Leitsatz (amtlich)
›a) Dem Versicherer sind alle Daten über einen Versicherungsnehmer bekannt, die er in Datenbanken gesammelt hat, soweit Anlaß besteht, sie abzurufen.
b) Anlaß, sie abzurufen, besteht, wenn der Antragsteller im Antrag auf Abschluß oder Änderung eines Versicherungsvertrages hinreichend deutlich auf das Vorhandensein der Daten in der Datensammlung des Versicherers hinweist.
c) Mit dem Hinweis auf Daten in einer Datensammlung eines anderen Versicherers genügt der Antragsteller seiner Anzeigeobliegenheit, wenn sich der Versicherer im Antragsformular die Einwilligung des Antragstellers hat geben lassen, im Verbund mit dem anderen Versicherer die Daten des Antragstellers zu sammeln.‹
Tatbestand
Die Kläger verlangen die Feststellung, daß das Versicherungsverhältnis mit der Beklagten nicht beendet und die Beklagte verpflichtet sei, dem Kläger zu 1) ab 1. Juli 1990 eine Berufsunfähigkeitsrente zu zahlen.
Gemäß Versicherungsschein der Beklagten vom 1. November 1989 hatte der Kläger zu 1) eine Risikolebensversicherung mit Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung abgeschlossen, denen Allgemeine Bedingungen für die Risikolebensversicherung sowie für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung zugrunde liegen. Dieser Versicherungsvertrag wurde mit Versicherungsschein vom 16. Januar 1990 auf Antrag der Klägerin zu 2) dahin geändert, daß sie Versicherungsnehmerin und der Kläger zu 1) versicherte Person im Rahmen einer betrieblichen Altersversorgung der Klägerin zu 2) wurden; geändert wurden außerdem Versicherungsbeginn und -dauer.
Den ursprünglichen, vom Kläger zu 1) unterschriebenen Versicherungsantrag vom 20. September 1989 hat der Versicherungsagent der Beklagten ausgefüllt. Im folgenden wird die zweite Seite dieses Antrags in Kopie wiedergegeben:
[Folgt Kopie der Seite 2 des Versicherungsvertrages]
Hierzu behauptet der Kläger, er habe dem Versicherungsagenten u.a. von einer - im Zeugnis des angegebenen Arztes nicht erwähnten - Knieoperation im Januar 1988 berichtet; dieser habe ihm erklärt, das sei der Beklagten bekannt, weil der Kläger zu 1) es in seinen Anträgen vom 5. Juli 1988 auf Lebensversicherung und vom 5. August 1988 auf Krankenversicherung, beide gerichtet an die C., angegeben habe, die der Agent ebenfalls aufgenommen hatte; die mit der C. im Konzern verbundene Beklagte könne mit Hilfe ihrer EDV-Anlage auf deren Daten zugreifen; deshalb sei eine erneute Angabe im Antrag an die Beklagte vom 20. September 1989 nicht erforderlich.
Die Beklagte hat den Versicherungsvertrag u.a. mit der Begründung wegen arglistiger Täuschung angefochten, die Ausfüllung des Antrags vom 20. September 1989 erwecke den Eindruck, daß die Gesundheitsfragen zu 12. 1 und 3 nur durch das ärztliche Zeugnis hätten beantwortet werden sollen; damit sei die Knieoperation im Januar 1988 verschwiegen worden. Ein Datenverbund mit der C. bestehe nicht; allerdings könne der Sachbearbeiter der Beklagten auf seinem Bildschirm die Nummern anderer Versicherungsverträge verbundener Unternehmen sichtbar machen.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgen die Kläger ihre Anträge weiter.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I. Soweit die Revision vorab rügt, das Berufungsgericht habe Zulässigkeitsbedenken wegen der Verfolgung von Ansprüchen aus dem Versicherungsvertrag zugleich durch den Versicherungsnehmer und die versicherte Person nicht unentschieden lassen dürfen, ist ein Rechtsfehler im Ergebnis allerdings nicht ersichtlich.
1. Dem Kläger zu 1) können eigene Ansprüche als Versicherungsnehmer aus dem zunächst geschlossenen Versicherungsvertrag sowie Ansprüche als versicherte Person aus dem veränderten Versicherungsvertrag zustehen. Die Beklagte hat den Vortrag in der Klageschrift nicht bestritten, daß der Kläger zu 1) den Versicherungsschein in Besitz habe. Gemäß §§ 9 (1), 11 (1) der hier vereinbarten Allgemeinen Bedingungen für die Risikolebensversicherung ist der Versicherungsschein als qualifiziertes Legitimationspapier im Sinne von § 808 BGB ausgestaltet (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1965 - II ZR 120/63 - VersR 1965, 1141ff. unter III). Mithin kann der Kläger zu 1) sowohl den Zahlungsanspruch geltend machen als auch - wie hier - gemäß § 256 Abs. 1 und 2 ZPO Feststellung der Wirksamkeit des Versicherungsvertrages sowie der Leistungspflicht der Beklagten verlangen.
2. Die Klägerin zu 2) kann als Versicherungsnehmerin aufgrund des geänderten Versicherungsvertrags geltend machen, daß dieser Vertrag wirksam sei und die Beklagte daraus Leistungen an den Kläger zu 1) zu erbringen habe. Auch wenn die versicherte Person ein eigenes Recht auf Leistung hat, ist der Versicherungsnehmer als Vertragspartner gemäß § 335 BGB berechtigt, auf Leistung an den Versicherten zu klagen (RGZ 66, 158, 161; vgl. auch BGH, Urteil vom 27. Februar 1961 - II ZR 60/59 - LM BGB § 334 Nr. 5; Urteil vom 15. Januar 1974 - X ZR 36/71 - NJW 1974, 502 unter 1). Danach bestehen auch gegen die Feststellungsanträge der Klägerin zu 2) keine Bedenken. Ein Interesse an der Versicherungsleistung hat nicht nur der Kläger zu 1) als Versicherter, sondern unabhängig davon auch die Klägerin zu 2) als Versicherungsnehmerin, zumal sie hier mit dem Versicherungsvertrag Aufgaben der betrieblichen Altersversorgung gegenüber dem Kläger zu 1) wahrnimmt.
II. 1. Das Berufungsgericht hält die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung über die Knieoperation im Januar 1988 für durchgreifend. Was der Kläger zu 1) darüber angeblich mit dem Versicherungsagenten besprochen habe, sei unerheblich. In der eigenwilligen Art, wie das Antragsformular vom 20. September 1989 ausgefüllt worden sei, sei eine stillschweigende Erklärung des Klägers zu 1) zu sehen, er wolle die näheren Gesundheitsangaben nicht im Antragsformular, sondern vor dem Arzt machen. Unter diesen Umständen komme es nicht auf die Kenntnis des Agenten, sondern des Arztes an, dessen Wissen dem Versicherer ebenfalls zuzurechnen ist. Daß der Arzt von der Knieoperation im Januar 1988 gewußt habe, werde von den Klägern nicht einmal behauptet.
2. Darauf, was der Kläger zu 1) dem Arzt oder Agenten gesagt hat, kommt es indessen nicht an, wenn die Angaben des Klägers zu 1) über die Knieoperation, die er in seinem Antrag auf Lebensversicherung an die C. gemacht hat, der Beklagten bekannt waren. Davon ist nach Auffassung des Senats auszugehen, wenn darauf zur Beantwortung einer Frage im Antragsformular der Beklagten verwiesen wird und die so in Bezug genommenen anderweitigen Angaben den Sachbearbeitern der Beklagten entweder unmittelbar mit Hilfe der ihnen zur Verfügung stehenden Datenverarbeitungsanlage zugänglich waren oder sie die betreffende Akte der C., die nach dem Vorbringen des Klägers in demselben Gebäude geführt wurde, anhand der auf dem Bildschirm erscheinenden Versicherungsnummer beiziehen und sich daraus unterrichten konnten. Die Revision weist mit Recht darauf hin, daß die vom Kläger zu 1) unterschriebenen Lebens- und Krankenversicherungsanträge vom 29. Juli und 5. August 1988 an die C. sowie insbesondere sein Versicherungsantrag vom 20. September 1989 an die Beklagte jeweils die vorgedruckte Erklärung enthalten, der Antragsteller willige in die Führung gemeinsamer Datensammlungen der Unternehmen der C. und der Beklagten sowie darin ein, daß Daten aus den Antragsunterlagen an andere Versicherer übermittelt werden. Mit dem Hinweis auf Daten in einer Datensammlung eines anderen Versicherers genügt der Antragsteller seiner Anzeigeobliegenheit, wenn sich der Versicherer im Antragsformular die Einwilligung des Antragstellers hat geben lassen, im Verbund mit dem anderen Versicherer die Daten des Antragstellers zu sammeln. So liegt es hier.
Hinzu kommt folgendes: Was ein Versicherer aufgrund eigener oder mit anderen Unternehmen gemeinsam geführter elektronischer Datensammlungen oder herkömmlicher Akten wissen kann, wird aktuelles, von ihm zu berücksichtigendes Wissen, soweit sich der Versicherungsnehmer darauf mit hinreichender Deutlichkeit zur Beantwortung ihm gestellter Fragen bezieht.
Das ist hier mit der Angabe "C.-LV" geschehen. Dieser Hinweis befindet sich in der Zeile, die zur Erläuterung der mit "ja" angekreuzten Antwort auf die Frage 12. 1 nach Krankheiten, Störungen und Beschwerden der letzten fünf Jahre vorgesehen ist. Diesen Umstand hat das Berufungsgericht außer Betracht gelassen, wenn es annimmt, der Kläger zu 1) habe sich zur Beantwortung der Gesundheitsfragen ausschließlich auf das Zeugnis des Hausarztes bezogen. Zwar befinden sich vor dem Hinweis auf die "C.-LV" in der zur Frage 12. 1 gehörenden Zeile noch die Ziffern "12. 5". Daraus ist zu schließen, daß mit der Bezugnahme auf die "C.-LV" nicht nur die angekreuzte Antwort zur Frage 12. 1 erläutert werden sollte, sondern auch die Antwort zur Frage 12. 5 nach abgelehnten, zurückgestellten oder unter erschwerten Bedingungen angenommenen Lebensversicherungen. Auch auf das ärztliche Zeugnis wird sowohl für die Frage 12. 1 als auch für die Frage 12. 3 Bezug genommen. Daß die Antwort auf die Frage 12. 5 durch den Hinweis "C. -LV" erläutert werden sollte, ändert nichts an der Funktion dieses Hinweises für die Frage 12. 1.
Die Angaben des Klägers zu 1) über die Knieoperation in dem Lebensversicherungsantrag an die C. sind nur dann nicht als der Beklagten bekannt zu betrachten, wenn sie beweist, daß ihre Sachbearbeiter bei der Bearbeitung des Versicherungsantrags des Klägers zu 1) vom 20. September 1989 tatsächlich nicht die Möglichkeit hatten, die Lebensversicherungsunterlagen der C. einzusehen.
3. Wenn die Knieoperation danach nicht schon aufgrund der Angaben des Klägers zu 1) in seinem Lebensversicherungsantrag an die der Beklagten selbst bekannt war, kommt es entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts darauf an, ob der Agent sie gekannt hat, der den Versicherungsantrag vom 20. September 1989 aufgenommen hat.
a) Bei der Entgegennahme des Antrags auf Abschluß eines Versicherungsvertrages ist der empfangsbevollmächtigte Vermittlungsagent, der auf alleinige Veranlassung des Versicherers dem Antragsteller gegenübertritt, bildlich gesprochen das Auge und Ohr des Versicherers. Was ihm mit Bezug auf die Antragstellung gesagt und vorgelegt wird, ist dem Versicherer gesagt und vorgelegt worden. Berät der Agent den Antragsteller unrichtig, liegt ein Verschulden bei Vertragsschluß vor mit der Folge, daß sich der Versicherer nicht auf die Verletzung der Anzeigeobliegenheit des Antragstellers berufen kann. Hat nicht der Versicherungsnehmer persönlich ein Fragenformular des Versicherers ausgefüllt, sondern eine für den Versicherer tätige Person anhand der Informationen, die der Versicherungsnehmer ihr mündlich gegeben hat, so kann der Versicherer den ihm obliegenden Beweis des objektiven Tatbestands einer Anzeigeobliegenheitsverletzung nicht mehr allein mit der Vorlage des unzutreffend ausgefüllten Formulars führen, soweit der Versicherungsnehmer wie auch hier substantiiert geltend macht, er habe den Agenten mündlich zutreffend informiert (st. Rspr.; vgl. BGHZ 116, 387 unter 1 a und d m.Anm. Hübner, LM VVG § 47 Nr. 1; Urteil vom 21. November 1989 - IVa ZR 269/88 - VersR 1990, 77f. unter 2; Urteil vom 23. Mai 1989 - IVa ZR 72/88 - VersR 1989, 833 unter 3.).
Der Beklagten ist also bis zum Beweis des Gegenteils zuzurechnen, was ihrem Agenten im Gespräch mit dem Kläger zu 1) über dessen Gesundheitszustand bekanntgeworden sein soll, auch wenn es im schriftlichen, vom Agenten ausgefüllten Antrag keinen Ausdruck gefunden hat. Daß dem Versicherer in gleicher Weise schriftlich nicht wiedergegebene Angaben des Versicherungsnehmers gegenüber dem Arzt zuzurechnen sind, ändert nichts an der Zurechnung der Angaben des Versicherungsnehmers gegenüber dem Agenten.
b) Wenn der Versicherungsnehmer jedoch mit dem Agenten arglistig zum Nachteil des Versicherers zusammengewirkt hätte, könnte sich der Versicherungsnehmer nicht auf den Grundsatz berufen, was er dem Agenten gesagt habe, sei dem Versicherer gesagt worden. Für ein kollusives Verhalten des Klägers zu 1), das die Beklagte zu beweisen hätte, bietet der Prozeßstoff allerdings keinen Anhalt.
Das Berufungsgericht meint zwar, es sei derart lebensfremd, daß sich ein Sachbearbeiter des Versicherers die für einen neuen Versicherungsantrag erheblichen Daten aus diversen Unterlagen eines Schwesterunternehmens heraussuchen könne und würde, daß der Kläger auf eine in diese Richtung gehende Auskunft des Agenten nicht habe vertrauen können und tatsächlich auch nicht vertraut habe. Mit Recht rügt die Revision aber, daß der vom Berufungsgericht unterstellte Lebenserfahrungssatz nicht besteht. Die Ermächtigung zu gemeinsamen Datensammlungen mit der C., die sich die Beklagte im Antragsformular hat erteilen lassen, rechtfertigt vielmehr den Schluß, daß die Beklagte die Möglichkeit des Zugriffs auf Unterlagen der C. hat und davon auch Gebrauch macht. Daher mußte eine entsprechende Auskunft des Versicherungsagenten nicht den Argwohn des Klägers zu 1) wecken.
4. Ihm wäre auch ohne derartige Auskünfte des Agenten schon deshalb kein Verschulden vorzuwerfen, weil die Klausel über den Datenverbund zwischen der C. und der Beklagten nahelegt, daß die Beklagte die zur Erläuterung der Antwort auf die Frage 12. 1 genannten Lebensversicherungsunterlagen einsehen wird. Damit erübrigt sich die von der Beklagen (GA 214) beantragte Beweisaufnahme darüber, was der Kläger zu 1) insoweit mit dem Agenten besprochen hat. Das angebliche Verschweigen der im Lebensversicherungsantrag gegenüber der C. mitgeteilten Knieoperation kann die Leistungsverweigerung der Beklagten nicht rechtfertigen.
III. Das Berufungsgericht wird sich mit den weiteren Gesichtspunkten auseinanderzusetzen haben, auf die sich die Beklagte stützt. Hierzu ist zu bemerken:
1. Soweit die Beklagte die arglistige Täuschung auch auf das Verschweigen der Lumboischialgie des Klägers zu 1) Anfang 1985 sowie der Behandlung im Juli 1989 wegen Schiefhalses (Zustand nach altem Morbus Scheuermann) stützt, ist zu prüfen, ob diese Leiden zu den Veränderungen, Erkrankungen und Beschwerden der Wirbelsäule gehören, die durch Besondere Vereinbarung vom 13./17. Oktober 1989 vom Versicherungsschutz in der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung ausgenommen worden sind. In diesem Fall wären insoweit keine Anzeigeobliegenheiten gemäß §§ 16, 17 VVG gegeben.
2. Da der Leistungsumfang aufgrund des geänderten Versicherungsantrags vom 6. November 1989 erweitert worden ist, entstanden die gesetzlichen Anzeigeobliegenheiten neu. Die Beklagte hat den Änderungsantrag, in dem eine Frist für seine Annahme nicht vorgesehen ist, erst durch Versicherungsschein vom 16. Januar 1990 angenommen. Zu prüfen ist daher, ob der Herzanfall, den der Kläger zu 1) am 14. Januar 1990 erlitten hat, der Beklagten unaufgefordert hätte angezeigt werden müssen (vgl. BGH, Urteil vom 9. Dezember 1992 - IV ZR 232/91 - VersR 93, 213 unter 2 a und 3; aber auch Urteil vom 27. Juni 1984 - IVa ZR 1/83 - VersR 1984, 884). Wenn im Hinblick darauf die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung begründet sein sollte, würde sie allerdings nur die Änderungen erfassen, die mit dem Versicherungsschein vom 16. Januar 1990 beurkundet worden sind, nicht dagegen den Versicherungsvertrag, der schon mit Versicherungsschein vom 1. November 1989 zustande gekommen ist.
Fundstellen
Haufe-Index 2993219 |
BGHZ 123, 224 |
BGHZ, 224 |
BB 1993, 1834 |
NJW 1993, 2807 |
BGHR BGB § 335 Versicherungsvertrag 1 |
BGHR VVG § 16 Kenntnis 2 |
BGHR VVG § 44 Vermittlungsagent 4 |
CR 1994, 26 |
MDR 1993, 1062 |
VersR 1993, 1089 |