Leitsatz (amtlich)
Die Anwendung der Vorschrift des § 1 Abs. 5 KVO erfordert, daß der Spediteur-Frachtführer das beschädigte oder in Verlust geratene Gut im Zeitpunkt des Schadensfalles in seiner Eigenschaft als selbst ausführender Spediteur im Rahmen transportunternehmerischer Betätigung mit eigenen Kraftfahrzeugen in seiner Obhut hatte.
Normenkette
KVO § 1 Abs. 5
Verfahrensgang
LG Konstanz |
OLG Karlsruhe |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe – 9. Zivilsenat in Freiburg – vom 31. Juli 1997 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin, Transportversicherer der M. GmbH in Friedrichshafen/Bodensee (im folgenden: Versicherungsnehmerin), nimmt das beklagte Transport- und Speditionsunternehmen aus abgetretenem Recht des Versenders wegen des Verlustes von Transportgut auf Schadensersatz in Anspruch.
Die B. GmbH erteilte der Beklagten am 30. August 1994 den Auftrag, eine Einweg-Box mit Werkzeughaltern (Gewicht 271 kg) von Haslach nach Friedrichshafen zur Versicherungsnehmerin der Klägerin zu befördern. Die Ware wurde noch am selben Tag bei der Auftraggeberin abgeholt und nach Bühl gebracht, wo die Beklagte sie zu einer Sammelladung zusammenstellte. Anschließend erfolgte der Transport in die Niederlassung der Beklagten in Singen. Im dortigen Lager wurden die einzelnen Sendungen sodann kommissioniert, damit sie am nächsten Tag ausgerollt werden konnten. Die Versicherungsnehmerin der Klägerin quittierte am 31. August 1994 auf der Rollkarte zwar den Erhalt einer Sendung von der B. GmbH; einen Tag später stellte sich jedoch beim Auspacken heraus, daß es sich bei der am Vortag angelieferten Ware nicht um eine Sendung der B. GmbH gehandelt hat. Der Verbleib der für die Versicherungsnehmerin bestimmten Sendung blieb ungeklärt.
Die B. GmbH hat mit schriftlicher Erklärung vom 13. März 1995 alle Rechte, die ihr aufgrund der Versendung der Werkzeughalter von Haslach nach Friedrichshafen gegen Dritte zustehen, an die Klägerin abgetreten.
Die Klägerin hat an ihre Versicherungsnehmerin, der von der B. GmbH für die in Verlust geratene Warensendung 60.168,– DM in Rechnung gestellt wurden, in Höhe von 60.230,10 DM Ersatz geleistet. Sie beansprucht von der Beklagten aus abgetretenem Recht Erstattung dieses Betrages.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, aufgrund der Zusammenstellung der streitgegenständlichen Lieferung zu einer Sammelgutsendung hafte die Beklagte für den eingetretenen Verlust als Frachtführer gemäß §§ 412, 413 HGB (in der bis zum 30. Juni 1998 geltenden Fassung; im folgenden: HGB a.F.) in Verbindung mit den Bestimmungen der Kraftverkehrsordnung (KVO). Die Beklagte habe, so hat die Klägerin behauptet, den in Rede stehenden Transport mit eigenen Fahrzeugen im Güterfernverkehr durchgeführt.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zur Zahlung von 60.230,10 DM nebst Zinsen zu verurteilen.
Die Beklagte ist dem entgegengetreten und hat geltend gemacht, zwischen ihr und der B. GmbH sei ein Speditionsvertrag geschlossen worden. Mit der Durchführung des Transportes habe sie das Unternehmen Z. GmbH in Singen als Frachtführer beauftragt. Daher hafte sie nicht für den während des Transportes eingetretenen Verlust.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht – unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen – die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 60.168,– DM nebst Zinsen zu zahlen.
Mit der Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Abweisung der Klage weiter.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat eine Haftung der Beklagten gemäß §§ 412, 413 HGB a.F. in Verbindung mit § 29 KVO angenommen. Dazu hat es ausgeführt:
Es könne dahinstehen, ob zwischen dem Absender und der Beklagten ein Fracht- oder Speditionsvertrag abgeschlossen worden sei. Jedenfalls habe die Beklagte gemäß § 413 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 HGB a.F. die rechtliche Stellung eines Frachtführers erlangt, da sie für eigene Rechnung einen Frachtvertrag über die Weiterbeförderung des Gutes von Bühl zu ihrem Lager in Singen mit der Z. GmbH über eine Sammelladung abgeschlossen habe.
Die Stellung der Beklagten als Frachtführer habe gemäß § 22 GüKG zwingend die Anwendung der Vorschriften der KVO zur Folge, die – sofern ein Speditionsvertrag vorliege – nicht durch § 1 Abs. 5 KVO ausgeschlossen sei. Es sei erwiesen, daß die Beklagte das Gut mit eigenen Kraftfahrzeugen im Güterfernverkehr befördert habe; zumindest müsse sie sich so behandeln lassen.
Die Klägerin könne von der Beklagten aus abgetretenem Recht der B. GmbH gemäß § 29 KVO Schadensersatz in Höhe von 60.168,– DM beanspruchen, da der Verlust des Gutes in der Zeit zwischen der Annahme zur Beförderung und der Auslieferung entstanden sei. Nach § 35 KVO müsse die Beklagte den Fakturenwert der Sendung ersetzen, der dem Rechnungsbetrag der Lieferantin entspreche. Die B. GmbH habe der Versicherungsnehmerin der Klägerin unstreitig 60.168,– DM in Rechnung gestellt.
II. Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Die Revision rügt mit Recht, daß das Berufungsgericht auf der bisherigen Tatsachengrundlage zu einer Haftung der Beklagten für den streitgegenständlichen Schaden gemäß § 29 KVO gelangt ist.
a) Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob zwischen der B. GmbH und der Beklagten ein Fracht- oder Speditionsvertrag geschlossen wurde. Es hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe jedenfalls gemäß §§ 412, 413 HGB a.F. die rechtliche Stellung eines Frachtführers erlangt, so daß sie nach § 29 KVO für den in Rede stehenden Verlust hafte. Es sei davon auszugehen, daß die Beklagte das Gut mit eigenen Kraftfahrzeugen im Güterfernverkehr befördert habe (§ 1 Abs. 5 KVO) und daß die Ware in der Zeit zwischen der Annahme zur Beförderung und der Auslieferung verlorengegangen sei. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
b) Nach § 1 Abs. 5 KVO haftet der Spediteur dem Versender in den Fällen der §§ 412, 413 HGB a.F. nach den Bestimmungen der KVO nur, so weit wie er das Gut mit eigenen Kraftfahrzeugen im Güterfernverkehr befördert. Dies bedeutet nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. BGH, Urt. v. 9.5.1985 – I ZR 38/83, TranspR 1986, 13, 14 = VersR 1985, 881), daß der Spediteur den zwingenden, für den Frachtführer geltenden Haftungsregelungen dann unterliegt, wenn der Verlust oder die Beschädigung bei der Beförderung des Gutes mit eigenen Kraftfahrzeugen eintritt; danach ist für eine KVO-Haftung des selbsteintretenden (Fixkosten-, Sammelladungs-)Spediteurs erforderlich, daß er das Gut im Zeitpunkt des Schadensfalls in seiner Eigenschaft als selbst ausführender Spediteur im Rahmen transportunternehmerischer Betätigung mit eigenen Kraftfahrzeugen in seiner Obhut hatte (BGH TranspR 1986, 13, 14). Ist der Schaden dagegen im Rahmen der speditionellen Verrichtung des Spediteurs eingetreten – dazu gehören insbesondere die Zurollung des im Sammelgutverkehr zu versendenden Gutes zum Lager des Spediteurs, die Hereinnahme des Gutes auf das Lager, das Zusammenstellen der Sammelladung sowie deren Bereitstellung zum Abtransport –, so hat das nicht eine Haftung des Spediteur-Frachtführers nach den Bestimmungen der KVO zur Folge, sondern führt grundsätzlich zur Anwendung der allgemeinen gesetzlichen Vorschriften (§§ 429 ff. HGB a.F.) und – bei entsprechender Vereinbarung – der Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen (ADSp).
c) Die Revision weist zutreffend darauf hin, daß das Berufungsgericht zu Ort und Zeit der Schadensentstehung keine konkreten Feststellungen getroffen hat. Im unstreitigen Teil des Tatbestandes (BU 3 Abs. 1 Mitte) hat das Berufungsgericht allerdings ausgeführt, die Ware sei am 30. August 1994 von der B. GmbH abgeholt, nach Bühl gebracht und dort von der Beklagten zu einer Sammelladung zusammengestellt worden; anschließend sei sie in die Niederlassung der Beklagten nach Singen transportiert und im dortigen Lager für das Ausrollen am nächsten Tag kommissioniert worden. Dementsprechend hat das Berufungsgericht auch in den Entscheidungsgründen (BU 5 unten) wörtlich festgestellt: „Von dort (Bühl) wurde die Sendung zum Lager der Beklagten nach Singen verbracht und dort fürs Ausrollen am nächsten Tag kommissioniert”.
Nach diesen unangegriffen gebliebenen Feststellungen des Berufungsgerichts – ein Tatbestandsberichtigungsantrag ist nicht gestellt worden – kann das in Rede stehende Transportgut nicht auf der Fernverkehrsstrecke, sondern nur im Auslieferungslager der Beklagten in Singen – also im speditionellen Nachlauf – oder bei der Auslieferung selbst abhanden gekommen sein; denn es ist unstreitig, daß die Sendung bei der Empfängerin, der M. GmbH in Friedrichshafen, nicht angekommen ist. Damit fehlt es aber an einer Voraussetzung für die Anwendung des § 1 Abs. 5 KVO mit der Folge, daß eine Haftung der Beklagten als Spediteur-Frachtführerin gemäß §§ 412, 413 HGB a.F. ausscheidet.
2. Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung erweist sich das angefochtene Urteil auf der bisherigen Tatsachengrundlage auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 563 ZPO).
a) Eine Haftung der Beklagten nach den Vorschriften der KVO kommt nur in Betracht, wenn die Versenderin, die B. GmbH, sie als Frachtführer beauftragt hat. Das Berufungsgericht hat bislang offengelassen, ob die Beklagte und die B. GmbH einen Fracht- oder Speditionsvertrag geschlossen haben. Sollte das Berufungsgericht bei der nunmehr vorzunehmenden Prüfung des streitgegenständlichen Vertragsverhältnisses zu der Feststellung gelangen, daß ein Frachtvertrag geschlossen wurde, wird es zu berücksichtigen haben, daß – worauf die Revision hinweist (vgl. aber auch Revisionserwiderung S. 2 f.) – die Haftungsbegrenzung gemäß § 35 Abs. 4 KVO in Betracht kommen kann. Denn bei einem Gesamtgewicht des Transportgutes von 271 kg ergäbe sich grundsätzlich nur eine Haftungshöchstsumme von 21.680,– DM.
b) Sofern das Berufungsgericht zur Annahme eines Speditionsvertrages gelangt, wird eine Haftung der Beklagten nach den Bestimmungen der ADSp zu prüfen sein, wenn diese Vertragsinhalt geworden sind; dazu fehlen bislang ebenfalls noch tatrichterliche Feststellungen. In diesem Zusammenhang wird sodann zu berücksichtigen sein, daß die Klägerin behauptet hat, der in Rede stehende Verlust sei während der Obhutszeit der Beklagten eingetreten, und daß sie in ihrer Berufungsbegründung vom 19. August 1996 eingehend zu einem groben Organisationsverschulden der Beklagten vorgetragen hat. Das Vorbringen der Klägerin zum groben Organisationsverschulden ist entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung nicht als von der Beklagten zugestanden (§ 138 Abs. 3 ZPO) anzusehen. Die Beklagte hat daher in der wiedereröffneten Berufungsinstanz Gelegenheit, hierzu Stellung zu nehmen.
Gegebenenfalls wird das Berufungsgericht auch Feststellungen zum Schadensort zu treffen haben, da die Beklagte sich möglicherweise auf eine Haftungsbefreiung nach § 52 lit. a Satz 1 ADSp berufen kann, wenn sie mit der Z. GmbH einen selbständigen Frachtvertrag geschlossen hat. Denn die Beklagte hat ihre Ansprüche gegen die Z. GmbH an die Klägerin abgetreten.
III. Danach war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Unterschriften
Erdmann, v. Ungern-Sternberg, Starck, Pokrant, Büscher
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 15.12.1999 durch Führinger Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 556178 |
BB 2000, 1164 |
BGHR |
NJW-RR 2000, 986 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2000, 1203 |
MDR 2000, 1142 |
VRS 2000, 41 |
VersR 2000, 869 |