Entscheidungsstichwort (Thema)
Deliktische Verjährung des Anspruchs auf Ersatz des Neugläubigerschadens
Leitsatz (amtlich)
Der Anspruch auf Ersatz des Neugläubigerschadens gem. § 823 Abs. 2 BGB, § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. (jetzt: § 823 Abs. 2 BGB, § 15a Abs. 1 InsO) verjährt nach den für deliktische Ansprüche allgemein geltenden Vorschriften; § 43 Abs. 4 GmbHG findet keine entsprechende Anwendung.
Normenkette
BGB § 823 Abs. 2; GmbHG § 43 Abs. 4, § 64 Abs. 1 a.F.
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 1. Zivilsenats des OLG Jena vom 30.7.2009 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Klage i.H.v. 42.732,91 EUR nebst Zinsen abgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Beklagte war bis zum 9.2.1998 Geschäftsführerin der P. mbH (im Folgenden: Schuldnerin). Der Kläger betreibt ein Elektroinstallationsgeschäft. Er schloss in den Jahren 1995 bis 1997 mehrere Bauverträge mit der Schuldnerin, die ihm nach seiner Darstellung restlichen Werklohn in einer Gesamthöhe von 92.569,13 EUR schuldig blieb. Am 20.7.1998 stellte die Schuldnerin Antrag auf Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens über ihr Vermögen, der am 1.3.1999 mangels Masse abgewiesen wurde.
Rz. 2
Der Kläger verlangt mit seiner am 30.11.2004 bei Gericht eingegangenen, am 8.12.2004 zugestellten Klage von der Beklagten wegen Konkursverschleppung Schadensersatz als Neugläubiger gem. § 823 Abs. 2 BGB, § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. Er hat sich, soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse, unter Vorlage des Jahresabschlusses für 1996 und des in einem anderen Rechtsstreit (LG Erfurt - 7 O 15/04) eingeholten Gutachtens des Sachverständigen Dr. H. vom 1.2.2008 darauf berufen, dass die Schuldnerin jedenfalls ab dem 31.12.1996 überschuldet gewesen sei und die Beklagte es pflichtwidrig unterlassen habe, Gesamtvollstreckung zu beantragen.
Rz. 3
Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Mit seiner vom erkennenden Senat zugelassenen Revision greift der Kläger das Berufungsurteil an, soweit das Klagebegehren auch hinsichtlich der am 29. Januar, 3. Februar, 9. Mai, 19. Juni, 4. Juli und 25.9.1997 abgeschlossenen Werkverträge abgewiesen wurde. Er beansprucht nach Abzug in früheren Rechtsstreitigkeiten geltend gemachter Teilbeträge noch 42.732,91 EUR nebst Zinsen.
Entscheidungsgründe
Rz. 4
Die Revision hat im Umfang der Anfechtung Erfolg und führt insoweit zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Rz. 5
I. Das Berufungsgericht (OLG Jena, Urt. v. 30.7.2009 - 1 U 217/07, juris) hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Rz. 6
Die Klageforderung sei zwar entgegen der Ansicht der Beklagten nicht verjährt; die Auswertung der beigezogenen Akten habe keinen sicheren Hinweis darauf ergeben, dass der Kläger oder sein damaliger Prozessbevollmächtigter von einer Überschuldung der Schuldnerin im Zeitraum November 1995 bis März 1997 bereits vor dem 6.12.2001 Kenntnis gehabt habe. Der Kläger habe aber nicht, wie erforderlich, bewiesen, dass die Schuldnerin zum Zeitpunkt der jeweiligen Vertragsabschlüsse überschuldet gewesen sei. Für die nach dem 31.12.1996 geschlossenen Verträge könne der Beweis auch nicht gem. § 411a ZPO durch die Verwertung des in dem Verfahren LG Erfurt - 7 O 15/04 eingeholten Sachverständigengutachtens geführt werden. In dem Gutachten werde zwar eine Überschuldung der Schuldnerin zum 31.12.1996i.H.v. 320.402,65 DM festgestellt, aber keine Aussage zu den unterjährigen Zeitpunkten der jeweiligen Vertragsabschlüsse getroffen, auf die es hier ankomme. Der Kläger könne den Beweis auch nicht durch ein neu zu erstellendes Sachverständigengutachten erbringen, weil die zur Überprüfung der unterjährigen Stichtage erforderlichen Geschäftsunterlagen nicht mehr vorgelegt werden könnten. Insoweit seien auch die Voraussetzungen für eine Beweislastumkehr wegen Beweisvereitelung nicht gegeben.
Rz. 7
II. Diese Beurteilung hält den Angriffen der Revision nicht stand.
Rz. 8
1. Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Überschuldung der Schuldnerin sei für die Zeitpunkte der jeweiligen Vertragsabschlüsse nicht nachgewiesen, beruht auf einer unzutreffenden Verteilung der Darlegungs- und Beweislast.
Rz. 9
a) Im Ausgangspunkt hat das Berufungsgericht allerdings zutreffend angenommen, dass der Gläubiger die Darlegungs- und Beweislast für den objektiven Tatbestand einer haftungsbegründenden Insolvenz- bzw. Konkursverschleppung und damit auch für die Überschuldung der Gesellschaft trägt (vgl. nur BGH, Urt. v. 27.4.2009 - II ZR 253/07, ZIP 2009, 1220 Rz. 9 m.w.N.). Ebenfalls zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Tatbestand einer Insolvenzverschleppung als Dauerdelikt im Zeitraum des zum Schaden des Neugläubigers führenden Geschäftsabschlusses zwischen ihm und der Gesellschaft noch vorliegen muss, um einen Schadensersatzanspruch des Neugläubigers zu begründen (vgl. BGH, Urt. v. 25.7.2005 - II ZR 390/03, BGHZ 164, 50 [56]; Urt. v. 5.2.2007 - II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 Rz. 10).
Rz. 10
b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hängt aber die Feststellung einer Überschuldung im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses mit dem Neugläubiger nicht zwingend davon ab, dass für diesen konkreten (unterjährigen) Zeitpunkt aufgrund der noch verfügbaren Geschäftsunterlagen eine Überschuldungsbilanz aufgestellt werden kann. Ist die Insolvenzreife für einen früheren Zeitpunkt bewiesen, so gilt der Nachweis der im Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses noch andauernden Verletzung der Insolvenzantragspflicht (Dauerdelikt) jedenfalls bei relativ zeitnah erteilten Aufträgen als geführt, sofern der beklagte Geschäftsführer nicht seinerseits darlegt, dass im Zeitpunkt der Auftragserteilung die Überschuldung nachhaltig beseitigt und damit die Antragspflicht - wieder - entfallen war (BGH, Versäumnisurteil v. 12.3.2007 - II ZR 315/05, ZIP 2007, 1060 Rz. 15; Beschl. v. 28.4.2008 - II ZR 51/07, ZInsO 2008, 1019 Rz. 8). Dieser zeitliche Zusammenhang ist im Streitfall gewahrt. Der Zeitraum zwischen dem 31.12.1996, zu dem nach dem vorgelegten Sachverständigengutachten eine Überschuldung vorgelegen haben soll, und den nachfolgenden, der Klageforderung zugrunde gelegten Geschäftsabschlüssen beträgt lediglich bis zu neun Monaten (vgl. auch BGH, Urt. v. 12.3.2007 - II ZR 315/05, ZIP 2007, 1060 Rz. 15).
Rz. 11
c) Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, dass sich die wirtschaftliche Lage der Schuldnerin im Laufe des Jahres 1997 gebessert habe und hierdurch eine etwaige Überschuldung zum Jahresende 1996 nachhaltig beseitigt worden sei. Auf dieser Grundlage durfte das Berufungsgericht den für den 31.12.1996 angetretenen Beweis der Konkursreife nicht unter Hinweis darauf als unerheblich ansehen, dass der Überschuldungsnachweis jeweils zu den einzelnen, bis September 1997 reichenden Vertragszeitpunkten zu führen sei.
Rz. 12
2. Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).
Rz. 13
a) Das Berufungsgericht hat eine Verjährung des jetzt noch im Streit stehenden Klageanspruchs zutreffend verneint. Dabei hat es zu Recht darauf abgestellt, ab welchem Zeitpunkt der Kläger von den anspruchsbegründenden Tatsachen Kenntnis hatte.
Rz. 14
aa) Der Verjährungsbeginn für den hier geltend gemachten deliktischen Anspruch richtete sich nach § 852 Abs. 1 BGB a.F. (Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 2 EGBGB). Grundsätzlich fanden und finden Sonderverjährungsvorschriften des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung auf Ansprüche aus unerlaubter Handlung keine Anwendung (BGH, Urt. v. 9.2.2009 - II ZR 292/07, BGHZ 179, 344 Rz. 33 - Sanitary). Dies gilt auch für den Anspruch auf Ersatz des Neugläubigerschadens. Dieser verjährt nicht, wie die Revisionserwiderung annimmt, nach § 64 Abs. 2 Satz 3 a.F. (jetzt § 64 Satz 4), § 43 Abs. 4 GmbHG - unabhängig von der Kenntnis des Geschädigten (vgl. BGH, Urt. v. 29.9.2008 - II ZR 234/07, ZIP 2008, 2217 Rz. 16) - in fünf Jahren ab der Entstehung des Anspruchs.
Rz. 15
(1) Die in § 64 Abs. 2 Satz 3 GmbHG a.F. enthaltene Verweisung auf die Verjährungsregelung in § 43 Abs. 4 GmbHG erfasst ihrem Wortlaut nach den Anspruch der Gesellschaft auf Ersatz von Zahlungen, die die Geschäftsführer nach dem Eintritt der Konkursreife geleistet haben, nicht aber Ansprüche der Gesellschaftsgläubiger unter dem Gesichtspunkt der Konkursverschleppung.
Rz. 16
(2) Von einem Teil der obergerichtlichen Rechtsprechung und der Literatur wird allerdings wegen der funktionalen Nähe beider Ansprüche und einer Übereinstimmung der zugrunde liegenden Organpflichten die analoge Anwendung des § 43 Abs. 4 GmbHG i.V.m. § 64 Satz 4 GmbHG n.F. bzw. § 64 Abs. 2 Satz 3 GmbHG a.F. auf Haftungsansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB, § 15a Abs. 1 InsO (§ 64 Abs. 1 GmbHG a.F.) befürwortet (vgl. OLG Saarbrücken, GmbHR 1999, 1295 [1296]; OLG Köln WM 2001, 1160 [1162]; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 10. Aufl., Anh. § 64 Rz. 77; Paefgen in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, § 43 Rz. 155; Casper in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, § 64 Rz. 144; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl., Anh. zu § 64 Rz. 85; Uhlenbruck/Hirte, InsO, 13. Aufl., § 15a Rz. 42; Wübbelsmann, GmbHR 2008, 1303 [1304 f.]). Andere lehnen diese Analogie generell (vgl. OLG Saarbrücken ZIP 2009, 565 [566]; OLG Schleswig, DZWIR 2001, 330, 331; Bork in Bork/Schäfer, GmbHG, § 64 Rz. 72; MünchKommGmbHG/H.F. Müller, § 64 Rz. 195; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, 4. Aufl., § 64 Rz. 51; vgl. auch OLG Düsseldorf GmbHR 1999, 479 [481]; OLG Frankfurt OLGReport Frankfurt 2008, 115, 116) oder jedenfalls dann ab, wenn der Schadensersatzanspruch zugleich auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 263, 265a oder 266 StGB gestützt werden kann (vgl. OLG Stuttgart GmbHR 2001, 75 f.; OLG Naumburg GmbHR 2004, 364 f.). Ein Teil der Literatur unterscheidet schließlich danach, ob der Anspruch auf den Ersatz des Quotenschadens oder des Neugläubigerschadens gerichtet ist, und verneint für letzteren die entsprechende Anwendbarkeit des § 43 Abs. 4 GmbHG (Haas, NZG 2009, 976 ff.; ders. in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl., § 64 Rz. 145; Arnold in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 64 GmbHG Rz. 112).
Rz. 17
(3) Für die analoge Anwendung des § 43 Abs. 4 GmbHG i.V.m. § 64 Abs. 2 Satz 3 GmbHG a.F. (jetzt § 64 Satz 4 GmbHG) auf Schadensersatzansprüche der Neugläubiger aus § 823 Abs. 2 BGB, § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. (vgl. jetzt § 15a Abs. 1 InsO) fehlt es jedoch an einer planwidrigen Regelungslücke. Das Gesetz stellt für Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB mit § 852 BGB a.F. bzw. nach neuem Recht mit § 195 BGB eine Verjährungsvorschrift bereit, deren Anwendung auf Schadensersatzansprüche der Neugläubiger den Intentionen des Gesetzgebers nicht erkennbar widerspricht.
Rz. 18
Der Gesetzgeber hat die besonderen Verjährungsbestimmungen für die spezialgesetzlich geregelte Haftung von Gesellschaftsorganen auch mit Rücksicht auf das schützenswerte Interesse dieser Schuldner an einer für sie nach objektiven Umständen berechenbaren zeitlichen Begrenzung ihres Haftungsrisikos geschaffen und beibehalten (vgl. den Entwurf der Bundesregierung zum Gesetz zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts, BT-Drucks. 15/3653, 12). Er hat diese Erwägung aber nicht zum Anlass genommen, eine nach objektiven Kriterien beginnende Verjährungsfrist auf sämtliche Ersatzansprüche auszuweiten, denen ein Gesellschaftsorgan aufgrund seiner Tätigkeit, auch gegenüber Dritten, ausgesetzt sein kann. Bei Ersatzansprüchen, die Dritten unmittelbar zustehen, begegnet ein an die Kenntnis oder Kenntnismöglichkeiten des Anspruchsinhabers anknüpfender Verjährungsbeginn auch nicht den Bedenken, die bei im Interesse der Gesellschaftsgläubiger liegenden Ersatzansprüchen der Gesellschaft bestehen (vgl. auch dazu den Entwurf der Bundesregierung zum Gesetz zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts, BT-Drucks. 15/3653, 12).
Rz. 19
Eine funktionale Nähe der Haftung wegen Konkurs- bzw. Insolvenzverschleppung einerseits und dem mit einem Ersatzanspruch der Gesellschaft bewehrten Zahlungsverbot des § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. andererseits rechtfertigt für die Ersatzansprüche der Neugläubiger gleichfalls keine entsprechende Anwendung der speziellen Verjährungsvorschrift. Deren Anwendungsbereich wird hierdurch auch nicht ausgehöhlt.
Rz. 20
In Abgrenzung zu der Haftung wegen Konkurs- bzw. Insolvenzverschleppung nach § 823 Abs. 2 BGB, § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. handelt es sich bei § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats nicht um einen Deliktstatbestand, sondern um eine eigenständige Anspruchsgrundlage bzw. einen "Ersatzanspruch eigener Art" (BGH, Urt. v. 8.1.2001 - II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 [278]; Beschl. v. 11.2.2008 - II ZR 291/06, ZIP 2008, 1026 Rz. 6; Urt. v. 20.9.2010 - II ZR 78/09, ZIP 2010, 1988 Rz. 14 - DOBERLUG). Der Sinn und Zweck des in § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. normierten Zahlungsverbots besteht darin, die verteilungsfähige Vermögensmasse der insolvenzreifen Gesellschaft im Interesse der Gesamtheit ihrer Gläubiger zu erhalten und eine zu ihrem Nachteil gehende, bevorzugte Befriedigung einzelner Gläubiger zu verhindern (BGH, Urt. v. 25.1.2010 - II ZR 258/08, ZIP 2010, 470 Rz. 10 m.w.N.). Demgegenüber dient § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. nicht nur der Erhaltung des Gesellschaftsvermögens. Das Verbot der Konkurs- bzw. Insolvenzverschleppung hat auch den Zweck, konkursreife Gesellschaften mit beschränktem Haftungsfonds aus dem Geschäftsverkehr zu entfernen, bevor sie durch den Abschluss weiterer Rechtsgeschäfte, die sie nicht erfüllen können, neu hinzutretende Gläubiger schädigen. Gerade dieser von der Zielrichtung des § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. zu unterscheidende Schutzzweck rechtfertigt den den Neugläubigern zugebilligten Anspruch auf den Ersatz ihres Vertrauensschadens (vgl. BGH, Urt. v. 6.6.1994 - II ZR 292/91, BGHZ 126, 181 [194 ff.]).
Rz. 21
Der unterschiedliche Zweck der Ansprüche und der Umstand, dass der das Zahlungsverbot sanktionierende Ersatzanspruch der Gesellschaft zusteht, der Anspruch auf Ersatz des Neugläubigerschadens aber dem jeweiligen Gläubiger, sprechen entscheidend gegen die analoge Anwendung des § 43 Abs. 4 GmbHG i.V.m. § 64 Abs. 2 Satz 3 GmbHG a.F. Es geht insoweit auch nicht um den Fall einer Anspruchskonkurrenz, beruhend auf einem Verhalten des Geschäftsführers, das zugleich einen gesellschaftsrechtlichen und einen deliktischen Ersatzanspruch mit unterschiedlichen Verjährungsfristen ausgelöst hat (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 17.3.1987 - VI ZR 282/85, BGHZ 100, 190 [199 ff.]). Der Schadensersatzanspruch des Neugläubigers ergibt sich allein aus § 823 Abs. 2 BGB, § 64 Abs. 1 GmbHG a.F., nicht zugleich aus § 64 Abs. 2 GmbHG aF.
Rz. 22
bb) Gemäß § 852 Abs. 1 BGB a.F. verjährt der Anspruch auf Ersatz des aus einer unerlaubten Handlung entstandenen Schadens in drei Jahren von dem Zeitpunkt an, in dem der Verletzte von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt. Eine dahingehende Kenntnis des Klägers oder seines damaligen Prozessbevollmächtigten hat das Berufungsgericht für den Zeitraum vor dem 6.12.2001 rechtsfehlerfrei verneint. Durch die Erhebung der vorliegenden Klage, die am 30.11.2004 bei Gericht einging und der Beklagten am 8.12.2004 zugestellt wurde, wurde der Lauf der dreijährigen Verjährungsfrist rechtzeitig gehemmt (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB i.V.m. § 167 ZPO).
Rz. 23
(1) Nach § 852 Abs. 1 BGB a.F. ist für den Beginn der Verjährungsfrist positive Kenntnis des Geschädigten erforderlich. Der bloße Verdacht steht einer Kenntnis nicht gleich. Der Geschädigte muss den Schadensvorgang aber nicht in allen Einzelheiten kennen. Im Allgemeinen genügt ein Kenntnisstand, der es ihm erlaubt, eine hinreichend aussichtsreiche - wenn auch nicht risikolose - Feststellungsklage zu erheben (vgl. BGH, Urt. v. 6.11.2007 - VI ZR 182/06, VersR 2008, 129 Rz. 15, 22 m.w.N.).
Rz. 24
Nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Beklagte nicht bewiesen, dass dem Kläger oder seinem damaligen Prozessbevollmächtigten eine im fraglichen Zeitraum bestehende Überschuldung der Schuldnerin in unverjährter Zeit bekannt geworden ist. Dem Kläger war zwar, worauf die Revisionserwiderung hinweist, das von Dritten erstrittene Urteil des LG Erfurt vom 20.4.2000 bekannt, das unter Bezugnahme auf das im Gesamtvollstreckungsverfahren erstattete Gutachten des Rechtsanwalts R. Ausführungen zur wirtschaftlichen Lage der Schuldnerin in 1996 enthielt. Die teilweise als streitig gekennzeichneten und teilweise interpretationsfähigen Angaben in dem Urteil vermittelten dem Kläger jedoch nicht die für eine hinreichend aussichtsreiche Schadensersatzklage aus § 823 Abs. 2 BGB, § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. erforderlichen Kenntnisse.
Rz. 25
(2) Auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen kann entgegen der Revisionserwiderung ein vor dem 30.11.2001 liegender Beginn der Verjährungsfrist auch nicht deshalb angenommen werden, weil der Kläger die Augen vor einer sich gleichsam aufdrängenden Erkenntnis verschlossen habe.
Rz. 26
Nach der Rechtsprechung des BGH kann die Verjährungsfrist des § 852 Abs. 1 BGB a.F. ausnahmsweise auch dann zu laufen beginnen, wenn der Geschädigte den gebotenen Kenntnisstand nicht positiv besessen hat, es ihm jedoch möglich war, sich die erforderlichen Kenntnisse in zumutbarer Weise ohne nennenswerte Mühe und ohne besondere Kosten zu beschaffen. Damit soll dem Rechtsgedanken des § 162 BGB folgend dem Geschädigten die sonst bestehende Möglichkeit genommen werden, die Verjährungsfrist missbräuchlich dadurch zu verlängern, dass er die Augen vor einer sich aufdrängenden Kenntnis verschließt. Jedoch steht selbst eine grob fahrlässige Unkenntnis der vom Gesetz geforderten positiven Kenntnis nicht gleich; vielmehr betrifft diese Ausnahme vom Gebot der positiven Kenntnis nur Fälle, in denen es der Geschädigte versäumt hat, eine gleichsam auf der Hand liegende Kenntnismöglichkeit wahrzunehmen und letztlich das Sichberufen auf die Unkenntnis als Förmelei erscheint, weil jeder andere in der Lage des Geschädigten unter denselben konkreten Umständen die Kenntnis gehabt hätte (BGH, Urt. v. 9.7.1996 - VI ZR 5/95, BGHZ 133, 192 [198 f.]; Urteil vom 18.1.2000 - VI ZR 375/98, NJW 2000, 953; Urt. v. 6.3.2001 - VI ZR 30/00, ZIP 2001, 706 [707]).
Rz. 27
Nach diesen Grundsätzen muss sich der Kläger nicht entgegenhalten lassen, dass er das in der Gesamtvollstreckungsakte befindliche Gutachten des Rechtsanwalts R. nicht eingesehen hat. Selbst die Kenntnis dieses Gutachtens hätte dem Kläger nicht die für eine schlüssige Konkursverschleppungsklage gegen die Schuldnerin erforderlichen Kenntnisse vermittelt. Mit der Äußerung des Gutachters, der ihm vorliegende Jahresabschluss zum 31.12.1996 habe ein negatives Eigenkapital der Schuldnerin von 133.107,20 DM ausgewiesen, ließ sich eine rechnerische Überschuldung der Schuldnerin noch nicht belegen, weil dem lediglich die Betrachtung einer Handelsbilanz zugrunde lag und das etwaige Vorhandensein stiller Reserven nicht angesprochen wurde.
Rz. 28
Soweit die Revisionserwiderung meint, der Kläger hätte sich ggf. auch den Jahresabschluss der Schuldnerin für das Geschäftsjahr 1996 besorgen und daraus weitere Erkenntnisse gewinnen müssen, zeigt sie schon nicht auf, dass sich der Jahresabschluss in der Gesamtvollstreckungsakte befand oder vom Kläger auf andere Weise einfach hätte beschafft werden können.
Rz. 29
b) Ohne Erfolg bleibt die Gegenrüge der Beklagten, die Klage sei schon deshalb abweisungsreif, weil der Kläger die Konkursreife der Schuldnerin zum 31.12.1996 nicht hinreichend dargelegt habe.
Rz. 30
Allerdings weist die Revisionserwiderung zu Recht darauf hin, dass vor dem Inkrafttreten der Insolvenzordnung am 1.1.1999 der zweistufige Überschuldungsbegriff maßgebend war. Danach konnte - auch im Anwendungsbereich der Gesamtvollstreckungsordnung - eine Überschuldung (§ 63 Abs. 1 GmbHG a.F., § 1 Abs. 1 Satz 1 GesO) erst angenommen werden, wenn das Vermögen der Gesellschaft bei Ansatz von Liquidationswerten unter Einbeziehung der stillen Reserven die bestehenden Verbindlichkeiten nicht deckte (rechnerische Überschuldung) und die Finanzkraft der Gesellschaft nach überwiegender Wahrscheinlichkeit mittelfristig nicht zur Fortführung des Unternehmens ausreichte (BGH, Urt. v. 13.7.1992 - II ZR 269/91, BGHZ 119, 201 [214]; Versäumnisurteil v. 12.3.2007 - II ZR 315/05, ZIP 2007, 1060 Rz. 14).
Rz. 31
aa) Der Beklagte hat eine positive Fortführungsprognose nicht dargetan. Es obliegt - nach der Feststellung einer rechnerischen Überschuldung - dem in Anspruch genommenen Geschäftsführer, die Umstände darzulegen, die es aus damaliger Sicht rechtfertigten, das Unternehmen trotzdem fortzuführen (BGH, Urt. v. 6.6.1994 - II ZR 292/91, BGHZ 126, 181 [200]). Dieser Darlegungslast, deren Erfüllung eine umfassende Einschätzung der Unternehmenslage voraussetzt (vgl. zu den Substantiierungsanforderungen BGH, Urt. v. 18.10.2010 - II ZR 151/09, ZIP 2010, 2400 Rz. 13 - Fleischgroßhandel, m.w.N.), hat die Beklagte entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung nicht schon dadurch entsprochen, dass sie auf die Zahlungen hingewiesen hat, die die Schuldnerin auf die Werklohnforderungen des Klägers leistete.
Rz. 32
bb) Eine rechnerische Überschuldung der Schuldnerin zum 31.12.1996 hat der Kläger nach dem bisherigen Sach- und Streitstand hinreichend dargetan.
Rz. 33
Für die Feststellung, dass die Gesellschaft insolvenzrechtlich (rechnerisch) überschuldet ist, bedarf es nach der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich der Aufstellung einer Überschuldungsbilanz, in der die Vermögenswerte der Gesellschaft mit ihren aktuellen Verkehrs- oder Liquidationswerten auszuweisen sind. Hingegen kommt einer Handelsbilanz für die Frage, ob die Gesellschaft überschuldet ist, lediglich indizielle Bedeutung zu. Legt der Anspruchsteller für seine Behauptung, die Gesellschaft sei überschuldet gewesen, nur eine Handelsbilanz vor, aus der sich ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag ergibt, hat er jedenfalls die Ansätze dieser Bilanz darauf zu überprüfen und zu erläutern, ob und ggf. in welchem Umfang stille Reserven oder sonstige aus ihr nicht ersichtliche Vermögenswerte vorhanden sind (BGH, Urt. v. 8.1.2001 - II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 [268]; Urt. v. 7.3.2005 - II ZR 138/03, ZIP 2005, 807; Urt. v. 16.3.2009 - II ZR 280/07, ZIP 2009, 860 Rz. 10; Urt. v. 27.4.2009 - II ZR 253/07, ZIP 2009, 1220 Rz. 9). Ist der Anspruchsteller diesen Anforderungen nachgekommen, ist es Sache des beklagten Geschäftsführers, im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast im Einzelnen vorzutragen, welche stillen Reserven oder sonstigen für eine Überschuldungsbilanz maßgeblichen Werte in der Handelsbilanz nicht abgebildet sind (BGH, Urt. v. 16.3.2009 - II ZR 280/07, ZIP 2009, 860 Rz. 10; Urt. v. 27.4.2009 - II ZR 253/07, ZIP 2009, 1220 Rz. 9).
Rz. 34
Durch die Bezugnahme auf das in dem Verfahren LG Erfurt - 7 O 15/04 erstattete Gutachten des Sachverständigen Dr. H. hat der Kläger der ihm obliegenden Darlegungslast genügt. In dem Gutachten wird, ausgehend von dem Jahresabschluss für 1996, ein Überschuldungsstatus zum 31.12.1996 ermittelt, der mit einer Unterdeckung i.H.v. 320.402,65 DM schließt. Dabei ist der Sachverständige auch der Frage nachgegangen, ob und in welchem Umfang stille Reserven vorhanden sind, die in der Handelsbilanz keine Berücksichtigung gefunden haben. Ob seine diesbezüglichen Bewertungen zutreffend sind, bedarf nach entsprechendem Bestreiten der Beklagten der tatrichterlichen Überprüfung, die bislang unterblieben ist.
Rz. 35
Dass der Sachverständige bei der Bewertung der Aktiva von Fortführungswerten und nicht - auf der Grundlage des zweistufigen Überschuldungsbegriffs - von Liquidationswerten ausgegangen ist, beeinträchtigt die schlüssige Darlegung einer rechnerischen Überschuldung nicht. Der Sachverständige hat der Sache nach zutreffend darauf hingewiesen, dass eine beim Ansatz von Fortführungswerten festzustellende Überschuldung auch beim Ansatz von Liquidationswerten vorliegen würde.
Rz. 36
Soweit der Sachverständige - von der Revisionserwiderung beanstandet - die Bewertung der fertigen und unfertigen Erzeugnisse (Bauprojekte) der Gesellschaft unter Übernahme der Werte aus dem Jahresabschluss zu Anschaffungs- und Herstellungskosten vorgenommen hat, lag dem kein verfehlter Bewertungsansatz zugrunde, sondern die im Gutachten näher begründete Auffassung des Sachverständigen, dass angesichts der Marktlage und der Bestandsentwicklung im Unternehmen der Schuldnerin keine über den Anschaffungs- und Herstellungskosten liegenden Veräußerungswerte angenommen werden können.
Rz. 37
c) Das Berufungsurteil kann auch nicht mit der Begründung aufrechterhalten bleiben, die Beklagte treffe kein Verschulden.
Rz. 38
Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts muss der Kläger nicht beweisen, dass die Beklagte von der Überschuldung der Schuldnerin Kenntnis hatte. Vielmehr genügt für den subjektiven Tatbestand des § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. die Erkennbarkeit der Konkursreife für den Geschäftsführer, wobei die Erkennbarkeit vermutet wird (BGH, Urt. v. 6.6.1994 - II ZR 292/91, BGHZ 126, 181 [199]; Urt. v. 29.11.1999 - II ZR 273/98, BGHZ 143, 184 [185]; Urt. v. 14.5.2007 - II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 Rz. 15; Urt. v. 18.10.2010 - II ZR 151/09, ZIP 2010, 2400 Rz. 14 - Fleischgroßhandel; Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl., § 64 Rz. 126, 143). Diese Verschuldensvermutung ist auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht widerlegt.
Rz. 39
d) Schließlich kann das Berufungsurteil nicht mit der Begründung bestehen bleiben, der Kläger habe den ihm entstandenen Schaden nicht schlüssig dargetan. Dem Kläger ist vielmehr Gelegenheit zu geben, zur Schadenshöhe weiter vorzutragen.
Rz. 40
aa) Nach der Rechtsprechung des Senats kann ein Neugläubiger, der in Unkenntnis der Konkursreife einer Gesellschaft noch in Rechtsbeziehung zu ihr getreten ist, von dem Geschäftsführer, der die Konkursantragspflicht schuldhaft verletzt hat, Ersatz des Vertrauensschadens beanspruchen, der ihm dadurch entstanden ist, dass er einer solchen Gesellschaft, z.B. durch eine Vorleistung, Kredit gewährt hat, ohne einen werthaltigen Gegenanspruch zu erlangen (BGH, Urt. v. 6.6.1994 - II ZR 292/91, BGHZ 126, 181 [192]; Urt. v. 25.7.2005 - II ZR 390/03, BGHZ 164, 50 [60]; Urt. v. 27.4.2009 - II ZR 253/07, ZIP 2009, 1220 Rz. 15). Er ist deshalb - ggf. Zug um Zug gegen Abtretung seiner Konkursforderung gegen die Schuldnerin (BGH, Urt. v. 5.2.2007 - II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 Rz. 20; Urt. v. 27.4.2009 - II ZR 253/07, ZIP 2009, 1220 Rz. 21) - so zu stellen, wie er stünde, wenn er mit der konkursreifen Gesellschaft keinen Vertrag geschlossen hätte. Der somit auf den Ausgleich des negativen Interesses gerichtete Schadensersatzanspruch umfasst nicht den aus dem abgeschlossenen Geschäft mit dem Schuldner entgangenen Gewinn; der Neugläubiger kann allerdings einen Gewinn ersetzt verlangen (§ 252 BGB), den er ohne den Vertragsschluss mit dem Schuldner anderweitig hätte erzielen können (vgl. BGH, Urt. v. 5.2.2007 - II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 Rz. 21; Urt. v. 27.4.2009 - II ZR 253/07, ZIP 2009, 1220 Rz. 16).
Rz. 41
bb) Vorliegend hat der Kläger seiner Schadensberechnung die ihm nach seiner Darstellung noch zustehenden Restwerklohnansprüche zugrunde gelegt. Soweit er Rechnungskürzungen berücksichtigt hat, die auf einer Besprechung mit dem Prokuristen der Schuldnerin in der ersten Hälfte des Jahres 1998 beruhen, spricht entgegen der Annahme der Revision nichts dafür, dass er die Rechnungsbeträge um den Gewinnanteil vermindert hat. Daher ist davon auszugehen, dass die Klageforderung einen der Höhe nach nicht bekannten Gewinnanteil enthält. Dass der Kläger einen entsprechenden Gewinn ohne die Vertragsabschlüsse mit der Schuldnerin anderweitig hätte erzielen können, ist bislang nicht ersichtlich.
Rz. 42
cc) Da der Kläger auf die unzureichende Darlegung der Schadenshöhe bislang nicht hingewiesen worden ist, ist ihm jedoch Gelegenheit zu geben, zur Berechnung seines Vertrauensschadens näher vorzutragen.
Fundstellen
Haufe-Index 2692275 |
BB 2011, 1364 |
DB 2011, 1265 |
DB 2011, 6 |
DStR 2011, 1045 |