismäßigkeit 2; § 63 Gefährlichkeit 16, 17, 20, 22). Mit dieser für die Einstufung der Delikte des Beschuldigten als erheblich erforderlichen Abgrenzung hat sich die Strafkammer nicht näher auseinandergesetzt. Aufgrund der getroffenen Feststellungen ist eine Einordnung in den hier gegebenen Grenzfällen – insbesondere den beiden räuberischen Diebstählen – nicht möglich. Denn es fehlen Ausführungen dazu, wie die vom Beschuldigten angewandte Gewalt konkret aussah. Die Formulierungen „zur Seite schubsen” und „sich zu befreien versuchen” sagen nichts über die tatsächlich stattgefundenen Tätlichkeiten des Beschuldigten (Schläge, kräftiges Rempeln des Beschuldigten; Abwehr- bzw. Festhaltemaßnahmen der Betroffenen unter Aufbietung von mehr als nur unerheblicher Kraft), deren Auswirkungen auf die Betroffenen (mehr als nur geringfügige körperliche und/oder psychische Beeinträchtigung) und ihr für die Allgemeinheit wahrnehmbares Erscheinungsbild (als beunruhigend, bedrohlich oder eher harmlos, nur belästigend wirkend) aus. Unverständlich ist die Feststellung, daß sich die Gewalt des Beschuldigten in beiden Fällen nicht gegen Personen richtete.
Der neue Tatrichter wird die Sachverhalte deshalb näher aufklären müssen. Auch wenn nach dann neu getroffenen Feststellungen die angewendete Gewalt nicht besonders ausgeprägt und der Wert der erbeuteten Gegenstände geringfügig ist, und wenn weiter die vom Tatgericht vorzunehmende Gesamtwürdigung in den Fällen des räuberischen Diebstahls zu einer Bewertung als minder schwere Fälle führen würde, stünde dies einer Einstufung als erhebliche Straftaten im Sinne des § 63 StGB nicht entgegen, wenn die Gesamtschau aller wesentlichen Umstände ergibt, daß die Taten den Rechtsfrieden erheblich stören (vgl. BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 22). Dabei wird der neue Tatrichter nicht nur auf die von dem Beschuldigten begangenen Vermögensdelikte abzustellen, sondern auch die möglichen schwerwiegenden Auswirkungen zu bewerten haben, die das Fahren ohne Fahrerlaubnis mit einem nicht zugelassenen und nicht versicherten Fahrzeug durch einen möglicherweise Schuldunfähigen nach sich ziehen könnte.
3. Die Strafkammer hat eine Unterbringung des Beschuldigten gemäß § 63 StGB auch deshalb abgelehnt, weil bereits eine Unterbringung nach § 1906 BGB und eine Betreuung für den Beschuldigten mit den Aufgabenbereichen Aufenthaltsbestimmung und Gesundheitsfürsorge angeordnet wurde. Dabei übersieht das Landgericht, daß im Falle der Gefährlichkeit des Täters für die Allgemeinheit die Notwendigkeit einer Unterbringung nach § 63 StGB nicht durch minder einschneidende Mittel außerhalb des Bereichs der strafrechtlichen Maßregeln aufgehoben wird, weil bei den freiheitsentziehenden Maßregeln der Sicherung das Subsidiaritätsprinzip nur für die Frage der Aussetzung der Vollstreckung, nicht aber für die Frage ihrer Anordnung gilt (vgl. Senatsentscheidung BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 28 m.w.Nachw.; vgl. auch BGHSt 34, 313, 316; BGH NStZ 2000, 470, 471; NStZ-RR 1998, 205).
Unterschriften
Kutzer, Rissing-van Saan, Miebach, Winkler, Becker
Fundstellen