Entscheidungsstichwort (Thema)
VOB/B. Preisanpassungsverlangen. Beschleunigtes Vorbringen. Verwirkung
Leitsatz (amtlich)
Die VOB/B enthält für das Preisanpassungsverlangen keine zeitliche Begrenzung. Die Vertragspartner sind gehalten, das Preisanpassungsverlangen möglichst beschleunigt geltend zu machen. Das Recht auf Preisanpassung kann nach den allgemeinen Grundsätzen verwirkt werden.
Normenkette
VOB/B § 2 Nr. 3 Abs. 2
Verfahrensgang
OLG Naumburg (Urteil vom 25.11.2003; Aktenzeichen 12 U 65/03) |
LG Halle (Saale) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 12. Zivilsenats des OLG Naumburg v. 25.11.2003 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Beklagte zur Zahlung eines höheren Betrages als 154,40 EUR nebst Zinsen an die Klägerin verurteilt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die weiter gehende Revision wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin begehrt restlichen Werklohn und als Verzugsschaden die Erstattung von Rechtsanwaltskosten. In der Revision streiten die Parteien vor allem über ein Preisanpassungsverlangen der Beklagten nach § 2 Nr. 3 Abs. 2 VOB/B.
Die Beklagte beauftragte die Klägerin durch Einheitspreisvertrag vom Oktober 2001 mit den Maurer-, Beton- und Stahlbetonarbeiten beim Umbau eines Pflegeheimes. Die VOB/B war vereinbart. Auf Aufforderung der jeweils anderen Seite stellten die Klägerin eine Vertragserfüllungsbürgschaft und die Beklagte eine Bürgschaft nach § 648a BGB. Die Vertragserfüllungsbürgschaft sollte nach Abnahme zurückgegeben werden, falls bei dieser keine Mängel festgestellt würden.
Die Klägerin führte die Arbeiten aus. Dabei wurden die Mengenansätze im Leistungsverzeichnis bei mehreren Positionen jeweils um mehr als 10 % überschritten. Am 24.7.2002 wurden die Arbeiten der Klägerin als mangelfrei abgenommen. Die Beklagte gab die Vertragserfüllungsbürgschaft jedoch nicht zurück.
Unter dem 26.7.2002 erstellte die Klägerin ihre Schlussrechnung. Sämtliche Berechnungs- und Aufmaßunterlagen hatte sie der Beklagten bereits mit der neunten und letzten Abschlagsrechnung v. 17.7.2002 übersandt. Die Beklagte prüfte beide Rechnungen und teilte der Klägerin mit Schreiben v. 20.8. bzw. 10.10.2002 das Ergebnis der Prüfung mit. Mit dem Schreiben v. 10.10.2002 verlangte sie ferner wegen der angefallenen Mehrmengen neue Verhandlungen nach § 2 Nr. 3 Abs. 2 VOB/B.
Nach der Abnahme forderte die Klägerin durch ihren Rechtsanwalt die Beklagte mehrfach mündlich und schriftlich auf, die Vertragserfüllungsbürgschaft zurückzugeben. Die Beklagte kam dem erst nach, nachdem sich die Klägerin mit einer Reduzierung der von der Beklagten gestellten Bürgschaft einverstanden erklärt hatte. Der Rechtsanwalt der Klägerin berechnete dieser für seine Tätigkeit nach § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO 211,99 EUR. Die Beklagte erstattete unter Hinweis auf § 120 BRAGO lediglich 57,59 EUR.
Das LG hat der auf Zahlung von 29.423,59 EUR gerichteten Klage stattgegeben. In der Berufungsinstanz hat die Klägerin die Klage i.H.v. 659,85 EUR zurückgenommen. Im Übrigen ist die Berufung der Beklagten erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision begehrt sie weiterhin Klageabweisung.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat überwiegend Erfolg.
Das für die Beurteilung maßgebliche Recht richtet sich nach den bis zum 31.12.2001 geltenden Gesetzen (Art. 229 § 5 S. 1 EGBGB).
I.
Das Berufungsgericht führt aus, der Anspruch der Beklagten auf Preisanpassung nach § 2 Nr. 3 Abs. 2 VOB/B sei verwirkt. Sie habe ihn erst nach Ablauf der zweimonatigen Prüfungsfrist des § 16 Nr. 3 Abs. 1 VOB/B mit ihrem Schreiben v. 10.10.2002 geltend gemacht. Jedoch seien bereits die in der neunten Abschlagsrechnung v. 17.7.2002 enthaltenen Berechnungen der Klägerin auf Grund der beigefügten Aufmaßunterlagen und Erläuterungen vollständig gewesen und hätten der Beklagten als Grundlage für ihre eigene Abrechnung v. 20.8.2002 gedient. Den von ihr errechneten Nettorestwerklohn habe sie ggü. der Klägerin ausdrücklich bestätigt. Zwar sei darin kein Anerkenntnis i.S.v. § 781 BGB zu sehen. Die Klägerin habe jedoch darauf vertrauen dürfen, dass die abgerechneten Mehrmengen außer Streit gestellt werden sollten. In diesem Abrechnungsverhalten der Beklagten liege sowohl ein Zeit- als auch ein Umstandsmoment für die Annahme einer Verwirkung. Im Übrigen sei es treuwidrig, im Rahmen der Abrechnung v. 10.10.2002 wegen der Mehrmengen die Offenlegung der Kalkulation der Klägerin zu verlangen, obwohl die Beklagte bereits vorher im Rahmen der eigenen Abrechnung die verbleibende Restsumme ausdrücklich anerkannt habe. Jedenfalls habe die Klägerin das Abrechnungsverhalten der Beklagten als Antrag auf Abschluss eines Teilvergleichs werten dürfen, den sie spätestens dadurch angenommen habe, dass sie im Rahmen ihres Mahnschreibens v. 30.9.2002 die von der Beklagten bestätigte Summe berücksichtigt habe.
Die Klägerin könne auch die Rechtsanwaltskosten nach § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO abrechnen. Die Beklagte habe sich in Verzug befunden. Auf ein Zurückbehaltungsrecht wegen eines Anspruchs auf Rückgabe der von ihr gestellten Bürgschaft habe sie sich erst nach Klageerhebung berufen.
II.
Das hält der rechtlichen Nachprüfung überwiegend nicht stand.
1. Nicht zu beanstanden ist die Ansicht des Berufungsgerichts, die Klägerin könne gem. § 286 BGB von der Beklagten noch 154,40 EUR (211,99 EUR abzgl. gezahlter 57,59 EUR) für die Tätigkeit ihres Rechtsanwalts beim Zurückfordern der Vertragserfüllungsbürgschaft verlangen.
a) Dass der Berechnung der Gebühr § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO und nicht § 120 BRAGO zu Grunde zu legen ist, wird von der Revision zu Recht nicht mehr in Zweifel gezogen.
b) Die Beklagte war mit der Rückgabe der Vertragserfüllungsbürgschaft in Verzug.
Die Revision wendet insoweit nur ein, Verzug sei nicht eingetreten, weil der Beklagten ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 320 BGB zugestanden habe. Diese Ansicht trifft nicht zu.
Im Revisionsverfahren kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Beklagte ihrerseits Anspruch auf Rückgabe der von ihr gestellten Bürgschaft nach § 648a BGB hat. Das bloße Bestehen dieses Anspruchs schließt Verzug der Beklagten mit der Rückgabe der von der Klägerin gestellten Vertragserfüllungsbürgschaft nicht aus (BGH, Urt. v. 23.5.2003 - V ZR 190/02, BGHReport 2003, 1119 = MDR 2003, 1103 = BauR 2003, 1561). Denn der Beklagten steht kein Leistungsverweigerungsrecht nach § 320 BGB, sondern ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB zu. § 320 BGB setzt voraus, dass die sich gegenüberstehenden Ansprüche synallagmatisch miteinander verknüpft sind. Der Vortrag der Parteien gibt für eine derartige Verknüpfung nichts her. Das Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB muss, um den Eintritt des Verzugs zu verhindern, vorher geltend gemacht werden (BGH, Urt. v. 5.5.1971 - VIII ZR 59/70, WM 1971, 1020). Das hat die Beklagte nicht getan.
2. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht das Preisanpassungsverlangen der Beklagten wegen der entstandenen Mehrmengen nicht berücksichtigt.
a) Nach § 2 Nr. 3 Abs. 2 VOB/B ist bei einer über 10 % hinausgehenden Überschreitung des Mengenansatzes im Leistungsverzeichnis auf Verlangen ein neuer Preis unter Berücksichtigung der Mehr- oder Minderkosten zu vereinbaren. Diese Klausel begründet hinsichtlich der Mehrmengen einen vertraglichen Anspruch auf Einwilligung in einen neuen Preis (BGH, Urt. v. 20.3.1969 - VII ZR 29/67, LM Nr. 36 zu VOB/B = MDR 1969, 655; Kleine/Möller , Hdb. priv. BauR, 3. Aufl., § 10 Rz. 410, 416). Kommt es trotz der insoweit bestehenden Kooperationspflicht der Parteien zu keiner Vereinbarung, kann der neue Preis unmittelbar zum Gegenstand eines Rechtstreits gemacht werden (a.M.; vgl. z.B. Kapellmann/Messerschmidt/Kapellmann, § 2 VOB/B Rz. 150; Ingenstau/Korbion/Keldungs, 15. Aufl., § 2 Nr. 3 VOB/B Rz. 27).
b) Die Beklagte war nicht gehindert, ihr Verlangen nach Preisanpassung mit ihrem Schreiben v. 10.10.2002 und später im Prozess geltend zu machen.
aa) Der VOB/B lassen sich zeitliche Schranken für das Preisanpassungsverlangen nicht entnehmen. § 2 Nr. 3 Abs. 2 VOB/B enthält insoweit keine Regelung. Der Verlust des Rechts auf Preisanpassung kann auch nicht aus einer Versäumung der Frist nach § 16 Nr. 3 VOB/B hergeleitet werden. Denn das Verlangen nach Preisanpassung ist nicht Gegenstand dieser Regelung.
bb) Die Beklagte hat ihr Recht, Preisanpassung zu verlangen, nicht verwirkt.
(1) Verwirkung setzt voraus, dass zum Zeitablauf besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde seinen Anspruch nicht mehr geltend machen (BGH, Urt. v. 14.11.2002 - VII ZR 23/02, MDR 2003, 207 = BGHReport 2003, 214 = BauR 2003, 379 = NZBau 2003, 213 = ZfBR 2003, 147).
(2) Es fehlt bereits an dem erforderlichen Zeitmoment. Zwar ist der Auftraggeber gehalten, das Preisanpassungsverlangen möglichst beschleunigt geltend zu machen. Dagegen hat die Beklagte jedoch nicht verstoßen, indem sie nur wenige Tage nach Ablauf der Frist von zwei Monaten für die Prüfung der Schlussrechnung das Preisanpassungsverlangen gestellt hat.
Weiter fehlt es an den erforderlichen Anhaltspunkten dafür, dass die Klägerin sich darauf einrichten durfte und darauf eingerichtet hat, die Beklagte werde keine Preisanpassung mehr verlangen. Solche Anhaltspunkte ergeben sich nicht aus der Reaktion der Beklagten auf die von der Klägerin übersandten Rechnungen und dem von ihr gezeigten Abrechnungsverhalten, das sich in erster Linie auf die neunte Abschlagsrechnung und nicht auf die Schlussrechnung bezogen hat.
cc) Auch aus anderen Gründen kann der Beklagten das Preisanpassungsverlangen nicht versagt werden.
Die Beklagte war an das Ergebnis ihrer Prüfung der neunten Abschlagsrechnung nicht gebunden, selbst wenn sie, wie das Berufungsgericht pauschal in den Raum stellt, wegen der Mehrmengen bereits Abzüge vom Werklohn vorgenommen haben sollte. Diese Prüfung stellte keine rechtsgeschäftliche Erklärung und insb. kein Anerkenntnis dar (BGH, Urt. v. 6.12.2001 - VII ZR 452/00, BGHReport 2002, 271 = BauR 2002, 465 = NZBau 2002, 153 = ZfBR 2002, 254). Die Beklagte durfte daher im Rahmen des Preisanpassungsverlangens von der Klägerin die Offenlegung der Kalkulation fordern.
Aus denselben Gründen trifft auch die Ansicht des Berufungsgerichts nicht zu, das Verhalten der Beklagten stelle ein Angebot auf Abschluss eines Teilvergleichs über die Abrechnung der Mehrmengen dar, das die Klägerin mit ihrem Mahnschreiben v. 30.9.2002 angenommen habe.
Fundstellen
Haufe-Index 1373060 |
BGHR 2005, 1101 |
BauR 2005, 1152 |
NJW-RR 2005, 1041 |
IBR 2005, 359 |
WM 2005, 1862 |
ZAP 2005, 935 |
MDR 2005, 1104 |
MDR 2006, 1153 |
BTR 2005, 165 |
BrBp 2005, 459 |
NJW-Spezial 2005, 407 |
NZBau 2005, 455 |
BauRB 2005, 223 |
FSt 2005, 705 |
JbBauR 2006, 371 |