Verfahrensgang
LG Bremen (Urteil vom 21.02.2014) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bremen vom 21. Februar 2014 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten des Verfahrens und die hierdurch den Nebenklägerinnen entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen ausbeuterischer Zuhälterei in fünf tateinheitlich zusammentreffenden Fällen und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Ferner hat es eine Entscheidung nach § 111i Abs. 2 StPO getroffen. Die auf Verfahrensrügen und die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.
I.
Rz. 2
Nach den Feststellungen des Landgerichts ließen der Angeklagte und seine mitangeklagte Ehefrau sowie seine gleichfalls mitangeklagte Tochter über mehrere Jahre hinweg die Nebenklägerinnen – fünf bulgarische Prostituierte – für sich arbeiten. Sie nahmen ihnen sämtliche Prostitutionseinnahmen ab und verbrauchten diese für ihren Lebensbedarf. Die Nebenklägerinnen erhielten entgegen vorab erteilten Zusicherungen, die Einnahmen hälftig aufzuteilen, über den gesamten Zeitraum ihrer Tätigkeit hinweg neben Kost und Logis nur kleinere Beträge.
Rz. 3
Nach einem gemeinsamen Diskothekenbesuch schlug der Angeklagte die Nebenklägerin Ko. in angetrunkenem Zustand mit den Handflächen sowie Fäusten und dann mit einer vereisten Wasserflasche ins Gesicht, weil sie mit einem Albaner getanzt hatte. Er fügte ihr hierdurch eine blutende Platzwunde unter der linken Augenbraue zu. Es blieb eine Narbe zurück.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 4
Das Urteil des Landgerichts hält rechtlicher Prüfung stand.
Rz. 5
1. Die Revision beanstandet eine Verletzung der „§§ 257c, 243 Abs. 4, 273 Abs. 1a Satz 2 StPO”, weil der Vorsitzende das Stattfinden und den Inhalt eines am 14. Februar 2014 mit dem Ziel der Verständigung geführten Gesprächs nicht in der Hauptverhandlung mitgeteilt und dokumentiert hat. Damit vermag sie letztlich nicht durchzudringen.
Rz. 6
a) Im Wesentlichen folgendes Verfahrensgeschehen liegt zugrunde:
Rz. 7
Nach einem außerhalb der Verhandlung zwischen einem beisitzenden Richter und einem Verteidiger zustande gekommenen Kontakt zur Frage einer Verständigung erkundete das Gericht am 33. Hauptverhandlungstag (14. Februar 2014) in öffentlicher Hauptverhandlung, ob bei der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft Interesse an Verständigungsgesprächen bestehe. Dies wurde bejaht. Daraufhin wurde im Gerichtssaal ein Gespräch geführt, an dem mit Ausnahme der Angeklagten alle Verfahrensbeteiligten teilnahmen. Die Verteidiger stellten den Aspekt weiterer Inhaftierung ihrer Mandanten in den Vordergrund. Der Verteidiger der nicht revidierenden Tochter des Angeklagten sprach die Möglichkeit der Strafaussetzung zur Bewährung hinsichtlich seiner Mandantin an. Die Staatsanwältin bewertete die Rechtslage zur Strafbarkeit wegen Menschenhandels nach dem Stand der Beweisaufnahme. Ferner wurden namentlich von den Vertretern der Nebenklägerinnen Schadensersatzzahlungen thematisiert. Strafvorstellungen wurden weder vom Gericht noch von anderer Seite verlautbart. Nach Beendigung des Gesprächs wurde der Angeklagte durch seinen Verteidiger ohne Mitteilung von Details darüber informiert, dass das Gespräch ohne Ergebnis geendet habe.
Rz. 8
Am 34. Verhandlungstag (18. Februar 2014) unterbreitete das Gericht für den Fall einer geständigen Einlassung der Angeklagten einen umfangreichen Verständigungsvorschlag. Dem Beschwerdeführer wurde eine Verurteilung zu Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten bis zu vier Jahren und sechs Monaten in Aussicht gestellt. Gegenstand des Vorschlags war weiterhin ein Schuldanerkenntnis der drei Angeklagten, in dem sie sich gesamtschuldnerisch zur Zahlung von je 7.500 EUR an die fünf Nebenklägerinnen verpflichten sollten. Bei Zustimmung der Staatsanwaltschaft sollten in Bezug auf eine Reihe von Anklagevorwürfen Verfahrensbeschränkungen nach §§ 154, 154a StPO erfolgen. Die Belehrung gemäß § 257c Abs. 4 StPO wurde erteilt. Darüber hinaus brachte der Vorsitzende zum Ausdruck, er gehe davon aus, dass der Vorschlag nur bei Beteiligung aller drei Angeklagten Bestand haben könne. Stattfinden, Ablauf und Inhalt des Gesprächs vom 14. Februar 2014 gab das Gericht an diesem Tag wie auch im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung nicht bekannt. Dementsprechend wurde diesbezüglich auch keine Mitteilung protokolliert.
Rz. 9
Noch am 18. Februar 2014 machte der Verteidiger des Angeklagten schriftsätzlich geltend, dass die Bedingung der Zustimmung aller Angeklagten unzulässig sei. Am 35. Verhandlungstag (19. Februar 2014) stellte der Vorsitzende in öffentlicher Hauptverhandlung klar, dass die Zustimmung aller Angeklagten keine Bedingung des Gerichts sei. Er gehe aber davon aus, dass die Staatsanwaltschaft diese Bedingung stelle. Dies wurde von der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft bestätigt. Die Frage des Gerichts, ob dem Verständigungsvorschlag zugestimmt werde, verneinte der Angeklagte. Die Sitzung wurde unterbrochen.
Rz. 10
Der Verteidiger befragte den Vorsitzenden, ob eine „Ausschöpfung des Strafrahmens nach unten” denkbar sei. Der Vorsitzende verwies auf den in der Hauptverhandlung unterbreiteten gerichtlichen Vorschlag, dem der Angeklagte zustimmen könne oder eben nicht. Nach Unterrichtung durch den Verteidiger, dass es keine (weitere) Äußerung des Gerichts gebe, erklärte der Angeklagte dem Verteidiger, nunmehr zustimmen zu wollen. Der Verteidiger erkundigte sich beim Vorsitzenden, welchen Geständnisinhalt das Gericht erwarte, worauf der Vorsitzende in Anwesenheit der Berufsrichter bekundete, das Gericht sei bei dem Verständigungsvorschlag davon ausgegangen, dass der Angeklagte den Nebenklägerinnen die Hälfte der Prostitutionseinnahmen zugesichert, ihnen jedoch dann nur kleinere Beträge und an eine Nebenklägerin einmal 1.500 EUR bezahlt sowie dass er die Nebenklägerin Ko. geschlagen habe. Ein Geständnis dieses Inhalts sei mithin die Basis des Verständigungsvorschlags. Dies teilte der Verteidiger dem Angeklagten mit.
Rz. 11
Nach Wiedereintritt in die Hauptverhandlung stimmten alle Angeklagten dem Verständigungsvorschlag zu. Der Angeklagte ließ sich zur Sache ein und räumte die vorgenannten Umstände ein. Sämtliche Angeklagten erklärten ein Schuldanerkenntnis im Sinne des Vorschlags.
Rz. 12
b) Bei dem geschilderten Verfahrensablauf ist eine Verletzung des § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO gegeben. Nach dieser Bestimmung hat der Vorsitzende das Stattfinden und den wesentlichen Inhalt von während des Verlaufs der Hauptverhandlung geführten Erörterungen (§§ 212 i.V.m. 202a StPO) mitzuteilen, sofern deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung gewesen ist. Dies war bei dem Gespräch vom 14. Februar 2014 der Fall.
Rz. 13
Das Gespräch erfolgte in Unterbrechung der Hauptverhandlung auf die ausdrückliche Frage des Gerichts nach etwaigem Verständigungsinteresse hin. In dessen Verlauf wurden in Anwesenheit aller Verfahrensbeteiligten mit Ausnahme der Angeklagten unter anderem mit dem Gesichtspunkt der Haft, der Strafaussetzung zur Bewährung in Bezug auf die Tochter des Angeklagten und von Schadensersatzzahlungen aller Angeklagten Themen aufgeworfen, die einer Verständigung zugänglich sind (vgl. KK-StPO/Moldenhauer/Wenske, 7. Aufl., § 257c Rn. 15 mwN). Dies überschreitet – anders als der erste Kontakt zwischen dem beisitzenden Richter und einem Verteidiger – sowohl nach den äußeren Umständen als auch dem Inhalt der Unterredung den Bereich einer „unverbindlichen Fühlungsaufnahme” (hierzu Schmitt, StraFo 2012, 386, 391; Sander, Karlsruher Strafrechtsdialog 2013, S. 53, 55). Dass die Besprechung zum Inhalt einer Verständigung wenig konkret war, namentlich von keinem Beteiligten Strafvorstellungen zur Diskussion gestellt wurden, vermag daran nichts zu ändern.
Rz. 14
c) Der Senat kann unter den hier gegebenen Umständen jedoch ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsverstoß (§ 337 Abs. 1 StPO) sicher ausschließen. Dass ein Ausschluss des Beruhens bei Verletzung der Mitteilungs- und Dokumentationspflichten, die einem Unterlaufen des Schutzkonzepts entgegenwirken sollen, in Ausnahmefällen möglich ist, entspricht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 133, 168, 223 f. Rn. 98; BVerfG [Kammer], Beschluss vom 15. Januar 2015 – 2 BvR 878/14 Rn. 28 f.; siehe auch BGH, Beschluss vom 15. Januar 2015 – 1 StR 315/14 [zum Abdruck in BGHSt bestimmt], NJW 2015, 645 Rn. 14, 17 ff.). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier vor.
Rz. 15
aa) Allerdings ist dem Landgericht mit dem völligen Unterlassen der gebotenen Mitteilung unter dem Blickwinkel des Transparenzgebots in Verbindung mit dem Gebot des fairen Verfahrens (vgl. BVerfG [Kammer], Beschluss vom 15. Januar 2015 – 2 BvR 878/14 Rn. 19 ff. mwN) eine gewichtige Rechtsverletzung unterlaufen. Das Schutzkonzept der strafprozessualen Verständigungsregelungen erfordert es, dass Erörterungen mit dem Ziel der Verständigung stets in öffentlicher Hauptverhandlung zur Sprache kommen, um einem informellen und unkontrollierbaren Verhalten unter Umgehung strafprozessualer Grundsätze möglichst keinen Raum zu lassen (vgl. BVerfGE 133, 168, 223 f. Rn. 98; BVerfG [Kammer], Beschluss vom 15. Januar 2015 – 2 BvR 878/14 Rn. 28).
Rz. 16
Indessen sind hier bei der gebotenen wertenden Gesamtbetrachtung (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2015 – 1 StR 315/14, aaO Rn. 19) Umstände vorhanden, die die Rechtsverletzung letztlich in einem milderen Licht erscheinen lassen. Insbesondere erfolgte die Initiative für das Gespräch von Seiten des Gerichts in öffentlicher Hauptverhandlung. Damit war sowohl für die Öffentlichkeit als auch für sämtliche Verfahrensbeteiligten offenkundig, dass Verständigungsgespräche durchgeführt werden würden. Ferner kann nach dem Revisionsvortrag zum Verlauf des Gesprächs, der in dienstlichen Stellungnahmen des Vorsitzenden und der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft seine Bestätigung gefunden hat, mit Gewissheit ausgeschlossen werden, dass das Gespräch auf eine gesetzwidrige Absprache gerichtet war. Es handelte sich auch nicht etwa um einen Verständigungsversuch, der aufgrund widerstreitender Interessen fehlgeschlagen war. Vielmehr wurden einige Positionen lediglich eher abstrakt thematisiert. Dementsprechend ist davon auszugehen, dass sich die Strafkammer durch das Gespräch einen Eindruck verschaffen wollte, um in der Verhandlungspause einen umfassenden Verständigungsvorschlag entwickeln zu können. Dieser wurde am darauffolgenden 34. Verhandlungstag in öffentlicher Verhandlung bekanntgegeben, ohne dass Verlauf und Inhalt des Vorgesprächs in irgendeiner Weise für das öffentliche Verständnis der Absprache Bedeutung erlangen konnten. Demgemäß hat sich die Verständigung trotz der Mitteilungs- und Dokumentationsverletzung in ihrer entscheidenden Gestalt letztlich doch „im Lichte der öffentlichen Hauptverhandlung offenbart” (vgl. BVerfGE 133, 168, 215 Rn. 82). Vor diesem Hintergrund kann dahingestellt bleiben, ob nicht sogar – was durchaus nicht fernliegt, wozu aber die Revision nicht vorträgt – der Gerichtssaal während des Gesprächs vom 14. Februar 2014 der Öffentlichkeit zugänglich gewesen ist.
Rz. 17
bb) Aufgrund dieser Besonderheiten kann der Senat darüber hinaus sicher ausschließen, dass infolge der unterlassenen gerichtlichen Mitteilung sowie Dokumentation die Selbstbelastungsfreiheit des Angeklagten in relevanter Weise beeinträchtigt worden ist und das Gericht bei ordnungsgemäßer Bekanntgabe sowie deren Protokollierung zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Der Angeklagte war durch die am 33. Verhandlungstag in öffentlicher Hauptverhandlung erfolgte gerichtliche Anfrage und die von den anderen Verfahrensbeteiligten bekundete Verständigungsbereitschaft darüber informiert, dass es sogleich zu durch das Gericht initiierten Verständigungsgesprächen kommen werde. Er wurde nach dem Gespräch durch seinen Verteidiger (zutreffend) darüber unterrichtet, dass es (noch) kein Ergebnis gegeben habe. Der inhaltlich nicht etwa auf bestimmten im Gespräch vom 14. Februar 2014 vertretenen Positionen fußende Verständigungsvorschlag wurde am 18. Februar 2014 in der Hauptverhandlung bekanntgegeben und mit ihm erörtert, woraufhin am 19. Februar 2014 nach ordnungsgemäßer Belehrung die Verständigung zustande kam. Unter diesen Vorzeichen bestand nicht im Ansatz die Gefahr eines dem Angeklagten abträglichen Interessengleichlaufs von Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung (vgl. BVerfGE 133, 168, 232 Rn. 114). Genauso wenig kann angenommen werden, dass das beim Angeklagten bestehende Informationsdefizit über Inhalt und Verlauf des Gesprächs vom 14. Februar 2014 dessen Fähigkeit zu autonomer Willensbildung vor allem in Richtung der Begebung seiner Selbstbelastungsfreiheit (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2015 – 1 StR 315/14, aaO Rn. 21 f. mwN) in irgendwie fassbarer Weise beeinträchtigt haben könnte. Das gilt im Besonderen für die durch die Revision hervorgehobene „Position der Staatsanwaltschaft”, die sich lediglich in einer vorläufigen rechtlichen Bewertung zum (dann ausgeschiedenen) Anklagevorwurf des Menschenhandels erschöpfte.
Rz. 18
d) Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung der Protokollierungspflicht aus § 273 Abs. 1a Satz 2 i.V.m. § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO rügt, liegt bereits nach seinem Vortrag ein Rechtsfehler nicht vor. Denn das zu einer – tatsächlich nicht erfolgten – Mitteilung schweigende Protokoll gibt den Gang der Hauptverhandlung gerade zutreffend wieder (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2015 – 1 StR 315/14, aaO Rn. 12 mwN).
Rz. 19
e) Der Senat muss nicht die – naheliegend zu verneinende – Frage entscheiden, ob die ersichtlich auf dem Ergebnis der zuvor über 30 Verhandlungstage andauernden Hauptverhandlung und dabei vor allem der Vernehmung von zwei Nebenklägerinnen fußende Auskunft des Vorsitzenden über den Gegenstand des vom Angeklagten erwarteten Geständnisses als „Erörterung” im Sinne von § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO gelten und damit Mitteilungs- und Dokumentationspflichten auszulösen geeignet sein könnte. Denn eine solche Rechtsverletzung macht die Revision nicht geltend. Die Angriffsrichtung bestimmt aber den Prüfungsumfang des Revisionsgerichts (vgl. BGH, Urteil vom 3. September 2013 – 5 StR 318/13, NStZ 2013, 671; Beschluss vom 20. Oktober 2014 – 5 StR 176/14 [zum Abdruck in BGHSt bestimmt], NJW 2015, 265, 266 Rn. 14; jeweils mwN). Entsprechendes gilt für die Frage, ob die Verständigung sämtlichen Anforderungen des § 257c StPO genügt hat.
Rz. 20
2. Der Beschwerdeführer rügt weiter eine Verletzung der „§§ 257c, 136a, 261 StPO”. Er beanstandet insoweit, dass die Staatsanwaltschaft ihre Zustimmung zur Verständigung gesetzwidrig von einer Zustimmung aller Angeklagten abhängig gemacht habe. Hierdurch sei für den Beschwerdeführer eine psychische Drucksituation entstanden, weil er um die Belange seiner mitangeklagten Ehefrau und seiner gleichfalls mitangeklagten Tochter besorgt gewesen sei. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Vortrag den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO in jeder Hinsicht genügt. Die Rüge ist jedenfalls unbegründet.
Rz. 21
a) Weder dem gesetzlichen Schutzkonzept zur Verständigung noch übergeordneten Grundsätzen lässt sich ein an Gericht oder Staatsanwaltschaft gerichtetes Verbot entnehmen, in einem gegen mehrere Angeklagte gerichteten Strafverfahren nur an einer „Gesamtverständigung” mitzuwirken. Ein subjektives Recht eines Angeklagten auf Verständigung existiert nicht (vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 257c Rn. 6; OLG Celle NStZ 2012, 285, 286). Gerade in Umfangsverfahren wie dem vorliegenden kann eine Verständigung mit nur einzelnen Angeklagten unter dem Aspekt der Verfahrensökonomie im Wesentlichen wertlos sein, im Gegenteil sogar gewisse Gefahren für den Bestand des Urteils in sich bergen (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Oktober 2013 – 1 StR 386/13, NStZ 2014, 168 mwN; vgl. KK-StPO/Moldenhauer/Wenske, aaO, § 257c Rn. 11; Schneider, NStZ 2014, 252, 261). Dies gilt zumal dann, wenn die Tatbeiträge der Angeklagten – wie hier – in besonderer Weise miteinander verwoben sind. Die drei Angeklagten verübten die ausbeuterische Zuhälterei in arbeitsteiliger Organisation. Ihnen flossen die Prostitutionseinnahmen der Nebenklägerinnen auch gemeinsam zu. Dementsprechend war Gegenstand der Verständigung ein von allen Angeklagten abgegebenes Schuldanerkenntnis zu gesamtschuldnerischer Schadensersatzzahlung an die Nebenklägerinnen. Für die Ablehnung einer „Partikularlösung” können danach im Einzelfall sachgemäße Gründe von Gewicht sprechen.
Rz. 22
b) An der Gesetzmäßigkeit der durch die Staatsanwaltschaft konkret abgegebenen Erklärung vermag auch eine in der Revisionsbegründung freilich eher abstrakt benannte „psychische Drucksituation” des Angeklagten aufgrund seiner familiären Bindungen zu den in den Verständigungsversuch eingebundenen Mitangeklagten nichts zu ändern. Allein hierdurch wird nicht eine Beeinträchtigung der Freiheit der Willensentschließung und -betätigung des Angeklagten ausgelöst, die der in § 136a StPO bezeichneten entsprechen oder nahekommen und eine eingegangene Verständigung deswegen vielleicht unwirksam machen könnte. Auch sind Anhaltspunkte für einen irgendwie gearteten „Missbrauch” von Seiten der Staatsanwaltschaft oder gar des Gerichts nicht vorhanden. Dass die Staatsanwaltschaft die Lage des Angeklagten auch nur durch entsprechende Hinweise instrumentalisiert hätte, um ihn zu einer Zustimmung zu drängen, trägt die Revision nicht vor. Dem Umstand, dass die typischerweise gegebene „Anreiz- und Verlockungssituation” des Angeklagten (vgl. BVerfGE 133, 168, 208 Rn. 68) in Konstellationen wie der vorliegenden unter Umständen verstärkt wird, kann das Tatgericht vor allem im Rahmen der Aufklärung und dann gegebenenfalls der Beweiswürdigung Rechnung tragen.
Rz. 23
3. Auch der Rüge der Verletzung „der §§ 240, 265 StPO, Art. 6 Abs. 1, 3d MRK” bleibt der Erfolg versagt.
Rz. 24
a) Ihr liegt im Wesentlichen folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
Rz. 25
Nach einer sich über mehrere Tage erstreckenden Vernehmung der Zeugin und Nebenklägerin D. regte der Verteidiger des Angeklagten an, wegen massiver Widersprüche zwischen ihrer Aussage vor Gericht und in früheren polizeilichen Vernehmungen von einer weiteren Befragung abzusehen, weil ihre Aussage zur Überprüfung der Anklagevorwürfe nicht geeignet sei. Nach einer Besprechung zwischen den Verfahrensbeteiligten gab der Vorsitzende in der Hauptverhandlung den Hinweis (§§ 257b, 273 Abs. 1a Satz 2 StPO), dass die weitere Befragung der Zeugin aus Sachaufklärungsgründen nicht geboten sei. Die Aussageschwächen wie fehlende Konstanz und Genauigkeit seien so eklatant, dass das Anerbieten der Verteidiger zur verkürzten Zeugenbefragung zu sachlich gebotener Verfahrensbeschleunigung führen werde. Die Zeugin wurde vor einer eingehenden Befragung durch die Verteidigung entlassen und im weiteren Verlauf nicht mehr vernommen. Der Verteidiger widersprach bei der Entlassung der Verwertung der Aussage der Zeugin. Er begründete dies mit (behaupteten) rechtsstaatswidrigen Vernehmungen bulgarischer Staatsorgane.
Rz. 26
In der Beweiswürdigung zog die Strafkammer die Angaben der Zeugin D. zum Anklagevorwurf der durch den Angeklagten verübten gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil der Nebenklägerin Ko. insofern heran, als sie die Glaubhaftigkeit des hierzu abgegebenen Geständnisses des Angeklagten indiziell bestätigten; die Zeugin habe dieses Geschehen trotz des ansonsten geringen Beweiswerts ihrer Aussage detailliert, schlüssig und anschaulich beschrieben, wobei sich ihre Bekundungen mit denen des Angeklagten deckten (UA S. 13). Hinsichtlich des Vorwurfs der durch die Angeklagten über mehrere Jahre hinweg verübten ausbeuterischen Zuhälterei verwertete das Landgericht die Aussage nicht.
Rz. 27
b) Die Rüge entspricht nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Denn die Revision hat die Niederschriften über die polizeilichen Vernehmungen der Zeugin nicht vorgelegt, auf die sie sich zur Begründung ihrer Anregung der Nichtweitervernehmung tragend gestützt hat. Der Senat kann deshalb nicht prüfen, ob die Bekundungen der Zeugin auch zu diesem gegenüber dem Vorwurf langjähriger Ausbeutung mehrerer Prostituierter leicht fassbaren Teilaspekt im Vergleich zu ihrer Aussage vor Gericht Inkonstanzen gravierender Art aufwiesen. Allenfalls unter dieser Voraussetzung könnte an einen durch die Verfahrensweise der Strafkammer geschaffenen Vertrauenstatbestand gedacht werden, dass sie die hierzu erfolgte und sich mit der geständigen Einlassung des Angeklagten im Detail deckende Aussage nicht als Indiz für deren Glaubhaftigkeit in Ansatz bringen würde.
Rz. 28
4. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Sachbeschwerde deckt keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
Rz. 29
a) Die Beweiswürdigung ist tragfähig vorgenommen. Das Landgericht hat die geständige Einlassung des Angeklagten und die sich damit deckenden geständigen Aussagen der Mitangeklagten hinreichend mit den Ergebnissen der mehr als 30 Tagen dauernden Verhandlung abgeglichen und auf ihren Wahrheitsgehalt untersucht. Ausweislich der Sitzungsniederschrift über die Hauptverhandlung vom 19. Februar 2014, die dem Senat aufgrund der unter Ziffer 1 erörterten Verfahrensrüge zugänglich gewesen ist, hat sich der Angeklagte dabei nicht auf ein „Formalgeständnis” etwa in Form einer von ihm bestätigten Erklärung seines Verteidigers beschränkt. Vielmehr hat er mindestens 40 Minuten bis maximal eine knappe Stunde lang zur Sache ausgesagt und dabei Fragen beantwortet. Dies hat auch in den Urteilsgründen seinen Niederschlag gefunden (UA S. 11 ff.).
Rz. 30
Besonderen Stellenwert im Rahmen der Beweiswürdigung nahmen die Aussagen der Nebenklägerinnen A. und K. ein. Entgegen der Auffassung der Revision hat sich die Strafkammer dabei nicht nur „floskelhaft” mit einem denkbaren Falschbelastungsmotiv wegen in Aussicht stehenden Schadensersatzes befasst (UA S. 11 f.). Auch die Aussage der Zeugin D. ist mit der gebotenen Zurückhaltung gewürdigt (UA S. 12 f.). Dass sich das Landgericht nicht ausdrücklich mit der Frage befasst hat, ob der Angeklagte (wie dann auch die mitangeklagte Ehefrau und die mitangeklagte Tochter) möglicherweise in dem Bestreben ein „Falschgeständnis” abgelegt hat, die Verkürzung der Haft seiner Ehefrau und seiner Tochter zu erreichen, begründet schon angesichts der hier gegebenen klaren Beweislage keinen durchgreifenden Darstellungsmangel (vgl. auch BGH, Beschluss vom 23. Mai 2012 – 1 StR 208/12 Rn. 7).
Rz. 31
b) Die Entscheidung nach § 111i StPO ist noch hinreichend begründet. Soweit das Landgericht bei der Berechnung des (auch) durch den Angeklagten aus der Straftat der ausbeuterischen Zuhälterei Erlangten (UA S. 19) möglicherweise Zeiten einbezogen hat, die vor Inkrafttreten des § 111i StPO am 1. Januar 2007 liegen (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 10. April 2013 – 1 StR 22/13, NStZ-RR 2013, 254, 255 mwN), würde das Urteil hierauf nicht beruhen. Denn auch die nach diesem Zeitpunkt gemäß der durch die Strafkammer vorgenommenen, ansonsten rechtsfehlerfreien „Hochrechnung” erlangten Beträge übersteigen die durch sie letztlich angenommene Summe von 37.500 EUR bei weitem. Angesichts der dem Angeklagten überaus günstigen Schätzung schließt der Senat ferner aus, dass die Festsetzung des Verfallsbetrags noch niedriger ausgefallen wäre, wenn das Landgericht die Härtefallvorschrift des § 73c Abs. 1 StGB explizit erörtert hätte.
Unterschriften
Sander, König, Berger, Bellay, Feilcke
Fundstellen
Haufe-Index 7735411 |
NStZ 2015, 537 |
NStZ-RR 2015, 6 |
StV 2016, 97 |