Entscheidungsstichwort (Thema)
sexueller Mißbrauch eines Kindes
Tenor
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 9. Juni 2000 wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten dieses Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist für deren Neuerteilung festgesetzt. Die Freiheitsstrafe hat es nicht zur Bewährung ausgesetzt. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision gegen den Strafausspruch; sie erstrebt eine höhere Freiheitsstrafe, um die formalen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung zu schaffen. Das mit einer Verfahrensrüge sowie der Sachbeschwerde begründete, vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
I. Die Revision ist wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Zwar hat die Beschwerdeführerin einen unbeschränkten Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Urteils gestellt. Dieser steht aber im Widerspruch zu dem Angriffsziel des Rechtsmittels, wie es sich aus der Revisionsrechtfertigungsschrift ergibt. Deren Auslegung läßt einen entsprechenden Beschränkungswillen der Beschwerdeführerin erkennen (vgl. zur Auslegung in solchen Fällen BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 3; Kuckein in KK-StPO 4. Aufl. § 344 Rdn. 5 m.w.Nachw.). Der Beschwerdeführerin geht es – auch mit ihrer Verfahrensrüge – darum, eine höhere, wenigstens zweijährige Freiheitsstrafe zu erwirken, die Voraussetzung für die Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen den Angeklagten ist.
II. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen wurde der zur Tatzeit 57 Jahre alte Angeklagte bereits in jungen Jahren wiederholt straffällig. In den Jahren 1957 und 1958 ergingen jeweils wegen Diebstahls zwei Urteile, die Jugendstrafe aussprachen. Nach weiteren Verurteilungen folgten 1966 und 1968 drei Urteile wegen Verkehrs- und Vermögensdelikten, in deren Folge gegen den Angeklagten jeweils kurze Gefängnisstrafen vollstreckt wurden. Die letzte Vorverurteilung stammt aus dem Jahr 1971: Wegen Mordes in Tatmehrheit mit Notzucht verbüßte der Angeklagte anschließend eine lebenslange Freiheitsstrafe bis 1995; seit 1988 befand er sich im offenen Vollzug. Der Rest dieser Freiheitsstrafe wurde – u.a. wegen der positiven Persönlichkeitsentwicklung des Angeklagten – bis zum 22. Juni 2000 zur Bewährung ausgesetzt. Zu jener Verurteilung kam es, weil der Angeklagte im Juni 1970 ein 12jähriges Mädchen veranlaßt hatte, zu ihm in sein Fahrzeug zu steigen, er sich sodann in einem Waldstück sexuell an diesem vergangen und es schließlich aus Angst vor Entdeckung erwürgt hatte.
Der jetzt abgeurteilten Tat liegt folgendes zugrunde: Der damals etwa 13 Jahre und sieben Monate alte Nebenkläger R. D. sprach den Angeklagten an einer Bushaltestelle an und erbat eine Zigarette. Der Nebenkläger sah noch sehr kindlich aus und befand sich noch nicht in der Pubertät. Er fragte den Angeklagten, ob dieser ihn mit seinem Auto nach Hause fahren könne, da er seinen Bus versäumt habe. Der Angeklagte erklärte sich dazu bereit und gab dem ihm bis dahin nicht bekannten Nebenkläger schließlich fünf DM für den Kauf eines Getränks, als dieser äußerte, er sei durstig, habe aber kein Geld bei sich. Auf der Fahrt legte der Angeklagte bei einem Einkaufsmarkt einen Halt ein, um Zigaretten zu erwerben. In diesem Markt ließ sich der Nebenkläger von einem Schmuckverkäufer eine Kette umlegen, die er zu behalten wünschte. Der Angeklagte beglich den Kaufpreis in Höhe von 50 DM ebenso wie denjenigen zweier Kompaktschallplatten (CDs), die sich der Nebenkläger ausgesucht hatte. Auf der Weiterfahrt bog der Angeklagte in einen Waldweg ein. Er beabsichtigte nun, mit dem Nebenkläger sexuell zu verkehren. Nach dem Abstellen des Fahrzeugs unterhielten sich beide, rauchten eine Zigarette und hörten Radio. Der Angeklagte legte dem Nebenkläger sodann den Arm um die Schulter und streichelte ihn im Gesicht und an den Beinen. Sexuell erregt, öffnete er die Hose des Nebenklägers und faßte an das Geschlechtsteil des Jungen, der keine Gegenwehr und keine Abwehrhaltung zeigte. Der Angeklagte ließ nach kurzer Zeit von dem Jungen ab und entblößte sein eigenes Geschlechtsteil. Er forderte ihn auf, dieses anzufassen. Als der Junge dieser Aufforderung nicht sogleich nachkam, nahm der Angeklagte – ohne Gewalt anzuwenden – dessen Hand und drückte sie an sein Geschlechtsteil; er bewegte die Hand des Jungen hin und her, bis es bei ihm zum Samenerguß kam. Der Angeklagte gab ihm schließlich 20 oder 30 DM und fuhr ihn in seinen Heimatort. Beide verabredeten sich zu einem weiteren Treffen. Der Angeklagte rechnete damit, daß der Nebenkläger keine 14 Jahre alt und mithin noch ein Kind sein würde.
Die Strafkammer hat der Strafbemessung den Normalstrafrahmen des Tatbestandes des § 176 Abs. 1 StGB zugrundegelegt. Von der Anordnung der Sicherungsverwahrung hat sie schon deshalb abgesehen, weil es an der formalen Voraussetzung der Verhängung einer Freiheitsstrafe von wenigstens zwei Jahren fehle (vgl. § 66 Abs. 1, Abs. 3 StGB).
III. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet. Die Verfahrensrüge greift nicht durch; der Rechtsfolgenausspruch hält auch sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand.
1. Die Beschwerdeführerin macht geltend, das Landgericht habe gegen § 261 StPO verstoßen, weil die Urteilsfeststellungen in einem für die Strafzumessung bedeutsamen Punkte dem Ergebnis der Hauptverhandlung widersprächen: Die Strafkammer habe festgestellt, daß der Angeklagte am 12. Mai 1966 wegen Verkehrs- und Vermögensdelikten verurteilt worden sei. Das stütze sie auf die in der Hauptverhandlung erfolgte Verlesung des Auszuges aus dem Bundeszentralregister sowie eines näher bezeichneten, gegen den Angeklagten anderweit ergangenen Urteils. Aus diesen Urkunden ergebe sich indessen, daß der Angeklagte auch wegen fahrlässiger Volltrunkenheit zu einer sechswöchigen Freiheitsstrafe verurteilt worden sei, weil er in diesem Zustand eine Körperverletzung mit Todesfolge begangen habe.
Die Rüge ist unbegründet. Ein Widerspruch zwischen den Urteilsfeststellungen und einem insoweit etwa alleintragenden Urkundsbeweis läßt sich nicht feststellen. Das Landgericht hat drei Verurteilungen des Angeklagten aus den Jahren 1966 und 1968 als solche „wegen Verkehrsdelikten und Vermögensdelikten” gekennzeichnet, auf Grund deren er „jeweils kurze Gefängnisstrafen zu verbüßen” gehabt habe (UA S. 5). Das ist zutreffend, weil die Schuldsprüche u.a. wegen Betruges und Trunkenheit im Straßenverkehr ergangen sind. Wenn das Landgericht darüber hinaus die in einem Falle erfolgte Verurteilung wegen fahrlässiger Volltrunkenheit und die zugrundeliegende Rauschtat nicht erwähnt hat, so erweist sich seine summarische Charakterisierung der in Rede stehenden Taten im Rahmen der Feststellungen zum Werdegang des Angeklagten insoweit allenfalls als ungenau und unvollständig; ein unauflösbarer Widerspruch zu dem erhobenen Urkundsbeweis liegt darin nicht.
2. Die Beschwerdeführerin meint weiter, die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts seien fehlerhaft, weil es jene – in den Urteilsgründen nicht mitgeteilte – Vorverurteilung wegen fahrlässiger Volltrunkenheit ebensowenig gewürdigt habe wie den Umstand, daß der Angeklagte den Nebenkläger durch die Wahl des Tatortes auf einem Waldweg in eine schutzlose Lage gebracht habe. Auch damit zeigt sie indes einen Rechtsfehler nicht auf.
a) Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, diewesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Das Revisionsgericht kann nur eingreifen, wenn ein Rechtsfehler vorliegt. Das ist namentlich dann der Fall, wenn der Tatrichter fehlerhafte Erwägungen angestellt hat oder wenn erforderliche Erwägungen oder Wertungen unterblieben sind und das Urteil auf dem Mangel beruhen kann, oder wenn sich die verhängte Strafe nicht im Rahmen des Schuldangemessenen hält. Eine ins einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist ausgeschlossen (vgl. BGHSt 34, 345, 349; 29, 319, 320). Dabei ist auch zu beachten, daß die Strafrahmen dem Tatrichter einen gewissen Spielraum geben, um die schuldangemessene Strafe zu finden; innerhalb dieses Beurteilungsrahmens ist eine Strafe schon oder noch als schuldangemessen anzuerkennen (vgl. BGHSt 20, 264, 266/267; BGHR StGB § 46 Abs. 1 Beurteilungsrahmen 2). Schließlich müssen die Urteilsgründe nicht etwa sämtliche Straffindungsgesichtspunkte aufführen; es genügt, die für die Strafe bestimmenden Gründe anzugeben (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO; vgl. BGH bei Dallinger MDR 1970, 899; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 267 Rdn. 18).
b) Auf der Grundlage dieser Maßstäbe ist gegen die Strafbemessung des Landgerichts von Rechts wegen nichts zu erinnern. Der Tatrichter hat hervorgehoben, daß der Angeklagte den äußeren Geschehensablauf eingeräumt, der Nebenkläger es ihm „überaus leicht gemacht” habe, beide als „einsame Menschen” um menschliche Zuneigung bemüht gewesen seien und der Nebenkläger bei der Vorbereitung der sexuellen Handlungen mitgemacht habe. Überdies hat die Strafkammer betont, daß die auf einen spontanen Entschluß zurückgehende Tat beim Nebenkläger keine psychischen Schäden hinterlassen habe. Andererseits hat sie ausdrücklich das Vorleben des Angeklagten bedacht, insbesondere die wegen eines einschlägigen Delikts ergangene lebenslange Freiheitsstrafe und die noch laufende Bewährungsfrist. Diese Erwägungen werden den von Rechts wegen zu stellenden Anforderungen uneingeschränkt gerecht. Sie erweisen sich nicht deshalb als unvollständig, weil das Landgericht nicht noch einmal die Wahl des Tatortes im Walde angesprochen hat. Da es diesen Umstand in anderem Zusammenhang erörtert hat, schließt der Senat aus, daß er ihm im Rahmen der Strafzumessung aus dem Blick geraten sein könnte. Der mehrere Jahrzehnte zurückliegenden Vorverurteilung nicht einschlägiger Art zu einer kurzen Freiheitsstrafe, deren Erwähnung die Revision vermißt, mußte für die Straffindung ebensowenig bestimmende Bedeutung beigelegt werden.
3. Der Rechtsfolgenausspruch läßt auch sonst keinen den Angeklagten begünstigenden oder beschwerenden (vgl. § 301 StPO) sachlich-rechtlichen Mangel erkennen.
Unterschriften
Schäfer, Wahl, Schluckebier, Kolz, Schaal
Fundstellen