Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit eines Erfüllungsgeschäftes trotz Anfechtung einer Verrechnung der Gegenleistung mit gegen den Schuldner des Erfüllungsgeschäftes gerichteten, noch ausstehenden Forderungen im Insolvenzverfahren. Anwendbarkeit des § 142 BGB bei der Anfechtung eines Rechtsgeschäfts im Insolvenzverfahren
Leitsatz (redaktionell)
1. Schreibt eine Bank einem Gemeinschuldner dessen Forderung gegen sie auf einem bei ihr im Debet geführten Konto innerhalb der ktitischen Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gut, kann der Insolvenzverwalter nach Anfechtung der Gutschrift entsprechende Zahlung an die Masse verlangen.
2. Die Verrechnung mit der Kreditforderung der Bank ist insolvenzrechtlich unwirksam. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats sind im Umfang der Rückführung eines ungekündigten Kontokorrentkredits innerhalb der kritischen Zeit vor Verfahrenseröffnung die Verrechnungen nach § 96 I Nr. 3, § 131 I Nr. 1 InsO anfechtbar. Eine Bank hat vor der Kreditkündigung keinen Anspruch auf Rückführung des einem Schuldner eingeräumten Kredits.
3. Mit der Anfechtung der Verrechnung nach § 131 I Nr. 1 InsO ist nicht von der Nichtigkeit des gesamten Erfüllungsgeschäftes auszugehen. Denn § 142 I BGB ist im Rahmen der Insolvenzanfechtung nicht anzuwenden. Diese Vorschrift betrifft die Folgen der Anfechtung nach den §§ 119 ff BGB. Die Folgen der Insolvenzanfechtung ergeben sich allein aus § 143 und § 96 I Nr. 3 InsO.
4. Die Anfechtbarkeit der Verrechnung scheitert auch nicht an der Besonderheit, dass eine Bank gleichzeitig Auftraggeberin von Leistungen, kontoführende Bank und Kreditgeberin eines Schuldners ist. Ein Anspruch einer Bank auf Besserstellung gegenüber anderen Kreditinstituten, die im letzten Monat vor Antragstellung eingegangene und verrechnete Zahlungen auskehren müssen, soweit diesen nicht vom Schuldner veranlasste Auszahlungen gegenüberstehen, kann daraus nicht abgeleitet werden. Aus welchen Gründen eine Bank anfechtungsrechtlich privilegiert werden soll, weil sie gleichzeitig Kundin des Schuldners war, ist nicht ersichtlich.
Normenkette
InsO § 96 Abs. 1 Nr. 3, § 131 Abs. 1 Nr. 1, § 143
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 16. Juli 2008 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zu seinem Nachteil erkannt ist.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 7. Dezember 2007 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger ist Verwalter in dem am 1. Februar 2005 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der B. GmbH (nachfolgend: GmbH oder Schuldnerin). Diese unterhielt bei der verklagten Bank ein Kontokorrentkonto, auf dem der GmbH ein unbefristeter Kredit von 75.000 EUR eingeräumt war. Am 16. November 2004 war der Kredit bis zu einer Höhe von 74.756,82 EUR in Anspruch genommen. Mit Schreiben vom 13. Dezember 2004 kündigte die Beklagte die der Schuldnerin eingeräumte Kreditlinie. Zum 15. Dezember 2004 betrug der Sollsaldo auf dem Konto der GmbH bei der Beklagten 7.439,36 EUR. Am 16. Dezember 2004 beantragte die GmbH die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Im letzten Monat davor waren Einzahlungen von 76.926,06 EUR und Auszahlungen von 9.483,60 EUR vorgenommen worden. Gutgeschrieben wurde dem Konto unter anderem am 23. November 2004 ein Betrag von 49.286,42 EUR, mit dem die Beklagte gegen sie selbst gerichtete Forderungen der Schuldnerin aufgrund von Transportdienstleitungen beglich. Der Kläger meint, aufgrund seiner mit Schreiben vom 8. September 2006 erklärten Insolvenzanfechtung auch diesen Betrag herausverlangen zu können.
Rz. 2
Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung verurteilt. Die dagegen gerichtete Berufung hatte in Höhe von 49.286,42 EUR Erfolg. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein ursprüngliches Klageziel weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 3
Das Rechtsmittel ist begründet. Es führt zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
I.
Rz. 4
Das Berufungsgericht, dessen Urteil unter anderem in ZIP 2008, 1832 [OLG München 16.07.2008 – 7 U 1602/08] veröffentlicht ist, hat ausgeführt: In Höhe von 49.286,42 EUR habe die Beklagte ihre Verbindlichkeit aus den Transportdienstleistungen der Schuldnerin am 23. November 2004 wirksam gegen die Gutschriften verrechnet. Zwar lägen hinsichtlich der Verrechnungen, welche die Beklagte in dem Zeitraum 16. November bis 15. Dezember vorgenommen habe, die Voraussetzungen für eine Anfechtung wegen inkongruenter Deckung nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 InsO vor, weil die Kontokorrentvereinbarung nicht vor dem 15. Dezember 2004 gekündigt worden sei. Die Anfechtung der von der Beklagten zur Erfüllung einer eigenen Verbindlichkeit vorgenommenen Verrechnung führe aber auch zur Nichtigkeit des auf die Bezahlung der Transportleistungen gerichteten Erfüllungsgeschäfts, weil nach § 142 Abs. 1 BGB das anfechtbare Rechtsgeschäft als von Anfang an nichtig anzusehen sei. Die Verrechnung stelle eine einheitliche Handlung dar, die nicht in einen angefochtenen und einen nicht angefochtenen Teil aufgespalten werden könne. Die Summe der Einnahmen, die der Rückführung des Saldos gedient hätten, sei deshalb um 49.286,42 EUR geringer anzusetzen. Als Folge der Anfechtung lebe die Forderung aus der Transportrechnung wieder auf. Insoweit komme eine Aufrechnung nach den §§ 94, 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO in Betracht.
II.
Rz. 5
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Der Kläger kann den Anspruch aus der Gutschrift geltend machen, weil die Verrechnung mit der Kreditforderung der Beklagten insolvenzrechtlich unwirksam ist.
Rz. 6
1. Noch zutreffend legt das Berufungsgericht seiner Entscheidung die ständige Rechtsprechung des Senats zugrunde, nach der im Umfang der Rückführung des ungekündigten Kontokorrentkredits innerhalb der kritischen Zeit vor Verfahrenseröffnung die Verrechnungen nach § 96 Abs. 1 Nr. 3, § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbar sind (BGH, Urt. v. 7. März 2002 – IX ZR 223/01, BGHZ 150, 122, 127; v. 17. Juni 1999 – IX ZR 62/98, ZIP 1999, 1271, 1272; v. 17. Juni 2004 – IX ZR 2/01, WM 2004, 1575, 1576; v. 17. Juni 2004 – IX ZR 124/03, WM 2004, 1576, 1577; Beschl. v. 24. Mai 2005 – IX ZR 46/02, NZI 2005, 630; Urt. v. 11. Oktober 2007 – IX ZR 195/04, ZIP 2008, 237 Rn. 4 ff; v. 15. November 2007 – IX ZR 212/06, ZIP 2008, 235 Rn. 17; v. 7. Mai 2009 – IX ZR 140/08, ZIP 2009, 1124 Rn. 8 f). Dies führt vorliegend zur Anfechtbarkeit der Verrechnung des Anspruchs der Schuldnerin aus der Gutschrift in Höhe von 49.286,42 EUR mit dem Anspruch der Beklagten auf Rückführung des Sollsaldos in der kritischen Zeit. Die Beklagte hatte vor der Kreditkündigung am 13. Dezember 2004 keinen Anspruch auf Rückführung des der Schuldnerin eingeräumten Kredits.
Rz. 7
2. Unzutreffend ist die Auffassung des Berufungsgerichts, mit der Anfechtung der Verrechnung nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO sei von der Nichtigkeit des gesamten Erfüllungsgeschäftes auszugehen. Der von ihm für diese Ansicht herangezogene § 142 Abs. 1 BGB ist im Rahmen der Insolvenzanfechtung nicht anzuwenden. Die Vorschrift betrifft die Folgen der Anfechtung nach den §§ 119 ff BGB. Die Folgen der Insolvenzanfechtung ergeben sich aus § 143 und § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Deren Voraussetzungen sind hier gegeben.
Rz. 8
a) Die Beklagte hat die im November 2004 fällige Transportforderung der Schuldnerin entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien durch Gutschrift der geschuldeten 49.286,42 EUR auf dem Kontokorrentkonto erfüllt. Diese Forderung ist infolge der Anfechtung der im letzten Monat vor dem Eröffnungsantrag erfolgten inkongruenten Verrechnung des Anspruchs der Schuldnerin aus der Gutschrift mit der Kreditforderung der Beklagten nicht wieder aufgelebt. Der Kläger hat nur die – isoliert zu betrachtende – Verrechnung der Beklagten angefochten. Dadurch ist der Anspruch der Masse aus der Gutschrift bestehen geblieben.
Rz. 9
b) Die Anfechtbarkeit der Verrechnung scheitert auch nicht an der Besonderheit, dass die Beklagte gleichzeitig Auftraggeberin der Transportleistungen, kontoführende Bank und Kreditgeberin der Schuldnerin war. Ein Anspruch der Beklagten auf Besserstellung gegenüber anderen Kreditinstituten, die im letzten Monat vor Antragstellung eingegangene und verrechnete Zahlungen auskehren müssen, soweit diesen nicht vom Schuldner veranlasste Auszahlungen gegenüberstehen, kann daraus nicht abgeleitet werden. Aus welchen Gründen die beklagte Bank anfechtungsrechtlich privilegiert werden soll, weil sie gleichzeitig Kundin der Schuldnerin war, ist nicht ersichtlich.
Rz. 10
Das Berufungsgericht hat argumentiert, die vertragstreue Bank, die gegenüber einem finanziell schlecht gestellten Kunden Verbindlichkeiten erfülle und dadurch zugleich den von dem Kunden bei ihr in Anspruch genommenen Kredit tilge, dürfe in der Insolvenz des Kunden nicht schlechter gestellt sein, als wenn sie auf die berechtigten und fälligen Forderungen des Kunden nicht gezahlt hätte, um sich eine Aufrechnungsmöglichkeit zu schaffen. Diese Erwägung ist nicht stichhaltig. Denn in dem hypothetischen Fall wäre die Aufrechnung ebenfalls nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO insolvenzrechtlich unwirksam. Eine Kreditkündigung, die – bei nicht ausgeschöpftem Kreditlimit – nur dem Zweck dient, sich eine Aufrechnungsmöglichkeit gegenüber einer längst fälligen Gegenforderung zu schaffen, wäre anfechtbar.
Rz. 11
Entgegen der von der Revisionserwiderung in der mündlichen Verhandlung geäußerten Ansicht führt die Lösung des Senats auch nicht dazu, dass die Bank „den gleichen Betrag zweimal zahlen” muss. Soweit sie diesen Betrag zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeit aus dem Transportvertrag entrichtet hat, bleibt es dabei. Das hat aber mit der Kreditschuld des Kunden nichts zu tun. Aus Gründen der Anfechtung muss die Bank lediglich die Verrechnung des Anspruchs aus der Gutschrift mit ihrer Kreditforderung rückgängig machen, die somit in der ursprünglichen Höhe bestehen bleibt. Das ist dann aber auch ihre einzige Belastung.
III.
Rz. 12
Das Berufungsurteil war auf die Revision aufzuheben, soweit es die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung aufgehoben hat (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und die Sache nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat eine ersetzende Sachentscheidung zu treffen (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Klage ist insgesamt begründet.
Fundstellen