Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstellung des berufsgerichtlichen Verfahrens bei fehlendem Eröffnungs- und Verbindungsbeschluß

 

Leitsatz (amtlich)

Stellt sich im berufsgerichtlichen Revisionsrechtszug heraus, daß in einem von mehreren verbundenen Verfahren ein wirksamer Eröffnungsbeschluß und Verbindungsbeschluß fehlt, so ist das berufsgerichtliche Verfahren insoweit einzustellen. Der Grundsatz der Einheitlichkeit der Berufspflichtverletzung steht in diesem Fall der Teileinstellung nicht entgegen.

 

Leitsatz (redaktionell)

Ein innerberuflicher Verstoß eines Steuerberaters ist dann anzunehmen, wenn der Berufsangehörige steuerliche Pflichten verletzt, die ihn als solchen treffen und auf beruflichen Vorgängen. Dies trifft für die Hinterziehung von Umsatzsteuer aus der Praxistätigkeit zu.

 

Normenkette

StBerG § 89 Abs. 1, § 118

 

Verfahrensgang

OLG Düsseldorf (Urteil vom 10.07.1986; Aktenzeichen 4 StO 2/86)

LG Münster (Entscheidung vom 02.01.1985; Aktenzeichen 7a StL 25/85)

 

Tatbestand

I. 1. Der Betroffene bestand am 18. Mai 1971 die Steuerbevollmächtigtenprüfung und wurde durch Aushändigung der Urkunde vom selben Tage zum Steuerbevollmächtigten bestellt. Bis 1974 war er als Angestellter bei einem Steuerbevollmächtigten tätig. Am 1. Juli 1974 eröffnete er in Recklinghausen eine eigene Praxis. Nachdem er am 5. Juli 1977 die Steuerberaterprüfung bestanden hatte, wurde er am 25. August 1977 zum Steuerberater bestellt.

2. Am 7. November 1979 erteilte der Vorstand der Steuerberaterkammer Westfalen-Lippe dem Steuerberater eine Rüge, weil er Auskunftsersuchen der Kammer vom 13. August und 24. September 1979 bezüglich einer Mandantenbeschwerde nicht beantwortet hatte.

Durch Urteil vom 20. November 1981 verhängte die Kammer für Steuerberater- und Steuerbevollmächtigtensachen des Landgerichts Münster gegen den zur Hauptverhandlung nicht erschienenen Steuerberater einen Verweis und eine Geldbuße von 500 DM, weil er Umsatz- und Einkommensteuererklärungen eines Mandanten nicht auftragsgemäß abgegeben und nach Mandatsbeendigung die Unterlagen nicht herausgegeben sowie Auskunftsersuchen der Berufskammer vom 4. und 24. November 1980 nicht beantwortet hatte.

Durch Urteil der Kammer für Steuerberater- und Steuerbevollmächtigtensachen des Landgerichts Münster vom 4. Oktober 1983 wurde der Steuerberater wegen nicht gewissenhafter Berufsausübung durch unzulängliche Betreuung eines Mandats sowie Nichtbeantwortung von Auskunftsersuchen der Berufskammer vom 17. Februar und 24. März 1983 mit einem Verweis belegt und zur Zahlung einer Geldbuße in Höhe von 1.000,– DM verurteilt. Die nicht näher begründete Berufung des Steuerberaters, der zur Hauptverhandlung nicht erschien, wurde durch Urteil des Senats für Steuerberater- und Steuerbevollmächtigtensachen beim Oberlandesgericht Düsseldorf vom 22. Februar 1984 verworfen. In den Gründen dieses – ihm am 13. März 1984 zugestellten – Urteils wurde der Steuerberater darauf hingewiesen, daß bei weiteren erheblichen Verstößen gegen seine Berufspflichten die Ausschließung aus dem Beruf in Betracht komme.

Durch Urteil der Kammer für Steuerberater- und Steuerbevollmächtigtensachen des Landgerichts Münster vom 22. November 1984 wurde der Steuerberater erneut mit einem Verweis belegt und zu einer Geldbuße von 5.000 DM verurteilt, weil er sich durch Nichtabgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen für den Zeitraum vom 1. Januar 1982 bis zum 31. Mai 1983 der Umsatzsteuerhinterziehung in Höhe eines Betrages von 15.060 DM schuldig gemacht und dadurch seine Pflicht zur gewissenhaften Berufsausübung nach § 57 StBerG verletzt hatte. In diesem Urteil wurde der Steuerberater erneut darauf hingewiesen, daß bei weiterem Versagen seine Ausschließung aus dem Beruf nicht mehr zu umgehen sein werde; das seit Jahren zu beobachtende Fehlverhalten lege nach Ansicht der Kammer einen Ausschluß aus dem Beruf nahe; von dieser Maßnahme werde nur deshalb abgesehen, weil das zu ahndende Versagen vor der letzten Verurteilung vom 4. Oktober 1983 liege. Wegen dieser Steuerhinterziehung war der Steuerberater durch Strafbefehl des Amtsgerichts Bochum vom 5. Dezember 1983 zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 100 DM verurteilt worden. Sein hiergegen eingelegter Einspruch wurde durch Urteil vom 17. Januar 1984 verworfen, nachdem er zur Hauptverhandlung nicht erschienen war.

3. Das Amtsgericht Bochum verurteilte den Steuerberater am 24. Januar 1985 wegen Steuerhinterziehung zu 5 Monaten Freiheitsstrafe, die es zur Bewährung aussetzte. Der Steuerberater hatte auch für den Zeitraum von Januar bis einschließlich Juni 1984 keine Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben, obwohl er steuerpflichtige Umsätze erzielt hatte. Erst nach Einleitung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens reichte er am 17. September 1984 die fehlenden Voranmeldungen nachträglich beim Finanzamt ein. Daraus ergab sich eine geschuldete Umsatzsteuer für den genannten Zeitraum von 4.893,– DM. Die Kammer für Steuerberater- und Steuerbevollmächtigtensachen beim Landgericht Münster eröffnete wegen dieses Sachverhalts auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft durch Beschluß vom 13. September 1985 das Hauptverfahren (7 a StL 17/85).

Wegen nicht gewissenhafter Berufsausübung zum Nachteil seiner Auftraggeberin J. S. GmbH eröffnete dieselbe Kammer auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft durch Beschluß vom 15. November 1985 ebenfalls das Hauptverfahren (7 a StL 23/85) und verband gleichzeitig dieses Verfahren mit dem vorgenannten.

Wegen nicht gewissenhafter Berufsausübung zum Nachteil seiner Auftraggeberin L. beantragte die Generalstaatsanwaltschaft in Düsseldorf am 2. Dezember 1985 ebenfalls die Eröffnung des Hauptverfahrens. Der in den Akten befindliche Eröffnungsbeschluß vom 23. Dezember 1985 (7 a StL 25/85), mit dem gleichzeitig diese Sache mit den beiden vorgenannten verbunden wurde, trägt nur die Unterschriften des Vorsitzenden und eines Beisitzers (Bl. II 17 d.A.).

Die Kammer für Steuerberater- und Steuerbevollmächtigtensachen des Landgerichts Münster sprach den Steuerberater durch Urteil vom 2. Januar 1986 der ihm zur Last gelegten Berufspflichtverletzungen schuldig und schloß ihn aus dem Beruf aus.

Der Steuerberater legte gegen dieses Urteil Berufung ein. Der Senat für Steuerberater- und Steuerbevollmächtigtensachen beim Oberlandesgericht Düsseldorf beschränkte in der Hauptverhandlung vom 8. und 10. Juli 1986 die Verfolgung gemäß § 153 StBerG i.V.m. § 154 a StPO auf die dem Steuerberater in den Ursprungsverfahren 7 a StL 17/85 (Steuerhinterziehung) und 7 a StL 25/85 (L.) zur Last gelegten Berufspflichtverletzungen; sodann verwarf er die Berufung als unbegründet.

Gegen dieses Urteil hat der Steuerberater Revision eingelegt.

 

Entscheidungsgründe

II. Auf die Revision des Steuerberaters war das Verfahren teilweise einzustellen sowie das Berufungsurteil im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben.

1. Soweit das Verfahren Berufspflichtverletzungen des Steuerberaters zum Nachteil seiner Mandantin L. betrifft, ist das Verfahren einzustellen, weil es an einer Prozeßvoraussetzung fehlt. Der Eröffnungsbeschluß vom 23. Dezember 1985, der diesen Teil des Verfahrensgegenstandes betrifft, ist unwirksam; dies ist von Amts wegen zu beachten (BGH NStZ 1986, 276 Nr. 13; Treier KK-StPO § 207 Rn. 17).

Der Eröffnungsbeschluß vom 23. Dezember 1985 ist nur von zwei Richtern unterschrieben. Ob schon allein aus diesem Grunde von seiner Unwirksamkeit auszugehen ist, weil – wie der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofes (Urteil vom 1. März 1977 – 1 StR 771/76 –) annimmt – zu den wesentlichen Förmlichkeiten des Eröffnungsbeschlusses die schriftliche Abfassung und die Unterzeichnung durch die mitwirkenden Richter gehört (vgl. BGH StV 1981, 329; ebenso Treier aaO § 203 Rn. 4), kann hier dahinstehen.

Nach dem Inhalt der von den Mitgliedern der Kammer für Steuerberater- und Steuerbevollmächtigtensachen abgegebenen dienstlichen Äußerungen kann nicht davon ausgegangen werden, daß ein wirksamer Eröffnungsbeschluß nach Beratung der Kammer erlassen und lediglich unvollständig unterzeichnet worden ist (BGHSt 10, 278, 279). Die Mitglieder der Kammer konnten sich nicht erinnern, ob über die Zulassung dieser Anschuldigung mündlich beraten worden und nur die Unterzeichnung durch einen Beisitzer versehentlich unterblieben sei. Der Vorsitzende hat ausdrücklich die Möglichkeit eingeräumt, daß der Beschluß im Umlaufverfahren habe gefaßt werden sollen und ein Beisitzer versehentlich nicht an der Beschlußfassung beteiligt worden sei. Die dienstliche Äußerung des Richters am Landgericht K. läßt zwar scheinbar die Möglichkeit offen, daß über die Eröffnung des Hauptverfahrens in der Sache 7 a StL 25/85 nicht „gesondert”, sondern zusammen mit den beiden schon vorher zur Kammer gelangten Sachen gegen den Steuerberater beraten worden ist. Dem steht aber entgegen, daß in der Sache 7 a StL 25/85 die Anschuldigungsschrift erst am 2. Dezember 1985 zum Landgericht gelangt ist, nachdem in den beiden anderen Sachen die Anschuldigung bereits durch Beschlüsse vom 13. September und 15. November 1985 zur Hauptverhandlung zugelassen worden war. Bei dem von dem Richter am Landgericht K. beschriebenen Vorgang kann es sich daher allenfalls darum gehandelt haben, daß die Mitglieder der Kammer sich gesprächsweise über die Eröffnung auch dieses Hauptverfahrens einig waren; dies ersetzt jedoch eine ordnungsgemäße Beschlußfassung nicht (BGH StV 1981, 329; 1983, 318).

Der Mangel dieser Verfahrensvoraussetzung führt zur (Teil-) Einstellung des Verfahrens (BGH StV 1981, 329); eine Zurückverweisung kommt insoweit nicht in Betracht, zumal in der erneuten Berufungshauptverhandlung der fehlende Eröffnungsbeschluß nicht mehr nachgeholt werden kann (BGH NJW 1985, 1720).

Der Teileinstellung steht im berufsgerichtlichen Verfahren auch nicht der Grundsatz der Einheitlichkeit der Berufspflichtverletzung entgegen. Dieser Grundsatz verbietet zwar einen Teilfreispruch (BGHSt 16, 237, 240). Für die Teileinstellung des Verfahrens wegen Fehlens einer wirksamen Eröffnung des Hauptverfahrens kann aber nicht das gleiche gelten. Die Einheitlichkeit der zu beurteilenden Berufspflichtverletzung wird durch die zur Hauptverhandlung zugelassene Anschuldigung und einen etwaigen Verbindungsbeschluß begründet (BGHSt 24, 81, 88; Gehre, StBerG, § 89 Rn. 12). Fehlt es für einen Teil des Verfahrensgegenstandes an einer wirksamen Eröffnung des Hauptverfahrens, so gibt es insoweit auch keine einheitlich zu beurteilende Berufspflichtverletzung. Im übrigen dient die Teileinstellung dazu deutlich zu machen, daß es der Staatsanwaltschaft freisteht, wegen dieses Teils des Verfahrensgegenstandes erneut die Eröffnung des Hauptverfahrens zu beantragen.

2. Das Revisionsvorbringen deckt keine Rechtsfehler zum Nachteil des Steuerberaters auf.

a) Die Beschränkung der Verfolgung auf die dem Steuerberater in den Verfahren 7 a StL 17/85 und 7 a StL 25/85 zur Last gelegten Berufspflichtverletzungen kann mit der Revision nicht gerügt werden.

b) Zutreffend hat das Berufungsgericht die Umsatzsteuerhinterziehung des Steuerberaters als Verletzung beruflicher Pflichten nach § 57 Abs. 1 StBerG angesehen.

Verletzt der Steuerberater Pflichten, die ihm kraft seines Berufes obliegen oder die sich sonst auf seinen Beruf beziehen, so ist § 89 Abs. 1 StBerG anzuwenden. Nur dann liegt ein außerberufliches Verhalten vor, wenn es als das eines Privatmannes anzusehen ist. Mit dieser Abgrenzung befindet der Senat sich in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur entsprechenden Problematik bei den Beamten (BVerwGE 33, 199, 281) und des Senats für Anwaltssachen bei den Rechtsanwälten (BGHSt 28, 158).

Nach diesen Grundsätzen ist ein innerberuflicher Verstoß dann anzunehmen, wenn der Berufsangehörige steuerliche Pflichten verletzt, die ihn als solchen treffen und auf beruflichen Vorgängen beruhen (BGHSt 29, 97, 98). Dies trifft hier für die Umsatzsteuer aus der Praxistätigkeit zu.

3. Im Hinblick auf die Verringerung des Schuldumfangs durch die Teileinstellung des Verfahrens kann der Rechtsfolgenausspruch keinen Bestand haben. Das Berufungsurteil ist daher insoweit aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an einen anderen Senat für Steuerberater- und Steuerbevollmächtigtensachen des Berufungsgerichts zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1974807

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