Verfahrensgang
LG Halle (Saale) (Entscheidung vom 05.04.2022; Aktenzeichen 3 KLs 2/21) |
Tenor
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Halle vom 5. April 2022 wird verworfen; jedoch entfällt der Ausspruch, mit dem die durch das Urteil des Landgerichts Halle vom 13. November 2020 angeordnete Einziehung des sichergestellten Bargeldes aufrechterhalten worden ist.
2. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
- Von Rechts wegen -
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Erwerbs von Betäubungsmitteln unter Auflösung einer Gesamtstrafe aus einer früheren Verurteilung und Einbeziehung der dort gebildeten Strafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und vier Monaten verurteilt; die im früheren Urteil angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und eine Einziehungsentscheidung hat es aufrechterhalten. Im Übrigen hat es den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Gegen den Teilfreispruch sowie die unterbliebene Verurteilung wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (Fall 26) wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützten Revision. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg, führt jedoch zum Wegfall der Aufrechterhaltung der Einziehung des sichergestellten Bargeldes (§ 301 StPO).
I.
Rz. 2
Nach den Feststellungen erwarb der - insoweit geständige - Angeklagte einige Tage vor dem 23. September 2020 zum Eigenkonsum von einem unbekannt gebliebenen Lieferanten 20 g Marihuana und 2 g Methamphetamin (Fall 26 der Anklageschrift). Von den weiteren Anklagevorwürfen, von August 2019 bis April 2020 in 25 Fällen mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben zu haben, indem er jeweils 10 g Methamphetamin an den Zeugen H. gewinnbringend verkauft habe, hat das Landgericht ihn aus tatsächlichen Gründen freigesprochen (Fälle 1 bis 25 der Anklageschrift). Zur Begründung hat es namentlich ausgeführt, dass H. und der Angeklagte zwar langjährige Bekannte gewesen seien, die gelegentlich unentgeltlich Betäubungsmittel für den Eigenkonsum ausgetauscht hätten. Feststellungen zu Verkaufsgeschäften des Angeklagten hätten sich mit Blick auf das Bestreiten des Angeklagten, die umfassende Auskunftsverweigerung (§ 55 StPO) des einzigen unmittelbaren Belastungszeugen H. sowie dessen teilweise widersprüchlichen und insgesamt nicht glaubhaften Angaben im Ermittlungsverfahren aber nicht treffen lassen.
II.
Rz. 3
Den Verfahrensrügen, mit denen die Staatsanwaltschaft einerseits eine Verletzung der Aufklärungspflicht und andererseits die rechtsfehlerhafte Ablehnung eines Beweisantrags beanstandet, bleibt der Erfolg versagt.
Rz. 4
1. Nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin liegt ihnen folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
Rz. 5
Das Landgericht ordnete die Vorführung des Zeugen H. an, der rechtskräftig wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 25 Fällen, nach vorangegangenem Erwerb vom Angeklagten (entspricht den Fällen 1 bis 25 der Anklageschrift), verurteilt worden war. Zum zweiten Hauptverhandlungstermin erschien der Zeuge, berief sich auf sein Auskunftsverweigerungsrecht und wurde sodann „im allseitigen Einvernehmen“ entlassen. Am folgenden Sitzungstag beanstandete der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft die Anordnung des Vorsitzenden, wegen eines vermeintlich umfassenden Auskunftsverweigerungsrechts von „der Vernehmung des Zeugen … abzusehen“. Überdies beantragte er für den Fall, dass „das Gericht entgegen der bisherigen Anordnung von einem Nichtbestehen eines umfassenden Auskunftsverweigerungsrechts des Zeugen“ ausgehen sollte, dessen erneute Ladung und Vernehmung. Das Gericht bestätigte die sachleitende Anordnung und zugleich die Bewertung, dass dem Zeugen ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht zustehe.
Rz. 6
2. Die Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO), mit der die Beschwerdeführerin beanstandet, das Landgericht habe unter Verstoß gegen § 55 Abs. 1, § 244 Abs. 2 StPO von der Sachvernehmung des Zeugen H. abgesehen, bleibt ohne Erfolg.
Rz. 7
a) Die Verfahrensbeanstandung ist bereits nicht ordnungsgemäß ausgeführt (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
Rz. 8
aa) Denn eine zulässig erhobene Aufklärungsrüge setzt voraus, dass der Revisionsführer eine bestimmte Beweistatsache und die für die Beweiseignung und -bedeutung im Zeitpunkt der Hauptverhandlung wichtigen Umstände angibt, aufgrund derer sich das Tatgericht zu der vermissten Beweiserhebung hätte gedrängt sehen müssen (st. Rspr., vgl. BGH, Urteile vom 15. September 1998 - 5 StR 145/98, NStZ 1999, 45; vom 18. Juli 2019 - 5 StR 649/18, Beschlüsse vom 18. August 1993 - 3 StR 469/93, BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Aufklärungsrüge 7; vom 1. Juli 2010 - 1 StR 259/10, NStZ-RR 2010, 316).
Rz. 9
bb) Daran fehlt es hier. Die zusammenfassende Würdigung der Zeugenaussagen von H. und R. im Beschluss der Strafkammer ersetzt die notwendige vollständige Mitteilung ebenso wenig wie die in Bezug genommenen Chatnachrichten. Auch die Berücksichtigung der Urteilsgründe, die der Senat auf die erhobene Sachrüge hin zur Kenntnis nimmt, ändert an der Unvollständigkeit des Rügevorbringens nichts (vgl. BGH, Urteile vom 20. März 1990 - 1 StR 693/89, BGHSt 36, 384, 385; vom 26. Mai 1992 - 5 StR 122/92, NJW 1992, 2304, 2305; vom 23. September 1999 - 4 StR 189/99, BGHSt 45, 203, 205). Zwar werden dort Angaben des Zeugen H. wiedergegeben. Eine revisionsgerichtliche Überprüfung anhand dieser Zusammenfassung und eingedenk der nur unvollständig mitgeteilten Chatinhalte wird hier aber nicht ermöglicht.
Rz. 10
b) Die Verfahrensrüge wäre vor dem Hintergrund des mitgeteilten Verfahrensgeschehens und eingedenk des begrenzten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. BGH, Urteile vom 28. November 1997 - 3 StR 114/97, BGHSt 43, 321, 326; vom 16. November 2006 - 3 StR 139/06, BGHSt 51, 144, 148) auch unbegründet.
Rz. 11
Die Strafkammer hat den Umfang des Auskunftsverweigerungsrechts nicht verkannt. Zwar ist in § 55 StPO nur von der Auskunftsverweigerung auf einzelne Fragen die Rede. Jedoch kann ein Zeuge die Auskunft dann insgesamt verweigern, wenn seine Aussage mit seinem etwaigen strafbaren Verhalten in so engem Zusammenhang steht, dass eine Trennung nicht möglich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Mai 1987 - I BGs 286/87, StV 1987, 328, 329; Urteil vom 9. Juli 1991 - 1 StR 312/91, BGHR StPO § 55 Abs. 1 Verfolgung 1). Von einem solchen Zusammenhang ging die Strafkammer in rechtlich nicht zu beanstandender Weise aus. Sie hat konkrete Anhaltspunkte dafür dargelegt, dass der Zeuge im Fall einer Aussage in der Hauptverhandlung Verdachtsmomente für eine frühere falsche Verdächtigung des Angeklagten (§ 164 StGB) liefern würde. Hierfür hat sie insbesondere auf aussageimmanente Widersprüche und auf Inhalte von Chatnachrichten abgehoben, die sich teilweise als unvereinbar mit seinen Angaben erwiesen hätten.
Rz. 12
3. Ohne Erfolg beanstandet die Beschwerdeführerin auch, dass die Strafkammer ihren hilfsweise gestellten „Beweisantrag“ auf Vernehmung des Zeugen H. nicht beschieden habe.
Rz. 13
a) Schon die prozessuale Bedingung, an welche die Beschwerdeführerin ihr Beweiserhebungsbegehren selbst geknüpft hat, war nicht eingetreten. Nach Ansicht der Strafkammer stand dem Zeugen nämlich ein umfassendes Aussageverweigerungsrecht nach § 55 StPO zu.
Rz. 14
b) Überdies handelte es sich hier - mangels einer konkreten Beweisbehauptung - nicht um einen förmlichen Beweisantrag (§ 244 Abs. 3 Satz 1 StPO), sondern lediglich um eine, nach Sachaufklärungsgesichtspunkten (§ 244 Abs. 2 StPO) zu behandelnde, Beweisanregung. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass in der Erklärung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft zugleich ein „Widerruf“ des von diesem zuvor erklärten Einverständnisses nach § 245 Abs. 1 Satz 2 StPO gesehen werden könnte. Denn die Prozesserklärung, nicht mehr an dem zuvor erteilten, freilich aber unwiderruflichen Einverständnis mit dem Absehen von der Beweiserhebung festhalten zu wollen, genügt den gesetzlichen Anforderungen eines Beweisantrags nicht (aA Krehl in: KK-StPO, 9. Aufl., § 245 Rn. 22; Sättele in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, 5. Aufl., § 245 Rn. 18), weil hiermit jedenfalls keine hinreichend konkrete Tatsache unter Beweis gestellt wird, auf welche die gesetzlichen Ablehnungsgründe sinnvoll angewendet werden könnten (Becker in: Löwe-Rosenberg, 27. Aufl., § 245 Rn. 38; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 245 Rn. 14; Arnoldi, NStZ 2018, 305, 308).
III.
Rz. 15
Die auf die Sachrüge hin veranlasste umfassende Nachprüfung von Schuld- und Rechtsfolgenausspruch zeigt keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten auf; jedoch hat die Aufrechterhaltung der Einziehung des sichergestellten Bargeldes keinen Bestand (§ 301 StPO; vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Februar 2019 - 1 StR 26/19, NStZ-RR 2019, 207 [nur Ls.]; vom 4. April 2019 - 5 StR 114/19, beide mwN).
Rz. 16
Der näheren Erörterung bedarf hier nur Folgendes:
Rz. 17
1. Die von der Beschwerdeführerin beanstandete Beweiswürdigung erweist sich eingedenk des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. nur BGH, Urteile vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186; vom 11. Juni 2013 - 5 StR 124/13, NStZ-RR 2013, 277 mwN) als frei von Rechtsfehlern. Die Strafkammer hat bei der Würdigung der Einlassung keine beweiserheblichen Gesichtspunkte aus dem Blick verloren oder rechtsfehlerhaft bewertet. Dies gilt insbesondere für die im Zuge des polizeilichen Zugriffs sichergestellten Beweismittel. Vor dem Hintergrund der aufgezeigten erheblichen Widersprüche und der ebenfalls rechtsfehlerfrei gewürdigten Falschbelastungsmotive des Zeugen H. musste das Landgericht die zumal im Urteil mitgeteilten Chatnachrichten des Angeklagten vom 25. und 26. März 2020 an H. nicht näher als geschehen in den Blick nehmen.
Rz. 18
2. Zwar erweist sich die Strafbemessung in einem wesentlichen Punkt als lückenhaft. Denn das Landgericht hat den strafmildernden Umstand unerörtert gelassen, dass der überwiegende Teil der vom Angeklagten im Fall 26 verwahrten Betäubungsmittel sichergestellt werden konnte (vgl. zum Besitz von Betäubungsmitteln BGH, Beschluss vom 31. Mai 2022 - 6 StR 128/22, NStZ 2023, 48). Mit Blick auf die zahlreichen gewichtigen Strafschärfungsgründe, insbesondere die zum Tatzeitpunkt laufende Bewährung und die bereits erlittene Strafvollstreckung, schließt der Senat allerdings aus, dass das Landgericht unter Bedacht auf die teilweise Sicherstellung eine mildere Strafe verhängt hätte (§ 337 StPO).
Sander |
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Tiemann |
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Wenske |
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Fritsche |
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Arnoldi |
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Fundstellen
Haufe-Index 15524301 |
NStZ-RR 2023, 81 |