Verfahrensgang
OLG München (Urteil vom 18.04.1991; Aktenzeichen 1 U 1737/89) |
LG München I (Urteil vom 07.12.1988; Aktenzeichen 11 O 6670/87) |
Tatbestand
Der am 13. Februar 1984 im Städtischen Krankenhaus Bad T. geborene Kläger zu 1) und seine Mutter, die Klägerin zu 2), sowie sein Vater, der Kläger zu 3), haben die beklagten Ärzte auf Ersatz von Schäden in Anspruch genommen, die auf einer zu spät erkannten Hyperbilirubinämie infolge Blutgruppenunverträglichkeit zwischen Mutter und Kind beruhen.
Der Beklagte zu 1), Facharzt der Gynäkologie, betreute die Klägerin zu 2) als Kassenpatientin ärztlich während ihrer Schwangerschaft und bei der Entbindung, die er als Belegarzt im Städtischen Krankenhaus Bad T. vornahm. Auch während des Klinikaufenthalts nach der Geburt befanden sich Mutter und Kind in der ärztlichen Obhut des Beklagten zu 1), der täglich Visiten bei den Patienten durchführte. Die Beklagte zu 2), niedergelassene Kinderärztin in Bad T., nahm am Morgen des 16. Februar 1984 auf Veranlassung des Pflegepersonals des Krankenhauses beim Kläger zu 1) die der Vorsorge dienende Neugeborenen-Basis-Untersuchung U 2 vor; auf dem vorgesehenen Formular vermerkte sie einen unauffälligen Befund.
Am Morgen des 17. Februar 1984 wurden beim Kläger zu 1) Anzeichen einer Gelbsucht und im Rahmen einer daraufhin erfolgten Blutuntersuchung stark erhöhte Bilirubinwerte festgestellt, die in einer Blutgruppenunverträglichkeit im A-0-System zwischen Mutter und Kind ihre Ursache hatten. Beim Kläger zu 1) entwickelte sich infolgedessen ein Kernikterus, der zu schweren und irreversiblen Beeinträchtigungen des Kindes, insbesondere zu einer choreoathetotischen Bewegungsstörung, zu Taubheit und Strabismus führte. Die Kläger haben den beklagten Ärzten angelastet, sie hätten es pflichtwidrig versäumt, im Hinblick auf das durch die Blutgruppe 0 Rhesus positiv der Mutter gegebene Risiko und eine bereits vor dem 17. Februar 1984 wahrnehmbare Gelbverfärbung des Kindes rechtzeitig diagnostische Maßnahmen, insbesondere eine Bilirubinbestimmung des Blutes, und die Einleitung der gebotenen Therapie zu veranlassen; infolgedessen sei es zu der Schädigung des Klägers zu 1) gekommen. Sie haben die Feststellung der Ersatzpflicht beider Beklagten hinsichtlich ihrer materiellen Schäden, der Kläger zu 1) darüberhinaus die Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von mindestens 150.000 DM beantragt.
Das Landgericht hat dem Feststellungsantrag in vollem Umfang und dem Schmerzensgeldbegehren in Höhe von 120.000 DM stattgegeben. Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos; auf die Anschlußberufung des Klägers zu 1) wurde der zuerkannte Schmerzensgeldbetrag auf 150.000 DM erhöht. Die hiergegen eingelegte Revision des Beklagten zu 1) hat der Senat nicht angenommen. Die Beklagte zu 2) verfolgt mit ihrer Revision den Antrag auf Klageabweisung weiter.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht geht davon aus, die Beklagte zu 2) habe mit den Klägern zu 2) und zu 3) in deren eigenem Namen zu Gunsten des Kindes, des Klägers zu 1), einen Behandlungsvertrag abgeschlossen. Zur Vornahme der Vorsorgeuntersuchung U 2 bei Neugeborenen sei sie jeweils vom Personal des Städtischen Krankenhauses Bad T. gerufen worden, habe den Berechtigungsschein von den Eltern erhalten und ihre Kosten unmittelbar mit der Krankenkasse, nicht hingegen mit dem Krankenhaus abgerechnet. Hieraus ergebe sich das Zustandekommen eines Vertrages unmittelbar zwischen den Eltern und der Beklagten zu 2). Der Wille der Eltern, die notwendige Untersuchung U 2 durch die Beklagte zu 2) durchführen zu lassen, habe sich auch im vorliegenden Fall in der Aushändigung des kassenärztlichen Berechtigungsscheines durch die Klägerin zu 2) dokumentiert.
Die Beklagte zu 2) habe fahrlässig gegen ihre ärztliche Sorgfaltspflicht verstoßen. Sie habe die Bedeutung einer von ihr bei der Untersuchung am 16. Februar 1984 festgestellten Gelbverfärbung des Kindes verkannt und es pflichtwidrig unterlassen, die dringend gebotenen Untersuchungs- und Behandlungsmaßnahmen in die Wege zu leiten. Sie habe es versäumt, sich nach der Blutgruppe der Mutter zu erkundigen und sich damit die Möglichkeit genommen, die Relevanz der Gelbverfärbung sachgerecht beurteilen zu können. Infolge ihres Fehlverhaltens sei die Beklagte zu 2) - neben dem Beklagten zu 1) - für die durch die Blutgruppenunverträglichkeit verursachte Hyperbilirubinämie und den hieraus entstandenen Kernikterus mit den schweren Folgeschäden beim Kläger zu 1) verantwortlich. Ihre Versäumnisse seien für das Unterbleiben der gebotenen therapeutischen Maßnahmen ursächlich gewesen; bei ordnungsgemäßer Behandlung, insbesondere einem frühzeitigen Blutaustausch, hätte die Bilirubinkonzentration niedrig und eine Schädigung des Klägers zu 1), wie sie sich dann verwirklicht habe, vermieden, zumindest aber gemindert werden können. Zweifel an der Kausalität ihres Verhaltens müßten zu Lasten der Beklagten zu 2) gehen. Es finde eine Umkehr der Beweislast statt, da der Beklagten zu 2) - ebenso wie dem Beklagten zu 1) - ein grober Behandlungsfehler anzulasten sei. Es habe bereits 1984 zu den Grundanforderungen an eine Kinderärztin für eine sachgerechte Diagnosestellung in derartigen Fällen gehört, sich die erforderliche Kenntnis über die Blutgruppenkonstellation zwischen Mutter und Kind zu verschaffen.
II. Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision der Beklagten zu 2) nicht in allem stand.
1. Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, daß aus dem mit der Beklagten zu 2) geschlossenen Behandlungsvertrag über die Untersuchung des Kindes die Kläger vertragliche Ansprüche gegen sie erworben haben. Hiergegen wendet sich die Revision ohne Erfolg.
a) Vertragliche Ansprüche stehen den Klägern unabhängig davon zu, ob die Klägerin zu 2) als Kassenpatientin unmittelbare Vertragspartnerin der Beklagten zu 2) werden konnte oder ob ein Behandlungsvertrag als zwischen der Krankenkasse und der Beklagten zu 2) abgeschlossen anzusehen ist; in letzterem Fall entfaltet der Vertrag Schutzwirkung im Sinne des § 328 BGB zugunsten des untersuchten Kindes und seiner Eltern (vgl. zu diesen Fragen die Senatsurteile BGHZ 89, 250, 254 f.; 97, 273, 276; 100, 363, 367).
b) Zwar oblag während des Krankenhausaufenthaltes des Klägers zu 1) und der Klägerin zu 2) die ärztliche Betreuung des Kindes ebenso wie die der Mutter dem Beklagten zu 1) aufgrund des mit ihm als Belegarzt - sei es von den Eltern des Kindes zu dessen Gunsten, sei es von der Krankenkasse zugunsten des Kindes und seiner Eltern - abgeschlossenen Behandlungsvertrages. Eine spezielle kinderärztliche Teilleistung, nämlich die Durchführung der Vorsorgeuntersuchung U 2, wurde jedoch aufgrund besonderer vertraglicher Vereinbarung der Beklagten zu 2) anvertraut. Hierbei wurden vertragliche Ansprüche der Kläger gegen die Beklagte zu 2) begründet.
c) Allerdings haben nicht die Eltern des Kindes selbst die Beklagte zu 2) beauftragt, sondern diese wurde - den im Städtischen Krankenhaus Bad T. herrschenden Gepflogenheiten entsprechend - vom Pflegepersonal verständigt, um die Vorsorgeuntersuchung U 2 beim Kläger zu 1) durchzuführen; es ist davon auszugehen, daß die Eltern zunächst gar nichts von diesem Tätigwerden der Beklagten zu 2) wußten. Dennoch wurde die Beklagte zu 2) weder für das Krankenhaus noch für den Beklagten zu 1) kinderärztlich tätig. Zwischen ihr und der Klinik bestand keine allgemeine vertragliche Beziehung; vielmehr hat sie als niedergelassene, frei praktizierende Kinderärztin jeweils von Fall zu Fall die Durchführung der Vorsorgeuntersuchung U 2 übernommen. Das Pflegepersonal hat auch nicht durch die Verständigung der Kinderärztin im Einzelfall für das Krankenhaus vertragliche Verpflichtungen gegenüber der Beklagten zu 2) begründet. Dem Städtischen Krankenhaus Bad T. oblag keine (kinder-) ärztliche Leistung. Die Krankenhausaufnahme der Klägerin zu 2) erfolgte im Rahmen des Belegarztverhältnisses des Beklagten zu 1); bei der somit gegebenen rechtlichen Gestaltung des ›gespaltenen Krankenhausaufnahmevertrages‹ schuldete das Krankenhaus nur die nichtärztliche Heilbehandlung, während die ärztliche Betreuung von Mutter und Kind dem Belegarzt (Beklagten zu 1) oblag. Dementsprechend wurde die Beklagte zu 2) hier nicht zur Erbringung kinderärztlicher Leistungen des Krankenhauses eingeschaltet. Die Beklagte zu 2) wurde auch nicht für den Beklagten zu 1) tätig; dieser hat sie auch nicht (etwa als Konsiliarärztin) zu seiner ärztlichen Behandlung hinzugezogen. Die Beklagte zu 2) hat hier - außerhalb und neben der Behandlungs- und Betreuungsleistung des Beklagten zu 1) - selbständig eine kinderärztliche Untersuchung vorgenommen und unmittelbar mit der Krankenkasse abgerechnet.
d) Das Pflegepersonal der Klinik handelte, als es die Beklagte zu 2) verständigte, zunächst in vollmachtloser Vertretung für deren künftigen Vertragspartner (die Krankenkasse oder die Eltern des Kindes) und begründete auf diese Weise ein Vertragsverhältnis, aus dem die Kläger gegenüber der Beklagten zu 2) berechtigt wurden. Als letztere von der Klägerin zu 2) den kassenarztrechtlichen Berechtigungsschein erhielt, wurde die in vollmachtloser Vertretung erfolgte Beauftragung der Beklagten zu 2) wirksam genehmigt.
e) Die Beklagte zu 2) ist daher nicht nur dem Kläger zu 1) deliktisch, sondern gegenüber allen Klägern aus vertraglicher Haftung verantwortlich. Dabei können die Eltern im Hinblick auf die Schädigung des Kindes in den durch dessen Schaden gezogenen Grenzen ihren schädigungsbedingten Mehraufwand für Pflege und Versorgung des Kindes als eigenen Schaden geltend machen (vgl. Senatsurteile BGHZ 89, 263, 267 und 106, 153, 161).
2. Auch die Angriffe der Revision gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Beklagten zu 2) sei ein Behandlungsfehler unterlaufen, greifen nicht durch.
a) Die Pflicht der Beklagten zu 2) aus dem Behandlungsvertrag beschränkte sich allerdings auf die ordnungsgemäße Durchführung der Vorsorgeuntersuchung U 2. Daß die Beklagte zu 2) eine Verpflichtung zur weitergehenden Behandlung des Kindes übernommen hätte, ist den getroffenen Feststellungen nicht zu entnehmen; vielmehr war - abgesehen von dieser einen Vorsorgeuntersuchung - die ärztliche Betreuung des Klägers zu 1) während des Krankenhausaufenthaltes weiterhin Sache des Beklagten zu 1).
Bei der U 2-Untersuchung handelt es sich um die Neugeborenen-Basis-Untersuchung, die - wie das hierfür vorgesehene Befundformular zeigt - umfassende Untersuchungsleistungen erfordert. Allerdings gibt das genannte Formular gleichsam ein Schema für die gebotene Befunderhebung; der Arzt ist aufgefordert, jeweils für die verschiedenen medizinisch relevanten Bereiche bestimmte etwa vorliegende Auffälligkeiten in einem Kästchen anzukreuzen. Im Bereich ›Haut‹ ist dabei auch eine Rubrik ›verstärkter oder verlängerter Ikterus‹ vorgesehen, hingegen kein Kästchen, das eine lediglich einfache Gelbverfärbung des Kindes betrifft. Anzeichen für einen ›verlängerten oder verstärkten Ikterus‹ lagen beim Kläger zu 1) am Morgen des 16. Februar 1984 noch nicht vor; nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Beklagte zu 2) bei ihrer Untersuchung lediglich eine von ihr als ›physiologisch bedingt‹ eingestufte Gelbfärbung wahrgenommen, deren Eintragung als solche im Befundformular nicht gefordert wird.
b) Dennoch entsprach es nicht der ärztlichen Sorgfaltspflicht, daß die Beklagte zu 2) im Hinblick auf die erkannte (zumindest leichte) Gelbfärbung der Haut des Klägers zu 1) nichts weiter unternahm und als Ergebnis ihrer Untersuchung lediglich das Kästchen ›unauffällig‹ im Formular ankreuzte.
Denn die Beklagte zu 2) als Fachärztin für Kinderheilkunde, der ein erst wenige Tage alter Säugling zur umfassenden Neugeborenen-Basis-Untersuchung vorgeführt wurde, durfte sich mit einer schematischen Ausfüllung des Befundformulars nicht begnügen. In einer solchen Lage muß vielmehr der Kinderarzt bei einer Beobachtung, die er beim Kind im Rahmen seiner Untersuchung macht und die auf eine ernst zu nehmende Erkrankung hinweisen kann, auf eine rasche diagnostische Abklärung und gegebenenfalls Therapie hinwirken, um vermeidbare Schädigungen des Patienten auszuschließen. Diese Verpflichtung trifft ihn auch dann, wenn das schematisierte Befundformular insoweit kein Ankreuzen einer bestimmten Rubrik gebietet. Daß schon von der Konzeption der Vorsorgeuntersuchung U 2 her nicht an eine ausschließliche Beschränkung auf die typisierten und zum Ankreuzen vorgesehenen bestimmten Befunde gedacht ist, zeigt sich im übrigen auch aus dem Formular selbst, welches Platz für die Eintragung ›sonstiger Hinweise‹ und von ›Nebenbefunden‹ vorsieht.
c) Zwar brauchte nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B. die von der Beklagten zu 2) festgestellte (zumindest leichte) Gelbverfärbung des Klägers zu 1) nicht krankhaft, konnte vielmehr auch lediglich physiologisch bedingt sein und bei einem Kind dieser Altersstufe im Bereich der Normalität liegen. Der Beklagten zu 2) als erfahrener Kinderärztin mußte aber nach dem Gutachten des Sachverständigen klar sein, daß sich in einer keineswegs zu vernachlässigenden Zahl von Fällen in einer solchen zunächst nur leichten Gelbverfärbung des Kindes ein außerordentlich schwerwiegendes Krankheitsgeschehen ankündigen kann, nämlich dann, wenn infolge einer Blutgruppenunverträglichkeit zwischen Mutter und Kind eine Hyperbilirubinämie droht. Ein dahingehendes Risiko ist nach den Feststellungen im Berufungsurteil gerade auch dann gegeben, wenn die Mutter die Blutgruppe 0 Rhesus positiv aufweist; das Berufungsgericht hat, sachverständig beraten, beanstandungsfrei ausgeführt, daß bei einer derartigen Blutgruppe der Mutter sofort nach Feststellung der Gelbfärbung der Haut des Kindes eine Bilirubinbestimmung des kindlichen Blutes sowie im weiteren Verlauf engmaschige Bilirubinkontrollen vorgenommen und gegebenenfalls rasch Therapiemaßnahmen eingeleitet werden müssen. Wenn für eine ärztliche Beurteilung in einem solchen Falle mithin die Kenntnis der Blutgruppe der Mutter entscheidend ist, darf sich eine Kinderärztin, die - sei es auch im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung U 2 - eine Gelbfärbung des Kindes festgestellt hat, ohne diese Kenntnis nicht damit beruhigen, es werde wohl nur eine physiologisch bedingte Gelbverfärbung vorliegen.
d) Die Beklagte zu 2) hat im vorliegenden Fall der Blutgruppe der Mutter kein Interesse geschenkt, obwohl ihr - wie das Berufungsgericht beanstandungsfrei dargelegt hat - eine Feststellung dieser Blutgruppe unschwer möglich gewesen wäre. Entgegen der Auffassung der Revision durfte die Beklagte zu 2), die nicht in die Krankenhausorganisation eingebunden war und nicht vom Beklagten zu 1) selbst zugezogen und über die Verhältnisse des Klägers zu 1) unterrichtet wurde, nicht darauf vertrauen, daß ihr ein Blutgruppenrisikofaktor ohne weitere Nachfrage von selbst mitgeteilt würde. Die Beklagte zu 2) war gehalten, sich die unbedingt notwendigen Kenntnisse über die Situation ihrer Patienten aus eigener Verantwortung zu beschaffen.
e) Das Berufungsgericht hat es daher zu Recht als einen Behandlungsfehler erachtet, daß die Beklagte zu 2) ohne jede weitere Nachfrage nach einem etwa gegebenen Blutgruppenrisiko die von ihr wahrgenommene Gelbfärbung der Haut des Klägers zu 1) als ›physiologisch bedingt‹ eingestuft und auf dem U 2-Formular das Kästchen ›unauffällig‹ angekreuzt hat, und zwar ohne irgendeinen zusätzlichen Vermerk.
3. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg gegen die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Schadensursächlichkeit dieses Behandlungsfehlers der Beklagten zu 2). Die im Berufungsurteil getroffenen Feststellungen vermögen die Annahme einer Kausalität des der Beklagten zu 2) anzulastenden Versäumnisses bei der Vorsorgeuntersuchung U 2 für die auf dem Kernikterus beruhenden Schädigungen des Klägers zu 1) nicht zu rechtfertigen.
a) Das Berufungsgericht ist der Ansicht, Zweifel bezüglich der Ursächlichkeit müßten hier zu Lasten der Beklagten zu 2) gehen. Das greift die Revision mit Recht an. Ein grober Behandlungsfehler der Beklagten zu 2), der für die Kausalitätsfrage zu Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr führen würde (vgl. z.B. Senatsurteile vom 3. Dezember 1985 - VI ZR 106/84 - NJW 1986, 1540, 1541, vom 29. März 1988 - VI ZR 185/87 - VersR 1988, 721, 722 und vom 26. November 1991 - VI ZR 389/90 - NJW 1992, 754, 755), kann bei der hier gegebenen Sachlage nicht angenommen werden.
Zwar liegt die Würdigung, ob ein schwerer Behandlungsfehler zu bejahen ist, weitgehend im Bereich tatrichterlicher Beurteilung; sie muß jedoch erkennen lassen, daß ihr nicht schon ein Versagen genügt, wie es einem hinreichend befähigten und allgemein verantwortungsbewußten Arzt zwar zum Verschulden gereicht, aber doch ›passieren kann‹ (vgl. Senatsurteil vom 10. Mai 1983 - VI ZR 270/81 - VersR 1983, 729, 730). Es muß vielmehr ein Fehlverhalten vorliegen, das aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil ein solcher Fehler dem behandelnden Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (vgl. Senatsurteil vom 26. November 1991 - VI ZR 389/90 - aaO.). Als derartig gravierend kann aber das der Beklagten zu 2) anzulastende Versäumnis nicht gewertet werden.
b) Der Behandlungsfehler der Beklagten zu 2) hat seinen Ausgangspunkt darin gehabt, daß sie die Gelbverfärbung des Klägers zu 1) als nur ›physiologisch bedingt‹ falsch qualifiziert hat. Ein Fehler bei der Interpretation von Krankheitssymptomen stellt für sich nur dann einen schweren Verstoß gegen die Regeln der ärztlichen Kunst dar, wenn es sich um einen fundamentalen Irrtum handelt (vgl. Senatsurteil vom 14. Juli 1981 - VI ZR 35/79 - VersR 1981, 1033, 1034). Davon kann nach dem Gutachten des Sachverständigen hier keine Rede sein. Einen schweren Behandlungsfehler im diagnostischen Bereich kann es allerdings darstellen, wenn der Diagnoseirrtum auf dem Versäumen elementarer diagnostischer Untersuchungen beruht. Wenn, wie das Berufungsgericht im Hinblick auf das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. B. ausführt, die Verschaffung der Kenntnis über die Blutgruppenkonstellation von Mutter und Kind bei Gelbfärbung der kindlichen Haut schon 1984 zu den Grundanforderungen für eine sachgerechte Diagnosestellung gehörte, so gilt dies in erster Linie für den Arzt, dem die laufende ärztliche Betreuung und Behandlung des Neugeborenen oblag; das war hier aber der Beklagte zu 1), dessen Pflichten keineswegs auf die Beklagte zu 2) übergingen, als diese mit einem genau umrissenen und beschränkten Untersuchungsauftrag eingeschaltet wurde. Die Beklagte zu 2) war nur im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung U 2 mit dem Kläger zu 1) befaßt, für die ärztliche Beobachtung und Betreuung seiner nachgeburtlichen Phase aber gerade nicht verantwortlich. Zwar durfte auch sie eine von ihr festgestellte Gelbfärbung des Kindes nicht einfach übergehen, da nicht von vornherein ausgeschlossen war, daß sich hier ein schwerwiegendes Krankheitsgeschehen ankündigen konnte. Ein hierin liegendes Versäumnis stellt einen Behandlungsfehler dar, ist aber kein in so hohem Maße unverständliches und unverantwortliches Verhalten der Beklagten zu 2), daß es einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf. Im Mittelpunkt der von der Beklagten zu 2) vorgenommenen Untersuchung stand die Prüfung der in das für die U 2 vorgesehene Formular aufzunehmenden Befunde. Der diagnostischen Abklärung weiterer von der Beklagten zu 2) bei der Untersuchung wahrgenommener Auffälligkeiten, die - wie die Gelbfärbung des Kindes - auf einen Krankheitsprozeß hindeuten konnten, war in diesem begrenzten Rahmen keine zentrale Aufgabe der Beklagten zu 2). Immerhin stand der Kläger zu 1) auch nach Abschluß der U 2-Untersuchung im Krankenhaus unter ärztlicher Kontrolle, so daß die Weiterentwicklung der von der Beklagten zu 2) am frühen Morgen des 16. Februar 1984 als schwach beurteilten Gelbverfärbung nicht ohne fachärztliche Beobachtung blieb.
Bei der hier gegebenen Sachlage rechtfertigt sich auch keine Beweiserleichterung unter dem Gesichtspunkt unterlassener Befunderhebung (vgl. dazu Senatsurteil BGHZ 99, 391, 395 ff).
c) Es obliegt daher den Klägern, in vollem Umfang die - zwischen den Parteien streitige - haftungsbegründende Kausalität des Behandlungsfehlers der Beklagten zu 2) nachzuweisen. Die bisherigen Feststellungen im Berufungsurteil reichen für diese Beweisführung nicht aus. Eine Schadensursächlichkeit des pflichtwidrigen Verhaltens der Beklagten zu 2) setzt voraus, daß die Schädigungen des Klägers zu 1) (zumindest in ihrem Ausmaß) noch hätten verhindert werden können, wenn bereits am Morgen des 16. Februar 1984 (also einen vollen Tag früher als tatsächlich geschehen) eine Bilirubinbestimmung des Blutes vorgenommen und sodann sofort die erforderlichen therapeutischen Maßnahmen in Gang gesetzt worden wären. Dies ist aber vom Berufungsgericht nicht in einer den Anforderungen des § 286 ZPO genügenden Weise festgestellt worden.
Zwar legt das Berufungsgericht unter Heranziehung des Gutachtens des Sachverständigen dar, daß durch einen frühzeitigen Blutaustausch die Bilirubinkonzentration hätte niedrig gehalten werden können, so daß eine Schädigung der Basalganglien und Hirnnervenkerne nicht eingetreten wäre; dadurch hätte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine Behinderung des Kindes vermieden oder zumindest gemindert werden können. Weiter ist im Berufungsurteil beanstandungsfrei ausgeführt, daß am 16. Februar 1984, wäre die gebotene Bilirubinbestimmung vorgenommen worden, alsbald die erforderlichen therapeutischen Maßnahmen, insbesondere bei höheren Bilirubinwerten ein Blutaustausch, ins Werk gesetzt worden wären. Ob aber solche Maßnahmen, wären sie am 16. Februar 1984 tatsächlich eingeleitet worden, noch für eine Schadensverhinderung oder zumindest Schadensbegrenzung rechtzeitig gewesen wären, ob etwa ein zu diesem Zeitpunkt vorgenommener Blutaustausch noch hinreichend frühzeitig gewesen wäre, ist im Berufungsurteil nicht ausgeführt; diese Frage wird auch im Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. B. nicht beantwortet. Die Beklagte zu 2) hat die Ursächlichkeit ihres Versäumnisses bestritten.
III. Das Urteil ist daher, soweit es zum Nachteil der Beklagten zu 2) erkannt hat, aufzuheben und die Sache insoweit gemäß § 565 Abs. 1 ZPO an das Berufungsgericht zur weiteren Aufklärung hinsichtlich der Schadensursächlichkeit eines Behandlungsfehlers der Beklagten zu 2) zurückzuverweisen. Im Rahmen der ihm aufgegebenen Kostenentscheidung wird das Berufungsgericht auch über die Kosten der (nicht angenommenen) Revision des Beklagten zu 1) zu erkennen haben.
Fundstellen
Haufe-Index 2993146 |
NJW 1992, 2962 |
LM BGB § 823 (Aa) Nr. 141 |
BGHR BGB § 305 Behandlungsvertrag 2 |
BGHR BGB § 823 Abs. 1 Arzthaftung 68 |
BGHR ZPO § 286 Abs. 1 Beweislastumkehr 3 |
DRsp I(138)670a |
MDR 1992, 1130 |
MedR 1993, 67 |
VersR 1992, 1263 |