Verfahrensgang
BPatG (Urteil vom 02.09.2020; Aktenzeichen 6 Ni 29/17 (EP)) |
Tenor
Die Berufung gegen das Urteil des 6. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 2. September 2020 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Beklagte ist Inhaber des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 931 386 (Streitpatents), das am 13. März 1998 unter Inanspruchnahme einer deutschen Priorität vom 14. Juli 1997 angemeldet wurde und ein Verfahren zum Signalisieren einer Rauschsubstitution beim Codieren eines Audiosignals betrifft. Patentanspruch 11, auf den zwei weitere Ansprüche zurückbezogen sind, lautet:
Verfahren zum Decodieren eines codierten Audiosignals mit folgenden Schritten:
Empfangen eines Bitstroms;
Redundanz-Decodieren von nichtrauschhaften Gruppen aufgrund einer durch eine Codiertabellennummer angezeigten Codiertabelle und Requantisieren von redundanz-decodierten, quantisierten Spektralwerte[n];
Erfassen einer rauschhaften Gruppe von Spektralwerten aufgrund einer zusätzlichen Codiertabellennummer, die einer solchen Gruppe zugeordnet ist;
Erfassen eines Maßes für die Energie der Spektralwerte in der rauschhaften Gruppe aufgrund von der Gruppe zugeordneten Seiteninformationen;
Erzeugen von Rausch-Spektralwerten für die rauschhafte Gruppe, wobei das Maß der Energie der Rausch-Spektralwerte in der rauschhaften Gruppe gleich dem Maß für die Energie von Spektralwerten der rauschhaften Gruppe in dem ursprünglichen Signal ist;
Transformieren der requantisierten Spektralwerte und der Rausch-Spektralwerte in den Zeitbereich, um ein decodiertes Audiosignal zu erhalten.
Rz. 2
Patentanspruch 1, auf den acht weitere Ansprüche zurückbezogen sind, betrifft ein Verfahren zum Signalisieren einer Rauschsubstitution, Patentanspruch 10 ein Codierverfahren.
Rz. 3
Die Klägerin, die aus Patentanspruch 11 gerichtlich in Anspruch genommen wird, hat das Streitpatent zunächst in vollem Umfang angegriffen und geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei mangels erfinderischer Tätigkeit nicht patentfähig. Nach Erlöschen des Streitpatents haben die Parteien den Rechtsstreit hinsichtlich der Ansprüche 1 bis 10 in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt. Den danach noch angegriffenen Teil des Streitpatents hat der Beklagte wie erteilt und hilfsweise in drei geänderten Fassungen verteidigt.
Rz. 4
Das Patentgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die ihre zuletzt gestellten erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgt. Der Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen und verteidigt das Patent weiterhin wie in erster Instanz.
Entscheidungsgründe
Rz. 5
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Rz. 6
I. Das Streitpatent betrifft das Signalisieren einer Rauschsubstitution beim Codieren und Decodieren eines Audiosignals.
Rz. 7
1. Nach der Beschreibung des Streitpatents sind Verfahren zur Codierung und Decodierung von Audiosignalen etwa von der Standardisierungsorganisation ISO/IEC JTC1/SC29/WG11 entwickelt worden, die auch unter dem Namen Moving Pictures Expert Group (MPEG) bekannt ist.
Rz. 8
Bei dem bekannten Verfahren werde ein zeitkontinuierliches Audiosignal abgetastet, um ein zeitdiskretes Audiosignal zu erhalten. Dieses werde mit einer Funktion bearbeitet, um aufeinanderfolgende Blöcke oder Frames mit einer bestimmten Anzahl gefensterter zeitdiskreter Abtastwerte zu erhalten. Jeder dieser Blöcke werde in den Frequenzbereich transformiert, etwa mittels einer modifizierten diskreten Kosinustransformation (Abs. 5).
Rz. 9
Die erhaltenen Spektralwerte würden so quantisiert, dass das Quantisierungsrauschen durch die quantisierten Signale überlagert (maskiert) und damit unhörbar werde. Dazu werde ein psychoakustisches Modell herangezogen, das die Eigenschaften des menschlichen Gehörs berücksichtige. Zur Quantisierung würden Spektralwerte zu Skalenfaktorbändern gruppiert, die mit bestimmten Faktoren skaliert werden könnten. Die Information hierüber müsse als Seiteninformation an den Decodierer übertragen werden (Abs. 6).
Rz. 10
Nach der Quantisierung würden die Spektralwerte redundanzcodiert. Dazu würden sie in Abschnitte (sections) eingeteilt, um Bereiche mit gleicher Signalstatistik zu erhalten. Dabei könnten Abschnittsgrenzen nur an Skalenfaktorbandgrenzen vorhanden sein. Dies ermögliche es, einen Abschnitt mithilfe einer einzigen Codiertabelle, etwa einer Huffman-Codiertabelle, zu codieren. Aus den zur Verfügung stehenden Codiertabellen werde diejenige gewählt, die den größten Codiergewinn erbringe. Die Länge des Abschnitts in Skalenfaktorbändern und die Nummer der eingesetzten Codiertabelle würden als Seiteninformation an den Decodierer übertragen (Abs. 7).
Rz. 11
Ebenfalls vorbekannt sei die von Donald Schulz (Improving Audio Codecs by Noise Substitution, Journal of the Audio Eng. Soc. Bd. 44 [1996], Nr. 7/8, S. 593-598, D1) beschriebene Rauschsubstitution. Dieser liege zugrunde, dass das menschliche Gehör bei rauschhaften Signalen nicht in der Lage sei, den exakten Zeitverlauf zu erfassen. Ein Codieren der Wellenform erfordere hohe Bitraten für Informationen, die nicht hörbar seien. Gelinge es, rauschhaltige Komponenten von Signalen zu erfassen, könne man sich damit begnügen, Informationen über den Rauschpegel, den Frequenzbereich oder den zeitlichen Ausdehnungsbereich zu codieren (Abs. 10 f.).
Rz. 12
Rauschhafte Spektralwerte seien dadurch definiert, dass sie ohne hörbare Unterschiede für das menschliche Gehör durch ein Rauschersetzungsverfahren rekonstruiert werden könnten. Sie könnten auf unterschiedliche Weise erfasst werden. Eine als rauschhaft klassifizierte Gruppe von Spektralwerten werde nicht wie sonst üblich quantisiert und redundanzcodiert an den Empfänger übertragen. Stattdessen werde nur eine Kennung zur Anzeige der Rauschsubstitution und ein Maß für die Energie der rauschhaften Gruppe von Spektralwerten als Seiteninformation an den Decoder übertragen. Dort würden dann für die substituierten Werte Zufallswerte mit der übertragenen Energie eingesetzt. Weil nur die Übertragung einer einzigen Energieinformation anstelle einer Gruppe von Codes erfolge, seien erhebliche Dateneinsparungen möglich. Der derzeit in der Entwicklung befindliche Standard MPEG-2 NBC, der auch als MPEG-2 AAC bezeichnet werde, unterstütze eine solche Rauschsubstitution nicht.
Rz. 13
2. Vor diesem Hintergrund hat das Patentgericht das technische Problem zutreffend dahin beschrieben, die Rauschsubstitution in einen Audio-Codec mit Transformationscodierung zu integrieren.
Rz. 14
a) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist das technische Problem nicht dahin zu fassen, dass der Standard MPEG-2 AAC um die Möglichkeit der Rauschsubstitution derart erweitert werde, dass weder die grundsätzliche Codierstruktur noch die Struktur der vorhandenen Bitstromsyntax angetastet werde.
Rz. 15
Elemente, die zur technischen Lösung gehören, sind nicht bereits bei der Bestimmung des der Erfindung zugrundeliegenden Problems zu berücksichtigen. Das technische Problem ist vielmehr so allgemein und neutral zu formulieren, dass sich die Frage, welche Anregungen der Fachmann durch den Stand der Technik erhielt, ausschließlich bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit stellt (BGH, Urteil vom 21. Januar 2020 - X ZR 65/18, GRUR 2020, 603 Rn. 12 - Tadalafil).
Rz. 16
b) Die Bestimmung der Aufgabe dahin, dass die Integration von Rauschsubstitution in einen Audio-Codec mit Transformationscodierung erfolgen soll, ist ebenfalls nicht zu beanstanden.
Rz. 17
Zwar gibt es auch andere Audio-Codec-Verfahren. Das Streitpatent befasst sich jedoch nur mit solchen, bei denen eine Transformationscodierung erfolgt.
Rz. 18
3. Zur Lösung dieses Problems schlägt Patentanspruch 11 ein Verfahren vor, dessen Merkmale sich wie folgt gliedern lassen:
11. Verfahren zum Decodieren eines codierten Audiosignals mit folgenden Schritten:
11.1 Empfangen eines Bitstroms,
11.2 Redundanz-Decodieren von nicht-rauschhaften Gruppen aufgrund einer durch eine Codiertabellennummer angezeigte Codiertabelle und Requantisieren von redundanz-codierten, quantisierten Spektralwerten,
11.3 Erfassen einer rauschhaften Gruppe von Spektralwerten aufgrund einer zusätzlichen Codiertabellennummer, die einer solchen Gruppe zugeordnet ist,
11.3a Erfassen eines Maßes für die Energie der Spektralwerte in der rauschhaften Gruppe aufgrund von der Gruppe zugeordneten Seiteninformationen,
11.3b Erzeugen von Rausch-Spektralwerten für die rauschhafte Gruppe, wobei das Maß der Energie der Rausch-Spektralwerte in der rauschhaften Gruppe gleich dem Maß für die Energie von Spektralwerten der rauschhaften Gruppe in dem ursprünglichen Signal ist.
11.4 Transformieren der requantisierten Spektralwerte und der Rausch-Spektralwerte in den Zeitbereich, um ein decodiertes Audiosignal zu erhalten.
Rz. 19
4. Der Anspruch bedarf näherer Erörterung.
Rz. 20
a) Das Streitpatent befasst sich zwar in erster Linie mit dem zum maßgeblichen Zeitpunkt in der Entwicklung befindlichen Standard MPEG-2 AAC, ist aber auf diesen nicht beschränkt.
Rz. 21
Erfasst sind auch andere Verfahren zum Codieren und Decodieren von Audiosignalen mit Transformationscodierung, die im Hinblick auf die hier interessierenden Punkte ähnlich strukturiert sind, insbesondere die Möglichkeit zur Codierung mittels Codiertabellen bieten und Codiertabellennummern vorsehen, die darauf verweisen, welche Codiertabelle einer Gruppe von Spektralwerten zugewiesen ist.
Rz. 22
b) Der empfangene Bitstrom (Merkmal 11.1) enthält die Daten des codierten Ausgangssignals, die vom Codierer an den Decodierer übermittelt werden. Diese Daten (Bits) repräsentieren die quantisierten und codierten Signalwerte nicht-rauschhafter Spektralwerte sowie Seiteninformationen.
Rz. 23
Soweit für rauschhafte Gruppen von Spektralwerten eine Rauschsubstitution erfolgt, sind keine Signalwerte codiert. Sie werden vielmehr anhand der Seiteninformationen rekonstruiert.
Rz. 24
c) Entscheidende Bedeutung kommt Merkmal 11.3 zu. Danach wird eine rauschhafte Gruppe von Spektralwerten aufgrund einer dieser Gruppe zugeordneten zusätzlichen Codiertabellennummer erfasst.
Rz. 25
aa) Merkmal 11.3 legt damit lediglich fest, dass es nicht um die Erfassung einzelner rauschhafter Spektralwerte geht, sondern um die Erfassung einer Gruppe solcher Werte. Die Größe einer solchen Gruppe legt Anspruch 11 nur insoweit fest, als es um eine Gruppe gehen muss, der nach der üblichen Vorgehensweise eine einheitliche Codiertabellennummer zugewiesen wird.
Rz. 26
Dies wird bestätigt durch die Fassung der Ansprüche, die sich auf ein Verfahren zur Signalisierung beim Codieren eines Audiosignals beziehen. Dort ist erst in den Ansprüchen 2 und 3 bestimmt, dass die Gruppen von rauschhaften Spektralwerten Abschnitte sind und ein Abschnitt eines oder mehrere Skalenfaktorbänder aufweist, wobei jedem Skalenfaktorband ein Skalenfaktor zugeordnet ist.
Rz. 27
bb) Der rauschhaften Gruppe von Spektralwerten ist eine zusätzliche Codiertabellennummer zugeordnet.
Rz. 28
Wie sich aus der Beschreibung des Streitpatents und aus dem Zusammenhang mit Patentanspruch 1 ergibt, ist damit eine Codiertabellennummer gemeint, die mithilfe der hierfür vorgesehenen Bits dargestellt werden kann, jedoch nicht auf eine der Codiertabellen verweist. So sind beispielsweise im Standard MPEG-2 AAC vier Bits vorgesehen, die die Darstellung von 16 Codiertabellennummern ermöglichen. Da jedoch nur zwölf Codiertabellen vorgesehen sind, stehen vier Codiertabellennummern für andere Zwecke zur Verfügung. Eine dieser Nummern soll erfindungsgemäß verwendet werden, um eine Gruppe von rauschhaften Spektralwerten zu kennzeichnen.
Rz. 29
II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Rz. 30
Der Gegenstand von Patentanspruch 11 sei durch den Stand der Technik, insbesondere die D1 und den zum Prioritätszeitpunkt aktuellen Entwurf des Standards MPEG-2 AAC (ISO/IEC 13818-7 First edition 1996 (E) MPEG-2 Audio NBC Committee Draft, ISO/IEC JTC1/SC29/WG11 N1307, D12) nicht nahegelegt.
Rz. 31
Dem Fachmann stelle sich die Frage, ob mithilfe der in D1 vorgestellten Rauschsubstitution eine weitere Verbesserung des Audio-Codec-Verfahrens, wie es in D12 beschrieben ist, möglich sei.
Rz. 32
D1 spreche die Möglichkeit einer Kombination von Rauschsubstitution und adaptiver Transformationscodierung an und sehe die Gruppierung von benachbarten rauschhaften Spektralwerten vor, schweige jedoch dazu, wie die Gruppierung solcher Werte mit der Aufteilung des Frequenzbereichs für tonale (nicht-rauschhafte) Spektralwerte bei einem Verfahren mit Transformationscodierung zusammenwirke.
Rz. 33
D12 sehe die Möglichkeit vor, zusätzliche Codiertabellennummern einzusetzen, um besondere Gruppen von Spektralwerten zu erfassen. Die Möglichkeit, gerade eine rauschhafte Gruppe von Spektralwerten auf diese Weise zu erfassen, sei in D12 jedoch nicht offenbart. Es sei nicht ersichtlich, was den Fachmann veranlassen sollte, die Zuordnung einer zusätzlichen Codiertabellennummer zu einer solchen Gruppe vorzusehen. Denn eine solche Zuordnung betreffe jeweils vollständige, aus einem oder mehreren Skalenfaktorbändern bestehende Abschnitte. Dagegen sehe D1 eine Rauschsubstitution für kleine Gruppen von zumindest drei benachbarten rauschhaften Spektralwerten vor. Die Einteilung der Frequenzbereiche in Abschnitte nach D12 widerspreche der Gruppierung rauschhafter Signalwerte nach D1, die ausschließlich signalabhängig und damit von den Grenzen der Skalenfaktorbänder unabhängig sei.
Rz. 34
Die übrigen in das Verfahren eingeführten Druckschriften lägen weiter ab.
Rz. 35
III. Diese Beurteilung hält der Nachprüfung im Berufungsverfahren stand.
Rz. 36
1. Zu Recht hat das Patentgericht entschieden, dass eine Kombination von D1 und D12 den Gegenstand von Patentanspruch 11 nicht nahelegt.
Rz. 37
a) D12 nimmt die Merkmale von Patentanspruch 11 nicht vollständig vorweg.
Rz. 38
aa) Der für die Prüfung der Patentfähigkeit maßgebliche Entwicklungsstand der Arbeiten an dem Standard MPEG-2 AAC ergibt sich aus dem als D12 vorgelegten Entwurf, der vor dem Prioritätstag des Streitpatents der Öffentlichkeit zugänglich war. Dagegen haben die als Anlagen D11, D13, D14 und D15 vorgelegten Dokumente außer Betracht zu bleiben, weil sie erst danach veröffentlicht worden sind.
Rz. 39
Nach der übereinstimmenden und zutreffenden Beurteilung der Parteien, die mit der Darstellung im Streitpatent (Abs. 3 bis 9) übereinstimmt, beschreibt D12 ein Audiocodier-Verfahren, bei dem ein zeitkontinuierliches Audiosignal abgetastet wird, um ein zeitdiskretes Audiosignal zu erhalten. Dieses wird gefenstert und die Fenster werden zu aufeinanderfolgenden Blöcken oder Frames mit einer bestimmten Anzahl gefensterter zeitdiskreter Abtastwerte zusammengefügt. Nacheinander wird jeder dieser Blöcke in den Frequenzbereich transformiert, etwa mittels einer modifizierten diskreten Kosinustransformation.
Rz. 40
Die sich daraus ergebenden Spektralwerte werden derart quantisiert, dass das Quantisierungsrauschen durch die quantisierten Signale maskiert und damit unhörbar wird (Abschnitt 6.1). Zur Quantisierung werden Spektralwerte zu Skalenfaktorbändern gruppiert, die mit bestimmten Skalenfaktoren verstärkt werden können (Abschnitt 6.3.1). Die Information über die Verstärkung wird als Seiteninformation an den Decodierer übertragen (Abschnitt 6.3.2).
Rz. 41
Nach der Quantisierung werden die Spektralwerte redundanzcodiert (Abschnitt 4.1). Dazu werden sie in Abschnitte (sections) eingeteilt, um Bereiche mit gleicher Signalstatistik zu erhalten. Dabei können Abschnittsgrenzen nur an Skalenfaktorbandgrenzen vorhanden sein. Dies ermöglicht es, einen Abschnitt mithilfe einer einzigen Codiertabelle, etwa einer Huffman-Codiertabelle, zu codieren. Welche Codiertabelle gewählt wird, wird durch eine binär codierte Codiertabellennummer gekennzeichnet. Die Länge des Abschnitts in Skalenfaktorbändern und die Codiertabellennummer müssen wiederum als Seiteninformation an den Decodierer übertragen werden. Die Decodierung erfolgt entsprechend.
Rz. 42
D12 sieht insgesamt 16 Codiertabellennummern - von 0 bis 15 - vor. Die Codiertabellennummern 1 bis 11 bezeichnen elf Huffman-Codiertabellen und beziehen sich jeweils auf Abschnitte (sections) (Abschnitte 4.1 und 4.4, Table 4.2). Die Codiertabellennummer 0 signalisiert, dass für den zugehörigen Abschnitt keine Spektralwerte codiert und übertragen werden müssen, die Nummern 14 und 15 zeigen an, dass für den zugehörigen Abschnitt in einem der beiden Stereokanäle anstelle codierter Spektralwerte Steuerdaten für das Intensity Stereo Coding übertragen werden.
Rz. 43
Die Codiertabellennummern 12 und 13 stehen als Reserve für Werte zur Verfügung, die möglicherweise für zukünftige Erweiterungen des Standards benötigt werden (Glossary 1.1.124; 4.4 - Table 4.2).
Rz. 44
bb) Wie das Patentgericht zutreffend und unangegriffen festgestellt hat, nimmt D12 damit die Merkmale 11, 11.1 und 11.2 vorweg.
Rz. 45
cc) Da D12 keine Rauschsubstitution vorsieht, fehlt es dagegen an einer Offenbarung der Merkmalsgruppe 11.3 und des Merkmals 11.4.
Rz. 46
b) Auch D1 nimmt nicht sämtliche Merkmale von Patentanspruch 11 vorweg.
Rz. 47
aa) D1 beschreibt, dass die Verringerung der erforderlichen Daten bei der Audiocodierung bislang vor allem durch Maskierungseffekte erzielt worden sei, etwa dadurch, dass Komponenten, die durch andere Komponenten überdeckt werden, nicht codiert werden. Die meisten Audiosignale enthielten aber auch Frequenzbereiche, die das menschliche Gehör nicht wahrnehme. Zur korrekten Codierung dieser Bereiche würden bislang hohe Bitraten benötigt. Würden die erkannten rauschhaften Komponenten des Signals demgegenüber nur als Information über den Rauschpegel, den Frequenz- und den Zeitbereich codiert, könne eine korrekte Beschreibung der rauschhaften Signale mit erheblichen Einsparungen erreicht werden (S. 593 linke Spalte, Abschnitt 0).
Rz. 48
Eine Signalkomponente sei rauschhaft, wenn sie durch den Pegel, den Frequenzbereich und den Zeitbereich so charakterisiert werden könne, dass eine Rekonstruktion möglich sei, ohne dass der Hörer einen Unterschied bemerke (S. 593 rechte Spalte, Abschnitt 1). Es gebe verschiedene Möglichkeiten, wie rauschhafte Komponenten von nicht-rauschhaften (tonalen) Komponenten unterschieden und erfasst werden könnten.
Rz. 49
Nach D1 ist es vorteilhaft, sich bei der Datenkompression von Audiosignalen nicht auf rauschhafte Signale zu beschränken, sondern diese mit der herkömmlichen Kompression für nicht-rauschhafte Signale zu verbinden. Wie für die Rauschsubstitution sei es auch für die Maskierung erforderlich, das gesamte Frequenzband zu unterteilen. Dies könne durch die Verwendung einer adaptiven Transformationscodierung, etwa der modifizierten diskreten Kosinustransformation (MDCT) vervollständigt werden oder durch Verwendung einer Teilband-Filterbank (subband filter bank). Für beide Methoden seien Algorithmen entwickelt worden. Mit MDCT könne eine hohe Kompression erzielt werden, doch erfordere sie eine höhere Rechenleistung als die Teilbandkodierung (S. 595 rechte Spalte, Abschnitt 2).
Wie die oben wiedergegebene Figur 4 veranschauliche, würden bei einer Kombination der Rauschsubstitution mit adaptiver Transformationscodierung rauschhafte Komponenten durch Prädiktion ermittelt. Zur Erhöhung des Kompressionsfaktors würden benachbarte tonale und rauschhafte Frequenzwerte gruppiert. Ein rauschhafter Spektralwert (noisy frequency value), der keine rauschhaften Nachbarn habe, werde als tonal angesehen. Da das Gehör im Frequenzbereich bis 5 kHz Zeitverzögerungen zwischen rechtem und linkem Kanal wahrnehme, sei die Rauschsubstitution auf den Bereich über 5 kHz zu beschränken. Verwende man eine Transformation mit einer Frequenzauflösung von 40 Hz, bedürfe es zudem einer Einhüllenden (envelope) der Zeitstruktur rauschhafter Signalkomponenten. Sodann würden der mittlere Energielevel der verbliebenen Gruppe, ihr Frequenzbereich und ihre Einhüllenden an den Decoder übertragen. Auf diese Weise könne eine weitere Verringerung der Datenmenge um 15 % erzielt werden. Der Nachteil dieser Kombination liege in der erforderlichen hohen Rechenleistung und im Erfordernis der Übermittlung einer Einhüllenden (S. 595/596, Abschnitt 2.1).
Rz. 50
Bei der Kombination von Rauschsubstitution mit adaptiver Subbandcodierung ergebe sich zwar eine etwas geringere Reduzierung der Daten, doch gewinne sie dadurch an Bedeutung, dass sie eine geringere Rechenleistung benötige. Werde Rauschsubstitution mit adaptiver Subbandcodierung kombiniert, habe dies gegenüber einer Kombination mit adaptiver Transformationscodierung viele Vorteile (S. 596, Abschnitt 2.2).
Rz. 51
bb) D1 offenbart danach die Merkmale 11 bis 11.2 und das Merkmal 11.4.
Rz. 52
cc) Hingegen fehlt es an einer Offenbarung der Merkmalsgruppe 11.3.
Rz. 53
D1 sieht vor, dass benachbarte rauschhafte Frequenzbereiche zu Gruppen unterschiedlicher Größe zusammengefasst werden. Ein einzelner rauschhafter Frequenzwert, also ein solcher, der keine entsprechenden Nachbarn hat, werde als tonal behandelt (S. 596 linke Spalte, 2. Absatz). Daraus ergibt sich, wie das Patentgericht unangegriffen festgestellt hat, dass rauschhafte Gruppen von Spektralwerten jeweils mindestens drei unmittelbar benachbarte Spektralwerte erfassen. Im Übrigen erwähnt D1 zwar auch größere Gruppen (larger groups, etwa S. 596 rechte Spalte, 3. Absatz), enthält jedoch keine näheren Angaben zur Größe der Gruppen.
Rz. 54
Wie auch die Berufung nicht verkennt, ist D1 nicht zu entnehmen, wie Gruppen von rauschhaften Spektralwerten signalisiert werden. Entsprechend verhält sich die Entgegenhaltung auch nicht dazu, wie die Gruppierung rauschhafter Spektralwerte mit der Aufteilung des Frequenzbereichs für die tonalen Spektralwerte bei einem Standard mit Transformationscodierung zusammenwirkt.
Rz. 55
c) Ausgehend von diesen Entgegenhaltungen war der Gegenstand von Patentanspruch 11 im Prioritätszeitpunkt nicht nahegelegt.
Rz. 56
aa) Für den Fachmann, der sich im Prioritätszeitpunkt mit der D12 befasste, bestand allerdings Anlass zu prüfen, ob sich die in D1 vorgeschlagene Rauschsubstitution in den Standard einfügen lässt.
Rz. 57
Dem steht nicht entgegen, dass D12 eine Transformationscodierung vorsieht und die Rauschsubstitution bei dieser Form der Audiosignalcodierung nach D1 weniger Vorteile bietet als bei einer Subbandcodierung. Ungeachtet dessen ergab sich aus der in D1 beschriebenen Möglichkeit, erhebliche Datenmengen einzusparen, ein Anreiz zu prüfen, wie eine Rauschsubstitution in den Standard eingebaut werden könnte.
Rz. 58
bb) D1 und D12 vermitteln dem Fachmann jedoch keine Anregung, einer Gruppe von rauschhaften Spektralwerten eine zusätzliche, nicht auf eine Codiertabelle verweisende Codiertabellennummer zuzuweisen, um sie als rauschhaft zu signalisieren, und entsprechend für die Decodierung vorzusehen, dass eine rauschhafte Gruppe von Spektralwerten aufgrund einer solchen zusätzlichen Codiertabellennummer erfasst wird (Merkmal 11.3).
Rz. 59
(1) Das gilt auch dann, wenn zugunsten der Klägerin zugrunde gelegt wird, dass dem Fachmann das Vorhandensein von bislang nicht genutzten Codiertabellennummern in D12 bekannt war.
Rz. 60
Wie oben bereits ausgeführt wurde, sieht D12 die Zuordnung von Codiertabellennummern zur Signalisierung nur für Spektralwerte vor, die zu Skalenfaktorbändern und Abschnitten zusammengefasst sind. Um zum Gegenstand von Patentanspruch 11 zu gelangen, bedurfte es mithin einer Anregung, die in D1 behandelten rauschhaften Spektralwerte gleichermaßen zu gruppieren.
Rz. 61
Eine solche Anregung ergab sich aus D12 nicht, da diese Entgegenhaltung sich nicht mit der Rauschsubstitution befasst. Daran ändert auch der allgemeine Hinweis in Nr. 3.3.4 der D12 nichts, wonach viele Module des Decoders Operationen auf Gruppen von Spektralwerten ausführen, die als Skalenfaktorbänder bezeichnet werden.
Rz. 62
Ohne eine solche Anregung gab es keinen Anlass, für die Signalisierung einer rauschhaften Gruppe von Spektralwerten auf eine der bislang nicht genutzten Huffman-Codiertabellennummern zurückzugreifen.
Rz. 63
(2) Der Hinweis der Berufung auf das Zero-Coding und das Intensity-Stereo-Coding rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Beide knüpfen an eine Zusammenfassung der Spektralwerte zu Skalenfaktorbändern und Abschnitten an.
Rz. 64
Bei der Null-Codierung werden die Spektralwerte entsprechend der üblichen Vorgehensweise zu Abschnitten gruppiert und abschnittsweise codiert. Die Besonderheit besteht lediglich darin, dass die so codierte spektrale Information nicht übertragen wird, weil alle Spektralwerte des Abschnitts den Wert Null aufweisen (D12 S. 40 Abschnitt 4.3, erster Absatz).
Rz. 65
Bei der Intensity-Stereo-Codierung werden die Spektralwerte ebenfalls zunächst zu Skalenfaktorbändern gruppiert. Unter bestimmten Voraussetzungen wird dann für einen Kanal anstelle von Skalenfaktoren ein Stereo-Positionswert (intensity stereo position value) übermittelt (D12 S. 50 Abschnitt 7.3).
Rz. 66
Daraus ergab sich nicht die Anregung, Codiertabellennummern auch für Gruppen einzusetzen, die keiner Codierung unterzogen werden.
Rz. 67
(3) Eine Anregung ergab sich auch nicht aus der D1.
Rz. 68
Nach D1 umfassen Gruppen von rauschhaften Spektralwerten mindestens drei Werte, können aber auch größer sein. Eine Zusammenfassung nach Skalenfaktorbändern oder Abschnitten ist in D1 nicht angesprochen. Entgegen der Auffassung der Klägerin versteht es sich nicht von selbst, rauschhafte Spektralwerte zu Skalenfaktorbändern und Abschnitten zu gruppieren. Denn diese Schritte dienen nach D12 dazu, die Maskierung von Rauschanteilen durch Quantisierung (Abschnitt 6.1) und die Verringerung von Redundanzen durch Codierung (Abschnitt 4.1) vorzubereiten und damit Maßnahmen zu ermöglichen, die bei der in D1 erörterten Rauschsubstitution gerade nicht durchgeführt werden sollen.
Rz. 69
Ob eine abweichende Gruppierung von rauschhaften Spektralwerten und deren Signalisierung zum Prioritätszeitpunkt in Betracht kam, bedarf keiner Entscheidung. Selbst wenn diese Frage zu verneinen wäre, ergäbe sich auch daraus keine Anregung in Richtung auf die vom Streitpatent geschützte Vorgehensweise.
Rz. 70
Gegen die Annahme, es fehle an erfinderischer Tätigkeit, spricht ferner, wie das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat, dass nach der Lehre der D1, die eine Erfassung rauschhafter Spektralwerte nur oberhalb von 5 kHz vorschlägt, mindestens 32 rauschhafte Spektralwerte zusammengefasst werden müssten, um als Abschnitt signalisiert zu werden. Da D1 die Rauschsubstitution zwar nicht für einzelne als rauschhaft erfasste Spektralwerte, aber schon für drei benachbarte rauschhafte Spektralwerte vorsieht, ließ eine Vorgehensweise, bei der die Rauschsubstitution nur für deutlich größere Gruppen rauschhafter Spektralwerte erfolgt, keine erhebliche Datenreduzierung erwarten.
Rz. 71
2. Ob der Bewertung, der Gegenstand von Patentspruch 11 beruhe auf erfinderischer Tätigkeit, darüber hinaus der Umstand entgegensteht, dass D1 die Signalisierung einer Einhüllenden vorsieht, kann mithin offenbleiben.
Rz. 72
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG und § 97 Abs. 1 ZPO.
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Fundstellen
Dokument-Index HI15498359 |