Entscheidungsstichwort (Thema)
Ersetzung rechtswidrig verweigerten gemeindlichen Einvernehmens im Baugenehmigungsverfahren
Leitsatz (amtlich)
Im Baugenehmigungsverfahren obliegen der Gemeinde bei der Verweigerung des gemeindlichen Einvernehmens nach § 36 Abs. 1 BauGB keine den Bauwilligen schützenden Amtspflichten, wenn die Baugenehmigungsbehörde nach § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB i.V.m. landesrechtlichen Vorschriften das rechtswidrig verweigerte Einvernehmen ersetzen kann.
Normenkette
BGB § 839; BauGB § 36; BayBO Art. 74 a.F., Art. 67 n.F.
Verfahrensgang
OLG Nürnberg (Urteil vom 18.01.2010; Aktenzeichen 4 U 1182/09) |
LG Regensburg (Urteil vom 08.06.2009; Aktenzeichen 4 O 2635/07) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des OLG Nürnberg vom 18.1.2010 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Revisionsrechtszugs zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche des Klägers wegen eines verweigerten Einvernehmens des beklagten Markts (Gemeinde) in einem Baugenehmigungsverfahren.
Rz. 2
Im September 2001 beantragte der Kläger beim Landratsamt S. -B. die Baugenehmigung für einen im Außenbereich gelegenen Neubau eines Schweinestalles mit 1.489 Mastschweinplätzen im Gemeindeteil O. - des Beklagten. Dieser verweigerte sein Einvernehmen i.S.d. § 36 BauGB, weil weder die Wasserversorgung noch die Abwasserbeseitigung gesichert seien und das zur Bebauung vorgesehene Grundstück in der Nähe eines Waldes und eines Bodendenkmals liege. Daraufhin lehnte das Landratsamt S. -B. im Februar 2002 den Antrag auf Erteilung der Baugenehmigung unter Hinweis auf das Fehlen des gemeindlichen Einvernehmens ab. Dabei sah es von dessen Ersetzung ab. Daraufhin erhob der Kläger Klage auf Erteilung der Baugenehmigung beim VG Regensburg. Dieses hob den ablehnenden Bescheid durch Urteil vom 20.1.2004 auf und verpflichtete das Landratsamt, den Bauantrag nach der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Das Bauvorhaben des Klägers sei planungsrechtlich zulässig, so dass der Beklagte sein Einvernehmen rechtswidrig verweigert habe. Im März 2004 erteilte das Landratsamt S. -B. die beantragte Baugenehmigung bei gleichzeitiger Ersetzung des Einvernehmens des Beklagten nach Art. 74 BayBO a.F.
Rz. 3
Der Kläger macht geltend, dass ihm durch die verzögerte Erteilung der Genehmigung, deren Ursache das rechtswidrig verweigerte Einvernehmen des Beklagten gewesen sei, ein Schaden i.H.v. 144.789,25 EUR entstanden sei. Bei rechtmäßigem Verhalten des Beklagten wäre die Baugenehmigung bereits im Februar 2002 erteilt worden. Unter Berücksichtigung der Bauzeit hätten die von ihm geplanten Ställe bereits ab Juni 2003 und nicht erst ab Juni 2005 genutzt werden können.
Rz. 4
Das LG hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die gegen das Grundurteil eingelegte Berufung des Beklagten hat Erfolg gehabt.
Rz. 5
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 6
Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
Rz. 7
Das Berufungsgericht hat einen Anspruch aus Amtshaftung und aus enteignungsgleichem Eingriff verneint. Dem Beklagten habe bei der Versagung seines Einvernehmens nach § 36 BauGB keine drittschützende Amtspflicht hinsichtlich des Klägers obgelegen. Die Versagung stelle keinen unmittelbaren Eingriff in eine durch Art. 14 GG geschützte Rechtsposition des Klägers dar. Zwar sei die Verweigerung des Einvernehmens durch den Beklagten rechtswidrig gewesen. Dieses Einvernehmen stelle aber ein reines Verwaltungsinternum dar, das nach § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB i.V.m. Art. 74 BayBO a.F. ersetzt werden könne. Außenwirkung komme dem Verwaltungshandeln erst mit der genehmigenden oder versagenden Entscheidung der Baugenehmigungsbehörde zu. Dem stehe nicht entgegen, dass Art. 74 BayBO a.F. als Ermessensvorschrift ausgestaltet sei. Das Ermessen der Genehmigungsbehörde sei nämlich auf Null reduziert, wenn das Einvernehmen angesichts der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens nicht hätte versagt werden dürfen. Mangels eines unmittelbaren Eingriffs des Beklagten in eine durch Art. 14 GG geschützte Rechtsposition des Klägers scheide auch ein Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff aus.
II.
Rz. 8
Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision stand.
Rz. 9
1. Dem Kläger steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Schadensersatz nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG zu.
Rz. 10
Die rechtswidrige Verweigerung des gemeindlichen Einvernehmens nach § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB stellt hier keine Amtspflichtverletzung des Beklagten ggü. dem Kläger dar.
Rz. 11
a) Nach der Rechtsprechung des Senats zu § 36 BauGB in der bis zum Inkrafttreten des Bau- und Raumordnungsgesetzes 1998 vom 18.8.1997 (BGBl. I 1997, 2081) geltenden Fassung - durch dieses Gesetz ist in § 36 Abs. 2 BauGB der neue Satz 3 eingefügt worden - kommt eine Amtspflichtverletzung der das Einvernehmen versagenden Gemeinde in Betracht, wenn dies Bindungswirkung für die Baugenehmigungsbehörde hat. Der auf der Planungshoheit beruhenden Beteiligung der Gemeinde am Baugenehmigungsverfahren kann nämlich im Falle der Versagung des Einvernehmens eine für den Bauwilligen ausschlaggebende Bedeutung zukommen, wenn die Baugenehmigungsbehörde nach der Rechtslage gehindert ist, eine Baugenehmigung auszusprechen, solange die Gemeinde ihr Einvernehmen nicht erklärt hat (übereinstimmende Rechtsprechung des BVerwG und des BGH; vgl. z.B. BVerwGE 22, 342 [345 ff.]; BVerwG UPR 1992, 234, 235; BGH, Urt. v. 29.9.1975 - III ZR 40/73, BGHZ 65, 182 [186]; v. 18.12.1986 - III ZR 174/85, BGHZ 99, 262 [273]; v. 21.5.1992 - III ZR 14/91, BGHZ 118, 263 [265]; v. 13.10.2005 - III ZR 234/04, NVwZ 2006, 1177). Vereitelt oder verzögert die Gemeinde durch eine unberechtigte Versagung des Einvernehmens ein planungsrechtlich zulässiges Bauvorhaben, so berührt dies - sei es auch nur mittelbar - notwendig und bestimmungsgemäß die Rechtsstellung des Bauwilligen. Dies genügt, um eine besondere Beziehung zwischen der verletzten Amtspflicht und dem Bauwilligen als einem geschützten "Dritten" i.S.d. § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB zu bejahen. Dessen Interessen werden durch die Amtspflicht, das Einvernehmen nicht zu verweigern, wenn das Bauvorhaben nach den §§ 31, 33, 34 oder 35 BauGB zulässig ist, in individualisierter und qualifizierter Weise geschützt (BGH, a.a.O., BGHZ 65, 182 [184 ff.]; seither st.Rspr., a.a.O., BGHZ 118, 263, 265 f m.w.N.).
Rz. 12
b) Im vorliegenden Fall besteht die bislang in der Senatsrechtsprechung noch nicht beurteilte Besonderheit, dass nach § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB i.V.m. Art. 74 Abs. 1 BayBO a.F. das rechtswidrig versagte aber erforderliche Einvernehmen durch die Baugenehmigungsbehörde, die nicht zugleich die Gemeinde ist, ersetzt werden konnte. Offengelassen hat der Senat bisher, ob in einem solchen Fall eine Amtshaftung der Gemeinde in Betracht kommt, wenn - wie hier - die Baugenehmigungsbehörde davon absieht, das verweigerte gemeindliche Einvernehmen zu ersetzen (vgl. BGH v. 19.3.2008 - III ZR 49/07, NVwZ 2008, 815 [816]). Diese nunmehr entscheidungserhebliche Frage ist zu verneinen (zustimmend für eine Amtshaftung allein der Baugenehmigungsbehörde Staudinger/Wurm, BGB, Neubearbeitung 2007, § 839 Rz. 606; Desens, DÖV 2009, 197 [205]; Klinger, BayVBl. 2002, 481, 484 f.; Lasotta, Das Einvernehmen der Gemeinde nach § 36 BauGB, 1998, S. 218 f.; so wohl auch Groß BauR 1999, 560 [571]; a.A. de Witt/Krohn, in Handbuch des öffentlichen Baurechts, [12. EL] M Rz. 97; Herrmann KommJur 2004, 286, 288; Dolderer BauR 2000, 491, 498 f, wonach sich durch die Einführung der Ersetzungsbefugnis die Maßstäbe für die Haftung der Gemeinde nicht geändert haben sollen).
Rz. 13
aa) Soweit der Baugenehmigungsbehörde die Befugnis eingeräumt ist, das versagte gemeindliche Einvernehmen zu ersetzen, wird ihre Prüfungs- und Entscheidungskompetenz erweitert. Sie umfasst nicht nur die Frage, ob ein gemeindliches Einvernehmen erforderlich ist, sondern auch, ob die Verweigerung der Gemeinde rechtswidrig ist. Die Bindungswirkung der negativen Entscheidung der Gemeinde für die Baugenehmigungsbehörde ist aufgehoben. Die Behörde ist mithin nicht mehr unter Umständen gezwungen, den Antrag auf Genehmigung eines an sich genehmigungsfähigen Bauvorhabens sehenden Auges allein wegen des rechtswidrig verweigerten Einvernehmens abzulehnen. Der maßgebliche Grund für die Annahme einer drittgerichteten Amtspflicht seitens der Gemeinde bei der Entscheidung über die Erteilung des Einvernehmens und damit ihrer haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit zum Bauherren - die Bindungswirkung ihrer Versagung für die Baugenehmigungsbehörde, obschon es sich bei dem gemeindlichen Einvernehmen nur um ein Verwaltungsinternum handelt - ist entfallen (vgl. Staudinger/Wurm, a.a.O.).
Rz. 14
bb) Ein Bedürfnis dafür, die der Gemeinde bei ihrer Entscheidung über die Erteilung des Einvernehmens obliegenden Amtspflichten trotz fehlender Bindungswirkung gleichwohl als drittgerichtet anzusehen und so auch weiterhin eine (Mit-)Haftung der Gemeinde für möglich zu halten, lässt sich auch nicht aus dem Umstand herleiten, dass § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB und der vorliegend noch anwendbare § 74 Abs. 1 BayBO in der Fassung der Bekanntmachung vom 4.8.1997 (GVBl. 1997, 433) als Kann-Vorschriften ausgestaltet sind. Insoweit spricht bereits vieles dafür, dass es sich bei diesen Vorschriften um bloße Befugnisnormen handelt, bei denen auf der Rechtsfolgenseite kein Ermessen besteht, sondern eine gebundene Entscheidung zu treffen ist (in diesem Sinne Roeser, in Berliner Kommentar zum BauGB, [September 2007] § 36 Rz. 14; Klinger BayVBl. 2002, 481, 483; Dolderer BauR 2000, 491 [498]; Horn NVwZ 2002, 406 [414]; Dippel NVwZ 1999, 921 [924]; so wohl auch Groß, BauR 1999, 560 [570]). Zudem hat der Bauwillige, dessen Vorhaben mit den materiell-rechtlichen Vorschriften in Einklang steht, einen durch Art. 14 GG geschützten Anspruch ggü. der Baugenehmigungsbehörde auf Erteilung der Baugenehmigung (BGH, a.a.O., BGHZ 65, 182 [186]; vgl. Urt. v. 11.1.2007 - III ZR 302/05, BGHZ 170, 260 Rz. 33 f m.w.N.). Hiermit wäre es nicht in Einklang zu bringen, wenn die Baugenehmigungsbehörde unter Berufung auf ein ihr eingeräumtes Ermessen die rechtswidrige Verweigerung des Einvernehmens durch die Gemeinde nicht ersetzen und deshalb mit der Ablehnung des Bauantrages rechtswidrig in das Eigentumsrecht des Bauwilligen eingreifen dürfte (Ermessenreduzierung auf Null, Desens DÖV 2009, 197 [203 f.]; Jachmann BayVBl. 1995, 481, 482 f.; de Witt/Krohn, a.a.O., M Rz. 95; Lasotta, a.a.O., S. 209; ders. - allerdings zurückhaltender Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung - BayVBl. 1998, 609, 615; vgl. auch Lechner, in Simon/Busse, BayBO, 87. Ergänzungslieferung 2007, Art. 74 Rz. 61: Ermessenreduzierung auf Null in besonders gelagerten Fällen; ähnlich VG Frankfurt NVwZ-RR 2001, 371; Schrödter/Rieger, BauGB, 7. Aufl., § 36 Rz. 23: bei offenkundig rechtswidriger Versagung ist Ersetzung "intendiert"; von einem größeren Entscheidungsspielraum der Behörde gehen insb. aus Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB (Stand Dezember 2006) § 36 Rz. 41; Krautzberger in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 11. Aufl., § 36 Rz. 13; zur Frage, inwieweit die Gemeinde einen Ermessensfehlgebrauch beanstanden kann: VGH München ZfBR 2006, 684, 585 f.; OVG Lüneburg BauR 2005, 679 [681 f.]; Jäde KommJur 2005, 368, 371 f.).
Rz. 15
Es besteht daher nicht die Gefahr, dass der durch die rechtswidrige Versagung des gemeindlichen Einvernehmens entstandene Schaden deshalb nicht zu erstatten ist, weil die Entscheidung der Bauaufsichtsbehörde, das Einvernehmen nicht zu ersetzen, gleichwohl als ermessensfehlerfrei und damit als nicht amtspflichtwidrig einzustufen ist.
Rz. 16
cc) Weiterhin besteht aus Sicht des geschädigten Bürgers auch keine Notwendigkeit, wegen etwaiger Verzögerungsschäden, die der Bauaufsichtsbehörde haftungsrechtlich nicht zugerechnet werden können, die Amtspflichten der Gemeinde als drittgerichtet zu qualifizieren. Nach § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB gilt das Einvernehmen der Gemeinde als erteilt, wenn es nicht binnen zwei Monaten nach Eingang des Ersuchens der Genehmigungsbehörde oder nach Einreichung des Bauantrags - sofern dieser nach Landesrecht bei der Gemeinde und nicht bei der Genehmigungsbehörde einzureichen ist - verweigert wird. Durch diese der Beschleunigung des Baugenehmigungsverfahrens dienende Vorschrift ist sichergestellt, dass die Entscheidung über die Verweigerung des Einvernehmens zeitnah nach Stellung des Baugesuchs getroffen wird. Verweigert die Gemeinde das Einvernehmen, kann die Rechtmäßigkeit der Verweigerung - und damit die Frage, ob das Einvernehmen zu ersetzen ist - im Rahmen der ohnehin von der Bauaufsichtsbehörde anzustellenden Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Voraussetzungen mitgeprüft werden. Zu erheblichen zeitlichen Verzögerungen kann es eigentlich nur dann kommen, wenn die Gemeinde gegen die trotz der Verweigerung des Einvernehmens erteilte Baugenehmigung mit einem Rechtsbehelf vorgeht. Durch die Ergreifung eines solchen Rechtsbehelfs wird jedoch der Bereich des bloßen Verwaltungsinternums verlassen. Insoweit gilt der in der Rechtsprechung des Senats anerkannte Grundsatz, dass der Gebrauch von Rechtsmitteln zur Durchsetzung rechtswidriger oder zur Verhinderung rechtmäßiger behördlicher oder gerichtlicher Beschlüsse oder Entscheidungen eine selbständige Amtspflichtverletzung der das Rechtsmittel einlegenden Körperschaft zum Nachteil des von dem Rechtsmittel nachteilig betroffenen Bürgers darstellen kann (s. Staudinger/Wurm, a.a.O., Rz. 607).
Rz. 17
c) Wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, ergeben sich für das vorliegende Verfahren für die Frage der Amtshaftung des beklagten Markts wegen der rechtswidrigen Versagung des Einvernehmens nach § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB keine relevanten Schlussfolgerungen daraus, dass Art. 74 BayBO a.F. durch Art. 67 BayBO in der Fassung der Bekanntmachung vom 14.8.2007 (GVBl. 2007, 588) ersetzt worden ist.
Rz. 18
In Art. 67 Abs. 1 Satz 2 BayBO wird nunmehr ausdrücklich bestimmt, dass der Bauwillige keinen Rechtsanspruch auf die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens hat. Diese Regelung hat der Bayerische Gesetzgeber geschaffen, um der "Gefahr einer Verlagerung von Haftungsrisiken von der das Einvernehmen verweigernden Gemeinde auf den Freistaat Bayern" entgegenzutreten (LT-Drucks. 15/7161 S. 70 zu Art. 71a BayBO-E).
Rz. 19
Entgegen den Intentionen des Gesetzgebers vermag indes die Neuregelung an der haftungsrechtlichen Alleinverantwortlichkeit der Baugenehmigungsbehörde nichts zu ändern.
Rz. 20
(1) Auch wenn der Bauwillige keinen eigenständigen Anspruch auf Ersetzung des rechtswidrig verweigerten gemeindlichen Einvernehmens hat, so bleibt es dabei, dass in diesem Fall bei Ablehnung der Baugenehmigung seine grundrechtlich geschützte Rechtsposition verletzt wird. Er hat einen grundrechtlich geschützten Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung ggü. der Baugenehmigungsbehörde. Das kann nicht durch die genannte landesrechtliche Regelung in Frage gestellt werden. Wegen der unverändert bestehenden Ersetzungsbefugnis und Ersetzungspflicht der Baugenehmigungsbehörde hat Art. 67 Abs. 1 Satz 2 BayBO auf die Haftungslage keine Auswirkungen. Es bleibt vielmehr bei dem vom erkennenden Senat aufgestellten Grundsatz, dass die haftungsrechtliche Verantwortlichkeit der Baugenehmigungsbehörde dann begründet ist, wenn sie in eigener Verantwortung über die Baugenehmigung zu befinden hat und die Prüfungskompetenz nicht hinter derjenigen der Gemeinde zurückbleibt (BGH, a.a.O., BGHZ 99, 262 [273 f.]). Dies ist gegeben, wenn die Baugenehmigungsbehörde über die Frage der Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens entscheiden muss und zwar unbeschadet der Frage, ob der Bauwillige einen eigenständigen Rechtsanspruch hierauf hat.
Rz. 21
(2) Ohne Belang ist insoweit auch, dass nach der Vorstellung des Landesgesetzgebers die Ersetzungsbefugnis materiell eine kommunalaufsichtsrechtliche Regelung sein soll (LT-Drucks. 15/7161, a.a.O.). Zwar beschränkt sich die Aufsicht ggü. der Gemeinde in weisungsfreien Angelegenheiten darauf, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung sicherzustellen (Art. 109 Abs. 1 BayGO). Sie dient damit grundsätzlich nur dem Interesse des allgemeinen Wohls, nicht aber dem Individualinteresse des Einzelnen. Durch die bloße Stellung eines Baugenehmigungsantrags wird zwischen dem Bauwilligen und der Kommunalaufsichtsbehörde - anders als ggü. der Baugenehmigungsbehörde - auch keine "besondere Beziehung" geschaffen, die ausnahmsweise eine Pflicht zum Einschreiten zugunsten des Bauwilligen hätte begründen können (BGH, a.a.O., BGHZ 118, 263 [274]). Jedoch hat es der Bayerische Landesgesetzgeber trotz der bei der letzten Novellierung der Bauordnung geäußerten rechtlichen Bewertung dabei belassen, dass die Ersetzungsbefugnis der Baugenehmigungsbehörde in das bauordnungsrechtliche Verfahren eingebettet bleibt, und diese nicht in das kommunalaufsichtsrechtliche eingefügt. Bei Schaffung des Art. 81 BayBO in der Fassung der Bekanntmachung vom 18.4.1994 (GVBl. 1994, 251), der Vorgängerregelung des Art. 74 BayBO a.F., hat der Gesetzgeber jedoch eine Verbindung zwischen dem kommunalaufsichtsrechtlichen und dem bauaufsichtsrechtlichen Genehmigungsverfahren herstellen wollen (LT-Drucks. 12/13482 S. 64 zu Art. 74a BayBO-E). Damit aber wirken die im bauaufsichtrechtlichen Verfahren zu wahrenden Grundrechtspositionen des Bauwilligen auch auf das Verfahren zur Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens ein (vgl. Groß BauR 1999, 560 [570]). Dies entsprach auch der Absicht des Landesgesetzgebers im damaligen Gesetzgebungsverfahren, der die Stärkung des Rechtsschutzes des Bürgers ausdrücklich als einen Zweck der Regelung angesehen hat, und zwar in der Erkenntnis, dass insoweit die - schon immer gegebenen - Möglichkeiten der Kommunalaufsicht nicht ausreichend sind (LT-Drucks. 12/13482 S. 64 f.).
Rz. 22
(3) Im Übrigen darf bei der rechtlichen Würdigung des Art. 67 BayBO n.F. der Zusammenhang dieser landesrechtlichen Vorschrift mit § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB nicht übersehen werden. Die bundeseinheitliche Vorgabe des § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB überlässt dem Landesgesetzgeber zwar die Ausgestaltung der Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens. Dies ändert aber nichts daran, dass diese Norm des Bundesrechts (schon aus Kompetenzgründen; vgl. Roeser, a.a.O.) eine ureigene bauplanungsrechtliche Regelung enthält mit entsprechenden Befugnissen der Fachbehörde und daran anknüpfenden Haftungsfolgen. Dabei darf die auf den Bauwilligen gerichtete Schutzrichtung der Vorschrift nicht dadurch abgeschwächt oder ausgehebelt werden, dass sie durch die landesrechtlichen Zuständigkeitsvorschriften zu einem bloßen Mittel der Kommunalaufsicht umgestaltet wird (Klinger BayVBl. 2002, 481, 484 zu Art. 74 BayGO a.F.).
Rz. 23
2. Dem Kläger steht auch kein Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff gegen den Beklagten zu. Wie bereits ausgeführt, stellt sich die Versagung des gemeindlichen Einvernehmens wegen der gesetzlich vorgesehenen Ersetzungsbefugnis der Baugenehmigungsbehörde als "behördeninterner" Vorgang ohne Bindungswirkung für die Baugenehmigungsbehörde dar. Das hat zur Konsequenz, dass der Eingriffstatbestand allein im außengerichteten Handeln der Baugenehmigungsbehörde, nämlich in der Ablehnung des Bauantrags und der unterlassenen Ersetzung des Einvernehmens, zu erblicken ist und diese auch im Hinblick auf das Institut des enteignungsgleichen Eingriffs alleinverantwortlich ist (Staudinger/Wurm, a.a.O., § 839 Rz. 452).
Fundstellen
Haufe-Index 2422680 |
BGHZ 2011, 51 |