Leitsatz (amtlich)
Zur Haftung eines Automobilherstellers nach § 826 BGB gegenüber dem Käufer des gebrauchten Fahrzeugs in einem sogenannten Dieselfall (hier: Darlegungserfordernisse hinsichtlich § 31 BGB und Sittenwidrigkeit, Schaden).
Normenkette
BGB §§ 31, 826
Verfahrensgang
OLG Braunschweig (Entscheidung vom 17.12.2019; Aktenzeichen 7 U 247/18) |
LG Braunschweig (Entscheidung vom 14.05.2018; Aktenzeichen 11 O 1267/17 (265)) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 17. Dezember 2019 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin erwarb im September 2013 von einem Dritten einen von der Beklagten hergestellten Pkw des Typs VW Caddy 1.6 TDI (75 kW/102 PS) mit Kurzzeitzulassung und einem Kilometerstand von 12 zum Preis von 23.100 €. In dem Fahrzeug ist ein Motor des Typs EA189 mit der Schadstoffnorm Euro 5 verbaut, wobei die Einhaltung der maßgeblichen Grenzwerte für Stickoxide davon abhängt, in welchem Ausmaß Abgase aus dem Auslassbereich des Motors über ein Abgasrückführungsventil in den Ansaugtrakt des Motors zurückgeleitet werden. Im von der Klägerin erworbenen Fahrzeug ließ die das Abgasrückführungsventil steuernde Software eine Abgasrückführung im zur Einhaltung der Grenzwerte erforderlichen Umfang (nur) unter den Bedingungen des zur Erlangung der Typgenehmigung vorgeschriebenen Testlaufs zu. Bewegte sich das Fahrzeug nicht in dem vorgegebenen Geschwindigkeitsmuster, erkannte die Software dies und verringerte die Abgasrückführung im Verhältnis zur Fahrt auf dem Prüfstand, wodurch sich die Stickoxidemissionen erhöhten. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) erkannte hierin eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2, Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 und ordnete den Rückruf an. Die von der Beklagten daraufhin entwickelte technische Maßnahme (Software-Update und Installation eines Strömungsgitters) wurde vom KBA im Juni 2016 freigegeben und am 2. Februar 2017 in das von der Klägerin erworbene Fahrzeug installiert.
Rz. 2
Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Beklagte zunächst auf Zahlung von 21.326,74 € nebst weiteren Zinsen in Höhe von vier Prozent aus 23.100 € seit dem 1. April 2018 Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, auf Feststellung, dass die Beklagte sich mit der Annahme des Fahrzeugs seit dem 20. März 2017 im Annahmeverzug befindet, auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten nebst Zinsen und auf Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin alle weiteren Schäden aus der Manipulation und den entsprechenden Behebungsmaßnahmen zu ersetzen, in Anspruch genommen. Zuletzt hat sie - neben der Feststellung von Annahmeverzug und Schadensersatzpflicht sowie der Erstattung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten nebst Zinsen - verlangt, die Beklagte zur Zahlung von 15.083,52 € nebst Zinsen in Höhe von 4.158 € sowie weiteren Zinsen in Höhe von vier Prozent aus 23.100 € seit dem 6. November 2018 Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs zu verurteilen. Im Übrigen hat sie den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt; die Beklagte hat sich der Erledigungserklärung nicht angeschlossen.
Rz. 3
Das Landgericht hat die Klage ab-, das Oberlandesgericht die von der Klägerin dagegen geführte Berufung zurückgewiesen. Im Rahmen ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr vorinstanzliches Begehren weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Rz. 4
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, die unter BeckRS 2019, 42550 veröffentlicht ist, im Wesentlichen ausgeführt, die Berufung sei unbegründet. Für die erhobenen Ansprüche aus unerlaubter Handlung fehle es unter objektiven wie subjektiven Gesichtspunkten an der substantiierten Darlegung eines konkreten "Täters" und einer konkreten Tathandlung, jedenfalls aber auch an der Darlegung eines Schadens.
Rz. 5
Ansprüche aus Kaufvertrag kämen nicht in Betracht, weil die Beklagte nicht Verkäuferin des streitgegenständlichen Pkws gewesen sei; vertragliche Ansprüche aufgrund einer fehlerhaften Durchführung des nach den Vorgaben des KBA durchgeführten Software-Updates mache die Klägerin nicht geltend. Ebenso wenig erhebe sie Ansprüche aus Garantievertrag in Verbindung mit § 443 BGB oder aus quasivertraglicher Haftung gemäß §§ 311, 241 Abs. 2 BGB, die im Übrigen auch nicht gegeben wären.
Rz. 6
Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit den Abgasvorschriften des europäischen und deutschen Rechts seien ebenfalls nicht gegeben. In Betracht kämen insoweit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder die diesen zugrundeliegenden Vorschriften der VO (EG) 715/2007, der VO (EG) 385/2009 und der Richtlinie 2007/46 (EG). Bei ihnen handele es sich aber schon nicht um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die einen Schadensersatzanspruch des Fahrzeugkäufers auslösen könnten, jedenfalls nicht in Bezug auf einen Käufer, der nicht Erstkäufer sei. Zudem habe die Beklagte überhaupt nicht gegen § 6 Abs. 1 Satz 1 EG-FGV oder § 27 Abs. 1 EG-FGV verstoßen.
Rz. 7
Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB habe das Landgericht im Ergebnis schon deshalb zutreffend verneint, weil die Klägerin eine aktive Täuschungshandlung nicht dargetan habe und es für eine Täuschung durch Unterlassen an einer Garantenstellung der Beklagten fehle. Darüber hinaus habe die Klägerin auch keinen konkreten Täter benannt und die Absicht der stoffgleichen Bereicherung nicht hinreichend dargelegt.
Rz. 8
Auch das Bestehen eines Anspruchs aus § 823 Abs. 2 BGB, § 16 UWG habe das Landgericht zu Recht abgelehnt.
Rz. 9
Schließlich habe das Landgericht auch Ansprüche aus § 826 BGB im Ergebnis zu Recht verneint. Ein derartiger Anspruch scheitere schon daran, dass die hinsichtlich des Schädigenden darlegungspflichtige Klägerin keinen konkreten Täter benenne. Ferner fehle es an substantiiertem Vortrag der Klägerin zu den Gesamtumständen einer Verwerflichkeit der Erteilung der Übereinstimmungsbescheinigung oder aber des Inverkehrbringens des Fahrzeugs mit einer solchen in der Person konkreter Verantwortlicher oder Mitarbeiter der Beklagten. Auch hier komme hinzu, dass die Klägerin nicht einmal Ersterwerberin des streitgegenständlichen Pkws gewesen sei. Dem Landgericht sei weiter auch darin beizutreten, dass die von der Klägerin geltend gemachte Schädigung ihres individuellen Vermögens nicht vom Schutzzweck des § 826 BGB gedeckt sei.
Rz. 10
Unabhängig davon habe die Klägerin aber auch das Vorliegen eines Schadens jedenfalls als Grundlage der angestrebten Rechtsfolge gemäß §§ 249 ff. BGB nicht dargelegt. Zwar möge die anfängliche Entstehung eines Vermögensschadens anzunehmen sein. Darauf könne sich die Klägerin angesichts der an ihrem Auto am 2. Februar 2017 durchgeführten technischen Maßnahme (Software-Update und Installation eines Strömungsgitters) aber nicht mehr berufen.
II.
Rz. 11
Die zulässige Revision ist begründet. Mit den Erwägungen des Berufungsgerichts lässt sich jedenfalls ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB nicht verneinen.
Rz. 12
1. Zu Unrecht geht das Berufungsgericht zunächst davon aus, ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB scheitere bereits daran, dass die Klägerin keinen konkreten Täter benannt habe. Nach den tatbestandlichen Feststellungen im Berufungsurteil hat die Klägerin unter anderem behauptet, der damalige Vorstand der Beklagten habe vom Einsatz der streitgegenständlichen Software gewusst und sei an der schädigenden Handlung der Beklagten beteiligt gewesen. Schon mit dieser Behauptung hat die Klägerin ihrer insoweit bestehenden Darlegungslast genügt (vgl. Senatsurteil vom 25. Oktober 2022 - VI ZR 339/20, zVb; zur sekundären Darlegungslast der Beklagten in Fällen der vorliegenden Art: Senatsurteile vom 8. März 2022 - VI ZR 475/13, VersR 2022, 654 Rn. 10 ff.; vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 34 ff.).
Rz. 13
2. Unzutreffend ist auch die weitere Annahme des Berufungsgerichts, es fehle an substantiiertem Vortrag der Klägerin "zu den Gesamtumständen einer Verwerflichkeit der Erteilung der Übereinstimmungsbescheinigung oder aber des Inverkehrbringens des Fahrzeugs mit einer solchen […]".
Rz. 14
a) Bereits in ihrer Klageschrift hat die Klägerin, worauf die Revision zutreffend hinweist, ausgeführt, die Beklagte habe in den Jahren 2006 und 2007 unter der Bezeichnung VW EA189 neue Dieselmotoren verschiedener Leistungsklassen entwickelt, die sie ab dem Jahr 2008 verbaut habe. Die Motoren seien mit einer Steuerungssoftware ausgestattet worden, die die Vornahme eines Emissionstests erkenne und lediglich in diesem Fall das volle Emissionskontrollsystem des Fahrzeugs aktiviere, wodurch auf dem Prüfstand geringere Stickoxidwerte (NOx) erzielt und auch nur dann die nach der Euro-5-Abgasnorm vorgegebenen NOx-Grenzwerte eingehalten würden. Die damaligen Mitglieder des Vorstands hätten bereits im Jahr 2008 von der Softwaremanipulation gewusst, die Serienherstellung der Fahrzeuge mit dem entsprechenden Motor sowie dessen Vermarktung dennoch veranlasst, um die firmeneigenen Absatzzahlen sowie die der Händler zu steigern.
Rz. 15
b) Schon damit hat die Klägerin sittenwidriges Verhalten der Beklagten im Verhältnis zu ihr entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts schlüssig dargelegt. Nach der - nach Erlass des Berufungsurteils ergangenen - höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. nur Senatsurteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 16 ff.) handelt gegenüber einem (auch Gebrauchtwagen-) Käufer sittenwidrig, wer auf der Grundlage einer grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorenentwicklung im eigenen Kosten- und damit auch Gewinnstreben durch bewusste und gewollte Täuschung des KBA und Ausnutzung der Arglosigkeit der Käufer systematisch, langjährig und in hoher Stückzahl Fahrzeuge in den Verkehr bringt, deren Motorsteuerung bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten werden.
Rz. 16
3. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts scheitert ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB auch nicht am fehlenden Schaden.
Rz. 17
§ 826 BGB schützt auch die Dispositionsfreiheit des Vertragsschließenden mit der Folge, dass ein Schaden unter bestimmten Voraussetzungen schon im Abschluss eines ungewollten Vertrages liegen kann (vgl. nur Senatsurteile vom 25. Oktober 2022 - VI ZR 339/20, zVb; vom 8. März 2022 - VI ZR 475/19, VersR 2022, 654 Rn. 14; vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 47 mwN). Ob diese Voraussetzungen im Streitfall erfüllt sind, hat das Berufungsgericht offengelassen, weil es davon ausgegangen ist, dass ein relevanter Schaden - selbst bei Vorliegen einer Wertdifferenz zwischen dem von der Klägerin entrichteten Kaufpreis und dem Wert des gelieferten Fahrzeugs - schon deshalb nicht (mehr) vorliegen könne, weil dieser zum einen durch das Aufspielen des Software-Updates jedenfalls wieder entfallen sei und zum anderen die als verletzt in Betracht kommenden Normen nicht dem Schutz der Klägerin vor dem geltend gemachten Schaden dienten. Beide Erwägungen sind, wie sich aus der nach Erlass des Berufungsurteils ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung ergibt, rechtsfehlerhaft. Liegt der Schaden in einem unter Verletzung des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts der Klägerin sittenwidrig herbeigeführten Vertragsschluss, so entfällt dieser Schaden nicht dadurch, dass sich der Wert oder Zustand des Vertragsgegenstands - wie gegebenenfalls hier durch das Aufspielen des Software-Updates und die Installation eines Strömungsgitters - nachträglich verändert. Solche Umstände führen nicht dazu, dass der ungewollte Vertragsschluss rückwirkend zu einem gewollten wird (vgl. nur Senatsurteile vom 25. Oktober 2022 - VI ZR 339/20, zVb; vom 8. März 2022 - VI ZR 475/19, VersR 2022, 654 Rn. 14 mwN; vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 58). Auf den Schutzzweck etwaig verletzter Vorschriften, insbesondere der §§ 6, 27 Abs. 1 EG-FGV und Art. 5 Abs. 2, Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007, kommt es im Rahmen des Anspruchs aus § 826 BGB entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht an (vgl. nur Senatsurteile vom 25. Oktober 2022 - VI ZR 339/20, zVb; vom 8. März 2022 - VI ZR 475/19, VersR 2022, 654 Rn. 14 mwN).
Rz. 18
4. Die angefochtene Entscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Insbesondere sind bereits auf der Grundlage des sich aus den tatbestandlichen Feststellungen des Berufungsurteils ergebenden Vortrags der Klägerin, der mangels gegenteiliger Feststellungen des Berufungsgerichts zugrunde zu legen ist, auch die weiteren Voraussetzungen des § 826 BGB erfüllt (vgl. nur Senatsurteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316).
III.
Rz. 19
Gemäß § 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 ZPO war das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dabei wird das Berufungsgericht, sollte es den Klageanspruch im weiteren Verfahren dem Grunde nach bejahen, auch Gelegenheit haben, die grundsätzlich gebotene Anrechnung der von der Klägerin gezogenen Nutzungen im Wege des Vorteilsausgleichs (vgl. nur Senatsurteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 64) auf der Grundlage der dann gegebenen Fahrleistung vorzunehmen.
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