Leitsatz (amtlich)

a) Zur Frage, ob der Geschädigte einen nur möglicherweise haftenden Schädiger dann nicht aufgrund des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB in Anspruch nehmen kann, wenn er gegen einen anderen, dessen Haftung feststeht, einen Ersatzanspruch hat.

b) Erleidet ein bei einem Verkehrsunfall Verletzter auf dem anschließenden Transport zum Krankenhaus erneut einen Verkehrsunfall und läßt sich nicht ermitteln, inwieweit der Schaden von dem einen oder von dem anderen der für die Unfälle Verantwortlichen verursacht worden ist, so haftet jedenfalls der für den ersten Unfall Verantwortliche nach § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB für den gesamten Schaden.

 

Verfahrensgang

OLG Hamm (Entscheidung vom 12.01.1970)

LG Münster

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 12. Januar 1970 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Revision fallen der Beklagtan zur Last.

 

Tatbestand

Am 12. Juli 1965 gegen 14.00 Uhr befuhr die Beklagte mit einem Opel-Personenkraftwagen die Bundesstraße 54 bei Rinkerode. Mit ihr fuhren ihr Sohn und ihre Schwiegertochter, die Eheleute S.. In Höhe des Straßenkilometers 14,2 kam die Beklagte bei dem Versuch, einen Lastkraftwagen zu überholen, zu weit nach rechts und stieß gegen dessen linke Seite. Anschließend geriet der Personenkraftwagen über den linken Fahrbahnrand hinaus und prallte gegen einen Straßenbaum. Frau S., die neben der Beklagten gesessen hatte, wurde erheblich verletzt. Ob auch der Ehemann S., der im Fond des Wagens gesessen hatte, Verletzungen, wenn auch nur leichte davontrug, ist zwischen den Parteien streitig.

Die Eheleute S. wurden an der Unfallstelle von einem Krankenwagen abgeholt. Auf der Fahrt zum Krankenhaus verunglückte der mit Blaulicht und Martinshorn fahrende Krankenwagen. Er stieß 15 Minuten nach dem ersten Unfall und 2,5 km von der ersten Unfallstelle entfernt mit einem entgegenkommenden, bei der Klägerin haftpflichtversicherten Tanklastwagen zusammen, der durch schuldhaft falsche Bremsbetätigung seines Fahrers ins Schleudern gekommen und dadurch über die Fahrbahnmitte geraten war. Der Krankenwagen wurde zur Seite geschleudert und fuhr über den Straßenrand hinweg auf die abfallende Böschung, an deren Fuß er umkippte. Frau S. wurde erneute verletzt. Es ist nicht aufklärbar, welche Verletzungen sie beim ersten und welche sie beim zweiten Unfall erlitten hat. Der Ehemann S. hatte nach diesem Unfall eine große Wunde an der linken Hand sowie Prellungen und Schnittwunden am ganzen Körper.

Die Eheleute S. machten ihre Ansprüche auf Ersatz der bei beiden Unfällen entstandenen Schäden einschließlich Schmerzensgelder gegen Fahrer und Halter des Tanklastwagens gerichtlich geltend. Die Klägerin schloß daraufhin mit den Eheleuten S. einen außergerichtlichen Abfindungsvergleich, aufgrund dessen sie ihnen 13.000 DM zahlte und 1.596,71 DM Kosten übernahm.

Mit der Behauptung, an die AOK B.-W. und für Arztberichte weitere 1.683,40 DM gezahlt zu haben, hat die Klägerin von der Beklagten die Hälfte ihrer Aufwendungen (16.280,11: 2 = 8.140,05 DM) nebst Zinsen erstattet verlangt.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat den Klageanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.

Mit der zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht hat einen gemäß § 67 VVG auf die Klägerin übergegangenen Ausgleichsanspruch aus §§ 426, 840 Abs. 1, 830 Abs. 1 Satz 2 BGB dem Grunde nach bejaht. Es hat festgestellt, es sei nicht zu ermitteln, welche Verletzungen Frau S. bei dem ersten und welche sie bei dem zweiten Unfall davongetragen habe. Ob der Ehemann S. nur bei dem zweiten oder auch schon bei dem ersten Unfall verletzt worden sei, sei streitig. Das Berufungsgericht hat auf diesen Sachverhalt § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB angewendet. Neben dem Fahrer des am zweiten Unfall schuldigen Tanklastwagens sei auch die Beklagte nach § 823 BGB für den entstandenen Schaden verantwortlich.

II.

Dem Standpunkt des Berufungsgerichts ist, jedenfalls im Ergebnis, beizutreten. Auch im vorliegenden Fall ist ein Sachverhalt gegeben, der die Anwendung des Satz 2 in § 830 Abs. 1 BGB rechtfertigt.

1.

Diese Vorschrift ermöglicht es dem Geschädigten, die Beweisschwierigkeiten hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs zwischen seinem Schaden und den unerlaubten (d.h. rechtswidrigen und, soweit das Gesetz dies für eine Haftung voraussetzt, schuldhaften) Handlungen mehrerer Täter zu überwinden, die entstehen, wenn nicht zu ermitteln ist, wer von ihnen der Urheber des Schadens war (RGZ 58, 357; 96, 224; 98, 58), oder wenn zwar feststeht, daß jeder von ihnen an der Verursachung des Schadens beteiligt ist, aber nicht zu ermitteln ist, welcher Anteil des Schadens auf sie entfällt (RGZ 58, 361; 121, 400, 403; BGHZ 25, 271, 274; 33, 286, 290). Der Ersatzanspruch des Geschädigten soll, wenn er immerhin bewiesen hat, daß entweder der eine oder der andere ihm haftet ("alternative Kausalität": vgl. Bydlinski, Juristische Blätter 1959, 1 ff), nicht daran scheitern, daß er nicht auch zu beweisen vermag, wer von ihnen den Schaden ganz oder mit einem unklar gebliebenen Anteil verursacht hat. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats kann sich der Geschädigte auf diese seinen Beweisnotstand behebende Regel nicht nur stützen, wenn die mehreren Täter gleichzeitig, sondern auch dann, wenn sie unabhängig voneinander in zeitlicher Aufeinanderfolge, aber noch im Rahmen eines tatsächlich zusammenhängenden einheitlichen Vorgangs (s.unten 2) gehandelt haben (BGHZ 33, 291; Senatsurteile vom 19. Mai 1967 - VI ZR 167/65 - VersR 1967, 999 und vom 23. September 1969 - VI ZR 37/68 - VersR 1969, 1023). An diesem Standpunkt, dem sich auch das Schrifttum überwiegend angeschlossen hat (Schäfer in Staudinger, BGB 10./11. Aufl., Rdn. 20 und Erman/Drees, BGB 4. Aufl., Rdn. 5 b, beide zu § 830; Larenz, Schuldrecht Bd. II 9. Aufl. S. 457/458), ist festzuhalten.

a)

Allerdings hat Gernhuber (JZ 1961, 148) darauf aufmerksam gemacht, daß in den Fällen, bei denen nicht feststeht, zu welchen Anteilen der Schaden durch die zeitlich aufeinander folgenden Handlungen mehrerer entstanden ist, der zuerst Handelnde auch ohne Zuhilfenahme der Beweiserleichterung des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB in Anspruch genommen werden könne, wenn er den Schaden in vollem Umfange adäquat verursacht habe. Dabei komme dem Geschädigten hinsichtlich der haftungsausfüllenden Kausalität die Vorschrift des § 287 ZPO zugute. Bei solcher Fallgestaltung "mißbrauche" der Geschädigte die Regelung in Satz 2 des § 830 Abs. 1 BGB, wenn er, obschon er einen Anspruch auf vollen Ersatz gegen jenen "Ersttäter" habe, unter Berufung auf diese Beweisregel auch die anderen, später Handelnden in Anspruch nehme. Die Haftung aufgrund der in § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB geregelten alternativen Kausalität sei "subsidiär".

Gegen diese Ansicht hat schon Deubner erhebliche Bedenken vorgebracht. In der Rechtslehre hat sie nur Esser (Schuldrecht Bd. II 3. Aufl. § 112 I 1 b S. 448) aufgegriffen (jetzt auch Köndgen NJW 1970, 2281). Die Rechtsprechung ist ihr bisher nicht gefolgt (vgl. BGHZ 33, 286 und die angeführten Urteile vom 19. Mai 1967 und vom 23. September 1969). Hierzu ist klarzustellen: Die Anwendung des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB gegen mehrere Beteiligte entfällt unter dem geltend gemachten Gesichtspunkt jedenfalls dann nicht, wenn der Geschädigte einen außerhalb des Kreises der "Beteiligten" stehenden Dritten, der an dem die "Haftungsgemeinschaft" des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB begründenden Vorgängen nicht beteiligt war, haftbar machen kann, wie etwa bei Ersatzansprüchen aufgrund eines Vertrages (z.B. Bewachungs- oder Versicherungsverträge und dergl.). Dann wäre zwar jemand zu ermitteln, der dem Geschädigten haftet. Dennoch treten dessen Ansprüche gegen die an dem schädigenden Vorgang durch gemeinsame Gefährdung Beteiligten nicht als "subsidiär" zurück. Im Verhältnis des Geschädigten zu ihnen bleibt es dabei, daß sich, wie es im Gesetz heißt, nicht ermitteln läßt, wer von ihnen den Schaden verursacht hat.

Aber auch wenn lediglich die Verantwortung Mehrerer aus unerlaubter Handlung in Frage steht, kann ein erhebliches Interesse des Geschädigten anzuerkennen sein, auch dann, wenn er gegen einen der mehreren Beteiligten einen Ersatzanspruch hat, daneben den anderen in Anspruch nehmen zu können. Das kommt vor allem in Betracht, wenn Erst-Täter und Zweit-Täter erwiesenermaßen den Geschädigten verletzt haben, der Umfang der dadurch von dem einen oder dem anderen herbeigeführten Schäden unaufklärbar bleibt und der Erst-Täter unter dem Gesichtspunkt der adäquaten Verursachung zwar für den gesamten Schaden rechtlich haftet, aber seiner Person nach nicht mehr festgestellt werden kann (so der Fall BGHZ 33, 286) oder vermögenslos ist (so im Falle des Senatsurteils vom 23. September 1969: § 3 Nr. 6 PflVersG mit § 158 c Abs. 4 VVG). Könnte sich in diesen Fällen der zweite Schädiger, der in einer zur Herbeiführung des Schadens geeigneten Weise in die Rechtssphäre des Verletzten eingegriffen hat, darauf berufen, daß der Schaden möglicherweise bereits durch den ersten Schädiger im Rechtssinne verursacht und zu vertreten sei, und geltend machen, daß der Schädiger diese Möglichkeit ausräumen müsse, so würde das mit dem Sinn des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht zu vereinbaren sein. Der im Bereich der Zurechnung unter dem Gesichtspunkt des Ursachenzusammenhangs entwickelte Rechtssatz, daß ein Schädiger (hier: der erste Schädiger) nicht nur für den von ihm unmittelbar verursachten Schaden haftet, sondern auch für die von einem Dritten (hier: dem zweiten Schädiger) verursachten Schäden, sofern sie als Folgeschäden anzusehen sind, soll die Rechtsstellung des Geschädigten verbessern. Legte man diesen Satz von der Haftung sowohl für die unmittelbar wie für die mittelbar verursachten Schäden auch bei Auslegung des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB zugrunde, so gelangte man bei den in Rede stehenden Fällen zu unangemessenen und dem Villen des Gesetzgebers widersprechenden Ergebnissen. Die Vorschrift ordnet die Haftung mehrerer Beteiligter für den Fall der unwiderlegt bleibenden Möglichkeit an, daß sie alle im natürlichen Sinne als Verursacher des Schadens in Betracht kommen. Dabei geht sie von der Vorstellung aus, daß mit dem Nachweis der Verursachung des gesamten Schadens durch die Handlung eines (oder einiger) der Beteiligten die Möglichkeit einer Verursachung durch die übrigen von selbst ausscheidet. Mithin versteht das Gesetz das alternative Kausalverhältnis der einzelnen Handlungen hier nur in einem natürlichen Sinne. So gesehen enthält das Gesetz eine folgerichtige, mit dem Schadens- und Haftpflichtrecht im Einklang stehende Einschränkung, durch die eine dem geltenden Recht fremde Haftung aus dem früher zuweilen erörterten Gedanken des versare in re illicita ausgeschlossen wird. Legte man der alternativen Kausalität dagegen den Rechtsbegriff des adäquaten Ursachenzusammenhangs in dem erörterten Sinne zugrunde, so bliebe nicht selten trotz Bejahung der adäquaten Verursachung des Schadens durch einen der Beteiligten die Tatsache bestehen, daß die übrigen Beteiligten - alternativ - den Schaden durch ihre Handlungen verursacht haben - so insbesondere, wenn einer der Beteiligten, beispielsweise aufgrund pflichtwidriger Unterlassung, für den gesamten Schaden zu haften hat, während mehrere andere den Schaden tatsächlich, wenn auch zu ungeklärten Anteilen, durch ihre Handlungen herbeigeführt haben. Daß diese anderen infolge "Subsidiarität" des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB in solchen Fällen nicht haften sollten, ist nicht einzusehen.

b)

Indes braucht diese Frage hier nicht für alle in Betracht kommenden Fallgestaltungen behandelt zu werden. Die Revision würde auch dann, wenn man jener Ansicht folgen wollte, keinen Erfolg haben.

Im vorliegenden Fall wird nicht, wie in den bisher entschiedenen Fällen, der zweite Schädiger, sondern der erste in Anspruch genommen. Auch nach der soeben erörterten Ansicht würde die Beklagte haften - dann zwar nicht kraft des aus den §§ 426, 840, 830 Abs. 1 Satz 2 BGB folgenden Ausgleichsanspruchs der Klägerin, sondern, wie sie hilfsweise geltend gemacht hat, aus Geschäftsführung ohne Auftrag, jedenfalls aus ungerechtfertigter Bereicherung. Dann hätte sie nämlich, weil ohne Zuhilfenahme des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB die Haftung des bei ihr versicherten Tankwagenfahrers nicht gegeben war, eine die Beklagte treffende Schuld bezahlt, als sie die Eheleute S. abfand und für sie Zahlungen leistete (vgl. BGH Urteil vom 5. Mai 1969 - VII ZR 176/66 - LM § 812 BGB Nr. 86 - VersR 1969, 641). Hiernach kann für den vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob die Beklagte auch den durch den zweiten Unfall etwa zusätzlich eingetretenen Schaden adäquat verursacht hat, was bezüglich des Ehemannes S. immerhin zweifelhaft sein könnte.

2.

Die Beweisregel des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB kann die Klägerin allerdings nur in Anspruch nehmen, wenn sowohl ihr Versicherungsnehmer - der Fahrer des Tanklastwagens - wie auch die Beklagte an den Verletzungen, die die Eheleute S. erlitten hatten, "beteiligt" waren. Das setzt voraus, daß beide eine unerlaubte Handlung begangen haben (hier: § 823 BGB), daß die eine oder die andere dieser Handlungen den Schaden auch wirklich verursacht hat, die Handlung eines jeden von ihnen den Schaden hätte verursachen können und der wirkliche Urheber der schadenstiftenden Handlung (hier: der Anteil des einzelnen an dem Schaden) nicht ermittelt werden kann (so BGHZ 25, 274 m.w.Nachw.; 33, 292; Senatsurteile vom 19. Februar 1960 - VI ZR 55/59 - VersR 1960, 367 und vom 5. Oktober 1965 - VI ZR 96/64 - VersR 1965, 1198 sowie BGH Urteil vom 6. Juli 1965 - V ZR 61/63 - VersR 1965, 1046). Diese Voraussetzungen sind nach den Feststellungen des Berufungsgerichts gegeben, Insbesondere waren beide Unfälle so seiner, daß jeder von ihnen den Gesamttatbestand der Verletzungen der Eheleute, S. herbeiführen konnte. Allerdings erfordert nach der Rechtsprechung das Zusammentreffen dieser Voraussetzungen außerdem "hotwendig" (so RGZ 58, 361) die Feststellung eines Vorgangs, der sachlich, zeitlich und räumlich die mehreren Handlungen - sowohl untereinander wie mit der alternativ verursachten Schädigung - derart zusammenfaßt, daß sie einen tatsächlich zusammenhängenden Vorgang bilden, an dem jeder mit seiner Gefährdungshandlung, d.h. einer Handlung, die geeignet war, den (gesamten) Schaden herbeizuführen, "beteiligt" ist (vgl. BGHZ 33, 292).

Die Revision meint, im jetzt zu entscheidenden Fall könne der Vorgang, der zu den Verletzungen der Eheleute geführt hat, nicht in diesem Sinne als "einheitlicher" Vorgang angesehen werden. Nun ist zwar richtig, daß er aus zwei Teilen besteht, die sowohl zeitlich, wie vor allem örtlich und auch nach der Art des Geschehens voneinander getrennt sind. Dennoch unterliegt es keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, wenn auch hier das Berufungsgericht die Regel des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB für anwendbar hält.

a)

Das Berufungsgericht geht bei seiner Beurteilung in erster Linie von dem Zweck des Gesetzes, dem Geschädigten die Beweisführung zu erleichtern, aus. Dieser gebiete es, die Gesamtschuldnerhaftung mehrerer Täter dann eingreifen zu lassen, wenn es dem Geschädigten nicht möglich gewesen war, hinsichtlich des Schadensumfangs der einen und der anderen Verletzungstat entweder sofort oder später sichere Feststellungen zu treffen. Ein gewisser örtlicher und zeitlicher Zusammenhang müsse allerdings vorhanden sein; dieser sei hier jedoch noch gewahrt.

Mit diesen Ausführungen hat sich das Berufungsgericht offenbar nicht der im neuen Schrifttum vertretenen, noch weitergehenden Ansicht anschließen wollen, wonach die in § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB geforderte "Beteiligung" der mehreren Täter nicht, wie die Rechtsprechung dies fordert, die Feststellung eines irgendwie gearteten einheitlichen Vorgangs voraussetze, es vielmehr genüge, daß sie an einem Verfahren, nämlich der Auseinandersetzung über die wirkliche Verursachung "beteiligt" seien (so Gernhuber JZ 1961, 152; Deubner NJW 1961, 1013 und JuS 1962, 385; Bydlinski, Probleme der Schadensverursachung 1964, S. 71/72; Esser a.a.O.; Soergel/Zeuner BGB 10. Aufl., § 830 Rdn. 10). Dieser Ansicht wird mit Recht entgegengehalten, daß sie zu uferloser Ausweitung des vom Gesetz bewußt begrenzten Anwendungsbereichs des Satz 2 in § 830 Abs. 1 BGB führt und den Interessen eines Geschädigten in einseitiger Weise Rechnung trägt. Auch bei der alternativen Schadensverursachung sind diese Interessen nicht derart schutzwürdig, daß die den möglichen Schädigern zur Seite stehenden Grundsätze des Haftpflicht-, vor allem des Beweisrechts so stark durchbrochen werden müßten (vgl. Schäfer in Staudinger a.a.O. Rdn. 30; Larenz a.a.O. § 68 I b S. 458 Fn 4). Wenn das Gesetz in § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB dem Geschädigten ausnahmsweise erlaubt, das an sich ihn treffende Beweisrisiko dann auf andere abzuwälzen, wenn sie "alternativ" beteiligt sind, und ihnen den Versuch zu überlassen, im Innenverhältnis ihre anteilige Haftung an dem Schaden zu klären (§§ 840, 426, 254 BGB), so wird nicht auf das Erfordernis verzichtet werden können, daß diese anderen miteinander zu einer Art Haftungsgemeinschaft aufgrund gemeinsamer Gefährdung verbunden sind - wie dies vor allem der Fall ist, wenn sie an einem, insgesamt gesehen, einheitlichen, den Schaden auslösenden Vorgang beteiligt waren.

b)

Der Standpunkt des Berufungsgerichts, auch im vorliegenden Fall sei noch ein einheitlicher, die Anwendung der Beweiserleichterung rechtfertigender Vorgang gegeben, enthält keine unzulässige Ausweitung der oben wiedergegebenen von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze.

Wann die einzelnen Gefährdungshandlungen mehrerer Täter derart sind, daß sie als Teil des Vorgangs erscheinen, der zum Schaden geführt hat, bestimmt sich nach der praktischen Anschauung des täglichen Lebens; dabei ist die Gleichartigkeit der Gefährdung von besonderer Bedeutung (BGHZ 33, 292). Dies kann nur aufgrund der Besonderheiten des jeweiligen Falles beurteilt werden (BGHZ a.a.O.; vgl. BGH Urteil vom 22. Februar 1968 - VII ZR 108/65 - VersR 1968, 493). Hier sind die Verletzungen der Eheleute durch gleichartige Handlungen sowohl der Beklagten wie des Fahrers des Lastzuges entstanden: beide haben durch Unaufmerksamkeit einen Verkehrsunfall verschuldet. Beide Unfälle stehen nicht beziehungslos und zufällig nebeneinander, vielmehr sind sie miteinander verknüpft. Daß sie sich nicht gleichzeitig, sondern nacheinander ereignet haben, ist nicht von wesentlicher Bedeutung; die Länge der zwischen den Gefährdungshandlungen der Mehreren verstrichenen Zeit kann allerdings für die Frage Bedeutung haben, ob es gerade das zeitliche Zusammentreffen der beiden Handlungen war, das die Unaufklärbarkeit der Schadensverursachung mit sich brachte.

Wesentlich ist deshalb, ob es wegen dieses Zusammentreffens dem Kläger nicht gelingt, die Ursächlichkeit der Handlungen dieser Mehreren für seinen Schaden bzw. deren Anteil an ihm aufzuklären (vgl. BGHZ 33, 292), und ob - umgekehrt gesehen - es einem dieser Mehreren gelingen kann, den gegen ihn sprechenden "Kausalitätsverdacht" auszuräumen (RGZ 121, 400, 402). Im vorliegenden Fall besteht jedenfalls ein ausreichender zeitlicher und auch örtlicher Zusammenhang zwischen dem von der Beklagten verschuldeten Unfall und der den Beweisnotstand herbeiführenden Tatsache, daß die dabei (möglicherweise schon) verletzten Eheleute mit dem sofort herbeigerufenen Krankenwagen schleunigst in das nächstgelegene Krankenhaus gebracht werden sollten. Der zweite Unfall ereignete sich bereits, als der Krankenwagen 2,5 km von der ersten Unfallstelle weit gefahren war. In beiden Fällen handelt es sich um Verletzungen durch einen Verkehrsunfall; die Unmöglichkeit, die Ursächlichkeit der Unfallfolgen nachträglich zu klären, beruht nicht zuletzt auf dieser Gleichartigkeit der Ereignisse und der Ähnlichkeit der Folgen, die sowohl bei dem einen wie bei dem anderen Unfall entstanden sein können. Damit aber war es, worauf das Berufungsgericht zutreffend abhebt, den Eheleuten praktisch unmöglich, festzustellen oder feststellen zu lassen, welche Verletzungen sie schon bei dem ersten Unfall davongetragen hatten. Daß sie das nicht noch vor ihrem Abtransport taten, wohl auch nicht konnten, lag auch im Interesse der Beklagten, die auf schnelle Überführung in ein Krankenhaus mehr Wert legen mußte, als auf Feststellung der von ihr verursachten Verletzungen. Die dadurch den Verletzten entstandene Beweisschwierigkeit durfte daher das Berufungsgericht in Anwendung des Satz 2 des § 830 Abs. 1 BGB den Verletzten, hier der Klägerin, abnehmen. Der Billigkeitsgedanke, der gerade auch dieser Beweisregel zugrunde liegt, drängt dahin, das Risiko, den Anteil der Beklagten und des Tankwagenfahrers an den Verletzungen nicht mehr aufklären zu können, nicht die Eheleute, hier also die Klägerin, sondern die Beklagte tragen zu lassen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 3018662

BGHZ 55, 86 - 96

BGHZ, 86

DB 1971, 331-333 (Volltext mit red. LS)

NJW 1971, 506

NJW 1971, 506-509 (Volltext mit amtl. LS)

NJW 1971, 871-872 (Urteilsbesprechung von Referendar Johannes Köndgen)

JZ 1971, 382-384 (Volltext mit amtl. LS)

MDR 1971, 287

MDR 1971, 287-288 (Volltext mit amtl. LS)

VersR 1971, 321-323 (Volltext mit red. LS)

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