Verfahrensgang
LG Neubrandenburg (Urteil vom 04.07.2001) |
Tenor
1.
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 4. Juli 2001, soweit es die Angeklagten von M. und K. betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat die Angeklagten und den Mitangeklagten B., dessen Verfahren der Senat abgetrennt hat, von dem Vorwurf der (banden- und gewerbsmäßig begangenen) Erpressung in 30 Fällen freigesprochen. Ferner hat es bestimmt, daß die Angeklagten für die jeweils erlittene Untersuchungshaft zu entschädigen sind. Mit ihren hiergegen gerichteten Revisionen, mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, erstrebt die Staatsanwaltschaft die Aufhebung des freisprechenden Urteils. Die Rechtsmittel, die vom Generalbundesanwalt vertreten werden, haben mit der Sachrüge Erfolg; eines Eingehens auf die erhobene Verfahrensbeschwerde bedarf es daher nicht.
Die den Freisprüchen zugrundeliegende Beweiswürdigung des Landgerichts begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken:
1. Mit der zugelassenen Anklage war den Angeklagten auf der Grundlage der Angaben der Geschädigten Birgit Ko. im Ermittlungsverfahren die Erpressung von Schutzgeldern in insgesamt 30 Fällen zur Last gelegt worden. Dem Angeklagten K. wurde vorgeworfen, er habe – aufgrund eines gemeinsam mit den Mitangeklagten B. und von M. gefaßten Tatentschlusses – von Birgit Ko. für den Betrieb ihres in Waren gelegenen Bordells wöchentliche Schutzgeldzahlungen von zunächst 600.- DM und später 800.- DM gefordert und für den Fall der Nichtzahlung in Aussicht gestellt, daß „die Russen” den ungestörten Betrieb des Bordells verhindern würden. Unter dem Eindruck dieser Ankündigung habe Birgit Ko. bzw. eine von ihr beauftragte Mitarbeiterin, die Zeugin Heike R., in der Folge in 30 Fällen Schutzgeld – insgesamt 16.600.- DM – gezahlt. Das Geld sei zumeist dem Angeklagten B., der teilweise vom Mitangeklagten von M. begleitet worden sei, übergeben worden. Bei einer der Geldübergaben habe von M. erklärt, Waren sei „ihr Revier”, es kämen „die Russen”, wenn nicht gezahlt werde.
2. Das Landgericht hat die Angeklagten, die sich zur Sache nicht eingelassen haben, aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Es hat hierbei die Bekundungen der Zeugin Birgit Ko. in der Hauptverhandlung zugrundegelegt, wonach sie die Zahlungen freiwillig und ohne jeden Zwang geleistet habe, um von den Angeklagten Schutz für ihren Betrieb zu erhalten. Von „Russen” sei zu keinem Zeitpunkt die Rede gewesen. Sie habe sich nie persönlich bedroht gefühlt, „wenn auch insbesondere von M. von seiner Statur her bedrohlich gewirkt habe” (UA 6).
Das Landgericht hat zwar in diesem Zusammenhang erkannt, daß die Bekundungen der Zeugin in der Hauptverhandlung inhaltlich von den Aussagen abweichen, die sie im Rahmen früherer polizeilichen Vernehmungen getätigt hatte. Es ist jedoch zur Auffassung gelangt, mangels weiterer Anhaltspunkte könne nicht festgestellt werden, welche der Aussagen der Wahrheit entspreche. Nach dem Zweifelsgrundsatz sei daher von den Angaben der Zeugin in der Hauptverhandlung auszugehen.
3. Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht überwinden kann, so ist dies vom Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Denn die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Der revisionsrechtlichen Beurteilung unterliegt insoweit nur, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist (st. Rspr.; vgl. nur BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16 m.w.N.). Insbesondere muß die Beweiswürdigung erschöpfend sein: Der Tatrichter muß sich mit allen festgestellten Umständen auseinandersetzen, die den Angeklagten be- oder entlasten (BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2).
4. Hieran gemessen hält die den Freisprüchen zugrundeliegende Beweiswürdigung der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
a) Ein Mangel liegt bereits darin, daß die Angaben der Zeugin Ko. im Ermittlungsverfahren nur in sehr groben Zügen mitgeteilt werden. Soweit in diesem Zusammenhang in den Urteilsgründen unter Benennung von Blattzahlen auf die sich bei den Verfahrensakten befindlichen Vernehmungsprotokolle verwiesen wird (vgl. UA 8), stellt dies keine zulässige Bezugnahme dar (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 45. Aufl. § 267 Rdn. 2). Dem Senat ist daher die Überprüfung verwehrt, in Bezug auf welche konkreten Tatsachen und in welchem Umfang sich Widersprüche zu der vom Landgericht – demgegenüber sehr detailliert wiedergegebenen – Aussage in der Hauptverhandlung ergeben haben. Hiervon hängt jedoch die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin in der Hauptverhandlung wesentlich ab.
b) Die Beweiswürdigung erweist sich jedoch noch aus einem weiteren Gesichtspunkt als rechtsfehlerhaft.
Weicht der einzige Belastungszeuge in der Hauptverhandlung in einem wesentlichen Punkt von seiner früheren Tatschilderung ab und hängt die Entscheidung allein davon ab, ob diesem Zeugen zu folgen ist, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, daß der Tatrichter alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. BGH StV 1998, 250). Dies hat nicht nur für den Fall der Verurteilung, sondern auch für den des Freispruchs des Angeklagten zu gelten (vgl. auch BGH, Urteil vom 6. Februar 2002 – 2 StR 507/01). Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
Die Urteilsgründe verhalten sich weder näher zur Entstehungsgeschichte der polizeilichen Aussagen noch zu der Frage, aus welchen Gründen für die Zeugin Ko. ein Motiv bestanden haben könnte, die Angeklagten im Ermittlungsverfahren zu Unrecht zu belasten. Entsprechender Darlegungen hätte es aber schon deshalb bedurft, weil die Zeugin Ko. die Angeklagten nicht nur durch ihre Aussagen belastet hat, sondern darüber hinaus ausweislich der Urteilsfeststellungen auch die gegen die Angeklagten daraufhin eingeleiteten Ermittlungen im weiteren dadurch aktiv unterstützt hat, daß sie dem Angeklagten B. zum Nachweis der Schutzgeldzahlungen von der Polizei zur Verfügung gestelltes sog. „Vorzeigegeld” aushändigte.
Das Urteil teilt auch nicht mit, ob die Zeugin in der Hauptverhandlung eine Erklärung für ihre Aussageänderung – und gegebenenfalls welche – abgegeben hat. In diesem Zusammenhang hätte auch erwogen werden müssen, ob die Änderung der Zeugenaussage unter Umständen darauf zurückzuführen ist, daß – was in Strafverfahren, die Straftaten im Rotlichtmilieu zu Gegenstand haben, nicht eben selten ist – auf die Zeugin entsprechender Druck ausgeübt worden ist. Hierauf könnte hinweisen, daß auch die Zeugin R. frühere (belastende) Angaben mit einer eher fadenscheinigen Begründung in der Hauptverhandlung zu relativieren versucht hat (vgl. UA 8/9).
Die Sache bedarf daher der neuen Verhandlung und Entscheidung. Hierbei wird der neue Tatrichter zu bedenken haben, daß die Drohung mit einem empfindlichen Übel im Sinne der §§ 240, 253 StGB nicht ausdrücklich ausgesprochen werden muß, sondern auch schlüssig oder versteckt erfolgen kann (vgl. hierzu Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. § 240 Rdn. 31 m.w.N.).
Unterschriften
Tepperwien, Maatz, Solin-Stojanović, Ernemann, Sost-Scheible
Fundstellen