Verfahrensgang
LG Paderborn (Urteil vom 14.11.2003) |
Tenor
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 14. November 2003 mit den Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des Landgerichts Detmold zurückverwiesen.
Tatbestand
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Menschenhandels zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Mit seiner gegen dieses Urteil gerichteten Revision beanstandet er das Verfahren und rügt die Verletzung materiellen Rechts.
I. Das Rechtsmittel ist zulässig.
Aufgrund der vom Senat im Freibeweisverfahren getroffenen Feststellungen erweist sich der vom Angeklagten und seinem Verteidiger im Anschluß an die Urteilsverkündung erklärte Rechtsmittelverzicht als unwirksam; denn die Erklärungen wurden durch eine unzulässige Willensbeeinflussung herbeigeführt (dazu unten II. 3).
Entscheidungsgründe
II. Die Revision hat mit einer auf die Verletzung des § 136a StPO gestützten Verfahrensrüge Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts flogen der Angeklagte, Josef N. und Bernhard F. in der Zeit vom 3. bis zum 17. Mai 2003 (richtig wohl: 2002) in die Dominikanische Republik. Zweck der Reise war es, daß N. und F. – gegen Geldzahlungen des Angeklagten – jeweils eine junge dominikanische Frau heiraten und diesen so ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Deutschland ermöglichen sollten. Dabei hatte der Angeklagte von vornherein vor, beide Frauen hier für sich als Prostituierte arbeiten zu lassen. Durch Vermittlung des zu dieser Zeit in der Dominikanischen Republik lebenden Ehepaares Martin B. und Anna Maria Christina G. kam es zur Heirat zwischen Josef N. und Elvida Monzanilla Fo. sowie Bernhard F. und Mariela S. R.. Den beiden Frauen hatte der Angeklagte noch in ihrer Heimat mit Hilfe des als Dolmetscher fungierenden Martin B. in Deutschland eine „ordentliche Arbeit” in einem Restaurant oder Schönheitssalon versprochen. Nachdem sie in Deutschland eingetroffen und vom Ehepaar B. und dem Angeklagten am Flughafen Düsseldorf abgeholt worden waren, zwang sie Martin B., für ihn der Prostitution nachzugehen. Am 26. August 2003 (wohl: 2002) ließ sie der Angeklagte ein notarielles Schuldanerkenntnis unterschreiben, in dem beide anerkannten, der Firma B. -S. GmbH, die kurz darauf vom Sohn des Angeklagten erworben wurde, jeweils 7.500 Euro zu schulden. Der Angeklagte bot den Frauen an, ihre Schulden entweder langfristig als Reinigungskräfte oder „zügig” als Prostituierte „abzuarbeiten”. Beide entschlossen sich, die Schulden schnellstmöglich durch Prostitution abzutragen. Sie gingen sodann für den Angeklagten der Prostitution nach, der ihnen einen Großteil des dadurch verdienten Geldes abnahm.
2. In der Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils ist ausgeführt, daß der Angeklagte den ihm in der Anklage zur Last gelegten Tatvorwurf (gemeinschaftlicher schwerer Menschenhandel in Tateinheit mit Zuhälterei) zunächst bestritten hat: Er habe gemeinsam mit B. eine Partnerschaftsvermittlung betreiben wollen. Dabei sei es seine Aufgabe gewesen, in Deutschland heiratswillige Männer zu finden, während B. in der Dominikanischen Republik heiratswillige Frauen habe suchen sollen. Auch die Reise mit Josef N. und Bernhard F. habe nur dem Zweck der Vermittlung eines Ehepartners gedient. Es sei von ihm nicht geplant gewesen, die Frauen in Deutschland der Prostitution zuzuführen. Vielmehr hätten beide später von sich aus – wie schon in ihrer Heimat – als Prostituierte arbeiten wollen.
Im Rahmen der anschließenden Beweisaufnahme habe der Angeklagte durch eine entsprechende Erklärung seines Verteidigers, die er durch ausdrückliche Erklärung als eigene bestärkt habe, diese Einlassung aufgegeben und den Anklagevorwurf eingeräumt. Das Geständnis, auf dem die Feststellungen zum Tatgeschehen beruhen, sei glaubhaft.
3. Die Revision macht geltend, daß das Geständnis des Angeklagten nicht verwertbar (§ 136a Abs. 3 Satz 2 StPO) und der nach der Verkündung des Urteils erklärte Rechtsmittelverzicht des Angeklagten unwirksam sei.
a) Der Rüge liegt folgender, durch das Protokoll (§ 274 StPO) und freibeweislich (BGHSt 16, 164, 166; 45, 227, 228), insbesondere durch die dienstlichen Stellungnahmen des Vorsitzenden Richters und des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft, die anwaltliche Versicherung des Instanzverteidigers sowie – lediglich ergänzend – die eidesstattlichen Versicherungen zweier Hauptverhandlungs-Zuhörer, erwiesener Verfahrensablauf zugrunde:
Gegen den – nicht vorbestraften – Angeklagten war am 16. Dezember 2002 wegen der zu erwartenden „erheblichen Freiheitsstrafe”, seiner guten Auslandskontakte und dadurch bestehender Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) Haftbefehl erlassen worden, der mit Beschluß vom 28. Januar 2003 außer Vollzug gesetzt worden war. Dem Angeklagten war in dem Beschluß auferlegt worden, jeden Kontakt mit den Mitbeschuldigten und deren Ehefrauen zu unterlassen, sich einmal wöchentlich bei der Polizei zu melden, seinen Reisepaß zu hinterlegen, an seinem Wohnsitz für das Gericht erreichbar zu sein und die Bundesrepublik Deutschland nicht ohne Zustimmung des Gerichts zu verlassen. Diesen Auflagen kam der Angeklagte nach; zur Hauptverhandlung erschien er.
Während der Beweisaufnahme wurde die Hauptverhandlung mehrfach unterbrochen. Der Verteidiger ließ hierbei erkennen, daß er die Vernehmung des in der Dominikanischen Republik wohnenden Ehepaares B. beantragen werde, falls die Beweisaufnahme für seinen Mandanten „ungünstig ausgehe”. Wie der Vorsitzende in seiner dienstlichen Stellungnahme ausgeführt hat, äußerte er daraufhin zu dem Verteidiger, daß durch diese Vernehmung im Ergebnis nichts zugunsten des Angeklagten zu erwarten sei und im Falle einer Aussetzung des Verfahrens vom Gericht die Außervollzugsetzung des Haftbefehls „überdacht” werden müsse; denn der Angeklagte müsse nach der Einschätzung des Gerichts „klar erkannt haben …, dass seine Behauptungen widerlegt und bei einer Aussetzung bei vernünftiger Betrachtungsweise kein anderes Beweisergebnis zu erwarten sei, so dass damit die Fluchtgefahr des Angeklagten, der über umfangreiche Auslandskontakte … (verfüge), in einem anderen Licht betrachtet werden müsse”. Wenn der Angeklagte allerdings keinen Beweisantrag stelle, sondern ein Geständnis ablege, würde sich das Gericht mit einer Strafe von zwei Jahren und neun Monaten „zufrieden geben”.
Dieser Verfahrensgang wird durch die Stellungnahme des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft und des Instanz-Verteidigers bestätigt. Letzterer, der ortsansässig ist und nach der dienstlichen Stellungnahme des Vorsitzenden (im übrigen) „seriös” verteidigt habe, hat anwaltlich versichert, ihm sei deutlich gemacht worden, daß die Strafkammer beabsichtige, bei Stellung des Beweisantrages den Haftbefehl wieder in Vollzug zu setzen. Gleichzeitig sei ihm klargemacht worden, daß bei einer geständigen, über ihn als Verteidiger abzugebenden Erklärung ein Strafmaß von zwei Jahren und neun Monaten nicht überschritten werden würde. Über einen Rechtsmittelverzicht sei nicht ausdrücklich gesprochen worden; dieser gehöre aber zu den „bei der hiesigen Justiz üblichen Usancen”. Hinsichtlich des Strafmaßes bei einer nicht geständigen Einlassung sei er – „fast augenzwinkernd” – vom Vorsitzenden auf die „‚bei der hiesigen Justiz üblichen Tarife’” hingewiesen worden. Diesen Stand der Dinge habe er mit seinem Mandanten erörtert.
Für den Angeklagten und den Verteidiger stellte sich die Prozeßlage nach diesen Hinweisen so dar, daß entweder – bei weiterem Bestreiten und der Stellung des Beweisantrages – der sofortige Vollzug des Haftbefehls und eine höhere Strafe drohte, bei einem Geständnis und Rechtsmittelverzicht aber mit sofortiger Haft nicht zu rechnen war.
In dieser Situation gab der Verteidiger die vom Gericht gewünschte Erklärung ab, daß die Anklagevorwürfe „im wesentlichen” – so das Sitzungsprotokoll – zugegeben werden sollen. Der Angeklagte stimmte der Erklärung seines Verteidigers zu. Eine weitere Beweisaufnahme erfolgte nicht.
Nach der Verkündung des Urteils und der Erteilung der Rechtsmittelbelehrung, fragte der Vorsitzende den Angeklagten, ob das Urteil angenommen werde. Der Angeklagte reagierte nicht. Daraufhin forderte ihn der Vorsitzende mehrmals auf zu nicken. Dieser Vorgang ist durch die dienstliche Stellungnahme des Staatsanwalts („… es ist nicht außergewöhnlich, wenn ein Angeklagter wiederholt und nachdrücklich gebeten wird, seine Zustimmung deutlich zu erklären …”) und die eidesstattlichen Versicherungen der Zuhörer H. und Sch. belegt („Herr L., nicken Sie, nicken Sie!”). Der Angeklagte senkte seinen Kopf, was als Zustimmung gewertet werden konnte. Auch der Verteidiger und der Staatsanwalt erklärten dann Rechtsmittelverzicht.
b) Der Angeklagte macht mit seiner Verfahrensrüge geltend, er habe nur unter Androhung der sofortigen Verhaftung seine bestreitende Einlassung aufgegeben und den Anklagevorwurf – fälschlicherweise – gestanden. Den Rechtsmittelverzicht habe er ebenfalls unter dem Druck abgegeben, andernfalls sofort in Haft zu kommen. Beide Erklärungen seien durch unzulässige, rechtswidrige Maßnahmen des Gerichts erzwungen worden.
aa) Die Rüge ist zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die Revision teilt zwar Einzelheiten zum Ermittlungsverfahren nicht mit, sie gibt aber den vollständigen Inhalt der Anklageschrift wieder, in der die insoweit zur Schlüssigkeit der Rüge erforderlichen grundlegenden Tatsachen dargelegt sind. Soweit der Beschwerdeführer zur Begründung seiner Rechtsansicht nicht ausdrücklich auch auf die Verknüpfung zwischen der beabsichtigten Stellung eines Beweisantrags und der Drohung mit sofortiger Haft abstellt, ergeben sich die vorzutragenden Verfahrenstatsachen aus den in der Revisionsbegründung mitgeteilten und in Bezug genommenen eidesstattlichen Versicherungen der Zeugen H. und Sch. (u.a. der Vorsitzende habe erklärt, „dass er das Spiel mit den Anträgen kenne und dass er in diesem Fall den Haftbefehl sofort in Vollzug [setze]”).
bb) Nach dem vom Senat festgestellten Verfahrensgang hat das Landgericht durch die konkludent zum Ausdruck gebrachte Ankündigung, der Angeklagte werde in Haft genommen, falls er nicht gestehe, sondern den beabsichtigten Beweisantrag stelle und die Hauptverhandlung deswegen ausgesetzt werden müsse, mit einer nach den Vorschriften des Strafverfahrensrechts unzulässigen Maßnahme gedroht und damit gegen § 136 a Abs. 1 Satz 3 1. Alt. StPO verstoßen. Die Invollzugsetzung des Haftbefehls wäre offensichtlich rechtswidrig gewesen; denn es lag hierfür kein Grund vor (§ 116 Abs. 4 StPO): weder hatte der Angeklagte seinen ihm in dem Außervollzugsetzungsbeschluß auferlegten Pflichten oder Beschränkungen zuwider gehandelt, noch hatte er Anstalten zur Flucht getroffen oder war er auf Ladung ausgeblieben, noch hatte sich auf andere Weise gezeigt, daß das in ihn bei Aussetzung des Vollzugs des Haftbefehls gesetzte Vertrauen nicht gerechtfertigt war, noch machten neu hervorgetretene Umstände seine Verhaftung erforderlich. Insbesondere rechtfertigten die mögliche Verurteilung als solche oder auch die Höhe der zu erwartenden Strafe nicht als „neu hervorgetretene Umstände” die Verhaftung des Angeklagten, weil schon bei der Aussetzungsentscheidung von der Möglichkeit der Verurteilung ausgegangen und im Falle des Schuldnachweises mit einer „erheblichen” Freiheitsstrafe gerechnet worden war (vgl. dazu OLG Düsseldorf StV 2000, 211; 2002, 207; OLG Hamm StV 2003, 512 f.; Boujong in KK 5. Aufl. § 116 Rdn. 32 m.w.N.).
Die Androhung von Haft diente – wie die Revision zu Recht rügt – ersichtlich der Herbeiführung eines Geständnisses. Dies war hier ebenso unzulässig wie die unmittelbare Verknüpfung der Haftfrage mit der prozessual zulässigen Stellung des Beweisantrags. Diese Verfahrensweise des Gerichts ist rechtsstaatlich nicht hinnehmbar (vgl. BGH bei Dallinger MDR 1971, 18; BGH, Beschluß vom 9. Juni 2004 – 5 StR 579/03 = StV 2004, 470, 471; Hanack in Löwe-Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 136a Rdn. 12, 48). Das Geständnis ist daher nicht verwertbar (§ 136 a Abs. 3 Satz 2 StPO).
cc) Vor dem Hintergrund, daß er mit sofortiger Haft rechnen mußte, wenn er das Verfahren durch die Stellung eines Beweisantrages verzögern würde, mußte sich dem Angeklagten aufdrängen, daß er auch in Haft kommen werde, wenn er entgegen der mehrfachen, insistierenden Aufforderung des Vorsitzenden keinen Rechtsmittelverzicht erklären, den Verteidiger zu einer entsprechenden Erklärung nicht (konkludent) ermächtigen und so den sofortigen rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens verhindern würde. Der Rechtsmittelverzicht wurde somit durch eine unzulässige Willensbeeinflussung „abverlangt” und ist daher – obwohl er als Prozeßerklärung grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar ist (vgl. BGHSt 45, 51, 53) – unwirksam (vgl. BGHSt 17, 14, 18; BGH StV 2004, 115, 116; BGH, Beschluß vom 20. April 2004 – 5 StR 11/04 = NJW 2004, 1885 f. [Ankündigung eines unsachgemäßen Haftantrags durch den Staatsanwalt]). Die Unwirksamkeit erfaßt auch den Rechtsmittelverzicht durch den Verteidiger (vgl. BGHSt 45, 227, 229 f., 232 f.).
Das auf das Geständnis des Angeklagten gestützte Urteil muß daher aufgehoben und die Sache muß neu verhandelt werden. Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, das Verfahren an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. StPO).
Unterschriften
Tepperwien, Kuckein, Athing, Solin-Stojanović, Ernemann
Fundstellen
Haufe-Index 2558256 |
NStZ 2005, 279 |
ZAP 2004, 1341 |
wistra 2004, 472 |
DAR 2005, 254 |
JuS 2005, 475 |
Kriminalistik 2005, 374 |
NJW-Spezial 2005, 234 |
RÜ 2004, 597 |
StV 2004, 636 |
StV 2005, 201 |
StraFo 2004, 417 |
LL 2005, 463 |