Leitsatz (amtlich)
1. Hat der Aufsichtsrat beschlossen, Abschlußprüfungsberichte seinen Mitgliedern nicht auszuhändigen, sondern nur zur Einsichtnahme für sie auszulegen, so hat das einzelne Mitglied keinen Anspruch darauf, bei der Einsichtnahme generell einen Sachverständigen zuziehen zu dürfen.
2. Für Klagen eines Aufsichtsratsmitglieds gegen Maßnahmen des Aufsichtsratsvorsitzenden ist die Aktiengesellschaft passiv legitimiert.
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 16. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 7. Januar 1982 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Beklagte zu 2 ist eine GmbH, die den Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes von 1976 und des Publizitätsgesetzes vom 15. August 1969 unterliegt. Der Kläger ist Mitglied, der Beklagte zu 1 Vorsitzender des Aufsichtsrats der Beklagten zu 2. Am 11. Dezember 1979 beschloß der Aufsichtsrat mit 10 Ja-Stimmen bei 10 Enthaltungen, die Berichte der Abschlußprüfer künftig 14 Tage vor der Bilanzsitzung im Sekretariat des Vorsitzenden zur Einsichtnahme auszulegen. Mit Schreiben vom 19. Mai 1980 an den Aufsichtsratsvorsitzenden kündigte der Kläger an, er werde am 6. Juni 1980 den vorliegenden Prüfungsbericht zum Jahresabschluß 1979 einsehen und dabei von Frau S.-L., einer Sachverständigen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts des Deutschen Gewerkschaftsbundes, begleitet sein, die ihn bei dieser Tätigkeit beraten solle. Der Vorsitzende erwiderte unter dem 30. Mai 1980, er sehe für eine beratende Teilnahme von Frau S.-L. keine Rechtsgrundlage und müsse daher bitten, ohne sie Einblick in den Bericht zu nehmen; zur Beantwortung von Fragen aus dem Prüfungsbericht stehe ein Mitglied der Geschäftsleitung und in der kommenden Bilanzsitzung der Wirtschaftsprüfer persönlich zur Verfügung. In der Bilanzsitzung vom 19. Juni 1980 lehnte der Aufsichtsrat bei 10 Nein- gegen 10 Ja-Stimmen den Antrag ab, zur Einsicht in den Prüfungsbericht einen externen Sachverständigen zuziehen zu dürfen.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seinen Anträgen:
Beide Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagten beantragen, verfolgt der Kläger seine Anträge weiter.
Entscheidungsgründe
I. 1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist der auf Feststellung gerichtete Hauptantrag des Klägers nach § 256 ZPO zulässig. Der Antrag bezieht sich nicht, wie der ursprüngliche Hilfsantrag des Klägers, nur auf einen ganz bestimmten, bereits vorliegenden Abschlußprüfungsbericht, sondern auf alle Prüfungsberichte, die dem Aufsichtsrat der Beklagten zu 2 vorzulegen sind, solange der Kläger ihm angehört; er hat also allgemeineren Inhalt und ist in die Zukunft gerichtet. Hierfür ist eine Feststellungsklage die geeignete Klageform (vgl. RGZ 113, 410).
2. Für den Feststellungsantrag ist die Gesellschaft die richtige Beklagte. Denn ein unmittelbares Rechtsverhältnis, aus dem der Kläger einen etwaigen, auf seiner Rechtsstellung als Aufsichtsratsmitglied beruhenden Anspruch auf Zulassung eines Sachverständigen seiner Wahl zum Einblick in die Prüfungsberichte herleiten könnte, besteht nur zwischen ihm und der Beklagten zu 2 (vgl. zur Feststellung der Nichtigkeit von Aufsichtsratsbeschlüssen: BGHZ 83, 144, 146; zur Aktionärsklage: BGHZ 83, 122, 134). Für einen Feststellungsantrag auch gegen den Beklagten zu 1, der hier nur einen vom Gesamtaufsichtsrat als Organ der Gesellschaft gefaßten Beschluß gegenüber dem Kläger vertreten hat, ist daneben kein Raum; es fehlt das für seine Zulässigkeit notwendige Rechtsschutzbedürfnis. Deshalb kann offenbleiben, ob in solchen Fällen mit einer im Schrifttum verbreiteten Meinung eine Klage gegen den (jeweiligen) Aufsichtsratsvorsitzenden überhaupt in Betracht zu ziehen ist.
II. Sachlich hat das Berufungsgericht einen Anspruch, wie ihn der Kläger mit seinen Anträgen verfolgt, mit Recht verneint.
1. Mit diesen Anträgen beansprucht der Kläger generell das Recht, als Aufsichtsratsmitglied bei der Einsichtnahme in den jeweiligen Abschlußprüfungsbericht einen Sachverständigen seiner Wahl zuziehen zu dürfen. Ein so allgemeines, weder auf konkrete Fragen im Zusammenhang mit einem bestimmten Prüfungsbericht noch auf einen bestimmten Sachverständigen bezogenes Verlangen scheitert schon an § 111 Abs. 5 AktG, der über § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MitbestG auch für die Beklagte zu 2 als mitbestimmte GmbH gilt. Danach können die Aufsichtsratsmitglieder ihre Aufgaben nicht durch andere wahrnehmen lassen. Mit diesem Gebot persönlicher und eigenverantwortlicher Amtsausübung ist vorausgesetzt, daß ein Aufsichtsratsmitglied diejenigen Mindestkenntnisse und -fähigkeiten besitzen oder sich aneignen muß, die es braucht, um alle normalerweise anfallenden Geschäftsvorgänge auch ohne fremde Hilfe verstehen und sachgerecht beurteilen zu können (Mertens in Kölner Komm. z. AktG, § 111 Anm. 25). Damit ist es nicht vereinbar, daß ein Aufsichtsratsmitglied seine Aufgaben oder einen wesentlichen Teil davon laufend einem Außenstehenden zur selbständigen Erledigung überträgt oder auch nur bei ihrer Wahrnehmung jeweils einen „ständigen Berater” einschaltet. Denn hierdurch könnte auf die Dauer nicht nur die Vertraulichkeit leiden, es besteht vor allem auch die Gefahr, daß die vom Aufsichtsrat in eigener Verantwortung zu treffenden Entscheidungen entgegen dem Grundsatz des § 111 Abs. 5 AktG allgemein zu stark nach außen verlagert werden. Das gilt für die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer und der Anteilseigner in gleicher Weise (Mertens aaO., § 109 Anm. 16, § 111 Anm. 72; Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 1979, S. 131 ff).
Andererseits ist nicht zu erwarten, daß jedes Aufsichtsratsmitglied auf sämtlichen Gebieten, auf denen der Aufsichtsrat tätig wird, umfassende Spezialkenntnisse besitzt. Auch können im Aufsichtsrat Fragen auftauchen oder Maßnahmen durchzuführen sein, die über die Fachkunde oder die zeitlichen und technischen Möglichkeiten seiner Mitglieder hinausgehen. Deshalb gibt das Gesetz dem Aufsichtsrat die Befugnis, Sachverständige zur Beratung über „einzelne” Gegenstände zuzuziehen (§ 109 Abs. 1 Satz 2 AktG) oder sie für „bestimmte” Prüfungsaufgaben zu beauftragen (§ 111 Abs. 2 Satz 2 AktG). In dieser Beschränkung auf konkrete Einzelangelegenheiten kommt wiederum der für den Aufsichtsrat in seiner Gesamtheit, aber nicht minder für seine einzelnen Mitglieder geltende allgemeine Grundsatz zum Ausdruck, daß sie ihre Funktionen nicht generell auf andere abwälzen dürfen. Nur wenn es sich im Einzelfall zur Erfüllung gesetzlicher oder satzungsmäßiger, mit der gesetzlich vorausgesetzten Sachkompetenz allein nicht zu bewältigender Aufgaben als notwendig erweist, kann es angezeigt sein oder vielleicht sogar zur Pflicht werden (Lutter aaO., S. 130, 131), zu einer konkreten Frage externen Rat einzuholen. Das hat gerade auch das einzelne Aufsichtsratsmitglied zu beachten.
2. Dies gilt verstärkt für die hier umstrittene Zuziehung von Sachverständigen bei der Einsichtnahme in den Abschlußprüfungsbericht. Dieser Bericht, der nach §§ 6, 7 PublizitätsG, § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MitbestG i.V.m. §§ 164 bis 169, 171 AktG auch in der verklagten GmbH einzuholen und mit dem Jahresabschluß und dem Geschäftsbericht dem Aufsichtsrat zur Stellungnahme vorzulegen ist, ist in mehrfacher Hinsicht aus den vom Aufsichtsrat zu behandelnden Angelegenheiten herausgehoben. Das kommt zunächst darin zum Ausdruck, daß hier nicht nur ein Recht, sondern eine gesetzliche Pflicht zur Einschaltung von Sachverständigen besteht. Damit hat der Gesetzgeber berücksichtigt, daß der Aufsichtsrat regelmäßig fachlich und zeitlich überfordert wäre, wenn er die Rechnungslegung jährlich allein aus eigenen Kräften auf ihre Ordnungsmäßigkeit prüfen und auswerten müßte. Deshalb soll er sich bei der Wahrnehmung dieser Aufgabe das Spezialwissen, die Erfahrung und die technischen Möglichkeiten sachverständiger Prüfer zunutze machen können, die beruflich mit solchen Aufgaben vertraut und für sie qualifiziert sind (Kropff in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, § 171 Anm. 4, 5; Lutter aaO., S. 79, 85).
Eine weitere Besonderheit liegt darin, daß – jedenfalls in der Aktiengesellschaft – der Prüfungsbericht im Gegensatz zum Jahresabschluß, zum Geschäftsbericht und zum Bericht des Aufsichtsrats nicht den Gesellschaftern bekannt zu geben und zum Handelsregister einzureichen ist (§§ 175 Abs. 2, 176, 177 AktG; vgl. auch § 9 PublizitätsG). Hinzu kommt, daß nach der – über § 7 Satz 3 PublizitätsG auch auf die verklagte GmbH anzuwendenden – Kompromißvorschrift des § 170 Abs. 3 Satz 2 AktG (vgl. zu deren Entstehungsgeschichte und Bedeutung Kropff aaO, § 170 Anm. 37, 38) zwar jedes Aufsichtsratsmitglied von dem Bericht Kenntnis nehmen darf und soll, seine Aushändigung aber nur verlangen kann, soweit der Aufsichtsrat nichts anderes beschlossen hat. Damit trägt das Gesetz dem Umstand Rechnung, daß der Prüfungsbericht vielfach interne Informationen enthält, deren öffentliche Verbreitung der Gesellschaft schaden könnte.
Infolgedessen bleibt in diesem Bereich für die Notwendigkeit und Zulässigkeit einer Beratung außerhalb des Aufsichtsrats nur wenig Raum. Da der Aufsichtsrat mit dem Prüfungsbericht im Regelfall über eine zuverlässige gutachtliche Grundlage für die Erfüllung seiner eigenen Prüfungs- und Berichtspflicht nach § 171 AktG verfügt und noch offene Fragen überdies nach § 171 Abs. 1 Satz 2 AktG mit den Abschlußprüfern erörtern kann, ist einem Bedürfnis seiner Mitglieder nach fachlicher Beratung hinsichtlich der Rechnungslegung im allgemeinen schon von Gesetzes wegen Genüge getan. Lassen sich auf diesem Weg nicht alle Zweifel ausräumen, so kann der Aufsichtsrat im Rahmen von § 109 Abs. 1 Satz 2, § 111 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 5 AktG mit der Klärung bestimmter Fragen notfalls einen „besonderen” Sachverständigen beauftragen (Kropff aaO, § 171 Anm. 11; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung in der AG, 4. Aufl., § 171 Tz. 5, 12).
3. Für die vorliegende Entscheidung kann dahingestellt bleiben, ob sich gleichwohl im Einzelfall auch einmal für ein Aufsichtsratsmitglied persönlich die Notwendigkeit – und damit auch das Recht – ergeben kann, zur ordnungsmäßigen Erfüllung seiner Aufgaben nach § 171 AktG bestimmte Fragen, die es aus eigenem Wissen nicht ausreichend klären kann, einem Sachverständigen, zumindest einem solchen, der von Berufs wegen zur Verschwiegenheit verpflichtet ist, zu unterbreiten und diesem dabei auch den Abschlußprüfungsbericht zugänglich zu machen (so im Ergebnis Kropff aaO, § 171 Anm. 10; Brönner in Großkomm. z. AktG, 3. Aufl., § 171 Anm. 2; Claussen in Kölner Komm. z. AktG, § 171 Anm. 3; stark einschränkend Geßler in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, § 116 Anm. 13, 14; Hommelhoff, BB 1981, 944, 947 Fn. 32 m.w.N.). Eine solche Notwendigkeit, die seine Anträge rechtfertigen könnte, hat der Kläger nicht darzulegen vermocht. Sein von der Revision aufgegriffenes Vorbringen, insbesondere in der Berufungsbegründung (S. 17 ff), läuft auf das Verlangen hinaus, zu einem jeden Jahresabschluß auf eigene Faust eine umfassende und detaillierte Bilanzanalyse in Auftrag geben zu dürfen, um sich so ein klares Bild über die Vermögens-, Ertrags- und finanzielle Entwicklung des Unternehmens einschließlich aller Konzerngesellschaften machen zu können. In solcher Weise und einem solchen Ausmaß laufend eigene Ermittlungen anzustellen, übersteigt die Kompetenz eines einzelnen Aufsichtsratsmitglieds.
Die Auswertung der Bilanzzahlen ist zunächst Sache des geschäftsführenden Organs selbst und sodann des Gesamtaufsichtsrats, der gemäß seinem allgemeinen Überwachungsauftrag anhand von Jahresabschluß und Geschäftsbericht die Geschäftsführung zu überprüfen und in diesem Zusammenhang auch den Abschlußprüfungsbericht heranzuziehen hat, soweit er über die Ordnungsmäßigkeit der Rechnungslegung hinaus auch auf Fragen der Geschäftsführung eingeht (vgl. dazu Kropff aaO, § 162 Anm. 20 ff, § 171 Anm. 17). Bestehen Anzeichen für eine ungünstige Geschäftsentwicklung, wie sie der Kläger hier unter Hinweis auf das mehrjährige Auftreten von Verlusten geltend gemacht hat, so muß der Aufsichtsrat, wiederum in seiner Gesamtheit, den Ursachen mit allen zu Gebote stehenden Mitteln nachgehen und auf Abhilfe bedacht sein. Soweit der Kläger einzelne, aus eigener Fachkenntnis nicht zu lösende Probleme im Zusammenhang mit den Jahresabschlüssen der Beklagten zu 2 angeführt hat, wie zum Beispiel die Einflüsse bilanzpolitischer Maßnahmen oder konzerninterner Verrechnungen auf die Vergleichbarkeit der Abschlußdaten, muß er sich entgegenhalten lassen, daß er unstreitig die Möglichkeit ausgeschlagen hat, zunächst innerhalb des Aufsichtsrats, und zwar durch die ihm angebotene Rücksprache mit einem Mitglied der Geschäftsleitung sowie durch Fragen an den Verfasser des Abschlußprüfungsberichts, eine Klärung zu versuchen. Daß ein solcher Versuch von vornherein aussichtslos gewesen wäre, ist nicht damit begründbar, der Abschlußprüfer sei wegen seiner Verpflichtung zur Unparteilichkeit als Berater für ein Mitglied des Aufsichtsrats ungeeignet (so die Berufungsbegründung S. 34 ff).
4. Indem der Senat den Kläger auf eine vorrangige Inanspruchnahme der im Aufsichtsrat selbst gebotenen Beratungsmöglichkeiten verweist, setzt er sich nicht in Widerspruch zu seinem in BGHZ 64, 325 abgedruckten Urteil. Dort hat er zwar ausgeführt, daß es einem Aufsichtsratsmitglied nicht grundsätzlich verwehrt ist, sich zur ordnungsmäßigen Wahrnehmung seiner Pflichten gegebenenfalls auch außerhalb des Aufsichtsrats sachkundig beraten zu lassen (aaO S. 331 f). Diese Befugnis ist aber aus den erörterten Gründen in mehrfacher Hinsicht begrenzt, wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat: Die Beratung muß ausschließlich der Erfüllung gesetzlicher Aufgaben im Interesse des Unternehmens dienen, hierzu erforderlich und nicht durch eine gesellschaftsinterne Aufklärung ersetzbar sein; sie ist auf eine konkrete, durch den Einzelfall veranlaßte Fragestellung zu beschränken. Soweit es um die Einsichtnahme in den Abschlußprüfungsbericht geht, ist schließlich das erhöhte Geheimhaltungsbedürfnis zu beachten, das der Aufsichtsrat hier im Rahmen seiner gesetzlichen Befugnis nach § 170 Abs. 3 Satz 2 AktG durch den Beschluß zum Ausdruck gebracht hat, den Bericht lediglich zur Einsichtnahme für seine Mitglieder auszulegen. Die Gefahr, daß vertrauliche Informationen zum Schaden des Unternehmens in die Öffentlichkeit dringen, wäre umso stärker, je mehr Aufsichtsratsmitglieder sich von Außenstehenden beraten ließen, und je öfter sie dies täten.
Den damit gesetzten Rahmen sprengt der Kläger mit seinem weit gefaßten Verlangen, jeden Abschlußprüfungsbericht durch einen Fachmann seines Vertrauens auswerten lassen zu dürfen.
III. Damit erweisen sich die klagabweisenden Urteile der Vorinstanzen im Ergebnis als richtig.
Fundstellen
Haufe-Index 649075 |
BGHZ, 293 |
ZIP 1983, 55 |