Entscheidungsstichwort (Thema)
schwerer Bandendiebstahl
Leitsatz (amtlich)
Zur zeitgleichen Aburteilung transnationaler Serienstraftaten in zwei Staaten.
Normenkette
EuAlÜbk Art. 14, 19 Abs. 2; StGB § 51; IRG §§ 68, 72
Verfahrensgang
LG Waldshut-Tiengen (Aktenzeichen KLs 13/98 11 Js 84/98) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Waldshut-Tiengen vom 26. April 1999 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Bandendiebstahls und versuchten schweren Bandendiebstahls in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.
Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.
Nach den tatrichterlichen Feststellungen hatte sich der Angeklagte mit den beiden rechtskräftig verurteilten Z. und G. Mitte 1997 in der Schweiz in der Absicht zusammengetan, dort – und später auch in Deutschland – Einbrüche zu begehen, um sich Geldmittel zu beschaffen. Diese Straftatenserie war in der Schweiz – soweit dort vom Angeklagten begangen – Gegenstand des Urteils des Kantonsgerichts Schaffhausen vom 19. November 1998, dessen Urteil vom gleichen Tage zu drei Jahren Zuchthaus und Fr. 200,- Buße – soweit es um die Feststellungen insbesondere zum gewerbs- und bandenmäßigen Diebstahl ging – vom hiesigen Revisionsführer nicht angefochten wurde. Mit seiner Berufung in der Schweiz griff er allein die Verurteilung auch wegen Gefährdung durch Sprengstoffe in verbrecherischer Absicht nach Art. 224 Abs. 1 des Schweizerischen Strafgesetzbuchs vom 21. Dezember 1937 sowie das Strafmaß an, die jedoch durch Urteil des Obergerichts Schaffhausen vom 17. Dezember 1999 abgewiesen wurde, wobei die Strafe „als milde, aber dem Verschulden des Angeklagten noch angemessen” bezeichnet wurde.
1. Ein Fall der Doppelverfolgung liegt nicht vor. Der Senat hat sich – auch mit Blick auf § 51 Abs. 3 StGB – durch Beiziehung des letztgenannten Urteils davon überzeugt, daß in der schweizerischen Verurteilung vom 19. November 1998 keine Tat abgeurteilt wurde, die auch Gegenstand des hier angegriffenen Urteils vom 26. April 1999 ist. Die letzte Tat auf schweizerischem Territorium wurde in der Nacht vom 5. zum 6. Januar 1998 begangen; die erste hier verfahrensgegenständliche in der Nacht vom 6. zum 7. Januar 1998.
2. Der Grundsatz der Spezialität steht einer Verurteilung auch im Hinblick auf Fall II.2. der Urteilsgründe nicht mehr entgegen. Der in der Schweiz in Haft befindliche Angeklagte war zur Durchführung der Hauptverhandlung gemäß Art. 19 Abs. 2 EuAlÜbk, § 68 IRG zunächst am 22. März 1999 unter der Bedingung des anschließenden Rücktransfers vorübergehend nach Deutschland überstellt und am 29. April 1999 in die Schweiz zurückgeliefert worden. Das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement – Bundesamt für Polizeiwesen – teilte dem Justizministerium Baden-Württemberg am 14. September mit, daß die endgültige Auslieferung wegen zweier Taten in vollem Umfang antragsgemäß rechtskräftig bewilligt worden sei. Die zuständige deutsche Stelle ersuchte erst danach unter Hinweis auf die Einbeziehung auch des Falles II.2. in das angegriffene Urteil am 16. September 1999 um eine ergänzende Bewilligung gemäß Art. 14 Abs. 1 lit. a EuAlÜbk. Da diese bis 1. Dezember 1999 nicht eingegangen war, stellte der Generalbundesanwalt unter diesem Datum insoweit einen Teilaufhebungsantrag.
Auf entsprechende Faxanfrage des Senats vom 20. Januar 2000 teilte die zuständige schweizerische Behörde jedoch am Folgetag ebenfalls per Fax mit, daß auch bezüglich der dritten im angegriffenen Urteil aufgeführten Straftat (II.2. der Urteilsgründe) am 30. November 1999 die Auslieferung bewilligt worden und diese Entscheidung inzwischen in Rechtskraft erwachsen sei. Die Auslieferung des Angeklagten wurde am 29. Februar 2000 zeitgleich mit der bedingten Entlassung aus der Strafhaft in der Schweiz vollzogen, ohne daß es zu einer Auslieferungshaft gekommen wäre, über deren Anrechnungsmaßstab gemäß § 51 Abs. 4 StGB der Senat in entsprechender Anwendung von § 354 Abs.1 StPO zu entscheiden hätte (BGH NStZ 1997, 337). Seitdem befindet sich der Eingelieferte in deutscher Untersuchungshaft.
Bei dieser Sachlage greift das in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrenshindernis der Spezialität nicht mehr. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob – wie der Generalbundesanwalt unter Berufung auf BGHSt 8, 151, 154 mit seiner Antragsschrift zum Ausdruck brachte – bei fortdauerndem, behebbarem Verfahrenshindernis das Urteil teilweise aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen oder gemäß § 260 Abs. 3 StPO das Verfahren einzustellen wäre, oder aber – wozu der Senat neigt – aus Gründen der Prozeßökonomie mit dem Verfahren bis zum endgültigen Wegfall des Verfahrenshindernisses ex tunc innezuhalten gewesen wäre (vgl. näher LR-Gollwitzer StPO 24. Aufl. § 260 Rdn. 102; KK-Engelhardt StPO 4. Aufl. § 260 Rdn. 47 Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 260 Rdn. 43, 48 sowie allgemein zum Verfahrensgang in derartigen Fallkonstellationen Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen 3. Aufl. § 72 IRG Rdn. 28 ff.).
II.
Die Überprüfung des Urteils auf die Revisionsrechtfertigungen hat einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht aufgedeckt.
Hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs ist jedoch folgendes zu erörtern:
1. Der Tatrichter hat zwar die – wie oben dargestellt – zeitgleich verlaufende schweizerische Strafverfolgung in den Feststellungen mehrfach erwähnt, dieser Tatsache jedoch bei der Strafzumessung keine ausdrückliche Beachtung gewährt. Dies war jedoch nicht rechtsfehlerhaft, weil im Zeitpunkt seiner Entscheidung das schweizerische Urteil noch nicht rechtskräftig war. Im Einzelfall könnte es bei einer derartigen Fallgestaltung allerdings nahe liegen, nach Abwägung mit dem Beschleunigungsgebot, dem gerade die vorübergehenden Auslieferung gemäß Art. 19 Abs. 2 EuAlÜbk in das (§ 37 IRG) oder aus dem (§ 68 IRG) Ausland dienen soll, schon an dieser Stelle mit dem Verfahrensfortgang innezuhalten. Damit ließe sich die von Rechts wegen noch immer nicht gegebene Möglichkeit einer Gesamtstrafenbildung mit einer ausländischen Verurteilung im Wege eines Härteausgleiches – falls sich aufdrängend – kompensieren (vgl. BGHSt 43, 79; BGH NStZ 1997, 337; NStZ 1998, 134; Senatsbeschluß vom 13. Mai 1997 - 1 StR 130/97). Auch könnten durch ein derartiges Vorgehen sich aus der Gesamtschau der Serientaten ergebende etwaige zusätzliche Strafschärfungsgründe herangezogen werden, etwa wenn ein Täter bewußt die Grenzen nationaler Strafverfolgung für sein kriminelles Handeln ausnutzt.
Gerade der vorliegende Fall zeigt erneut (vgl. BGHSt 43, 79, 80), daß die getrennte oder gemeinsame Aburteilung ebenso wie die Reihenfolge des Eintritts der Rechtskraft, von dem ab eine Gesamtsanktion fundiert erst gebildet werden kann, von Zufälligkeiten abhängt. Diese können angesichts des Mangels an gebotener intensiverer, koordinierterer justitieller Zusammenarbeit über Grenzen hinweg einerseits nicht immer ausgeschaltet werden; andererseits dürfen sie weder zu Lasten des Beschuldigten noch der angemessenen Strafverfolgung gehen.
Bei der vorliegenden Fallgestaltung ist mangels Rechtsfehlers des Tatrichters für ein Eingreifen des Revisionsgerichts kein Raum. Da auch eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung gemäß § 460 StPO mit einer ausländischen Entscheidung derzeit noch nicht möglich ist (vgl. LR-Wendisch StPO 25. Aufl. § 460 Rdn. 5), käme allenfalls eine Berücksichtigung extremer, nach Kompensierung rufender Härten im Rahmen der Strafvollstreckung (etwa § 57 StGB oder § 456a StPO) in Betracht.
Ein derartiger Fall ist jedoch hier nicht gegeben. Das Tatgericht hat die maßvollen Strafen äußerst straff zusammengezogen (drei Jahre Gesamtfreiheitsstrafe bei einer Einsatzstrafe von zwei Jahren und drei Monaten); die schweizerische Sanktion war nach der Einschätzung des dortigen Berufungsgerichts gerade noch schuldangemessen milde angesichts von 21 erheblichen Taten. Zudem wurde der Verurteilte in der Schweiz vorzeitig bedingt aus der Haft entlassen.
2. Mit Blick auf die Anrechnungspflicht des § 51 StGB wird im Rahmen der Strafvollstreckung allerdings zu prüfen sein, ob in den in der Schweiz angerechneten 656 Tagen Untersuchungshaft die Zeit der vorübergehenden Auslieferung nach Deutschland vom 22. März 1999 bis 29. April 1999 enthalten ist. Ist dies der Fall, ist für eine doppelte Anrechnung kein Raum. Ansonsten greift, ohne daß dies im Urteil ausdrücklich ausgesprochen werden müßte, (auch) insoweit § 51 StGB ein, da § 68 IRG zwar primär die Rechtsgrundlage für eine Haft zur Sicherung der zugesagten Rücklieferung in das Ausland bietet (vgl. insoweit Schomburg/Lagodny a.a.O. § 68 IRG Rdn 1ff.), zugleich aber eine Freiheitsentziehung aus Anlaß der hier abgeurteilten Tagen begründet.
Unterschriften
Maul, Wahl, Boetticher, Schomburg, Schluckebier
Fundstellen
Haufe-Index 540100 |
NJW 2000, 1964 |
wistra 2000, 272 |
StV 2000, 347 |
StraFo 2000, 266 |