Tenor
Die Berufung gegen das Urteil des 1. Senats (Nichtigkeitssenats I) des Bundespatentgerichts vom 24. Oktober 1995 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 24. Oktober 1984 unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 5. Januar 1984 angemeldeten europäischen Patents 0 149 734 (Streitpatent), das auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilt worden ist. Das in deutscher Sprache abgefaßte Streitpatent betrifft eine Kokille zum Stranggießen von Stahlband und umfaßt zehn Vorrichtungsansprüche und einen Verfahrensanspruch. Die Patentansprüche 1 und 11 haben folgenden Wortlaut:
1. Kokille zum Stranggießen von Stahlband, mit gekühlten Breitseitenwänden und Schmalseitenwänden, wobei die Breitseitenwände einen, nur auf einen Teil der Kokillenhöhe beschränkten, trichterförmigen Eingießbereich bilden, der zu den Schmalseiten und in Gießrichtung auf das Format des gegossenen Bandes reduziert ist,
dadurch gekennzeichnet,
daß die Breitseitenwände (1, 2) seitlich des trichterförmigen Eingießbereichs (9) in einem der Banddicke (d) entsprechenden Abstand parallel bis zu der jeweiligen Schmalseitenwand (3, 4) unter Bildung eines jeweils vom Eingießbereich (9) ausgehenden Parallelbereichs verlaufen.
11. Verfahren zum Gießen von Stahlbändern mit weniger als 60 mm Dicke in einer Stranggießkokille nach einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 10, dadurch gekennzeichnet,
daß die Abkühlgeschwindigkeit in der Kokille und Abzugsgeschwindigkeit derart bemessen sind, daß die Strangschale (12) am Ende des trichterförmigen Eingießbereichs (9) dünner als 6 mm ist, wobei die Abzugsgeschwindigkeit mindestens 3 m/min, vorzugsweise 4-6m/min beträgt.
Die Klägerin hat die Nichtigerklärung des Streitpatents beantragt. Sie ist der Auffassung, die Patentansprüche enthielten unklare und unzureichende Angaben, so daß der Fachmann die Erfindung nicht ausführen könne. Darüber hinaus sei die Lehre des Streitpatents nicht neu, weil der Fachmann die durch das Streitpatent geschützte Gestaltung der Kokille ohne weiteres aus der deutschen Patentschrift 887 990 und dem sowjetischen Erfinderschein 143 215 habe entnehmen können. Jedenfalls aber beruhe die Lehre des Streitpatents angesichts des vorbekannten druckschriftlichen Standes der Technik nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
Die Beklagte hat die Abweisung der Nichtigkeitsklage beantragt. Die Lehre des Streitpatents sei für den Fachmann ausführbar und werde mit großem wirtschaftlichen Erfolg angewandt. Die Erwägungen der Klägerin zu der behaupteten mangelnden Neuheit und zur angeblich fehlenden erfinderischen Tätigkeit der Lehre des Streitpatents beruhten auf einer patentrechtlich unzulässigen rückschauenden Betrachtung in Kenntnis der Lehre des Streitpatents; das gelte insbesondere für das, was für den Fachmann nach Ansicht der Klägerin der deutschen Patentschrift 887 990 und dem sowjetischen Erfinderschein 143 215 angeblich zu entnehmen sei. Die Lehre des Streitpatents beruhe auf erfinderischer Tätigkeit. Sie habe zu einem in der Fachwelt anerkannten Durchbruch beim Stranggießen von Dünnbrammen geführt.
Das Bundespatentgericht hat die Nichtigkeitsklage abgewiesen.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung, mit der sie ihren Antrag auf Nichtigerklärung des Streitpatents weiterverfolgt.
Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung. Hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent mit am 15. Dezember 1998 eingereichten Hilfsansprüchen, wegen deren Formulierung auf das Sitzungsprotokoll nebst Anlagen Bezug genommen wird.
Als gerichtlicher Sachverständiger hat Herr Prof. Dr. Dr. E.h. K. B. ein schriftliches Gutachten erstellt, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert, erweitert und vertieft hat.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.
Die Lehre des Streitpatents ist in der Streitpatentschrift so deutlich offenbart, daß der Fachmann des Prioritätstages sie ausführen konnte. Der hier maßgebliche Durchschnittsfachmann ist in der Regel ein an einer Technischen Hochschule oder Technischen Universität ausgebildeter Eisenhüttenmann (Dipl.-Ing.), der über spezielle Kenntnisse oder Berufserfahrungen auf dem Gebiet des Stranggießens von Stahl und der Konstruktion von Stranggußkokillen verfügt und der erforderlichenfalls weitere Fachleute (Metallurgen, Physiker, Chemiker, Verfahrenstechniker, Maschinenbauingenieure usw.) für Spezialfragen heranzieht. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist die Lehre des Streitpatents neu. Es läßt sich nicht feststellen, daß ein Fachmann durchschnittlichen Könnens sie am Prioritätstag ohne erfinderische Tätigkeit auffinden konnte.
I. Die Erfindung nach dem Streitpatent betrifft eine Kokille zum Stranggießen von Stahlband. In der Streitpatentschrift ist ausgeführt, aus der deutschen Patentschrift 887 990 sei eine Kokille zum Stranggießen von Stahlband mit gekühlten Breitseitenwänden und Schmalseitenwänden bekannt, wobei die Breitseitenwände einen Eingießbereich bildeten, der nur auf einen Teil der Kokillenhöhe beschränkt und trichterförmig ausgebildet sei. Der Eingießbereich sei bei dieser Kokille zu den Schmalseiten hin und in Gießrichtung auf das Format des gegossenen Bandes reduziert.
Bei dieser bekannten Kokillenform sei nachteilig, daß die sich im trichterförmigen Bereich bildende Strangschale beim Ausfördern in der Kokille verklemme, was zum Abreißen der Strangschale führe (Sp. 1 Z. 11-15). Als Ursache dieses zum Abreißen des Gießstranges führenden Verklemmens wird in der Streitpatentschrift das trapezförmige Erstarren der Strangschale im Bereich der Schmalseitenwände angeführt (Sp. 1 Z. 21-26).
Das Streitpatent will demgegenüber eine funktionsfähige und betriebssichere Kokille bereitstellen, mit der Stahlbänder wirtschaftlich sowie mit fehlerfreiem Gefüge und hoher Oberflächengüte gegossen werden können. Außerdem soll eine Breitenveränderung des Gußformates ermöglicht werden (Sp. 1 Z. 16-21).
Als Lösung schlägt das Streitpatent in seinem Patentanspruch 1 vor, die bekannte Kokillenform so abzuwandeln, daß die Breitseitenwände seitlich des trichterförmigen Eingießbereichs parallel bis zur jeweiligen Schmalseitenwand in einem der Banddicke entsprechenden Abstand verlaufen und dabei jeweils einen vom Eingießbereich ausgehenden Parallelbereich bilden.
Durch diese Gestaltung der Kokille werde ein wegen der geneigten Seitenwände bei der bekannten Kokille eintretendes trapezförmiges Erstarren vermieden, die Strangschalenbildung im Parallelbereich könne nicht zum Verklemmen führen.
Darüber hinaus sieht Patentanspruch 9 eine Breitseitenveränderung durch Verstellen der Schmalseitenwände vor. Dies soll gemäß dem Ausführungsbeispiel (vgl. Fig. 1 u. 2) durch Spindeln 8 geschehen, mit denen die Schmalseitenbereiche zur Veränderung der Formatbreite im Parallelbereich der Breitseitenwände verstellt (verschoben) werden können (vgl. Sp. 2 Z. 2-4 u. Z. 34-37).
Die in Patentanspruch 1 unter Schutz gestellte Kokille zum Stranggießen von Stahlband weist folgende Merkmale auf:
- Die Kokille besitzt gekühlte Breitseitenwände 1, 2 sowie gekühlte Schmalseitenwände 3, 4.
Die Breitseitenwände 1, 2 bilden einen Eingießbereich 9, der
- auf einen Teil der Kokillenhöhe beschränkt ist,
- trichterförmig ausgebildet ist und
- zu den Schmalseiten und in Gießrichtung auf das Format des gegossenen Bandes reduziert ist.
– Oberbegriff –
Seitlich des trichterförmigen Eingießbereichs 9 verlaufen die Breitseitenwände 1, 2
- parallel
- bis zur jeweiligen Schmalseitenwand 3, 4
- in einem der Banddicke d entsprechenden Abstand
- unter Bildung eines jeweils vom Eingießbereich 9 ausgehenden Parallelbereichs.
– kennzeichender Teil –
Im Hinblick auf den Streit der Parteien über das Verständnis des kennzeichnenden Teils des Patentanspruchs 1 sind folgende Bemerkungen veranlaßt. Merkmal 3, wonach die Breitseitenwände 1, 2 seitlich des trichterförmigen Eingießbereichs 9 parallel bis zur jeweiligen Schmalseitenwand 3, 4 verlaufen sollen, bezieht sich auf die Form der Kokille und nicht auf den Gießspiegel. Dies bedeutet, daß die patentgemäße Kokille seitlich des trichterförmigen Eingießbereichs auch oberhalb des Gießspiegels zur jeweiligen Schmalseitenwand 3, 4 hin parallel verlaufende Breitseitenwände 1, 2 aufweisen muß, wie dies auch in Fig. 1 des Streitpatents dargestellt ist. Der gerichtliche Sachverständige hat zwar ausgeführt, daß es technisch allein auf die seitliche Parallelführung bis zur Höhe des Gießspiegels ankomme, eine Parallelführung oberhalb des Gießspiegels sei technisch nicht erforderlich. Diese Aussage des gerichtlichen Sachverständigen ändert indes nichts daran, daß der Anspruchswortlaut nicht auf den Gießspiegel, sondern die äußere Form der Kokille abstellt. Das ist nicht zufällig, denn an keiner Stelle der Streitpatentschrift findet sich eine Aussage über die Höhe des Gießspiegels, wohingegen in den Figuren (vgl. insbesondere die Draufsicht in Fig. 1 in Verbindung mit Fig. 2) dargestellt ist, daß sich die Parallelführung der Breitseitenwände seitlich des trichterförmigen Eingießbereichs über die gesamte Höhe der Kokille, also bis zum oberen Rand hin, erstreckt. Im übrigen ist dies schon mit Rücksicht auf die Verstellbarkeit der Schmalseitenwände (vgl. Unteranspruch 9) erforderlich. Abgesehen davon, daß die Höhe des Gießspiegels in der Streitpatentschrift nicht definiert ist, ist der Gießspiegel nach der Angabe des gerichtlichen Sachverständigen Schwankungen unterworfen. Er befindet sich während des Stranggießens nicht immer an derselben Stelle der Kokille, sondern hebt und senkt sich, wobei das Metall des Gießspiegels zudem mit Gießpulver abgedeckt ist.
Aus alledem folgt, daß die Parallelführung der Breitseitenwände seitlich des trichterförmigen Eingießbereichs nach Patentanspruch 1 über die gesamte Kokillenhöhe und nicht nur bis zur Höhe des (wechselnden) Gießspiegels reichen muß.
II. 1. Zur Ausführbarkeit hat das Bundespatentgericht mit Recht dargelegt, daß es nicht erforderlich ist, die Erfindung im Patentanspruch oder in den Patentansprüchen in allen Einzelheiten so umfassend zu beschreiben, daß sich daraus für den Fachmann eine vollständige Handlungsanweisung ergibt, die es ihm ermöglicht, die Erfindung allein aufgrund der Angaben in den Patentansprüchen auszuführen. Sowohl die §§ 21 Abs. 1 Nr. 2, 22 PatG als auch die Art. 100 lit. b, 138 Abs. 1 lit. b EPÜ stellen insoweit nicht auf die Patentansprüche, sondern auf das Patent, das heißt auf die Patentansprüche, die Patentbeschreibung und die Patentzeichnungen ab. Das dem Fachmann aufgrund seines Fachwissens Selbstverständliche muß dabei in der Patentbeschreibung nicht zusätzlich ausgebreitet werden (vgl. BGH, Urt. v. 08.12.1983 - X ZR 15/82, GRUR 1984, 272, 273 r. Sp. - Isolierglasscheibenrandfugenfüllvorrichtung).
Mit Recht hat das Bundespatentgericht ausgeführt, daß der Fachmann den geeigneten Umformwinkel beim Übergang des trichterförmigen Eingießbereichs auf das Rechteckformat, die geeignete Dimensionierung des in Patentanspruch 1 als „trichterförmig” beschriebenen Eingießbereichs, die Art der Schmierung (durch Gießpulver) sowie die Abstimmung des Eingießbereichs auf Abzugs- und Kühlgeschwindigkeit aufgrund seines allgemeinen Fachwissens unter Heranziehung der Angaben in der Patentbeschreibung und der Zeichnungen ohne weiteres ermitteln kann.
2. Die Klägerin macht weiter geltend, die in Patentanspruch 1 des Streitpatents unter Schutz gestellte Kokille sei nicht neu.
Insoweit trägt sie vor, die in Patentanspruch 1 beschriebene Kokille sei bereits durch die deutsche Patentschrift 887 990 neuheitsschädlich vorweggenommen. Nach Auffassung der Klägerin soll der Fachmann dieser Schrift eine dort nicht dargestellte Kokillenform entnehmen können, bei der die Breitseiten in der Mitte trichterförmig erweitert sind, sich auf die Schmalseiten zu jedoch parallel gegenüberstehen (vgl. Anl. A, GA I, 52). Diese in der deutschen Patentschrift 887 990 nicht dargestellte Kokillenform leitet die Klägerin daraus ab, daß in der Beschreibung und den Patentansprüchen davon die Rede ist, daß sich die Seitenwände des oberen Kokillenteils „trichterförmig” erweitern. Ein Trichter sei ein räumliches Gebilde, das sich von oben nach unten allseitig verjünge. Verbinde man diese Grundvorstellung eines Trichters mit der weiteren Aussage dieser vorveröffentlichten Patentschrift, daß die Stirnwände 6 und 7 von oben nach unten mit gleichbleibender Breite parallel verlaufen und die Seitenwände 3 und 4 an den Enden zusammenlaufen, dann gelange man zwangsläufig zu einer Ausführungsform, bei der sich die Seitenwände 3 und 4 im Anschluß an die trichterförmige Öffnung zu den Stirnseiten 6 und 7 hin parallel gegenüberständen. Damit sei die Kokillenform des Patentanspruchs 1 des Streitpatents vollständig vorweggenommen.
Dieser Auffassung der Klägerin vermag der Senat nicht beizutreten.
An keiner Stelle der deutschen Patentschrift 887 990 ist beschrieben, wie die als „trichterförmig” bezeichnete erweiterte „Kammer 5” ausgestaltet sein soll. Aus Fig. 1 in Verbindung mit der Beschreibung (vgl. S. 1 Z. 19-20, S. 2 Z. 22-23; Anspruch 1 S. 2 Z. 118-119) ist als konkrete Gestaltung lediglich eine in Draufsicht (vgl. Fig. 1) rautenförmig erweiterte Eingießöffnung zu erkennen, die sich nach unten zu parallel geführten Seitenwänden 3, 4 verjüngt. Auch Fig. 2 gibt über die Gestaltung der „trichterförmigen” Erweiterung keinen Aufschluß, weil insoweit nur ein Schnitt entlang der Mittellinie (2-2) der Fig. 1 dargestellt ist. Damit ist auch für das Ausführungsbeispiel offen, ob sich für die seitlichen Bereiche der Seitenwände 1 und 2 derselbe Neigungswinkel ergibt wie in der Mitte (vgl. Schnitt 2-2 in Fig. 1, Fig. 2) mit der Folge, daß die Reduktion der Kokille auf die Endbreite (d.h. die Banddicke des unten aus dem Parallelbereich der Seitenwände der Kokille abgezogenen Stahlbandes) in der Mitte später erfolgt, als im seitlichen Bereich. Es ist mithin offen, ob die Reduktion der in Draufsicht (vgl. Fig. 1) rautenförmigen Erweiterung des Eingießbereichs über die gesamte Breite der Kokille auf derselben Höhenlinie endet und dort in den Parallelbereich übergeht. Es ist weiter offen, ob es noch andere Möglichkeiten gibt, etwa diejenige, die der Privatgutachter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat.
Wie der gerichtliche Sachverständige ausgeführt hat, ist die für den Durchschnittsfachmann aufgrund der Beschreibung und der Zeichnungen nächstliegende Vorstellung die einer „aufgesetzten Tasche”, d.h. die Vorstellung, daß der gesamte unterhalb der Ecken 10 befindliche Teil der Kokille eine rechteckförmige Gestaltung mit parallelen Breitseitenwänden und der gesamte oberhalb der Ecken 10 befindliche Teil der Kokille eine davon abweichende Gestaltung mit nicht parallelen Breitseitenwänden aufweist. Allerdings wird der die Patentschrift 887 990 aufmerksam studierende Fachmann nach der Auffassung des gerichtlichen Sachverständigen andere Gestaltungen der „trichterförmigen” Erweiterung und folglich des Überganges in den Parallelbereich nicht ausschließen.
Für die Beantwortung der Neuheitsfrage kann unentschieden bleiben, welcher der dargestellten Vorstellungen über die Ausgestaltung der „trichterförmigen” Erweiterung man folgen will. Denn in keinem Fall reicht der Parallelbereich der Seitenwände 1 und 2 seitlich bis zum oberen Rand der Kokille, wie dies nach der Lehre des Anspruchs 1 der Streitpatentschrift erforderlich ist (vgl. die Darstellung in Fig. 1 der Streitpatentschrift). Es ist eindeutig – und der gerichtliche Sachverständige hat dies bestätigt –, daß sich an keiner Stelle der deutschen Patentschrift 887 990 ein Hinweis auf parallele, bis zum oberen Kokillenrand reichende Breitseitenwände seitlich des trichterförmigen Eingießenbereichs 5 findet. Das einzige Ausführungsbeispiel (vgl. Fig. 1) zeigt eine solche Gestaltung der Kokille gerade nicht.
Dies trifft auch auf die Kokille nach dem sowjetischen Erfinderschein 143 215 zu, die dem Gegenstand des Streitpatents schon deshalb ferner steht, weil sie nicht der Herstellung von Dünnbrammen dient, wie die Angabe auf S. 2 unten der Übersetzung belegt, wo von einem Brammenquerschnitt von 640 × 150 mm die Rede ist. In dem sowjetischen Erfinderschein sind zwei unterschiedliche Kokillenformen (vgl. Fig. 1 und 2) zeichnerisch dargestellt, bei denen die Breitseitenwände über die Höhe der Kokille mit veränderlicher Konvexität oder Konkavität ausgebildet sind. Die Fig. 2 zeigt einen konvexen Eingießbereich, der bis an die Stirnseiten der Kokille heranreicht, die Fig. 1 zeigt ein konkaves Profil der Breitseiten. Die erfindungsgemäßen Parallelbereiche im Kokillenendbereich (d.h. auf die Stirnseiten zu) sind damit gerade nicht verwirklicht. So sieht das auch die Klägerin. Soweit sie schriftsätzlich die Auffassung vertreten hat, der Beschreibung sei eine dritte, zeichnerisch nicht dargestellte Kokillenform zu entnehmen (vgl. dazu die zeichnerische Darstellung GA I 54) – was mehr als zweifelhaft ist –, hat sie in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, daß auch diese Kokillenform derjenigen nach dem Streitpatent ferner stehe, als die in der deutschen Patentschrift 887 990 offenbarte. Auch die nach der Behauptung der Klägerin dem sowjetischen Erfinderschein zu entnehmende, nicht dargestellte dritte Kokillenform weist keinen bis zum oberen Kokillenrand reichenden Parallelbereich der Breitseitenwände auf. Die Kokille nach dem sowjetischen Erfinderschein 143 215 ist in der mündlichen Verhandlung deshalb nicht mehr Gegenstand der Diskussion gewesen, die Klägerin hat sich mit Recht auf die dem Gegenstand des Streitpatents am nächsten kommende Kokille nach der deutschen Patentschrift 887 990 konzentriert.
3. Es stellt sich mithin die Frage, ob der Durchschnittsfachmann des Prioritätstages die Lehre des Streitpatents aus dem Stand der Technik unter Einsatz seines Fachwissens ohne erfinderische Tätigkeit auffinden konnte. Dies vermag der Senat nicht festzustellen.
a) Wie bereits zur Neuheit ausgeführt ist, enthält die der Lehre des Streitpatents am nächsten kommende deutsche Patentschrift 887 990 keinen Hinweis auf seitlich des trichterförmigen Eingießbereichs parallel bis zur jeweiligen Schmalseitenwand verlaufende Breitseitenwände. Die Frage ist, ob der Durchschnittsfachmann bezüglich dieser Ausbildung eine Anregung aus der britischen Patentschrift 11 99 805 gewinnen konnte. Dies ist zu verneinen.
In der britischen Patentschrift 11 99 805 ist eine Kokille mit Ausbauchungen zum Einfüllen des flüssigen Stahls beschrieben, die über ihre gesamte Höhe den gleichen Querschnitt aufweist, wodurch jedes Verjüngen des Materials innerhalb der Kokille vermieden wird. Der gewünschte Endquerschnitt wird durch außerhalb der Kokille angebrachte Quetschwalzen hergestellt (vgl. Fig. 1). Eine mögliche Gestaltung der Kokille ist in Fig. 3 a dargestellt. Dort sind seitlich neben der durchgehenden Ausbauchung im mittleren Bereich ebenfalls von oben bis unten durchgehende sogenannte Seitenarme vorgesehen, die parallel gegeneinander angestellt sind und die mit dem Walzabstand übereinstimmen (vgl. S. 3 Z. 73 ff. der Beschreibung).
Auf den ersten Blick weist die Draufsicht in Fig. 3 a eine scheinbare Ähnlichkeit mit der Kokillenform des Streitpatents auf, so daß der Gedanke als naheliegend erscheinen könnte, die durchgehenden, parallel gegeneinander angestellten Seitenarme auf die Kokille nach der deutschen Patentschrift 887 990 (vgl. dort Fig. 1) zu übertragen. Sowohl das Bundespatentgericht als auch der gerichtliche Sachverständige haben indes übereinstimmend bekundet, daß eine solche Kombination fernliegend sei, weil es sich bei der Lehre nach der britischen Patentschrift um eine ganz andere Problemstellung und Lösung handele als bei der deutschen Patentschrift 887 990 und dem Streitpatent. Das trifft nicht nur deshalb zu, weil bei der Kokille nach der britischen Patentschrift 11 99 805 jedes Verjüngen des Materials innerhalb der Kokille vermieden und der gewünschte Endquerschnitt außerhalb der Kokille durch Quetschwalzen hergestellt wird. Die in Fig. 3 a gezeigten parallel geführten Seitenarme seitlich der Ausbauchung im mittleren Bereich haben auch eine ganz andere Funktion als die seitlich des trichterförmigen Eingießbereichs parallel bis zur jeweiligen Schmalseitenwand verlaufenden Breitseitenwände nach dem Streitpatent. Bei der Kokille nach der britischen Patentschrift 11 99 805 werden die Verdickungen des Gießstranges durch die Quetschwalzen weggewalzt, wobei die langen Flächen der elliptisch geformten Schale zusammengedrückt werden, um so eine massive Stahlbramme zu bilden. Dabei wird vor allem im mittleren Bereich der Ausbauchung kontinuierlich geschmolzenes Metall nach oben in das Schmelzbad zurückgedrückt (vgl. S. 7 Z. 9 ff. der Übersetzung). Wegen des von oben nach unten gleichbleibenden, sich also nicht verjüngenden Querschnitts der Kokille können Verklemmungen des Stranges grundsätzlich nicht auftreten. Die Kokillenform nach Fig. 3 a der britischen Patentschrift soll gegenüber der in Fig. 2 a dargestellten eine Herabsetzung der Erstarrungsgeschwindigkeit der Schale am Ende des elliptischen Teils der gekühlten Kokille bewirken. Die Wärmekapazität des Metalls in den parallelen Seitenarmen gemäß Fig. 3 a soll das Ausfrieren in den beiden Endbereichen des elliptischen Abschnitts und eine sich daraus ergebende Schwierigkeit beim Zusammenquetschen durch die Quetschwalzen verhindern (vgl. S. 9 Z. 16 ff. der Übersetzung). Anders formuliert: Durch die parallelen Seitenarme gemäß Fig. 3 a soll ein Wärmereservoir bereitgestellt werden, durch das die Erstarrungsgeschwindigkeit in den Endbereichen des elliptischen Abschnitts herabgesetzt wird; die Seitenarme dienen dabei als Wärmeisolierung für den Mittelbereich.
Mit Recht hat das Bundespatentgericht ausgeführt, daß wegen der unterschiedlichen Funktion der parallelen Seitenarme nach Fig. 3 a der britischen Patentschrift und des Parallelbereichs der Breitseitenwände seitlich des trichterförmigen Eingießbereichs bei der Kokille nach dem Streitpatent eine Kombination der Kokille nach der deutschen Patentschrift 887 990 und der in Fig. 3 a der britischen Patentschrift dargestellten nicht naheliegend war. Bei der britischen Patentschrift geht es darum, die erstarrten Hälften der Schale 5 (vgl. Fig. 2 a) zusammenzudrücken, wobei die flüssige Schmelze im mittleren Bereich der Kokille durch die Quetschwalzen 3 (vgl. Fig. 1) nach oben gedrückt wird. Durch den Quetschvorgang entsteht eine Verbreiterung der Bramme, wie sie in Fig. 3 b (und Fig. 2 b) dargestellt ist. Wegen der seitlichen Ausweichmöglichkeit bei der außerhalb der Kokille stattfindenden Quetschung entsteht keine Stauchung im Inneren der Kokille. Ganz anders liegen die Verhältnisse bei der Kokille nach der deutschen Patentschrift 887 990. Da hier die Formgebung des Stahlbandes innerhalb der Kokille erfolgt, ist ein seitliches Ausweichen des Gießstranges wegen der Kokillen-Stirnwände 6 und 7 nicht möglich. Das mit der Kokille nach der deutschen Patentschrift 887 990 zu lösende Problem ist ein anderes als bei der britischen Patentschrift. Bei der deutschen Patentschrift geht es um eine Reduktion der Schmelze auf die Endform der Dünnbramme innerhalb der Kokille, wobei es darauf ankommt, die erstarrende Schale (Stranghaut) nicht zu schädigen, um das Stahlband kontinuierlich mit dem durch die Kokillenform vorgegebenen Endquerschnitt abziehen zu können. Nicht nur die Problemstellung, sondern auch der Erstarrungsgrad und die Belastungen der Stranghaut sowie der Schmelze durch die Querschnittsreduzierung innerhalb der Kokille sind anders als bei der britischen Patentschrift 11 99 805. Der gerichtliche Sachverständige ist deshalb der Ansicht, wegen der anderen Funktion der Kokille bei der britischen Patentschrift, bei der es allein um eine für das anschließende Walzen vorteilhafte Formgebung und nicht um eine Querschnittsreduzierung innerhalb der Kokille gehe und bei der keine Verformung der Stranghaut beim Durchgang durch die Kokille stattfinde, liege „nur eine zufällig ähnliche Form vor”, die den Fachmann zu einer Kombination der beiden Schriften in Richtung auf die Lehre des Streitpatents nicht veranlassen könne. Damit befindet sich der gerichtliche Sachverständige in Übereinstimmung mit dem fachkundig besetzten Bundespatentgericht. Der erkennende Senat vermag Gegenteiliges nicht festzustellen.
b) Der Kern des Streits ist bei dieser Sachlage, ob der Fachmann des Prioritätstages „zwangsläufig” zur Lehre des Streitpatents gelangt wäre, wenn er bei der aus der deutschen Patentschrift 887 990 bekannten Kokille eine Breitenverstellung vorgesehen hätte. Dies macht die Klägerin geltend, der Senat vermag dies jedoch nicht festzustellen.
Bei der Kokille nach der deutschen Patentschrift 887 990 ist eine Breitenverstellung nicht vorgesehen, weil es solche Breitenverstellungen damals noch nicht gab, wie der gerichtliche Sachverständige ausgeführt hat.
Der gerichtliche Sachverständige hat weiter angegeben, im Prioritätszeitpunkt des Streitpatents seien bei Dickbrammen-Kokillen Breitenverstellungen bekannt gewesen, wobei diese Breitenverstellungen üblicherweise über eine seitliche Parallelführung der Breitseitenwände, d.h. eine Parallelführung der Breitseitenwände im Bereich der Stirnwände der Kokille verwirklicht worden sei. Beispielhaft ist dies durch die US-Patentschrift 4 134 441 (Fig. 1), die deutsche Auslegeschrift 23 10 615 (Fig. 1-3), die deutsche Auslegeschrift 24 15 224 (Fig. 1 u. 3) und die deutsche Auslegeschrift 27 43 026 (Fig. 1) belegt. Keine der Parteien stellt dies in Abrede.
Für Dünnbrammen gab es eine Breitenverstellung im Zeitpunkt der Priorität des Streitpatents allerdings noch nicht. Für die Herstellung von Dünnbrammen gab es zum damaligen Zeitpunkt ohnehin nur „theoretische” Vorschläge oder Versuchsanlagen, jedoch noch keine technisch erprobten Lösungen für die Anwendung in der Praxis. Neben dem Vorschlag nach der schon erörterten britischen Patentschrift 11 99 805 gab es zum Beispiel den Vorschlag einer Bandgießanlage nach der deutschen Offenlegungsschrift 20 34 762 sowie die mit einer umlaufenden Kokille arbeitende Hazelet-Anlage (vgl. „Continuous Casting of Steel 1985”, S. 4-41 u. 4-42, Anl. D 32), die sich in der Erprobung befand. Bei all diesen unterschiedlichen Versuchen, Dünnbrammen im Stranggußverfahren zu erzeugen, war eine Breitenverstellung nicht vorgesehen.
Der gerichtliche Sachverständige hat indes erklärt, bei großtechnischen Anlagen sei eine Breitenverstellung aus wirtschaftlichen Gründen unabdingbar. Er hat ausgeführt, daß es beim Stranggießen darauf ankomme, den kontinuierlichen Gießprozeß möglichst nicht zu unterbrechen und zwar auch dann nicht, wenn Dünnbrammen entsprechend den verschiedenen Anforderungen der Abnehmer nacheinander in unterschiedlichen Breiten hergestellt werden müßten. Sowohl die Kapitalkosten für einen Kokillenpark unterschiedlicher Abmessungen als auch die Stillstandszeiten und der Arbeitsaufwand beim Kokillenwechsel seien so hoch, daß eine Stranggießanlage für Dünnbrammen ohne die Möglichkeit einer Seitenverstellung der Kokille nicht wirtschaftlich betrieben werden könne. Der Senat teilt diese Auffassung.
Das führt zu der Frage, ob es für den Fachmann des Prioritätstages naheliegend war, die aus der deutschen Patentschrift 887 990 bekannte Kokille mit einer Breitenverstellung auszustatten, wie sie bei dem Guß von Dickbrammen bekannt war, d.h. eine Breitenverstellung innerhalb parallel angestellter Breitseitenwände im seitlichen Bereich der Kokille vorzusehen. Die Diskussion dieser Frage mit den Parteien und den von ihnen mitgebrachten Fachleuten in der mündlichen Verhandlung und die Befragung des gerichtlichen Sachverständigen haben dem Senat nicht die Überzeugung vermitteln können, daß diese Kombination dem Durchschnittsfachmann nahegelegt war.
Der Erfinder der wassergekühlten Stranggießform nach dem deutschen Patent 887 990 ist Irving Rossi. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, Rossi sei der weltweit führende Fachmann des Stranggießens gewesen, der durch zahlreiche Innovationen und Veröffentlichungen auf diesem Gebiet hervorgetreten sei. Der gerichtliche Sachverständige hat bestätigt, daß Rossi der in der Fachwelt anerkannte Pionier des Stranggießens war, mit dessen Arbeiten und Ideen sich jeder Fachmann auf diesem Gebiet habe auseinandersetzen müssen. Gleichwohl ist die schon 1952 der Fachwelt unterbreitete Lehre des deutschen Patents 887 990 mehr als 30 Jahre lang nicht aufgegriffen und ist nicht versucht worden, sie praktisch anzuwenden, obwohl die technischen und wirtschaftlichen Vorteile des Gießens von Brammen mit dünneren Abmessungen bekannt waren und nach entsprechenden Lösungen gesucht wurde. Wie der gerichtliche Sachverständige ausgeführt hat und durch die vorgelegte Literatur belegt ist, hat die Fachwelt die Lösung des Problems in Maschinen mit umlaufendem Band oder Raupenkokillen gesucht. Man hielt die von Rossi in der deutschen Patentschrift 887 990 vorgeschlagene Lösung wegen der beim Gießen dünner Brammen auftretenden hohen Gießgeschwindigkeiten und der wesentlich höheren Reibkräfte zwischen Strangschale und Kokille für nicht realisierbar, weil man befürchtete, daß die hohen Kräfte beim Ausziehen der Strangschale aus der Kokille zum Abreißen der dünnen Strangschale führen würden. Demgemäß heißt es etwa in dem von Schwerdtfeger in der Fachzeitschrift Stahl und Eisen 1986 S. 65 ff. veröffentlichten Beitrag, daß feststehende Kokillen bei den hohen Strangabzugsgeschwindigkeiten und den dadurch bedingten Reibkräften für das endabmessungsnahe Gießen vermutlich nicht verwendbar seien. Ähnliche Bedenken hatte auch die Klägerin, wie die Ausführungen in ihrer europäischen Patentanmeldung 611 619 zur Rossi-Kokille belegen, bei der unerwünscht starke Spannungen, Quetschungen und Biegebeanspruchungen aufträten. Der Fachmann des Prioritätszeitpunkts des Streitpatents mußte angesichts dieser nicht nur vereinzelten, sondern verbreiteten Vorbehalte gegenüber der von Rossi vorgeschlagenen feststehenden Stranggießform zur Erzeugung dünner Metallbrammen mit erheblichen technischen Schwierigkeiten rechnen. Angesichts dieser von einem allgemeinen technischen Vorurteil nicht weit entfernten verbreiteten Vorbehalte der Fachwelt mußte es dem Fachmann als technisches Wagnis erscheinen, die Idee Rossis aufzugreifen.
Die ohnehin zu erwartenden Schwierigkeiten mußten sich bei einer Kombination der Rossi-Kokille mit der für Dickbrammen bekannten Breitenverstellung aus der Sicht des entwickelnden Fachmanns dabei noch verstärken. Denn in der deutschen Patentschrift 887 990 (S. 2 oben) wird als Ursache dafür, daß es bisher noch nicht möglich gewesen sei, dünne Stahlbänder zu gießen, angegeben, daß die Kühlwirkung der mit geringem Zwischenraum einander gegenüberstehenden Formwände zu einer unregelmäßigen und ungleichförmigen Verteilung der Schmelze in der Kokille geführt habe. Der Fachmann mußte daraus schließen, daß es beim Gießen dünner Brammen darauf ankomme, von den Enden der Kokille her möglichst rasch zu einem erweiterten Bereich zu gelangen, um so eine schnelle und gleichmäßige Verteilung der Schmelze auch im seitlichen Bereich der Kokille sicherzustellen. Da er wußte, daß die Strömungsgeschwindigkeit des einlaufenden flüssigen Stahls, der eine etwas höhere Temperatur als die Erstarrungstemperatur hat, in dem am weitesten vom Tauchrohr entfernten Bereich nur noch gering ist, mußte er damit rechnen, daß die in diesem Bereich ohnehin auftretenden Probleme durch seitlich des trichterförmigen Eingießbereichs bis zur jeweiligen Schmalseitenwand in einem der Banddicke entsprechenden Abstand parallel verlaufende Breitseitenwände noch vergrößert würden. Der Fachmann mußte davon ausgehen, daß es darauf ankomme, den engen planparallelen Raum im Bereich der Stirnwände möglichst klein zu halten, den erforderlichen engen planparallelen Raum zum endabmessungsnahen Gießen also nur im unteren Bereich der Kokille vorzusehen. Parallel über die gesamte Höhe der Kokille in einem der Banddicke entsprechenden Abstand verlaufende Breitseitenwände im seitlichen Kokillenbereich mußten ihm als nachteilig erscheinen.
Darüber hinaus sah er sich durch eine solche Gestaltung der Kokille einem weiteren Problem gegenübergestellt. Bei der Rossi-Kokille erfolgt die Reduktion des Schalenumfanges auf die Banddicke innerhalb der Kokille. Dem Fachmann war bekannt, daß dadurch starke Spannungen, Quetschungen und Biegebeanspruchungen innerhalb der Kokille auftreten. Er mußte deshalb bei der Reduzierung des Querschnitts danach trachten, Kanten und Abwinklungen innerhalb der Kokille auf ein Minimum zu beschränken, um diese Probleme zu beherrschen und sie nicht noch zu vergrößern. Die Schaffung von parallel geführten Breitseitenwänden in einem der Banddicke entsprechenden Abstand seitlich des Eingießbereichs ist aber gegenüber der Rossi-Kokille mit zusätzlichen Kanten und Abwinklungen innerhalb der Kokille verbunden.
Angesichts der geschilderten Schwierigkeiten kann nicht ausgeschlossen werden, daß der Fachmann des Prioritätstages des Streitpatents davon Abstand genommen hätte, bei der Rossi-Kokille eine Breitenverstellung durch verschiebliche Schmalseitenwände innerhalb paralleler Breitseitenwände seitlich des Eingießbereichs vorzusehen, wie sie bei Dickbrammen-Kokillen bekannt war. So sehen das auch der gerichtliche Sachverständige und das Bundespatentgericht. Beide haben übereinstimmend die Auffassung vertreten, daß der Fachmann des Prioritätstages des Streitpatents wegen der geschilderten Schwierigkeiten vermutlich eine Lösung auf anderen Wegen gesucht hätte. Das Bundespatentgericht ist der Meinung, der Fachmann, der eine Breitenverstellung der Kokille als notwendig erkannt habe, hätte die Kokille nach der deutschen Patentschrift 887 990 verworfen und wäre wegen der dort bereits vorhandenen parallelen Breitseitenwände vermutlich von der britischen Patentschrift 11 99 805 oder der deutschen Offenlegungsschrift 20 34 762 ausgegangen. Bei der Kokille nach der britischen Patentschrift 11 99 805 ist die Einrichtung einer Breitenverstellung im Kokillenbereich sogar bei dem in Fig. 5 dargestellten, die Bandbreite begrenzenden Walzenspalt denkbar; sie kann insoweit nur nicht über die Breite des Walzenspaltes hinausgehen.
Die Zweifel des Senats, daß der Fachmann des Prioritätstages die Lehre des Streitpatents ohne erfinderische Tätigkeit auffinden konnte, werden durch die zeitnäheren Beurteilungen fachkundiger Stellen bestärkt. Die Einspruchsabteilung (Beschl. v. 21.12.1990, Az. 84 112 850.7) und die Technische Beschwerdekammer (Beschl. v. 24.09.1992, Az. T 143/91) des Europäischen Patentamts haben die deutsche Patentschrift 887 990 bei der Überprüfung der Schutzfähigkeit des Streitpatents gewürdigt. Diesen fachkundig besetzten Gremien war die gebräuchliche Breitenverstellung bei Kokillen für Dickbrammen selbstverständlich bekannt. Gleichwohl ist das Streitpatent nicht widerrufen, sondern aufrechterhalten worden. Auch das Bundespatentgericht vermochte sich nicht davon zu überzeugen, daß der Fachmann des Prioritätstages des Streitpatents dessen Lehre ohne erfinderische Tätigkeit auffinden konnte. Der gerichtliche Sachverständige hat besonders darauf hingewiesen, daß der Fachmann des Prioritätstages eine so einfache Lösung, wie sie im Streitpatent angegeben wird, nicht für möglich gehalten habe. Er selbst habe die technische Entwicklung des Stranggießens von Dünnbrammen begleitet und verfolgt. Im Zeitpunkt der Priorität des Streitpatents hätten sich zahlreiche Verfahren in der Entwicklung befunden, die sämtlich aufgegeben worden seien, nachdem mit der Kokille des Streitpatents der Durchbruch gelungen war. Für diesen Durchbruch der erstmals und allein von dem Pionier Rossi mehr als 30 Jahre vor dem Streitpatent vorgeschlagenen Kokille sei entscheidend gewesen, das Problem des Verklemmens des Gießstranges im Bereich der äußeren Kanten, also im Bereich der Schmalseitenwände, zu lösen. Durch den dreiseitigen Wärmeabfluß sei die Kühlwirkung hier besonders groß, außerdem sei die Strömungsgeschwindigkeit des einlaufenden flüssigen Stahls in diesem Bereich nur noch gering. Beides führe zu einer schnelleren Erstarrung der Strangschale im Bereich der Kanten und bewirke, daß eine Verformung der Strangschale im Bereich der Schmalseitenwände ungleich schwieriger sei als im mittleren Kokillenbereich. Bei der Rossi-Kokille könne es im Bereich der Schmalseiten wegen der Gestaltung der Kokille zu einem „Verklemmen des Stranges” kommen. Durch die – nachträglich – einfach erscheinende Lehre des Streitpatents, die Breitseitenwände im Bereich der Kanten parallel verlaufen zu lassen, sei dieser problematische Bereich der Dünnbrammenkokille „entschärft” worden. Nachdem dieser Durchbruch gelungen sei, habe sich die Entwicklung auf Dünnbrammenverfahren mit feststehender Kokille konzentriert, alle anderen Verfahren, die sich im Prioritätszeitpunkt des Streitpatents in der Entwicklung befunden hätten, seien aufgegeben worden. Die Kokille nach dem Streitpatent habe in kurzer Zeit die großtechnische Einführung erreicht.
Selbst wenn die Darstellung im Streitpatent über die trapezförmige Erstarrung der Strangschale bei der Rossi-Kokille und die damit weitgehend übereinstimmenden Erläuterungen des gerichtlichen Sachverständigen sich als wissenschaftlich nicht oder nur teilweise zutreffend erweisen sollten, wie die Klägerin geltend macht, steht fest, daß mit der Kokille nach dem Streitpatent erstmals eine funktionsfähige und betriebssichere Kokille zum wirtschaftlichen Gießen von Stahlbändern mit fehlerfreiem Gefüge und hoher Oberflächengüte zur Verfügung gestellt worden ist, die sich großtechnisch durchgesetzt hat. Es ist nicht Aufgabe eines Patents, wissenschaftlich zutreffende oder vollständige Erklärungen für die patentgemäße Wirkung zu liefern, es genügt, wenn das Patent eine Lehre zum technischen Handeln, also eine Handlungsanweisung enthält, wie die patentgemäße Wirkung tatsächlich erreicht wird. Der gerichtliche Sachverständige hat ausgeführt, daß der Durchbruch – entgegen den Erwartungen der Fachwelt – durch die nachträglich als einfach erscheinende Parallelstellung der Breitseitenwände im Bereich der Schmalseiten gelungen sei.
4. Der übrige Stand der Technik liegt weiter ab und bedarf deshalb keiner Erörterung. Nach allem läßt sich nicht feststellen, daß der Fachmann des Prioritätstages die Kokille nach dem Streitpatent auffinden konnte, ohne erfinderisch tätig zu werden. Die durch die Patenterteilung erlangte Rechtsstellung kann der Beklagten aber nur dann genommen werden, wenn zweifelsfrei festgestellt werden kann, daß sie diese Rechtsstellung zu Unrecht erlangt hat. Nur in diesem Fall kann ein erteiltes Patent für nichtig erklärt werden.
5. Die Ansprüche 2 bis 10 betreffen Ausgestaltungen der Lehre nach Anspruch 1, die zusammen mit dem Hauptanspruch Bestand haben. Der nebengeordnete Anspruch 11 ist auf ein Gießverfahren unter Verwendung der patentgemäßen Kokille gerichtet. Für ihn gelten bezüglich Neuheit und erfinderischer Tätigkeit die gleichen sachlichen Gesichtspunkte, wie sie oben dargestellt worden sind. Der Anspruch 11 hat somit ebenfalls Bestand.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 110 Abs. 3 PatG in der Fassung der Bekanntmachtung vom 16. Dezember 1980 (BGBl. 1981 I S. 1).
Unterschriften
Rogge, Jestaedt, Maltzahn, Scharen, Keukenschrijver
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 15.12.1998 durch Schanz Justizangestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen