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BGH Urteil vom 14.11.2001 - IV ZR 181/00 (veröffentlicht am 14.11.2001)

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Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 23. Juni 2000 aufgehoben.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 15. Mai 1997 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Bestand und Inhalt eines seit dem 1. November 1990 laufenden Rentenversicherungsvertrages, hilfsweise über die Höhe der Ansprüche, die dem Kläger im Falle einer wirksamen Irrtumsanfechtung durch die Beklagte zustehen.

Der Kläger wollte 1990 Geld in einer Lebens- oder Rentenversicherung anlegen und dabei nach Ablauf der steuerrechtlich geforderten Mindestbeitragsdauer von zwölf Jahren und unter Ausnutzung der steuerlich abzugsfähigen Höchstbeträge für Vorsorgeaufwendungen eine möglichst hohe Rendite erzielen.

Er ging schließlich auf den Vorschlag des damaligen Organisationsinspektors M. H. des beklagten Versicherungsunternehmens ein, der ihm zum Abschluß eines Rentenversicherungsvertrages mit zwölfjähriger Beitragszahlung (beginnend ab 1. November 1990 mit einer Jahresprämie von zunächst 9.000 DM bei planmäßiger Erhöhung der Beiträge und Versicherungsleistungen) und – bis zum 1. November 2027 – aufgeschobenem Rentenbeginn riet. Anstelle der Rente sollte der Kläger zu diesem Fälligkeitszeitpunkt nach Ziff. 2 a der Zusatzbedingungen zum Vertrag wahlweise ein Kapital von 256.016 DM beanspruchen können.

Auf entsprechenden Antrag des Klägers sandte die Beklagte ihm den Versicherungsschein vom 17. Januar 1991 zu, der den Tarif MRR als zwischen den Parteien vereinbart ausweist. Dem Versicherungsschein lag weiter eine Zahlentabelle für die Berechnung von Rückvergütungswerten für den Tarif MRR bei, aus der sich – je nach Beitragsdauer – die Rückvergütungswerte „für diesen Vertrag” ergeben sollten.

In den folgenden Jahren paßte die Beklagte die Versicherungsprämien und -summe jeweils vereinbarungsgemäß an.

Anfang 1995 fragte der Kläger bei der Beklagten an, welcher Rückkaufswert zum 1. Mai 1995 erreicht sei. Nachdem ihm daraufhin mit Schreiben der Beklagten vom 28. März 1995 ein Betrag von lediglich 42.163,37 DM genannt worden war, während er selbst anhand der vorgenannten Tabelle – ausgehend von der seinerzeit geltenden Versicherungssumme von 314.590 DM – einen Rückkaufswert von 104.248 DM errechnet hatte, bat er die Beklagte unter Hinweis auf diese Differenz mit Schreiben vom 3. April 1995 um Überprüfung.

Die Beklagte antwortete mit folgendem Schreiben vom 26. Mai 1995:

„… teilen wir Ihnen mit, dass die seinerzeit dem Versicherungsschein beigefügte Anlage (Rückvergütungswerte) nicht korrekt ist. Sie gilt nicht für den Ihrem Vertrag zugrundeliegenden Tarif. Bei Ihrer Rentenversicherung handelt es sich um einen Tarif mit abgekürzter Beitragszahlungsdauer. Die Berechnung des Rückvergütungswertes erfolgt bei dieser Tarifform jeweils auf Anfrage.

Wir bitten um Verständnis für das damals entstandene Versehen und fügen die zutreffende Anlage bei.

Wir bestätigen im übrigen die Richtigkeit des in unserer Mitteilung vom 28. März angegebenen Rückvergütungswertes.”

Der Kläger begehrt demgegenüber mit seiner Klage die Feststellung, daß zwischen den Parteien der Versicherungstarif MRR vereinbart sei und sich die Rückvergütungswerte nach der dem Versicherungsschein beigefügten Tabelle errechneten.

Die Beklagte hält die Tabelle nicht für verbindlich. Sie meint ferner, sie habe mit ihrem Schreiben vom 26. Mai 1995 ihre Annahmeerklärung rechtzeitig und wirksam wegen Irrtums angefochten.

Das Landgericht hat der Feststellungsklage stattgegeben. Nach Berufung der Beklagten hat der Kläger im Wege der Anschlußberufung die Klage erweitert und hilfsweise den Ersatz des ihm entstandenen Vertrauensschadens und Herausgabe der Nutzungen aus den gezahlten Versicherungsprämien gefordert. Die Beklagte hat den Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens nur zum Teil anerkannt.

Das Berufungsgericht hat den Hauptantrag des Klägers abgewiesen und den Hilfsanträgen des Klägers in einem das Anerkenntnis der Beklagten geringfügig übersteigenden Umfang stattgegeben.

Mit seiner Revision verfolgt der Kläger in erster Linie seinen Hauptantrag auf Feststellung des Bestandes und Inhalts des Versicherungsvertrages weiter. Lediglich hilfsweise wendet er sich auch gegen die teilweise Abweisung seiner Hilfsanträge.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat mit dem Hauptantrag Erfolg. Sie führt zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

I. Zutreffend hat das Berufungsgericht zunächst dargelegt, der Tarif MRR und die dem Versicherungsschein beigefügte Tabelle zur Errechnung der Rückvergütungswerte (Anl. K 3 Bl. 11) seien Bestandteile des Rentenversicherungsvertrages geworden.

Für den Tarif MRR ergibt sich dies schon aus dem klaren Wortlaut des Versicherungsscheins. Gleiches gilt aber auch für die Tabelle. Auf ihrer Grundlage hatte schon der Zeuge H. bei der Vertragsanbahnung die durch sie ausgewiesenen Rückkaufswerte in Aussicht gestellt. Der Kläger hatte die Tabelle deshalb erkennbar in sein Angebot zum Abschluß des Versicherungsvertrages aufgenommen. Die Beklagte hat dieses Angebot angenommen. Die Tabelle ist jedenfalls spätestens dadurch Vertragsbestandteil geworden, daß sie dem Kläger auf seinen Versicherungsantrag hin als Anlage zum Versicherungsschein zugesandt worden ist und der Kläger dem nicht binnen Monatsfrist widersprochen hat (§ 5 VVG). Die von der Revisionserwiderung aufgezeigte wirtschaftliche Diskrepanz zwischen der gezahlten Versicherungsprämie und dem in der Tabelle ausgewiesenen Rückkaufswert nach Ablauf des ersten Versicherungsjahres macht diese Vertragserklärungen der Parteien nicht unwirksam.

II. Der Auffassung des Berufungsgerichts, die Annahme des Versicherungsvertrages sei von der Beklagten wirksam angefochten, kann indes aus Rechtsgründen nicht gefolgt werden. Eine Anfechtungserklärung liegt nicht vor.

Der Senat kann das Schreiben der Beklagten vom 26. Mai 1995 selbst auslegen (vgl. dazu BGHZ 124, 39, 45) und abschließend entscheiden (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO), weil einerseits die Auslegung durch das Berufungsgericht gegen allgemein anerkannte Auslegungsregeln verstößt und naheliegende Gesichtspunkte außer Acht läßt (vgl. dazu BGHZ 131, 136, 138; 137, 69, 72 – jeweils m.w.N.), andererseits weitere tatsächliche Feststellungen insoweit nicht zu erwarten sind.

Die vom Berufungsgericht gewählte Auslegung ist bereits mit dem Wortlaut des Schreibens vom 26. Mai 1995 nicht vereinbar. Anfechtungserklärung ist jede Willenserklärung, die unzweideutig erkennen läßt, daß das Rechtsgeschäft rückwirkend beseitigt werden soll. Es bedarf nicht des Gebrauchs des Wortes „anfechten”. Es kann je nach den Umständen genügen, wenn eine nach dem objektiven Erklärungswert der Willensäußerung übernommene Verpflichtung bestritten oder nicht anerkannt oder wenn ihr widersprochen wird. In jedem Fall ist aber erforderlich, daß sich unzweideutig der Wille ergibt, das Geschäft gerade wegen des Willensmangels nicht bestehenlassen zu wollen (BGH, Urteil vom 22. Februar 1995 – IV ZR 58/94 – VersR 1995, 648 unter 1 b m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Schon der abschließende Hinweis im Schreiben der Beklagten auf die Richtigkeit des in einem früheren Schreiben mitgeteilten (niedrigen) Rückkaufswertes deutet darauf hin, daß das Versicherungsverhältnis nach dem Willen der Beklagten fortgesetzt werden sollte. Dafür spricht auch, daß eine Rückabwicklung des Vertrages oder eine Prämienrückzahlung mit keinem Wort angesprochen sind. Die bloße Bitte, das „entstandene Versehen” zu entschuldigen, bringt dies jedenfalls nicht zum Ausdruck, zumal mit der gleichzeitigen Übersendung des (nach Auffassung der Beklagten) zutreffenden Zahlenwerks bei dem Kläger der Eindruck entstehen mußte, die Beklagte wolle das Vertragsverhältnis auf dieser Basis fortsetzen. Ihrer Revisionserwiderung kann auch nicht darin gefolgt werden, es sei damit lediglich der Abschluß eines neuen Vertrages zur Fortsetzung des Versicherungsverhältnisses unter Zugrundelegung der zutreffenden Rückkaufswerte angeboten worden. Denn daß der bisherige Vertrag nach dem Willen der Beklagten keine Gültigkeit mehr haben sollte, kann dem Schreiben ebensowenig entnommen werden wie ihre Erwartung einer neuen Annahmeerklärung des Klägers. Vielmehr wird lediglich zum Ausdruck gebracht, daß im Vertrag die nach Ansicht der Beklagten zutreffenden Rückkaufswerte von vornherein gegolten hätten, ohne daß es dazu weiterer Erklärungen bedürfe.

Entscheidend für die Annahme einer Anfechtungserklärung wäre hier allein gewesen, ob die Beklagtean dem Vertrag als ganzem nicht mehr festhalten wollte. Soweit das Berufungsgericht demgegenüber vorwiegend darauf abstellt, ihrem Schreiben sei jedenfalls zu entnehmen, daß die Beklagtedie Tabelle nicht habe gelten lassen wollen, genügt dies nicht. Allenfalls könnte dem Schreiben insoweit ein Wille zur Teilanfechtung ihrer Annahmeerklärung in bezug auf die Bestimmungen über den Rückkaufswert entnommen werden. Daß eine solche Teilanfechtung hier aber ausscheidet, hat das Berufungsgericht an anderer Stelle zutreffend dargelegt. Denn die erwarteten Rückkaufswerte hatten nach der unstreitigen Motivation der Vertragspartner (dem Kläger eine günstige Kapitalanlage zu schaffen und das Kapital nach zwölf Jahren wieder zur Verfügung zu stellen) eine so zentrale Bedeutung für das Zustandekommen des gesamten Vertrages, daß nicht angenommen werden kann, der Vertrag hätte auch ohne diese Bestimmungen weiter Bestand haben können (vgl. dazu MünchKommBGB/Mayer-Maly/Busche, 4. Aufl., § 143 Rdn. 11; Palandt/Heinrichs, BGB 60. Aufl. § 142 Rdn. 1).

Gegen eine Anfechtung spricht außerdem, daß jedenfalls noch bis einschließlich September 1998 die regelmäßigen Kapitalerhöhungen im Rahmen der vereinbarten Dynamisierung vorgenommen und die entsprechenden Jahresbeiträge des Klägers von der Beklagten eingezogen worden sind.

 

Unterschriften

Seiffert, Dr. Schlichting, Ambrosius, Dr. Kessal-Wulf, Felsch

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 14.11.2001 durch Heinekamp Justizobersekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Haufe-Index 666351

BGHR 2002, 275

NJW-RR 2002, 380

NVersZ 2002, 112

VersR 2002, 88

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