Leitsatz (amtlich)
›a) Die Annahme des Getrenntlebens innerhalb der ehelichen Wohnung (§ 1567 Abs. 1 Satz 2 BGB) setzt voraus, daß kein gemeinsamer Haushalt geführt wird und zwischen den Ehegatten keine persönlichen Beziehungen mehr bestehen.
b) Ob die Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht erwartet werden kann (§ 1565 Abs. 1 Satz 2 BGB), ist, wenn nicht die Vermutungen des § 1566 BGB eingreifen, als tatrichterliche Prognose unter Würdigung aller Umstände zu entscheiden.‹
Verfahrensgang
OLG Düsseldorf (Urteil vom 10.10.1977) |
LG Düsseldorf |
Tatbestand
Der am 9. Dezember 1937 geborene Antragsteller (früher Kläger) und die am 6. April 1948 geborene Antragsgegnerin (früher Beklagte) haben am 6. Dezember 1974 die Ehe geschlossen, aus der eine am 13. Dezember 1975 geborene Tochter hervorgegangen ist.
Mit Schriftsatz vom 3. Oktober 1975 hat der Antragsteller Klage auf Scheidung der Ehe aus Verschulden der Antragsgegnerin erhoben; im Laufe des ersten Rechtszuges hat er in Abänderung des Klageantrags in erster Linie Aufhebung der Ehe und hilfsweise Scheidung verlangt.
Das Landgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme durch Urteil vom 9. Dezember 1976 abgewiesen. Auf die Berufung des Antragstellers hat das Oberlandesgericht die Ehe durch Urteil vom 10. Oktober 1977 geschieden. Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision begehrt die Antragsgegnerin die Abweisung des Scheidungsverlangens.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
1. Nach Art. 12 Nr. 3 des 1. EheRG gilt für die Scheidung der Ehe das am 1. Juli 1977 in Kraft getretene neue Scheidungsrecht. Hiernach kann die Ehe geschieden werden, wenn sie gescheitert ist, und das ist der Fall, wenn die Lebensgemeinschaft der Ehegatten nicht mehr besteht und nicht erwartet werden kann, dass die Ehegatten sie wiederherstellen (§ 1565 Abs. 1 BGB). Die im Gesetz aufgestellten Vermutungen für das Scheitern der Ehe kommen im vorliegenden Fall nicht in Betracht, weil die Antragsgegnerin der Scheidung nicht zustimmt (§ 1566 Abs. 1 BGB) und die Parteien noch nicht drei Jahre getrennt leben (§ 1566 Abs. 2 BGB).
Als Voraussetzung für eine Scheidung der Ehe muss das Scheitern der Ehe festgestellt werden. Ein Scheitern der Ehe kann nur angenommen werden, wenn die beiden Voraussetzungen vorliegen, die in der bereits genannten Vorschrift des § 1565 Abs. 1 BGB aufgestellt sind, nämlich einmal, dass die Lebensgemeinschaft der Ehegatten aufgehoben ist, und zum anderen, dass ihre Wiederherstellung nicht erwartet werden kann.
Die Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft war auch nach dem bisherigen Scheidungsrecht in den meisten Fällen Voraussetzung für die Scheidung der Ehe (§§ 43, 44, 48 EheG). Es kann daher an die bisherige Auslegung des Begriffs der ehelichen Lebensgemeinschaft angeknüpft werden. Die eheliche Lebensgemeinschaft ist im Verhältnis zur häuslichen Gemeinschaft der Ehegatten der umfassendere Begriff; sie kann auch dann vorliegen, wenn eine häusliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten nicht besteht (Palandt/Diederichsen, BGB, 36. Aufl., § 1565 Rdn. 2; Wolf in MünchKomm, § 1565 Rdn. 23 und 26; Wüstenberg in BGB-RGRK, EheG, 10./11. Aufl., § 48 Rdn. 16; Hoffmann/Stephan, EheG, 2. Aufl., § 48 Rdn. 15). Doch wird die Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft meist ein wesentliches Indiz dafür sein, dass die eheliche Lebensgemeinschaft nicht mehr besteht.
Die Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft ist ein tatsächlicher objektiver Zustand. Er kann auch innerhalb einer Wohnung bestehen (§ 1567 Abs. 1 Satz 2 BGB). Das Erfordernis, es müsse eine "vollkommene tatsächliche Trennung" vorliegen (BGH, LM EheG § 48 Abs. 1 Nr. 14 = FamRZ 1969, 80; OLG Frankfurt/M., FamRZ 1978, 328, 329), kann daher für die Fälle, in denen die Ehegatten (noch) in derselben Wohnung leben, nicht wortwörtlich genommen werden, da bei einem Wohnen in ein und derselben Wohnung zumindest die gemeinsame Benutzung einzelner Räume (Flur, Küche, Toilette, Bad) und eine gelegentliche Absprache über deren Benutzung nicht auszuschließen ist. Doch dürfen bei solchen Wohnverhältnissen, wenn von einem Getrenntleben die Rede sein soll, jedenfalls kein gemeinsamer Haushalt geführt werden und keine wesentlichen persönlichen Beziehungen zwischen den Ehegatten bestehen (RGRZ 163, 277, 279; ebenso der BGH in der vorerwähnten Entscheidung; Wüstenberg, aaO., § 48 Rdn. 36 und 37 m.w.N.; Schwab, FamRZ 1976, 491 ff., 501 f.; ebenso auch OLG Köln, FamRZ 1978, 34). Im Übrigen genügt es jedoch, wenn auch nur ein Ehegatte erkennbar die häusliche Gemeinschaft nicht herstellen will (§ 1567 Abs. 1 Satz 1 BGB), so dass Annäherungsversuche des anderen Ehegatten und dessen Bemühungen um Wiederaufnahme einer häuslichen Gemeinsamkeit der Annahme einer Trennung nicht entgegenstehen.
Diese Grundsätze sind vom Berufungsgericht nicht verkannt, vielmehr ausdrücklich hervorgehoben und auch beachtet worden. Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsverstoß festgestellt, die Parteien lebten seit zwei Jahren getrennt. Jeder benutze in dem gemeinsam bewohnten Hause bestimmte Räume für sich allein. Der Antragsteller lehne es ab, dass die Antragsgegnerin ihm das Essen bereite, ihm die Kleidung in Ordnung halte und die von ihm benutzten Räume säubere. Er lasse sich vielmehr ausschließlich von seiner Mutter versorgen. Zwar sei es verschiedentlich vorgekommen, dass beide Parteien gleichzeitig die Küche benutzt und gleichzeitig am Tisch gegessen hätten, doch hätten sie nicht, wie in einer ungestörten Ehe üblich, gemeinsam gegessen. Der Ansicht der Revision, die Feststellung einer gleichzeitigen Küchenbenutzung spräche gegen eine Trennung, kann nicht beigepflichtet werden. Ein gelegentliches gleichzeitiges Essen an einem Tisch braucht, wenn es sich als ein bloßes räumliches Nebeneinandersein darstellt ohne persönliche Beziehung oder geistige Gemeinsamkeit - wie dies das Berufungsgericht ersichtlich mit seiner Differenzierung zum Ausdruck bringen wollte -, nicht eine Herstellung persönlicher Beziehungen zwischen den Ehegatten, die der Annahme einer Trennung entgegenstünde, zu bedeuten. Dass der Antragsteller mit der Trennung von der Antragsgegnerin zugleich die eheliche Lebensgemeinschaft verweigert und aufgehoben hat, versteht sich bei dieser Sachlage von selbst.
2. Weitere Voraussetzung für die Annahme des Scheiterns der Ehe ist, dass eine Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft durch die Ehegatten nicht erwartet werden kann, was bedeutet, dass die Zerrüttung der Ehe unheilbar ist (vgl. dazu Schwab, FamRZ 1976, 491, 495). Zur Feststellung dieser besonders sorgfältig zu prüfenden Voraussetzung genügt, soweit die Vermutungen des § 1566 BGB nicht eingreifen, nicht die bloße Erklärung des sich von der Ehe lösenden Ehegatten, er sehe die Ehe als endgültig zerrüttet oder gescheitert an. Vielmehr kommt es auf eine unter Berücksichtigung aller Umstände - auch der subjektiven Gegebenheiten - zu treffende Prognose an, bei welcher der Beurteiler unter Anlegung eines objektiven Maßstabs zu entscheiden hat, ob die Wiederherstellung der Lebensgemeinschaft der Ehegatten nicht mehr erwartet werden kann (Palandt/Diederichsen, BGB, 36. Aufl., § 1565 Rdn. 2; Wolf, aaO., § 1565 Rdn. 44; BGH, LM ZPO § 547 Abs. 1 Nr. 4 = NJW 1963, 1781; Wüstenberg, aaO., § 48 Rdn. 52; Hoffmann/Stephan, EheG, 2. Aufl., § 48 Rdn. 31). Ob das anzunehmen ist, ist im Wesentlichen eine Frage tatrichterlicher Würdigung (RGZ 160, 236, 238; BGHZ 4, 186, 190).
Diese rechtlichen Anforderungen sind vom Berufungsgericht nicht verkannt worden. Das Berufungsgericht hat nicht auf die Behauptungen des Antragstellers abgestellt, sondern in eigener Würdigung aus dem Verhalten und den als glaubhaft angesehenen Bekundungen des Antragstellers entnommen, dass er unter keinen Umständen mehr bereit sei, zur Beklagten zurückzufinden und die Ehe fortzusetzen, womit gesagt ist, dass seine Abwendung von der Ehe nicht nur eine vorübergehende Gefühlsbewegung ist. Diese Auffassung hat das Berufungsgericht auf verschiedene tatsächliche Umstände, insbesondere darauf gestützt, dass die Parteien seit zwei Jahren getrennt leben, dass der Antragsteller es ablehnt, von der Antragsgegnerin versorgt zu werden, dass er sich nicht von der Überzeugung abbringen lässt, die Antragsgegnerin hasse seinen Sohn aus erster Ehe, dass er die Scheidungsklage zu einem Zeitpunkt erhoben hat, als die Antragsgegnerin wenige Monate vor der Entbindung stand, dass er alle Annäherungs- und Versöhnungsbemühungen der Antragsgegnerin schroff zurückgewiesen und in seiner Vernehmung eine hasserfüllte Abneigung gegen die Antragsgegnerin zu erkennen gegeben hat. Mit ihrer Auffassung, diese Umstände rechtfertigten nicht die Annahme einer unheilbaren Zerrüttung der Ehe, wendet sich die Antragsgegnerin gegen die tatrichterliche Würdigung dieser Umstände. Hiermit kann sie in der Revisionsinstanz nicht gehört werden. Das gilt auch für das Vorbringen der Revision, das Berufungsgericht hätte prüfen müssen, ob von einem objektiv im Unrecht befindlichen Ehegatten nicht erwartet werden könne, dass er seine Position überdenke. Es kommt nicht darauf an, ob die Gründe, auf denen die unüberwindbare Abneigung des Antragstellers gegen die Antragsgegnerin beruht, insbesondere angebliche Eheverfehlungen der Antragsgegnerin, objektiv zutreffen, sondern allein darauf, ob seine Abneigung - ohne Rücksicht auf ihre Begründetheit - einen solchen Grad erreicht hat, dass eine Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft zwischen den Parteien nicht mehr erwartet werden kann. Dass das hier so ist, hat das Berufungsgericht angenommen. Damit ist das Scheitern der Ehe in einer rechtlich nicht zu beanstandenden Weise festgestellt. Die gegen die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts erhobenen Verfahrensrügen sind nicht begründet.
Die Revision musste mithin als unbegründet zurückgewiesen werden.
Fundstellen
Haufe-Index 2992692 |
NJW 1978, 1810 |
FamRZ 1978, 671 |
LSK-FamR/Hülsmann, LS 1 |
LSK-FamR/Hülsmann, LS 2 |
LSK-FamR/Hülsmann, LS 9 |
LSK-FamR/Hülsmann, LS 2 |
LSK-FamR/Hülsmann, LS 3 |
LSK-FamR/Hülsmann, LS 5 |
LSK-FamR/Hülsmann, LS 6 |