Verfahrensgang
LG Stendal (Urteil vom 19.02.2013) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stendal vom 19. Februar 2013 im Ausspruch über die Einziehung mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Ferner wurde die Einziehung einer externen Festplatte und verschiedener optischer Datenträger angeordnet. Die auf die Geltendmachung eines Verfahrenshindernisses, auf mehrere Verfahrensrügen und die nicht ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat nur in Bezug auf die Entscheidung über die Einziehung Erfolg.
I.
Rz. 2
Nach den Feststellungen besaß der Angeklagte am 12. November 2008 in seinem Patientenzimmer in der Maßregelvollzugseinrichtung des Landeskrankenhauses U. insgesamt 44 auf einer externen Festplatte gespei- cherte Bilddateien, die Mädchen unter 14 Jahren beim Einführen von Gegenständen in die Vagina oder beim aufreizenden Präsentieren ihrer Geschlechtsorgane zeigten. Zu diesem Zeitpunkt war der Angeklagte in der Maßregelvollzugseinrichtung aufgrund eines Urteils des Landgerichts H. vom 5. Dezem- ber 2001 wegen Verbreitung pornographischer Schriften nach § 63 StGB untergebracht.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 3
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers besteht kein Verfahrenshindernis. Die vom Landgericht unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklageschrift der Staatsanwaltschaft H. vom 5. September 2011 genügt den Anforderungen des § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO. Das Tatgeschehen war durch die Angabe der Tatzeit und des Tatortes, die Benennung der Speichermedien sowie die Umschreibung der Bildinhalte im Anklagesatz so genau bezeichnet, dass es als individueller geschichtlicher Vorgang erkennbar wurde und sich als solcher von möglichen anderen gleichartigen strafbaren Handlungen desselben Täters unterscheiden ließ (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Februar 2008 – 1 StR 596/07, BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 24).
III.
Rz. 4
Die Verfahrensrügen greifen nicht durch.
Rz. 5
1. Die Rüge, das Landgericht habe mit der Verlesung des Protokolls über die Sicherstellung der externen Festplatte gegen Verfahrensvorschriften verstoßen, hat keinen Erfolg.
Rz. 6
Auf einem Rechtsverstoß bei der erstmaligen Ingewahrsamnahme der Speichermedien durch Mitarbeiter des Landeskrankenhauses am 12. November 2008 kann das Urteil nicht beruhen, weil die bei dieser Maßnahme sichergestellten Gegenstände dem Angeklagten wieder zurückgegeben wurden. Hinsichtlich der behaupteten Rechtsfehler im Zusammenhang mit der Durchsuchung am 18. November 2008 ist die Revision unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), da der Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts H. vom 18. November 2008 unvollständig und der Beschluss des Landgerichts H. vom 30. Oktober 2012, mit dem – gegen den Widerspruch des Angeklagten – die Verlesung des Sicherstellungsprotokolls in der Hauptverhandlung angeordnet wurde, nicht im Wortlaut mitgeteilt werden.
Rz. 7
2. Soweit die Revision meint, es liege ein Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz vor, genügt das Vorbringen ebenfalls nicht den Voraussetzungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2003 – 1 StR 445/03, NStZ 2004, 504; Beschluss vom 28. August 1998 – 3 StR 142/98, BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 7).
Rz. 8
Die Revisionsbegründung beschränkt sich darauf, einzelne Aktenstücke (Anzeige der Vollzugseinrichtung vom 12. November 2008, EDV-Untersuchungsbericht der PD Sachsen-Anhalt Nord vom 8. Januar 2009, Auswertungsbericht des LKA Sachsen-Anhalt vom 15. Juli 2010, Anklageschrift vom 5. September 2011 u.a.) vorzulegen, ohne den verbindenden Verfahrensgang (Vernehmungen, Abverfügungen etc.) darzustellen. Auf der Grundlage dieses lückenhaften Vorbringens ist es dem Senat nicht möglich, das Vorliegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK zu beurteilen.
Rz. 9
3. Die zulässig erhobene Rüge, das Landgericht habe die Hauptverhandlung am 28. Dezember 2012 nicht im Sinne von § 229 Abs. 4 Satz 1 StPO fortgesetzt und deshalb gegen § 229 Abs. 1 StPO verstoßen, ist unbegründet.
Rz. 10
a) Nach dem Revisionsvorbringen hat das Landgericht am 7. Dezember 2012 die Hauptverhandlung unterbrochen und Termin zur Fortsetzung auf den 28. Dezember 2012 bestimmt. Zu diesem Termin erschien der Angeklagte nicht. Stattdessen übermittelte sein Verteidiger dem Landgericht per Telefax ein unter dem 27. Dezember 2012 ausgestelltes „Ärztliches Attest”. Danach sei der Angeklagte an diesem Tag in der Praxis der ausstellenden Ärztin vorstellig geworden und habe erklärt, sich die neunstündige Reise zum Gerichtstermin am nächsten Tag nicht zuzutrauen, was „ärztlich nachvollziehbar” sei. Das Faxschreiben wurde in der Hauptverhandlung vom 28. Dezember 2012 verlesen. Sodann erörterte das Landgericht mit den anwesenden Verfahrensbeteiligten „die Möglichkeiten der Anwendung der §§ 230, 231 StPO” und wies auf „bestehende Zweifel hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen der §§ 230 Abs. 2, 231 Abs. 2 StPO” hin. Von der „beabsichtigten Verlesung von Urkunden in diesem Termin” sah es ab. Die Hauptverhandlung wurde unterbrochen und Termin zur Fortsetzung auf den 10. Januar 2013 bestimmt. Der Senat entnimmt dem weiteren Vorbringen der Revision, dass am 28. Dezember 2012 die Hauptverhandlung noch nicht an zehn Tagen stattgefunden hatte.
Rz. 11
b) Mit der Verhandlung am 28. Dezember 2012 ist die Hauptverhandlung im Sinne von § 229 Abs. 4 Satz 1 StPO fortgesetzt worden.
Rz. 12
aa) Der Umstand, dass der Angeklagte nicht erschienen war, nimmt dem Termin vom 28. Dezember 2012 nicht den Charakter einer Hauptverhandlung.
Rz. 13
Die Hauptverhandlung wurde mit dem Aufruf der Sache am ersten Verhandlungstag gemäß § 243 Abs. 1 Satz 1 StPO begonnen und nach mehreren Unterbrechungen in dem dafür anberaumten Termin vom 28. Dezember 2012 fortgeführt. Dass der Angeklagte zu diesem Termin nicht erschienen war, stellt die Annahme einer Hauptverhandlung nicht in Frage. Soweit in § 230 Abs. 1 StPO davon die Rede ist, dass gegen einen ausgebliebenen Angeklagten eine Hauptverhandlung nicht stattfindet, wird keine begriffliche Voraussetzung der „Hauptverhandlung”, sondern nur eine notwendige Bedingung für deren rechtmäßige Durchführung benannt, deren Fehlen – von bestimmten Ausnahmefällen (vgl. § 231 Abs. 2; § 329 Abs. 1 und 2 StPO) abgesehen – nach § 338 Nr. 5 StPO zu einem absoluten Revisionsgrund führt (BGH, Urteil vom 9. August 2007 – 3 StR 96/07, BGHSt 52, 24 Rn. 6).
Rz. 14
bb) Die im Termin vom 28. Dezember 2012 vorgenommenen Verfahrenshandlungen haben auch zu einer Fortsetzung der Hauptverhandlung im Sinne des § 229 Abs. 4 Satz 1 StPO geführt.
Rz. 15
(1) Nach ständiger Rechtsprechung gilt eine Hauptverhandlung als fortgesetzt, wenn zur Sache verhandelt und das Verfahren gefördert wird (BGH, Beschluss vom 5. November 2008 – 1 StR 583/08, NJW 2009, 384; Urteil vom 25. Juli 1996 – 4 StR 172/96, BGHR StPO § 229 Abs. 1, Sachverhandlung 2; Urteil vom 30. April 1952 – 5 StR 275/52, NJW 1952, 1149). Dies ist stets der Fall, wenn es zu Verfahrensvorgängen kommt, die die zur Urteilsfindung führende Sachverhaltsaufklärung betreffen (BGH, Urteil vom 28. November 2012 – 5 StR 412/12, NJW 2013, 404; Urteil vom 22. Juni 2011 – 5 StR 190/11, BGHR StPO § 229 Abs. 1, Sachverhandlung 13; Beschluss vom 7. April 2011 – 3 StR 61/11, NStZ 2011, 532; Urteil vom 11. Juli 2008 – 5 StR 74/08, NStZ 2009, 225 Rn. 5). Auch die alleinige Befassung mit Verfahrensfragen kann ausreichend sein, sofern es dabei um den Fortgang der Sachverhaltsaufklärung geht (vgl. BGH, Urteil vom 28. November 2012 – 5 StR 412/12, NJW 2013, 404; Urteil vom 19. August 2010 – 3 StR 98/10, NStZ 2011, 229 f.; Beschluss vom 6. Juli 2000 – 5 StR 613/99, NStZ 2000, 606; Urteil vom 14. März 1990 – 3 StR 109/89, BGHR StPO § 229 Abs. 1 Sachverhandlung 1). Wird die Verhandlung nur „zum Schein” fortgesetzt, um die Vorschrift des § 229 StPO zu umgehen, liegt kein Verhandeln zur Sache vor. Dies gilt auch dann, wenn dabei Prozesshandlungen vorgenommen werden, die grundsätzlich zur Unterbrechung der Fristen des § 229 StPO geeignet sind (BGH, Urteil vom 2. Februar 2012 – 3 StR 401/11, NStZ 2012, 343, 344; Beschluss vom 5. November 2008 – 1 StR 583/08, NJW 2009, 384; Urteil vom 25. Juli 1996 – 4 StR 172/96, NJW 1996, 3019, 3020).
Rz. 16
(2) Nach diesen Maßstäben war die Verhandlung im Termin vom 28. Dezember 2012 als eine fristwahrende Fortsetzungsverhandlung im Sinne des § 229 Abs. 4 Satz 1 StPO anzusehen. Die Verlesung des Faxschreibens und die Erörterung der Frage, ob gegen den ausgebliebenen Angeklagten gegebenenfalls nach § 231 Abs. 2 StPO weiterverhandelt werden kann, betrafen den Fortgang der Sachverhaltsaufklärung. Sie führten zu der Feststellung, dass eine als erforderlich angesehene und in diesem Termin vorgesehene Beweisaufnahme (Urkundenverlesung) zu unterbleiben hatte, weil infolge der Abwesenheit des Angeklagten die prozessualen Voraussetzungen dafür nicht vorlagen. Die Verfahrenslage unterscheidet sich insoweit nicht von dem als Fortsetzungsverhandlung im Sinne des § 229 Abs. 4 Satz 1 StPO anerkannten Fall, dass die für die Durchführung einer Sachverhandlung gleichermaßen bedeutsame Verhandlungsfähigkeit des erschienenen Angeklagten zweifelhaft ist und nur dazu verhandelt wird (vgl. BGH, Urteil vom 14. März 1990 – 3 StR 109/89, BGHR StPO § 229 Abs. 1 Sachverhandlung 1). Für die Annahme, dass der Termin vom 28. Dezember 2012 nur als ein sog. Schiebetermin anberaumt wurde und die Verhandlung nur „zum Schein” fortgesetzt werden sollte, um die Vorschrift des § 229 StPO zu umgehen, lassen sich dem Revisionsvorbringen keine ausreichenden Anhaltspunkte entnehmen.
IV.
Rz. 17
Die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hat hinsichtlich des Schuld- und Strafausspruchs keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben. Die Entscheidung über die Einziehung hat dagegen keinen Bestand.
Rz. 18
1. Die Feststellungen tragen den Schuldspruch auch soweit auf den Bilddateien Mädchen unter 14 Jahren beim aufreizenden Präsentieren ihrer Geschlechtsorgane gezeigt wurden.
Rz. 19
Auf den festgestellten Sachverhalt ist § 184b StGB in der seit dem 5. November 2008 geltenden Fassung des Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie vom 31. Oktober 2008 (BGBl. I 2008, 2149) anzuwenden. Danach ist auch ein Posieren in sexualbetonter Körperhaltung Pornographie im Sinne des § 184b Abs. 1 StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 21. November 2013 – 2 StR 459/13, Rn. 6; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 184b Rn. 4; Röder, NStZ 2010, 113 ff.).
Rz. 20
2. Die auf § 184b Abs. 6 Satz 2 StGB gestützte Einziehung der externen Festplatte und der optischen Speichermedien begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Rz. 21
a) Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die von dem Angeklagten als Speichermedium für die kinderpornographischen Bilddateien verwendete externe Festplatte F. nach § 184b Abs. 6 Satz 2 StGB der Einziehung unterliegt. Es hat jedoch übersehen, dass aus Gründen der Verhältnismäßigkeit auch bei einer auf § 184b Abs. 6 Satz 2 StGB gestützten Einziehung von den Möglichkeiten des § 74b Abs. 2 StGB Gebrauch zu machen ist (BGH, Beschluss vom 8. Februar 2012 – 4 StR 657/11, NStZ 2012, 319; Beschluss vom 11. Januar 2012 – 4 StR 612/11, Rn. 5; Beschluss vom 28. November 2008 – 2 StR 501/08, BGHSt 53, 69 Rn. 3). Danach hat der Tatrichter anzuordnen, dass die Einziehung zunächst vorbehalten bleibt und weniger einschneidende Maßnahmen zu treffen sind, wenn auch auf diese Weise der Einziehungszweck erreicht werden kann. Dies könnte hier durch eine endgültige Löschung der inkriminierten Bilddateien geschehen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2012 – 4 StR 612/11, Rn. 5; Laufhütte/Roggenbuck in LK-StGB, 12. Aufl., § 184b Rn. 20). Feststellungen dazu, ob es technisch möglich ist, diese Dateien in einer Weise von der Festplatte zu löschen, dass ihre Wiederherstellung ausgeschlossen ist, hat das Landgericht nicht getroffen, sodass der Senat nicht selbst eine Anordnung nach § 74b Abs. 2 StGB treffen kann.
Rz. 22
b) Die Einziehung der optischen Datenträger hat keinen Bestand, weil die Feststellungen nicht belegen, dass es sich um Beziehungsgegenstände der ausgeurteilten Tat gehandelt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Februar 2012 – 4 StR 657/11, NStZ 2012, 319). Die Strafkammer hat den Schuldspruch nur auf Bilder gestützt, die auf der externen Festplatte gespeichert waren. Hinsichtlich der optischen Datenträger, die von der unverändert zugelassenen Anklage mitumfasst waren, ergibt sich aus den Urteilsgründen nur, eine Auswertung durch das Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt habe zu dem Ergebnis geführt, dass es sich bei 1.578 dort gespeicherten Bild- und zwei Videodateien um kinderpornographische Schriften „handeln könnte” (UA 17). Der neue Tatrichter wird daher zu prüfen haben, ob auch auf diesen Datenträgern kinderpornographische Abbildungen gespeichert sind. Gegebenenfalls wäre dann auch deren Einziehung nach § 184b Abs. 6 Satz 2 StGB anzuordnen, wobei auch insoweit der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – wie oben dargestellt – zu beachten sein wird.
Unterschriften
Sost-Scheible, Roggenbuck, Franke, RiBGH Dr. Mutzbauer ist urlaubsabwesend und deshalb an der Unterschrift gehindert. Sost-Scheible, Quentin
Fundstellen
Haufe-Index 6464838 |
NStZ 2014, 220 |
NStZ-RR 2014, 364 |
StV 2015, 471 |
StraFo 2014, 116 |